Merder
in a schoib
(Jiddisch;
Mörder in einer Scheibe/Fenster/Ausschnitt)
Ich
gab mir nun keine große Mühe mehr, nicht zuviel vergilbten
Gardinenstoff zu berühren, als ich am Fenster stand und schräg
hinunter auf die glänzende Gasse blickte. Es hatte immerhin keinen
Sinn, zimperlich zu bleiben, wenn man bereits in diesem
jahrzehntealten fleckigen Bett geschlafen hatte. Der Geruch meines
eigenen Körpers und meines Duftwassers prägte diesen Raum nun mehr
als der Schimmel, der Regen und der Kohldunst aus dem Schankraum
unter mir. Solange dort unten Betrieb herrschte, brauchte man auch
nicht auf das verdächtige Knistern hinter dem Bett und in den Wänden
zu achten. Man gewöhnt sich an die meisten Dinge, und was meine
Aufmerksamkeit ohnehin mehr beanspruchte als Insekten hinter der
Tapete, war das regennasse schwarze Kopfsteinpflaster unter mir, und
seine scharfe Biege um die Hausecke, die ich gerade anstarrte. Im
Nachhinein ist es verblüffend, wie schwarz Weiß in der Nacht
aussehen kann, wie sehr Schwarz glitzern kann, wenn es geregnet hat,
und wie scharf und geordnet alles in Stille wirkt. Aber als ich mein
Leben mit Spähen und Flüchten verbrachte, hatte ich wenig Sinn
dafür. Bewahrt hatte ich mir nicht die alte Art zu denken, sondern
allein Haltung. Contenance, Kühle, Vernunft, und Haltung. Oder das,
was ich dafür hielt. In Wirklichkeit muss ich einfach nur kalt
gewesen sein. Wieso auch nicht? Mitgefühl und Liebenswürdigkeit
hätten weder mir noch jemand anderem etwas genützt.
Ein
Kind schrie... in einem langgezogenen, unmenschlichen Jaulen, das wie
der altbekannte Fliegeralarm anschwoll, höher und wieder tiefer
wurde, bis mir einfiel, dass es sich ebensogut um eine rollige Katze
handeln konnte. Sie heulte so schmerzvoll, so zumindest klang es, als
gehöre sie zu unserer Spezies.
Es
hätte nichts gebracht, das andere Ende der Straße zu beobachten.
Das Licht der einen Gaslaterne in dieser Gasse reichte nicht bis
dorthin, und so hätte ich den Schatten ohnehin nicht kommen sehen.
Dessen war ich mir bewusst gewesen. Als er dann kam, schloss ich die
Augen und horchte auf die Stimmen in dem Raum unter mir. Sie
verstummten.
Ich
öffnete langsam die Augen und ging zum Bett, wo mein Mantel, Hut und
Musterkoffer bereitlagen. Während ich ruhig den Mantel anzog,
knarrte eine Treppenstufe. Ich blickte zur Tür, den Koffer in der
Hand, setzte mir den Hut auf, und ging zurück zum Fenster. Lautlos
schob ich die Gardine beiseite und legte meine Hand auf den
Fenstergriff. Als der Knauf meiner Zimmertür sich zu drehen begann,
öffnete ich das Fenster weit.
Der
sich öffnende Spalt ließ einen gelben Stich auf die Bodendielen
fallen, in dem zum Takt von Stiefeln schwarze Würmer tanzten. Ich
warf nur einen kurzen Blick darauf und stieg auf das Fensterbrett.
Dann brauchte ich nichts weiter zu tun, als zum Sprung anzusetzen,
die Arme auszustrecken, und mich dem plötzlich aufkommenden Wind
anzuvertrauen. Er riss mich donnernd aus dem Fenster, zog mich über
das matt glänzende Dach des gegenüberliegenden Hauses, und hob mich
durch Nebel, Wolken, die alle Geräusche verschluckten, zu den
Sternen, und so weit in den Himmel, dass es so dunkel wurde, dass
mich fror, und ich das Bewusstsein verlor.
Ich
blickte zur Tür, den Koffer in der einen Hand, den Hut in der
anderen, und sah zum Fenster. Einen Moment lang hatte ich gedacht,
ich könne fliegen.
Verrückt.
Aber
es konnte ja niemand ahnen, dass mich nur eine Salve bis auf das
nächste Dach tragen würde.
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