Es dauerte nicht lang, bis Ryuji nach ihrem Verschwinden
herausgefunden hatte, wo sich der Sohn seines alten Freundes
verkrochen hatte. Jetzt hieß es warten, bis er und sein kleiner
Freund sich wieder auf den Weg machen würden. Kira hatte ihm
prophezeit, dass Kei es nicht lang mit seiner Verwandtschaft
aushalten würde - und so kam es dann auch.
Akira setzte sich den Helm auf und setzte sich hinter Kei. „Wir
sollten gleich zum Hafen oder noch besser ganz nach Süden.“ Dass
er damit Kyushu oder gleich Okinawa meinte, hielt er nicht für
erwähnenswert.
„Einen Versuch ist es wert, aber sie werden nicht lange brauchen um
uns zu finden,“ sagte Kei beim Starten. Den Rucksack hatte er vor
sich, damit Akira auch Platz hatte. Mit Keis Schwert neben seiner
Geige auf dem Rücken brauchte Akira ein paar Sekunden des
Herumrückens, bevor er sich an Kei festhielt.
„Dann musst du schnell sein.“
„Gut festhalten,“ sagte Kei und fuhr los. Langsam war er wirklich
nicht und er fuhr nur dann vorschriftsmäßig, wenn es nötig war.
Hinter ihm sah Akira sich um, wenn und soweit es möglich war, um Kei
möglichst rechtzeitig Warnung geben zu können. Der Zustand der
Straßen und des Verkehrs machten es allerdings schwer zu bestimmen,
was warum außergewöhnlich war. Immerhin machte es ihnen das leicht,
von der Polizei unbehelligt durch die Straßen zu preschen. Die
Polizei hatte dringenderes zu tun.
Während Kei einfach nach Süden fuhr, saßen ihre Verfolger nicht
untätig herum.
Ryuji und Kira waren den beiden sehr dicht auf den Fersen. Dies
bemerkte Kei jedoch nicht, obwohl er wusste, dass sie nicht allzuweit
weg sein konnten.
Dass sie keine zweihundert Meter entfernt waren, ahnte er nicht. Die
beiden älteren Vampire waren mit einem Auto unterwegs, irgendeinem
aufgerüsteten Sportwagen. Kira hielt eine Waffe in der Hand.
Im Vorbeirauschen fiel Akira ein unbeleuchtetes Schild auf. „In
einem Kilometer ist die Straße gesperrt!“ rief er nach vorn.
Vereinzelt waren Polizeiautos in der Nähe zu sehen.
„Fuck!“ Kei bog hart in die nächste Rechtskurve, die er sah und
fuhr dort weiter. Kurz darauf lösten sich hinter ihnen Schüsse.
„Scheiße!“ er versuchte, ihnen auszuweichen, doch das gelang ihm
nicht lange. Drei Kugeln trafen den Hinterreifen, worauf das Motorrad
mitsamt Fahrer und Akira zur Seite auf die Straße geschleudert
wurde. Keis verzweifelter Gegenlenkversuch blieb fruchtlos. Er und
Akira wurden vom Motorrad gerissen. Der Vampir schlug mit dem Kopf
zuerst auf dem Boden auf und sah sein Motorrad noch in ein stehendes
Auto krachen.
Akira landete auf seiner rechten Schulter und rutschte und rollte
noch etwas weiter, bis die Bordsteinkante ihn aufhielt, mit der sein
Knie knackend Bekanntschaft machte. Sein Gesicht wäre ebenfalls dort
aufgeschlagen, wenn der Helm nicht im Weg gewesen wäre. Dessen
Visier brach nur laut, was kurz das Krachen des Motorrades und das
Klingeln in seinen Ohren übertönte. Langsam rollte er sich auf die
andere Seite und versuchte, sich dabei den Helm abzunehmen. Das
schaffte er auch, aber zum Aufstehen reichte es nicht mehr. Kei war
ebenfalls etwas über den Asphalt geschlittert und kam in einem
anderen Auto zum Halten. Langsam drehte er sich auf den Rücken um
den Helm abzunehmen.
