28. JANUAR
PERU
Akira saß im Schneidersitz auf der halbverotteten Holzbank vor ihrem
Pensionszimmer und starrte auf das leuchtende Wasser am Horizont, dem
sich gerade die Sonne näherte. Es fiel ihm schwer, zu begreifen,
dass das hier immer noch dasselbe Meer war, nur eben von der anderen
Seite aus betrachtet. Kei kam bald darauf auf den Hof gefahren, mit
einem alten Motorrad, das er irgendwem nach einer Schießerei geklaut
hatte. Von seinem Boss in Tokyo hatte er einen neuen
Motorradführerschein und einen für Autos bekommen. Genau wie einen
neuen Ausweis mit einem neuen Namen. ‚Kageyama, Kaito‘ stand nun
auf seinen Papieren. Gefälschten Papieren. Auch sein Freund hatte
einen neuen Ausweis bekommen. Das einzige, das Kei beibehalten hatte,
war sein Spitzname. Kei. Seine Haarfarbe war anders, nun waren sie
deutlich mehr blau als schwarz. Das Motorrad stellte er ab, er hatte
sich in Lima ein bisschen umgesehen, um herauszufinden, wie man hier
an Geld kommen konnte.
Das Motorengeräusch riss Akira aus seinen müßigen Gedanken. Wer
auch immer das war, er hoffte, dass er nicht um die Hausecke kommen
und ihn ansprechen würde. Er verstand die Sprachen hier nicht, nicht
einmal das Englisch, das sie hier zu sprechen vorgaben, und jede
Auffälligkeit, die Kei und er sich leisteten, machte sie
angreifbarer. Er zog sich die Kapuze seines bunten Andenpullovers
über den Kopf und tief ins Gesicht.
„Ich bin‘s!“ rief Kei von unter seiner Kapuze und stellte sein
neues Gefährt neben Akira ab. „Ich hab uns ein Motorrad und etwas
Geld besorgt,“ verkündete der Vampir. Trotz der Temperaturen und
des Klimas im allgemeinen hatte er sich schnell angewöhnt, meistens
mit Jacke und Kapuze rauszugehen. Er hatte schnell gelernt, dass
seine Tätowierung ihm die Aufmerksamkeit des Rechtssystems
einbrachte.
Akira sah auf und ließ die Schultern hängen.
„Das ist ja viel besser als -“
der Schrotthaufen, den ich dir zum Geburtstag schenken
wollte. Es war bei Weitem nicht
schöner als der alte Chopper, den Akira hinter dem Hühnerschuppen
des Nachbarn versteckt hatte, aber es schien vollständig zu sein und
funktionierte.
„Wie hast du das Geld verdient? Lass uns mal vergleichen,
vielleicht ist der Job, der mir angeboten wurde, eine realistische
Alternative.“ Akira lächelte sarkastisch.
„Mich hat so‘n Typ angesprochen, der wollte Koks geliefert
haben.“ Er fügte an, dass er das dann erledigt habe und dafür gar
nicht mal schlecht entlohnt worden sei. „Das Motorrad hab ich mehr
oder weniger nur für den Weg hierher benutzt. Das wird in spätestens
zwei Tagen vermisst werden und ich will es dann nicht mehr haben.“
Er setzte sich neben Akira und präsentierte seine Ausbeute. Neue
Kippen und ein großes Bündel Geld, sowie eine Flasche Whisky. Akira
lächelte.
„Dann ist ja alles gut.“ Er nahm
die Flasche und öffnete sie. „Wir sollten hier nicht bleiben,
oder? Lima ist ein bisschen zu... groß.“ Wir hätten uns
gar nicht erst hier niederlassen dürfen.
„Nein, sollten wir nicht,“ stimmte Kei ihm zu. „Das war nur die
erste Station um aus Tokyo herauszukommen. Aber wo gehen wir hin?“
„Es ist vielleicht am klügsten, das überhaupt nicht zu planen. So
ist es unmöglich, unseren Weg nachzuverfolgen,“ Akira trank einen
Schluck Whisky und stellte die Flasche vor sich auf der Bank ab. „Es
sei denn, sie haben uns irgendwann Sender eingepflanzt.“ Das meinte
er offensichtlich nicht ernst. Er griff nach den Zigaretten. Kei
schob ihm das Päckchen hin und griff seinerseits nach der Flasche.
