Sie fuhren langsam, und ziemlich offensichtlich einige weite Umwege,
auf denen sie erst Delilah und dann Jane verloren. Es dauerte wieder
Stunden, bis sie nach Camden kamen. Erst um kurz vor elf fuhr Dennis
auf den Parkplatz eines pakistanischen Supermarktes und parkte dort.
Kei sah auf. "Sind wir da?"
"Fast. Der Club ist auf der anderen Seite." Dennis stieg
aus und schloss die Tür, dann ging er zum Kofferraum. "Wir
können da hinten über die Mauer, wo die Europaletten und die
Getränkekisten stehen."
"Dieser Aufzug für die Hintertür?" Kei steig ebenfalls
aus und folgte zum Kofferraum, wo er sich zwei Waffen aus der
Reisetasche nahm. Dennis zog sich das Jackett aus. Er nahm sich auch
ein paar Pistolen samt Gurt und ein paar Magazine.
"Drinnen müssen wir immer noch einen passenden Eindruck machen.
Wir können das Auto nur nicht vor der Tür stehen lassen, wenn wir
hier auch wegwollen." Er schnallte sich den Gurt um, lud die
beiden Glocks und steckte sich vier Ersatzmagazine ein. "Nenn
mich Suzuki."
"Was für ein Allerweltsname. Aber gut, du bist der Boss."
Kei war sich ziemlich sicher, dass die Typen mittlerweile wussten,
unter welchem Namen er unterwegs war. "Matsumoto. Dein
Untergebener für die nächste Stunde."
"Für die nächste Stunde?" Dennis zog sich wieder das
Jackett über und schloss mit einem süffisanten Lächeln den
Kofferraum. "Das bist du schon seit einer Woche."
"Nein, ihr lasst mich nicht tun, was ich will. Das ist ein
Unterschied zu freiwilliger Bereitschaft das zu tun, was du willst."
Die letzten Tage war Kei dazu gezwungen worden, sich zu benehmen.
"Untergebene erklären sich nicht jedesmal dazu bereit, eine
Anweisung auszuführen." Gemächlich schlenderte Dennis auf den
Seitenhof zu, auf dem Müllcontainer und besagte Europaletten
zwischen vermülltem Gestrüpp untergebracht waren. "Sie müssen
nicht immer neu überzeugt werden. Sie führen ihre Anweisungen aus
und vertrauen darauf, dass ihr Boss weiß was er tut."
Kei sparte sich die Antwort und ging neben ihm her. Ich vertraue
nicht darauf, dass du weißt, was du tust, aber ich hoffe für dich,
dass du weißt worauf ihr euch eingelassen habt.
Als sie außer Sicht jeglicher Passanten und Einkäufer waren, sprang
Dennis bequem über die etwa zwei Meter hohe Ziegelmauer, von der
bereits der weiße Putz abbröckelte. Auf der anderen Seite sah er
sich nonchalant um und schob sich die schwarze Brille höher auf die
Nase. Hier war noch mehr trockenes Gesträuch mit Papierfetzen und
Bierdosen, und in einer Ecke des Hofes stand ein Haufen Sperrmüll
herum. Auf eine Tür in der dünnen Holzwand hinter diesem steuerte
Dennis gelassen zu.
Kei tat es ihm gleich und sah sich um. Das war der marodeste
Hinterhof, den er je gesehen hatte. Hier mit Colin und Verfolgern
durchzukommen könnte schwierig werden, wenn das der einzige Ausgang
war, wirklich groß war die Tür nicht gerade. Er folgte Dennis in
kleinem Abstand.
Im nächsten Hinterhof, der etwas größer und frei von Abfall war,
nickte Dennis zu einer Kellertreppe mit grünlackiertem
Eisengeländer.
Als sie darauf zugingen, öffnete sich eine schwarze Erdgeschosstür
neben dem Treppenaufgang und ein bulliger, glatzköpfiger Schwarzer
trat heraus. Er musterte die beiden mit strengem Blick und trat dann
stumm zur Seite, um für seine Begleiter Platz zu machen. Es waren
zwei Frauen in mittlerem Alter, mit scheinbar sehr teuren, edlen
Kostümen und Schmuckstücken am Leib. Dennis blieb stehen, lächelte
freundlich und verbeugte sich. Die Damen nickten und gingen geziert
die Treppe hinunter. Der Leibwächter behielt alle vier wachsam im
Blick und ließ Dennis und Kei scheinbar den Vortritt.
Kei spielte den anständigen Japaner und verbeugte sich ebenfalls zur
Begrüßung, ehe er hineinging. Lächeln tat er jedoch nicht.
Im sehr dunklen Vorraum, der wie die Miniaturversion eines alten
Kinofoyers aussah, galt alle Aufmerksamkeit den beiden Damen und der
Leibwächter beobachtete nun mehr die Kassiererin und die jungen
Frauen, die den Damen ihre Jacken abnahmen, als die beiden Japaner.