„Akira? Lebst du noch?“ fragte er, als er sich langsam
aufrichtete.
Der Wagen der beiden Angreifer kam kurz nach dem Unfall in einigen
Metern Entfernung zum Stehen. Kira stieg als erster aus und besah
sich den Unfall. Ryuji folgte wenig später.
„Wichser,“ kommentierte Kei das Eintreffen der beiden.
Ich bin noch da, wollte Akira melden, aber brachte nur ein
Stöhnen heraus, während er sich auf seinen linken Arm stützte.
Scheiße, tut das weh. Dass ein Auto angehalten und zwei Leute
ausgespuckt hatte, nahm er wahr, aber er konnte nicht darauf
reagieren. Sehen konnte er es auch nicht direkt, weil ihm aus einer
Wunde auf der Stirn Blut ins rechte Auge floss.
Kira und Ryuji brauchten nicht viel Mühe, um die beiden
einzusammeln. Akira mitzunehmen war nicht schwer und Kei wurde mit
ein paar Schüssen bewegungsunfähig gemacht.
Zur Sicherheit bekam Akira von Ryuji noch einen heftigen Tritt in die
Rippen. Nachdem er aus Reflex Luft geholt hatte und seine Brust sich
dabei wie zerrissen anfühlte, wurde er vor Schmerz bewusstlos. Kei
verlor ebenfalls das Bewusstsein, nachdem er durchlöchert worden
war. Kira und Ryuji nahmen beide mit, mitsamt ihres wenigen Gepäcks,
das sie dabeihatten, und verfrachteten sie ins Auto.
Kurz bevor sie ihr Ziel erreichten, fesselte Kira beide und nahm erst
Akira und später Kei mit aus dem Auto. Sie brachten sie in den
Keller eines großen Anwesens, dessen Eigentümer schon eine Weile
nicht mehr lebten.
Akiras Verletzungen hatten sich schon teilweise zurückgebildet, und
wenn er nun aufgewacht wäre, hätte er sich wieder bewegen können.
Kei blieb lange bewusstlos, er hatte auf der Fahrt viel Blut
verloren. Er und Akira wurden in weit voneinander entfernte und stark
schallgedämpfte Räume getragen und dort mit sehr stabilen Ketten an
unverkleidete Stahlträger gekettet.
Nach weniger als einer Stunde wachte Akira auf. Zuerst krochen nur
der Geruch, die Kälte und die Härte des Fußbodens und des Stahls
in seinem Rücken und um seinen Körper in sein Bewusstsein, und als
der übrige Schmerz in seiner halb verheilten Schulter und in seiner
Brust dazukam, stach er ihn innerhalb von Sekunden hellwach. Er blieb
kühl, atmete nicht und gab keine Geräusche von sich, außer dem
leisen Klirren der Ketten, als er sich um- und an sich heruntersah.
Nach etwa einer weiteren Stunde ging Kira zu Kei. „Wach auf! Wir
machen einen Ausflug. Tu nicht so, als ob du nicht aufstehen
könntest, Keisuke.“
Kei öffnete die Augen und sah nach oben. „Verpiss dich,
Arschloch.“
Ryuji ging zu Akira. „Wir haben ein paar Fragen an dich,“ sagte
er und blieb in ein paar Metern Entfernung stehen. Akira musterte ihn
nur stumm und relativ ausdruckslos. Er war zu müde und zu gestresst,
um sich zu fürchten oder wütend zu sein, nur mit dem rechten Auge
zwinkerte er etwas ungeduldig, weil ihn das verkrustete Blut darüber
störte. Wenn der Penner Fragen hatte, sollte er sie stellen und
sehen, ob er eine vernünftige Antwort bekam.
Ryuji war die Ruhe selbst. Er musterte den Verletzen kurz. „Dass du
hier bist, ist kein Zufall. Also. Woher kennst du Sakai?“ begann
er.
Keine vierzig Meter weiter wurde Kei von seinem Vater mitgenommen,
nachdem sich die beiden eine heftige Prügelei geliefert hatten.
Das war einfach.