„Dann lass uns morgen sehen, wo man von hier aus hinkommt.“ Der
Vampir besaß zwar ein neues Telefon, ein billiges Wegwerfhandy, aber
da er nicht oft draufschaute, hatte er nicht mehr so ganz auf dem
Schirm, welcher Tag eigentlich war. Akira nahm zwei Zigaretten aus
der Schachtel und steckte sie sich in den Mund. Mit dem Feuerzeug,
das Kei ihm reichte – immer noch das edle Zippo aus Japan –
zündete er sie gleichzeitig an. Eine davon reichte er Kei.
„Morgen ist zu früh.“ Er sah zwischen seinen schwach
ausgeblichenen roten Strähnen zu Kei auf. Kei nahm die Zigarette an
sich.
„Wieso?“ Er stecke sie sich zwischen die Lippen und das Zippo,
von dem er sich nicht trennen wollte, wieder in die Hosentasche.
„Das siehst du dann.“ Akira zwinkerte und legte sich dann auf den
Rücken. Die Beine ließ er gekreuzt, wie sie waren. Kei zog die
Beine hoch, sodass er im Schneidersitz saß und begann mit Akiras
Haaren zu spielen. Seine oberen Haarstufen waren dunkelblau und die
Strähnen, die darunter hervorschauten, tiefschwarz.
„Wenn wir soweit sind... also, dass wir abhauen können... brauche
ich erst noch einen...“ Einen Imbiss? Einen Menschen. „Etwas
zu essen.“ Eigentlich brauchte er das jetzt, aber solange sie noch
nicht sofort verschwinden konnten, konnte er sich einen so
unordentlichen Mord nicht leisten. Dafür kannten sie sich in dieser
Stadt nicht gut genug aus. Hungrig starrte er zu Kei hinauf und blies
Rauch aus. „Trink von mir.“
„Das wird leicht zu kriegen sein.“ Kei war ziemlich fest davon
überzeugt, denn diese Stadt war riesig und der Ort, an dem sie sich
aufhielten, war nicht gerade ungefährlich und es liefen einige
Drogensüchtige herum, die man ohne Aufsehen zu erregen umlegen
konnte, wie Kei bereits festgestellt hatte. In seiner rechten Hand
glühte die halb gerauchte Kippe fröhlich vor sich hin als er sich
halbwegs hinlegte und über den Kleineren beugte. Wehe dir, wenn
du zusammenklappst...
Akira beobachtete Kei und wandte seinen Blick zurück auf die Dächer,
zwischen denen das Meer noch etwas zu sehen war, sobald er Keis
Gesicht nicht mehr sehen konnte. Kei lächelte ganz leicht und küsste
Akira. Der musste lächeln und erwiderte den Kuss mit offenen Augen.
Ich sagte, trink von mir.
Tatsächlich kam der Vampir seiner Aufforderung nach und unterbrach
den Kuss mit leichtem Grinsen um sich Akiras Halsbeuge zuzuwenden.
„Hn...“ Süßer Schmerz. Das krampfige Ziehen des Bisses ließ
bald nach und wurde schnell durch einen prickelnden Rausch ersetzt,
der rasch anschwoll und Akiras Sicht weiß umrahmte. Der gelbe
Sonnenuntergangshimmel wurde greller und die Zigarette rutschte aus
seinen Fingern. In seinem Unterleib rührte sich etwas und er
blinzelte benebelt lächelnd. Kei ließ sich Zeit, ehe er nach einer
ganzen Weile wieder von ihm abließ. Sehr viel Blut hatte er nicht
getrunken, immerhin wollte er nicht, dass Akira ohnmächtig wurde,
aber auch nicht gerade wenig. Grinsend leckte er mit der Zungenspitze
über die kleine Wunde, die leicht blutete. Akiras Atem war etwas
flacher und schneller geworden. Langsam drehte er den Kopf, um Kei
wieder anzusehen.
„Lass uns reingehen. Und deinen Geburtstag gebührend begrüßen,“
knurrte er leise. Der Vampir hob seinen Freund hoch.