Ein Mädchen in roter Bluse und schwarzer Weste kam auch zu ihnen und
grüßte sie lächelnd. Sie streckte ihre Hände aus, um Dennis aus
dem Jackett zu helfen, doch er schüttelte nur den Kopf und winkte
lächelnd ab. Kei wollte sein Jackett auch lieber anbehalten und sah
sich im Raum um.
Dennis ging zur Kassiererin und zählte ihr umständlich einige
Pfundnoten auf die Theke. Es sah sehr überzeugend aus, wie er die
Zahlen auf den Scheinen studierte und die Frau scheinbar ahnungslos
anlachte. Sie lächelte freundlich zurück und sortierte die Scheine
weg. Dann gab sie ihm ein paar goldgemusterte blaue Plastikchips und
zeigte nickend auf die große Doppeltür neben ihrer Theke.
Kei wartete bis Dennis wieder da war, sich fragend, wozu diese
Plastikchips bestimmt waren. Sein werter Herr Verwandter würde ihm
das sicher gleich berichten. In der Tat zeigte Dennis sie ihm, sobald
er zu Kei zurückgekehrt war. Seine Maske aus freudiger Erregung
aufrechterhaltend, erklärte er: "Die hier sind zum Wetten. Du
kannst auf die Kämpfer setzen. Muss man nicht, aber die ersten zwei
Chips sind im Eintrittspreis inbegriffen." Er hielt Kei zwei der
vier Chips hin und lachte die beiden Damen an, die nun etwas
freundlicher lächelnd an ihnen vorbeistolzierten und mit ihrem
Leibwächter durch die edle Doppeltür schritten.
"Meinen Wetteinsatz behalte ich lieber für mich." Er nahm
die Chips trotzdem an sich und steckte sie weg. "Du wirst mir
sicher nicht erzählen, was wir genau vorhaben, oder?"
Dennis ging auf die Doppeltür zu und winkte Kei hinter sich her.
"Wir warten, bis er rausgeschickt wird. Vorher bekommen wir ihn
nicht zu Gesicht. Dann müssen wir sehen, wie viele Zuschauer es bei
dem Kampf gibt und ob wir ihn unterbrechen können. Vielleicht können
wir einen Zwischenfall verursachen, um ihn aus der Grube zu holen.
Vielleicht können wir beobachten, wohin er hinterher weggesperrt
wird und so herausfinden, wo sie ihn halten..." Dennis sah
skeptisch aus. "Allerdings ist das... unwahrscheinlich. Er soll
ja angeblich gegen das Konstrukt antreten."
Dass dabei die Wahrscheinlichkeit eines Hinterher-weggesperrtwerdens
ziemlich gering ausfallen würde, musste er nicht aussprechen.
"Wir stellen wir das an? Reinspringen und um uns ballern ist
wohl keine Option."
Dennis schüttelte den Kopf. Hinter der Doppeltür gab es noch einen
Vorraum, weniger edel und ohne Teppichboden, aber größer und mit
einer dunklen Spiegelbar, Sofas, Sesseln und Tischen, und mit einer
großen Tafel auf der einen Wand und großen Flachbildschirmen an den
drei anderen. Auf ihnen waren zwei verschiedene kleine Hallen zu
sehen, die beide tiefe runde Becken in der Mitte des Fußbodens
hatten. Um sie herum gab es metallene Geländer und viel Platz zum
Gehen, dann tribünenartig an den hohen Wänden hochgebaute
Zuschauerbänke, sogar mit Balkons, auf denen Sessel standen.
Eine der Gruben war wie ein Schwimmbecken gekachelt und
braungefleckt, die andere sah einfach nur schwarz aus. Sie waren
beide mit Kuppeln aus Eurodraht überzogen, der allerdings so
grobmaschig darübergenetzt war, dass er die Sicht auf das Geschehen
darunter nicht behinderte und ein normal großer Mensch mit
angelegten Armen bequem hindurchpassen würde.
Auf den Monitoren war auch zu sehen, dass bereits einige Zuschauer
auf den Bänken um die dunkle Grube herum platzgenommen hatten.
Scheinbar wurden dort gerade verschiedene Scheinwerfer ausprobiert,
und ab und zu drangen metallene Geräusche in diesen Barraum, wo sich
die Gäste laut unterhielten und diskutierten. Vor der Tafel standen
zwei Männer, die sie beschrifteten. In einer Zeile stand:
'Construct VS Ghoul'
Was haben sie mit dir angestellt? Kei sah sich um und verbarg
seine Verachtung hinter einem Gesicht aus toter Gleichgültigkeit.
Seit Colin gefangengenommen worden war, hatte er kein Bisschen Farbe
mehr im Gesicht. Mit der dunklen Sonnenbrille und den schwarzen
Haaren sah er aus, als wäre er entweder tot oder seit fünf Jahren
nicht mehr in der Sonne gewesen.
Dennis' fröhliche Touristenmaske erstarrte für ein paar Sekunden,
als er sah, wie die Einsätze auf das Konstrukt notiert wurden, und
ging gemächlich auf eine Tür zu, in der eine Art Bullauge saß. Sie
führte in die Halle mit der dunklen Grube.