„Aus der Schule,“ antwortete Akira heiser. Er sprach sehr leise,
flüsterte beinahe, aber er war sich sicher, dass Ryuji ihn
verstanden haben musste.
Ryuji nahm das zur Kenntnis. „Wie stehst du zu ihm?“ Wirklich
interessieren tat ihn das nicht, aber es waren Dinge, die er
herausfinden musste, immerhin konnte jedes kleine Detail wichtig
sein.
Was soll die dämliche Frage? Du hast auf dem Schuldach gesehen,
wie ich an ihm rum- Er sah Ryuji verwirrt an und blinzelte ein
paarmal. Sein Kopf tat wirklich weh.
„Um mich das zu fragen, hast du mich hier festgebunden? Hast du uns
nicht auf dem Dach gesehen?“
Ryuji ging darauf nicht weiter ein und dachte sich seinen Teil. „Du
bist gestorben. Warum, glaubst du, bist du wieder da?“ fragte er
weiter.
Akira seufzte genervt. „Ich habe keine Ahnung.“ Seine Augen
begannen zu tränen.
Er hat selbst keine Ahnung... Da die Instanz sich sicher war,
dass es mit Keis Lebendigsein zu tun hatte... „Wie ist das zwischen
dir und Sakai entstanden?“
Kei fand sich an einem wenig einladenden Ort wieder, schon wieder
angekettet und zusammengeschlagen.
„Was soll der Scheiß?“ raunzte er seinem Vater ins Gesicht.
„Antworten, Keisuke,“ erwiderte der.
„Antworten worauf?“
Entstanden? Was genau? Stirnrunzelnd musste Akira erstmal
grübeln.
„Was...?“
„Die Beziehung zwischen dir und Sakai,“ erläuterte Ryuji ruhig.
Akira verstand immer noch nicht, was es da zu erklären gab. Wie
entstand so etwas? Er blickte müde blinzelnd vor sich auf den Boden.
Der Schmerz zog sich schon zurück und er konnte sich problemlos
regen und bequemer hinsetzen, soweit die Ketten das zuließen.
„Warum bin ich gefesselt?“ Seine Stimme kratzte noch, war aber
nicht mehr so leise wie zuvor.
„Damit du nicht abhaust.“
„Wo ist Kei?“
„Nicht hier.“
„Ach,“ bemerkte Akira trocken.
„Er lebt – noch.“ fügte Ryuji hinzu.
Akira blickte auf. Hängt wohl von unserer - meiner? Kooperation
ab.
„Wir haben in der Klasse nebeneinander gesessen.“
Ryuji machte sich ein paar Notizen und ging dann erstmal wieder um
seine Infos weiterzugeben, und Kira anzurufen um zu erfragen, was er
aus Kei herausbekommen hatte.
Kei war weit weniger kooperativ. Kira bekam von ihm nichts wirklich
wissenswertes mitgeteilt.
Als Ryuji den Raum verlassen hatte, begann Akira damit, sich aus den
Ketten zu winden zu versuchen. Sie waren zu fest, aber er schaffte es
dennoch, aufzustehen. Das führte jedoch zu keinem brauchbaren
Ergebnis, weil seine Gliedmaßen noch einmal einzeln eingewickelt
waren, also setzte er sich wieder hin und sah sich weiter im Raum um.
Nun, da die Spuren des Unfalls beinahe komplett verschwunden waren,
hatte er keine Schmerzen mehr und konnte klar sehen.
Kei endete wieder zusammengeschlagen in der Ecke. „Kann man dir
nicht mal Fragen stellen?“ Kira war genervt. Sein Sohn hatte zuviel
von ihm, aber seine Mutter war sicher nicht ganz unschuldig daran,
wie er sich entwickelt hatte.
Er informierte Ryuji, dass Kei wieder bewusstlos in der Ecke liege,
nachdem er die Ketten tatsächlich zerstört hatte. „Auf jeden Fall
dreht er völlig durch, wenn er sauer ist und nicht weiß, wo sein
Freund sich rumtreibt.“
Kei wurde irgendwann aus der Stadt gebracht und lag mehr tot als
lebendig unter der Aufsicht seines Vaters herum.