„Bis dahin sind es noch ein paar Stunden,“ sagte er grinsend,
während er Akira auf das Bett legte und ihre Sachen von draußen
hereinholte, bevor er die Tür hinter sich abschloss.
In der Zeit zog Akira sich langsam aus und schob seine Kleider von
der bunten Überdecke auf den Fußboden. „Also müssen wir uns
ranhalten. Das ist nicht viel Zeit.“ Er lächelte süffisant. „Und
solange ich high bin, bin ich bestimmt zahm wie ein Lämmchen, es
wäre dumm, das nicht auszunutzen.“
Während Kei Jacken und Tanktop in die Ecke warf, begann ein leichtes
aber deutliches Grinsen sein Gesicht zu zieren, das dem Kleineren
praktisch ins Gesicht schrie, dass er es für eine gute Idee hielt,
Akiras benebelten Zustand auszunutzen.
„Solche Dummheiten sollte ich nicht begehen.“ Er setzte sich
neben den Jüngeren aufs Bett, küsste ihn und drückte ihn dabei
nach unten. Akira erwiderte den Kuss langsam und zog danach den Kopf
etwas zurück.
„Es gibt aber einen Haken.“
„Ich höre.“ Kei hasste es, wenn Akira sowas sagte, aber seine
gute Laune schmälerte das kein bisschen.
„Pace yourself. Or we won't last even an hour.“ Akira legte die
Arme um Keis Nacken und küsste ihn, wieder sehr, sehr langsam. Mit
leicht versautem Grinsen erwiderte der Vampir den Kuss.
Dann hätten wir mehr als genug Zeit für Runde Zwei... Den
Gedanken behielt er vorerst für sich, es war noch mehr als genug
Zeit bis der neue Tag anbrechen würde. Unter ihm lag Akira nun nackt
auf der rauhen, bunten Decke, die Augen geschlossen und die
Zungenspitze warm und nass auf seinen Lippen, und strich mit den
Fingern langsam über seinen Nacken. Es verging nur eine kurze Zeit,
bis Kei den Kuss vertiefte. Pace yourself hast du gesagt... aber
nicht, wie lange...
Mit den Fingerspitzen kratzte Akira leicht über Keis Schultern,
Brustwarzen, Bauch... und einen Fuß setzte er sanft auf Keis
Schritt.
In seinem Kleiderhaufen am Fuß des Bettes war ein kleines Bündel
von US-Dollarscheinen aus der Bauchtasche seines Andenpullovers
gerutscht.
Der Vampir spürte das Kratzen kaum. Seit er gestorben war, war sein
Schmerzempfinden noch schwächer geworden – auch, wenn sein Herz
schlug. Er gab dem Kleineren ein paar Kratzer auf den Oberkörper
zurück und biss ihm fast schon zärtlich in die Schulter, hinterließ
aber nichts weiter als eine Reihe blauer Flecken. Dafür drückte
Akira ihm mit dem Fußballen in den Schritt und setzte die Hände
flach auf seine Brust, um ihn langsam, aber bestimmt wegzuschieben.
Immerhin machte er keinen Hehl daraus, dass es ihn anmachte, was Kei
gerade tat. Das zeigte sich in den Geräuschen, die aus seinem Mund
gekrochen waren, seinem Puls, seinem flachen Atem, der Farbe in
seinem Gesicht und dem, was sich gerade in seinem Schritt tat. Er sah
Kei berauscht an. Der Vampir blickte ihm in die Augen, mit
seinerseits leicht berauschtem Blick, der sagte: ‚Was?‘
Akira setzte sich auf und kniete sich hin, um Keis Gürtel zu öffnen.
Dabei küsste er seine Schulter. Auf Keis Gesicht machte sich ein
kaum sichtbares Grinsen breit und eine Hand vergrub er in Akiras
Haaren, während er mit der anderen dessen Seite entlangfuhr.
Pace yourself... sagte Akira
sich selbst. Er fand es zunehmend schwieriger, seine eigene Anweisung
zu befolgen und hörte fast auf zu denken, bis er Keis Hose endlich
geöffnet hatte. Als er Keis Hals küsste, wurde ihm bewusst, dass er
vorhatte, Keis Geburtstag gegensätzlich zu seinem eigenen verlaufen
zu lassen. Das hier sollte nicht die traurige, verzweifelte, eilige
Befriedigung eines finsteren Triebes sein. Dem Vampir lag sowas und
Akira hatte nichts gegen die Gewalt und den Schmerz, aber vielleicht
wusste Kei einfach nur nicht, dass es auch anders ging. Akira küsste
weiter seinen Hals, langsam und keusch nur mit den Lippen und der
Zungenspitze, und schob ihm die Hose soweit hinunter, wie es Keis
kniende Position zuließ. Mit Geduld hatte Kei es bekanntlich nicht
so, aber er gab sich Mühe und wartete. Er kraulte den Kleineren im
Nacken und lehnte sich ein Stück nach hinten, um ihm das
Herunterschieben der Hose etwas zu erleichtern. Akira zog sie
herunter und musste dabei etwas rupfen, weil sie so eng war. Bei den
Stiefeln war dann Schluss. Er rutschte vom Bett und kniete sich
davor. Er stellte sich Keis Füße nacheinander auf die Brust,
schnürte ihm dort die Stiefel auf und zog sie ihm ab. Kei half ihm
dabei ein wenig, indem er ihm das Herumbewegen seiner Beine
erleichterte und das Becken anhob, als Akira ihm die Hose
herunterzog. Während ihm die Stiefel ausgezogen wurden, stützte er
sich nach hinten gelehnt auf beide Arme. Das Geldbündel fiel ihm
noch nicht auf, weil seine Augen halb geschlossen waren.
Keis Hosen warf Akira achtlos zur
Seite, dann erhob er sich und drückte mit der Hand etwas auf Keis
Schulter, während er auf ihn kletterte. Er lächelte etwas, sah aber
hauptsächlich erregt aus. Kei grinste immer noch leicht und machte
ihm etwas Platz, indem er ein Stückchen nach hinten rutschte. Mit
seinem tiefblauen Blick beobachtete er Akira genau. Mit einer Hand
fing er an, die Konturen von Akiras Oberkörper nachzufahren und mit
leichtem Druck Kratzspuren zu hinterlassen. Akira setzte sich
rittlings auf seine Oberschenkel und küsste ihn tief, mit Zunge und
mehr Eifer, als er vorgehabt hatte. Dabei sah er ihm weiter in die
Augen, die ihm in diesem Halbdunkel entgegenleuchteten. Gierig
erwiderte Kei den Kuss und hielt dabei den Blickkontakt aufrecht.
Sein Blick war eine Mischung aus benebelt und erregt, die Augen halb
geöffnet. Der Herzschlag des Vampirs war etwas schneller geworden
und sein Körper ein, zwei Grad wärmer. Akiras Blut war für ihn wie
eine Droge. Er hatte seinen Hormoncocktail getrunken. Was Kei nicht
von Anfang an gewusst, sondern erst vor einigen Jahren gelernt hatte,
war, dass die Zusammensetzung des Blutes, das er zu sich nahm,
direkte Auswirkung auf ihn hatte.
Akira ließ Keis Mund in Ruhe und fuhr mit den Lippen über dessen
Wange zum Ohr. „Leg dich hin,“ flüsterte er.
Was hast du vor? Kei leistete
dem Folge und beobachtete Akira. Er folgte jeder Bewegung des
Kleineren mit den Augen, kaum merklich. Der kletterte von ihm
herunter und kniete neben Kei, ohne die Hände von ihm zu nehmen. Er
ließ sie auf seiner Haut bis zwischen die Beine hinunterfahren und
beugte sich mit ernstem Blick über ihn, um seinen Bauch weit unter
dem Nabel zu küssen. Der Vampir legte den Kopf nach hinten auf die
Decke, schaute mit den Augen aber noch immer in Richtung seines
Freundes. Kei lag nicht ganz auf dem Bett, seine Unterschenkel hingen
hinunter - was ihn aber nicht störte, schließlich war das nicht
unbequem.