Sobald Akira entfesselt war und ihm sein Instrument zurückgegeben
wurde, untersuchte er den Raum und die Wände, klopfte sie ab und
untersuchte besonders die Tür, alles ruhig und gelassen. Er suchte
nach Kameras und Mikrofonen. Fand aber nichts außer einer kleinen
Kamera in einer Ecke an der Decke, die er nicht erreichen konnte. Er
bedachte die Linse der Kamera mit einem Stinkefinger und ging zum
Geigenkasten, nahm einen der zwei Bögen heraus und piekste damit auf
die Linse.
Es passierte nichts.
Zwei Tage lang.
Nicht, dass er oder Kei das irgendwie wahrnahmen. Keiner von ihnen
sah Tageslicht oder eine Uhr, und Ryuji und Kira teilten ihnen keine
Uhrzeiten mit.
Irgendwann, nach dieser viel zu langen Zeit, die Akira mit
stumpfsinnigem Herumwandern, Herumsitzen und dem gelegentlichen
Beantworten Ryujis willkürlicher Fragen verbrachte, kam Ryuji zu ihm
und erzählte ihm, dass Kei fast tot sei.
Akira sah ihn niedergeschlagen an. „Warum?“
Ryuji erklärte ihm, dass er herausfinden wolle, ob Kei ebenfalls
zurück ins Leben kommen würde, wenn er stürbe.
„Wird er nicht,“ sagte Akira sofort mit Bestimmtheit. „Es wäre
dämlich, ihn zu töten.“ Er hatte keine Ahnung, aber bezweifelte
es stark. Währenddessen ging er ruhig auf Ryuji zu, mit den Händen
in den Hosentaschen.
Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, verließ Ryuji den Raum und
verschloss wieder die Tür, ehe Akira ihn erreicht hatte. Als die Tür
vor seiner Nase zufiel und wieder verriegelt wurde, stürzte Akira zu
seinem Geigenkasten zurück, fummelte Keis Zettel und den
Bleistiftstummel, den er darin aufbewahrte, heraus und schrieb auf
die Rückseite des Blattes:
‚Was kann ich tun, damit ihr ihn nicht umbringt?‘ und hielt das
Blatt vor die Kamera.
Er bekam keine Antwort, aber sie wäre ‚gar nichts‘ gewesen.
Kei lag ziemlich tot in einer Ecke. „Sagst du mir jetzt, was ich
wissen will?“ fragte Kira.
„Fick dich!“ war alles, was Kei dazu zu sagen hatte, wofür er
noch einen Tritt in den geschundenen Körper bekam. Kira ließ ihm
keine Zeit sich zu regenerieren. Davon abgesehen brauchte er dafür
auch Blut und das bekam er nicht.
Am Abend war Kei beinahe tot.
Kira rief Ryuji an und erklärte ihm, dass Kei nicht mehr lang
durchhalten würde. Er machte ein Bild von dem sterbenden Jungen und
sendete es Ryuji. Der druckte es aus und schob es Akira unter der Tür
durch. Anschließend beobachtete er, was passieren würde.
Akira schob sich nach kurzem Betrachten den Zettel in die Hosentasche
und begann, gegen die Tür zu treten. Natürlich brachte das nichts
und er nahm den leeren Geigenkasten und warf ihn auf die Kamera, bis
sie teilweise zerbrochen etwas heruntersackte.
Dann kehrte er zur Tür zurück und trat weiter grimmig dagegen.
Irgendwann brach etwas in seinem Fuß und er beschloss, sich nicht
dafür zu interessieren und weiterzutreten. Die Tür begann zu
wackeln, aber wurde nicht im Geringsten beschädigt.
Ich werde euch beide lebendig auffressen!
Nach einer Weile ging er dazu über, die Tür mit der Schulter zu
rammen.
Die Tür stellte sich als sehr stabil heraus, und Kei nach weiteren
zwölf Stunden als sehr tot.
Ryuji teilte Akira mit, dass Kei verstorben war.