Ungeniert aber ernst streichelte Akira langsam Keis Haut zwischen den
Schenkeln und sein Geschlecht, und gelangte mit Lippen und Zunge nun
auch dorthin. Gemächlich und sanft küsste und leckte er seinen
Penis, diesmal ohne zu versuchen, sich hinter seinen Haaren zu
verstecken oder zu vergessen, was er da tat. Das Grinsen, das bis
gerade auf Keis Gesicht zu sehen gewesen war, wandelte sich in ein
sanftes Lächeln und er ließ die Augen zufallen, während sein Blut
sich dort sammelte, wo Akira gerade zu Gange war.
Verschwitzt, mit etwas zerwühlteren Haaren und feucht und klebrig an
gewissen Stellen glänzend, wankte Akira wenige Stunden später zu
der niedrigen Bank, die direkt unter das Fenster gemauert und mit
einer bunten Flickendecke belegt war. Hier in Peru war alles bunt. Er
kniete sich darauf und lehnte sich auf die Fensterbank, um draußen
im Himmel die ungefähre Uhrzeit abzuschätzen. Und einfach, um nach
draußen zu sehen und das Fenster für Kühle und Luft zu öffnen.
Kei lang zufrieden auf dem Bett. Er hatte sich auf den Bauch gedreht
und nach seinen Kippen geangelt, die in seiner Hosentasche steckten.
Dabei fiel sein Blick auf das Geldbündel auf dem Boden bei Akiras
Pullover.
„Wo hast‘n du das Geld her?“ erkundigte Kei sich gelassen und
steckte seine Zigarette zwischen die Lippen als er sie anzündete.
„Von dem alten Nordamerikaner in der Werkstatt. Dem habe ich im
Laden ausgeholfen, während du Kisten geschleppt und Drogen vertickt
hast,“ antwortete Akira, gelassen aus dem Fenster blickend. Es war
nicht vollständig gelogen. Er hatte dem Mann im Laden ‚ausgeholfen‘,
aber nicht mit Handwerksarbeit. Akira wusste so gut wie nichts über
Fahrzeuge und ihre Mechanik. Jedenfalls fand er dennoch, dass er das
Geld mit ehrlicher, wenn auch dreckiger Arbeit verdient hatte, und
hoffte, dass seine teilweise Lüge so nicht so leicht herauszuhören
war.
„Seit wann hast du Ahnung von Autos?“ fragte Kei weiter. Der Alte
war ihm von Anfang an suspekt gewesen und die Art, wie er Akira
angesehen hatte, erst Recht.
Akira wandte den Blick zu ihm. Das diffuse Licht der nächtlichen
Stadt ließ seine Haare und Haut ein bisschen violett schimmern. Sein
Gesichtsausdruck war ernster, fast kühl und reserviert.
„Ich habe keine Ahnung von Autos.
Ich habe nur aufgeräumt und saubergemacht,“ log er. „Schrauben
und sowas...“ Scheiße, halt den Mund. Betont
gelassen lehnte er sich neben dem Fenster an die Wand.
„Hm.“ Kei glaubte ihm irgendwie kein Wort. Dass Akira ihm nicht
die Wahrheit sagte, konnte mehrere Dinge heißen und Kei ging nicht
gerade von den harmlosen aus. „Und was hast du sonst noch gemacht?“
Sein Blick wurde dunkler. Er jagte Akira einen ziemlich erfrischenden
Schauer durch den Körper, den man ihm ansehen konnte und der ihn
vage daran denken ließ, dass er das Fenster auch gleich wieder
schließen konnte, so frostig wie es gerade im Raum wurde. Seine Haut
fühlte sich an als sei sie von Pelz oder Stacheln bedeckt, die sich
nun allesamt in Abwehrhaltung aufstellten. Auf dem Bett vor ihm lag
wieder das Raubtier, und er bekam zwar etwas Bammel, aber es machte
ihn auch ziemlich an. Dieser Zustand machte es ihm schwer, sich noch
mehr Lügen aus den Fingern zu saugen und so entschied er sich für
rigide Verteidigung.
„Wie meinst du das?“ fragte er knapp und leise.
„Du bist ein schlechter Lügner, Akira. Also raus damit,“
forderte Kei knapp und kühl, während er an seiner Zigarette zog.
„Womit? Ich habe dir gesagt, wie ich das Geld verdient habe,“
entgegnete Akira trotzig. Er sah ein, dass er nicht lügen konnte und
es deshalb vielleicht auch besser gar nicht mehr versuchen sollte,
aber was hatte Keisuke überhaupt für ein Recht, ihn so zu verhören?
Er drehte sich an der Wand so, dass er nun mit dem Rücken an ihr
lehnte, und verschränkte die Arme hinter dem Rücken.
„Du hast mir einen Teil gesagt. Also raus mit dem Rest.“ Kei
spürte, wie er langsam wütend wurde. Warum sagte er ihm nicht, was
war? Der Vampir konnte sich denken, was sein Freund angestellt hatte,
aber er wollte es von ihm hören, sollte sich der böse Gedanke als
wahr herausstellen.
Akira sah an die gegenüberliegende Wand und blieb noch eine Weile
ruhig. „... Es war nur ein Job.“ Er sah zu Kei. „Leicht
verdientes Geld.“
Nun wurde Keis Blick ganz dunkel und
kalt. Er stand auf, zog sich notdürftig wieder an und ging vor die
Tür. Dabei sah ihm Akira wortlos zu. Wo gehst du hin, du
Arsch, bleib hier! Sein Trotz
hielt ihn davon ab, Kei aufzuhalten zu versuchen. Aber nicht sehr
lang. Gleich nachdem sich die Tür hinter dem Vampir geschlossen
hatte, stürzte er zu seinen Kleidern und zog sich hastig die Jeans
an, bevor er hinausstürmte, ohne auch nur die Hose zu schließen.
„Warte! Kei!“
Der drehte sich um. Er stand einige Meter von der Tür entfernt.
„Was?“ Seine Laune war alles andere als gut.
Akira blieb direkt vor der Tür stehen. Sein Herz und sein Atem
rasten.
„Ich habe nicht mit ihm
geschlafen. Es war nicht sowas, das schwöre ich.“ Er legte sich
die ausgestreckten Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand auf die
Brust. Und das war wirklich nicht gelogen! Er wusste doch, dass sein
Körper Kei gehörte. Er hatte dem Alten nur einen Blowjob gewährt,
und das war ja wohl kaum der Rede wert!
Kei zog an seiner Zigarette während
er dort stand und musterte seinen Freund mit eiskaltem Blick. Warum
machst du sowas? Der Vampir
hatte sich nur Stiefel und Hose wieder angezogen und die
Straßenlaterne beleuchtete ihn ein bisschen. „Was war‘s dann?“
Er versuchte einen Moment noch ruhig zu bleiben und war irgendwie
froh, dass der Kleinere an der Tür stehen geblieben war, denn sonst
läge er jetzt wahrscheinlich zusammengeschlagen auf dem Boden.
„Es war nur ein Blowjob!“ sagte Akira mit ausgebreiteten Armen
und den Ansätzen eines Lächelns. Er schien das wirklich für keine
große Sache zu halten und kein schlechtes Gewissen zu haben.
Kei sagte dazu nichts. Er drehte sich um und sah in die Ferne.
„Warum?“
Das verwirrte Akira. Warum?
Er ließ die Arme sinken.
„Es war nichts persönliches. Ich habe ihm nur einen runtergeholt.
Und er hat richtig gut bezahlt.“ Das Geldbündel bestand nur aus
1-Dollarnoten, aber der wichtigste Teil der Bezahlung war die
modifizierte Indian gewesen, die unter einer fleckigen Plastikplane
im Hinterhof stand und auf Keis Geburtstag wartete. Kei hatte das
Geldbündel nicht genau betrachtet, aber es war dick und sah
dementsprechend nach viel aus. Er musterte den Kleineren, ohne einen
bestimmten Gesichtsausdruck, und spürte seinen Körper abkühlen,
als sein Herzschlag verschwand.
„Es gibt noch mehr Wege, an Geld zu kommen...“
Akira machte ein frustriertes, fast verzweifeltes Geräusch.
„Ich weiß, das weiß ich doch... Aber er hatte etwas, das ich
haben musste, damit hat er mich bezahlt -“ Frustriert trat er
barfuß gegen die Tür hinter sich.