Stumm aber blitzschnell stürzte Akira sich auf Ryuji. Wenn er nicht
so verzweifelt und hungrig gewesen wäre, hätte er es mit Reden
versucht, aber da stand Fleisch vor ihm, das er hasste, also sprang
er ihn frontal an und griff dabei nach Ryujis Jackett und mit der
anderen Hand nach seinem Gesicht. Sein geöffneter Mund zielte auf
Ryujis Kehle.
Ryuji war zu schnell für Akira, der eine Faust in die Stirn bekam,
worauf der Vampir schnell wieder verschwand und die Tür fest
verschloss. Draußen rief er Kira an und erstattete ihm Bericht.
Kei wurde weiterhin beobachtet, immerhin bestand die Möglichkeit,
dass er wieder aufstehen würde.
Der Faustschlag hatte Akira zurückgeworfen und bestimmt auch
verletzt, aber er hängte sich sofort wieder an die Tür, wie er es
in den letzten langen Stunden auch getan hatte, kratzte und schlug
darauf mit den Händen und dem Kopf, den er gegen die Tür rammte,
bis seine Stirn blutete, und dann noch weiter. Er fand eine
hervorstehende Kante und biss hinein. In die Schlitze zwischen Tür
und Rahmen quetschte er die Fingerspitzen und zog und kratzte
knurrend weiter. Bald kniete er auf dem Boden und schien zu
versuchen, sich durch die Tür zu fressen oder zu graben.
Der Stahl der Tür gab nur minimal nach.
Ryuji schilderte Kira weiterhin was passierte und erfuhr, dass sich
bei Kei nichts tat und er einfach nur tot in der Ecke lag.
Allmählich wurde Akira langsamer, aber machte mit seinem blinden,
selbstverletzenden Kratzen, Schlagen und Beißen weiter.
Zwei weitere Tage lang passierte nichts.
Danach kam Ryuji wieder.
Akira krabbelte von der Tür zurück, als er Ryuji sich nähern
hörte, um vor der sich öffnenden Seite auf ihn zu lauern. Sobald
Ryuji den ersten Schritt in den Raum machte, krallte er sich in sein
Bein und biss wild hinein.
Ryuji trat dem Jungen mit dem freien Fuß gelangweilt ins Gesicht und
bekam sein Bein so mit Leichtigkeit wieder frei. „Wenn du ruhig
bist, lass ich dich zu ihm. Wenn nicht, siehst du ihn nie wieder.“
Akira rappelte sich auf und sah überrascht zu Ryuji auf. Er sah
nicht besonders intelligent aus. Davon abgesehen, dass er sich
tagelang nicht gewaschen oder die Kleider gewechselt und dafür nur
gehungert und im Staub und im Mauerwerk herumgewühlt hatte, wirkte
er auch seiner Körperhaltung und seinem Gesichtsausdruck nach wie
ein verwirrtes Tier.
„Was? Du hast dich nicht verhört. Kira hat ihn hergebracht. Aber
er ist tot,“ erklärte Ryuji ruhig, hielt aber Abstand zu Akira,
falls dieser wieder auf die Idee kommen würde, auf ihn loszugehen.
Kei lag in Jeans und nichts anderem – der Rest seiner Kleidung lag
in seinem Rucksack – auf einem Bett in einem der oberen Räume des
Hauses. Kira hatte auch seinen Rucksack mitgenommen und diesen
daneben gestellt. Bis auf Keis Waffen war noch alles da. Er selbst
stand vor der Tür und wartete. Die Instanz wollte zwar wissen, was
mit Kei passierte, wenn er starb, aber so war das nicht geplant
gewesen.
Akiras Blick wurde schnell wieder humaner. Man konnte ihm ansehen,
dass in ihm die wilde Gier und Wut der letzten langen Stunden mit
menschlicheren Gefühlen wie Sorge, Verzweiflung und Hoffnung darum
rangen, ausgedrückt zu werden. Er wischte sich mit dem Handrücken
über den Mund.
„Ich will zu ihm,“ flüsterte er mit rauher Stimme.
Ryuji öffnete die Tür vorsichtig und beäugte Akira genau. „Komm
mit.“ Sein Blick sagte etwas wie ‚Wehe du versuchst abzuhauen.‘
Unsicher ging Akira mit dem Mann mit. Er fühlte sich zu schwach und
zu müde, und zu überwältigt von diesem plötzlichen Freigang durch
ein Gebäude, das er sich hinter der Metalltür ganz anders
vorgestellt hatte, um ihn wieder anzufallen. Außerdem würde ihn das
von Kei fernhalten.
Er war so hungrig.
Es war so schwer, die Treppenstufen zu erklimmen.
Er war so hungrig.
Ryuji führte ihn mehrere Treppen hinauf bis zu einer Tür, vor der
ein Mann Wache stand. Er sah Kei sehr ähnlich. Akira starrte ihn an.
Er war zu weggetreten, um jetzt Gefühle zu hegen.
„Kira,“ sagte er nur zu sich selbst.
Kira öffnete ihm die Tür. Wortlos.
Kei lag reglos auf dem Bett. Er sah misshandelt aus. Akiras Augen
wurden heiß, als würden sie ihm mit Tränen volllaufen, als er ihn
sah. Aber er hatte zuwenig Flüssigkeit im Körper. Es stach ihn nur
ein riesiger schwarzer Keil aus Hass und Abscheu gegenüber Keis
Vater.
Er wankte in den Raum, auf das Bett zu, und kniete sich auf die
Kante, während er Kei anstarrte. Der lag da, als würde er friedlich
schlafen, wenn nur all die Verletzungen nicht so offensichtlich
gewesen wären.
Nach wenigen Minuten warf Ryuji etwas in den Raum hinein, das
klatschend neben Akira auf dem Boden landete. Es war ein großes
blutiges Stück Fleisch, noch warm. Erst reagierte Akira nicht und
starrte Kei nur weiter an, bis ihm der Geruch in die Nase stieg und
er plötzlich tief Luft holte. Er hatte seit Tagen nicht geatmet.
Sein Herz begann zu schlagen, langsam aber sicher, und er schaute aus
Reflex auf das Fleischstück, aber sein Blick schnappte sofort zu Kei
zurück, den er bei der Schulter rüttelte.
‚Kei,‘ sagte sein Mund lautlos. „Kei. Kei.“ Er wurde
allmählich hörbarer.
Der Vampir war eiskalt und blieb das auch eine Weile. Erst nach
einigen Minuten zuckte er zusammen und meldete sich mit einem
schmerzerfüllten Stöhnen wieder zurück.
Herzschlag tat weh, wenn er tagelang ausgesetzt hatte. Die Augen
öffnete er nur einen kleinen Spalt weit. Völlig orientierungslos
blickte er sich kurz um, ehe er die Augen wieder schloss und sich
zusammenrollte. „Es is kalt...“ brachte er kaum hörbar heraus.
Ryuji und Kira beobachteten das Ganze.
Nun weinte Akira tatsächlich ein bisschen. Eilig fischte er nach dem
Fleischstück und hielt es Kei hin.
„Ach nein...“ Er ließ es los, riss sich die staubige Jacke
herunter und deckte Kei damit in Windeseile zu. Dann biss er sich
selbst hart in den Unterarm und hielt ihn Kei vor die Nase. Kei hatte
sich so sehr zusammengerollt, dass er beinahe ganz unter die Jacke
passte. Er zitterte ein bisschen und nahm Akiras Arm dankbar
entgegen. Besonders viel Blut trank er nicht, es reichte aber aus um
nicht ganz so sehr zu frieren.
„Arigatou,“ sagte er leise.
Akira nahm seinen Arm zurück und griff sich unterwegs das
Fleischstück, aus dem er sofort mit den Zähnen gierig große, nasse
Fetzen riss, die er eilig verschlang. Er selbst bekam nicht mit, wie
er dabei aussah. Er fraß.
Kei nahm nichts davon mehr wahr. Er war eingeschlafen.
Ryuji und Kira teilten derweil der Instanz die neuesten Ereignisse
mit.
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