Unter der Kälte seines Gesichts konnte man erahnen, dass Kei
verletzt war, auch wenn er sich bemühte, Akira das nicht sehen zu
lassen. Es gelang ihm nicht, seine Gefühle ganz abzustellen. Mit
einem Schlag gegen die Laterne hatten sie keine Straßenlaterne mehr,
dafür aber eine Straßensperre, die kein Licht mehr machte. Das
Krachen und Kreischen des Mastes ließ Akira zusammenzucken und
ehrlich bleich werden. Vermutlich hätte er das sein sollen. Zum
Glück war hier auf dieser schäbigen Staubstraße sonst niemand zu
sehen.
„Komm mit nach hinten, ich zeige es dir... Okay?“ versuchte er
vorsichtig. Er flüsterte fast, aber quietschte dabei angsterfüllt.
Kei blieb stehen, wo er war. In seinem Kopf herrschte ein
Durcheinander aus Gedanken, die auf einmal gedacht werden wollten und
gleichzeitig war dort Leere.
In Akiras Kopf sah es anders aus. Seine Zweifel reihten sich
fieberhaft zu soliden Ketten von möglichen Handlungsabläufen, die
er vermeiden musste. Er konnte nicht nachvollziehen, warum Kei sich
so aufregte. Aber er konnte es sich vorstellen. Vielleicht hatte er
wieder einen grauenhaften Fehler begangen. Für ein Motorrad? Er fand
nicht, dass er dieses Mal untreu gewesen war, aber Keisuke schien das
anders zu sehen. Für ein Motorrad. Er wollte ihm ein fantastisches
Geschenk machen! Er musste seine Worte mit Bedacht wählen.
„... Warum bist du so wütend?“ wagte er leise.
Das fragst du mich jetzt wirklich...?!
Es schien tatsächlich Akiras Ernst zu sein. Für Kei völlig
unverständlich. Er konnte und wollte dem anderen nicht erklären,
was einfach offensichtlich war. Das nächste, was ihm zum Opfer fiel,
war eine schiefe Bank am Wegrand. Er wollte es vermeiden, Akira
wieder so zuzurichten wie zuhause in Tokyo. Die blauschwarzen Haare
fielen ihm wirr ins Gesicht. „Das fragst du ernsthaft?!“ gab er
zurück.
Wieder zuckte Akira zusammen. Die Arme schnappten ihm eng an den
Körper und er starrte fassungslos auf Keis Wutausbruch.
„Ja! Ich habs für dich gemacht!“ sagte er verzweifelt. Das hatte
er eigentlich mit Nachdruck rufen wollen, aber bei dem Anblick des
Berserkers vor ihm wollte seine Stimme nicht so wie er.
Im Grunde war Kei gerade vollkommen egal, warum Akira getan hatte,
was er getan hatte. Obwohl er es auch wissen wollte. „Das ist mir
gerade scheißegal!“
Dieses beschissene Motorrad!
Akira schossen Tränen in die Augen. Das hier sollte nicht passieren.
Ich versteh‘s immer noch nicht. Ich habe dich nicht
betrogen!
Ihm fiel nichts mehr ein, das er sagen konnte. Sich zu entschuldigen
würde jetzt nichts bringen. Es würde unehrlich klingen. Er
schluckte nur und wich wieder etwas zurück, damit Kei sich nicht
gleich auf ihn stürzte, wenn er sonst nichts mehr zum Zerstören in
greifbarer Nähe hatte. Doch anstatt sich auf ihn zu stürzen und ihn
zusammenzuschlagen, musterte Kei den Jungen kurz, den er gut sehen
konnte, trotz der Dunkelheit, und drehte sich dann um. Ging die
Straße hinunter. Akira sah ihm nach. Sein Körper entspannte sich
unwillkürlich, aber in seinem Kopf schrie etwas. Einen Teil davon
ließ er auch nach außen dringen, während er frustriert gegen die
Wand trat.
„Argh! Fuck!“ Mit mittlerweile herunterlaufenden Tränen ging er
um das Haus herum, zum Motorrad neben dem Hühnerverschlag, und
raufte sich dabei die Haare. „Stupid, stupid, STUPID!“
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