Just in den Moment drang die Ansage durch alle Räume, dass es nun
halb zwölf sei und die Kämpfe bald beginnen würden. Hinter Kei und
Dennis drängten sich nun relativ gesittet mehr Gäste und strömten
in die Bankreihen.
"Lass dir was einfallen, Meister der Pläne. Lange warte ich
nicht." Kei ließ sich in der vorderen Bankreihe auf einen
Sitzplatz fallen. Dennis setzte sich neben ihn und rieb sich
angespannt über die Knie, während er sich umsah.
"Ich bin für jeden Vorschlag dankbar."
"Kriegen wir die Leute hier raus? Mit 'nem Feueralarm oder so?
Ich schlag derweil Colin und den Gegner K.O. und bring ihn raus."
Das Licht wechselte und klassische Musik begann zu spielen. Unter der
Decke über der Kuppel strahlten zwei Beamer zwei gegenüberliegende
Wände über den Tribünen an, die beiden, über denen keine Catwalks
mit Balkons angebracht waren.
"Welcome, Ladies and Gentlemen, welcome! The match will begin in
a short while, but until then, let us reprise and enjoy the previous
fights of today's esteemed contestants!" tönte es aus
Lautsprechern, während Bilder von einer riesigen, metallbewehrten
Figur, die unter Kreischen und Knacken irgendwelche armen Teufel in
ebendieser Grube zerfetzte, über die beiden Wände flackerten.
"Gute Idee... das mit dem K.O.-Schlagen kannst du vergessen. Die
Ablenkung ist aber gut..." sagte Dennis.
"Wenn mir jemand das Konstrukt vom Hals hält, kann ich auch
versuchen ihn zu überreden..." Denken tat Kei an etwas anderes.
"The Construct, undisputed champion for almost a year now, an
immortal tank, it would seem, with sixty-four wins and only two
losses under its steely belt -"
"Ich weiß nicht, ob sich das da -" Dennis nickte zu den
Bildern an der Wand, die nun zeigten, wie unmenschlich riesige
Pranken einen Mann in der Mitte durchrissen - "ablenken lässt.
Aber ich kanns versuchen."
"Umbringen geht auch."
"Today facing a surprising newcomer, a human -" Nun war die
gekachelte Grube zu sehen, in der sich zwei menschlich aussehende
Kontrahenten gegenüberstanden. Ein sehr muskulöser Mann in
Arbeitsstiefeln und Overall schwang eine dicke Kette, die sich um das
Bein eines blassen blonden Jungen wickelte. Er war von Blutergüssen
in Form der Kettenglieder bedeckt, was dadurch gut zu sehen war, dass
er außer einer zerrissenen Jeans überhaupt keine Kleider trug.
"Das haben schon viele versucht. Ich weiß nicht, ob man das
Konstrukt töten kann."
Von Colins Anblick auf dem Bildschirm war Kei entsetzt und auf eine
merkwürdige Weise fasziniert, was vor allem der relativ kleiderlosen
Brutalität geschuldet war. "Okay, irgendwie kampfunfähig für
ein paar Minuten."
Der Mann riss den Jungen zu Boden und zog ihn zu sich. Als er vor ihm
lag, schnappte etwas, das um die rechte Hand des Jungen geschnallt
war, hervor und wurde unter das Kinn des Mannes gestoßen. Colin zog
seine Klingen wieder herunter und blieb liegen, während der Mann
über ihm wankte und einen Blutregen losließ.
"Das kriege ich hin. Einen Feueralarm gibt es sogar. Ich werde
unseren Leuten draußen bescheid sagen. Die kümmern sich darum. Ich
um das Konstrukt, und du schaffst ihn raus."
"Alles klar." Ein blutiger Colin. Welch herrlicher Anblick.
Amok laufen konnte er danach. Würde er auch. Wenn auch nicht an
diesem Tag. Colin war wichtiger. Er sah wieder kurz auf den
Bildschirm mit dieser Mischung aus Verachtung und Faszination.
"Three wins and no losses so far, and this boy has bested even
our seasoned favourite, James Phelps' Big Brother."
Nun zeigten die Bilder, wie Colin auf dem zusammengesackten
Fleischberg kniete und ihm mit seiner Messerhand eilig den Rücken
aufriss, um mit seiner freien Hand Rippenstücke herauszunehmen und
dann einen großen Lungenfetzen hervorzuholen, den er sofort gierig
zu fressen begann.
"You can see why we think it's time he met the Construct - we
have only so many other opponents, after all." Einige Zuschauer
lachten.
Kei wartete. "Gib mir ein Zeichen, wenn's losgeht." sagte
er ruhig.
Dennis nickte und sah sich weiter die Montage an. Es wurden noch mehr
Szenen gezeigt und dabei Musik gespielt, die nun vom klassischen
Orchester abgerückt und zu finsterem Industrial übergegangen war.
Es kamen noch mehr Zuschauer dazu, bis es fast zwölf Uhr war. Die
Musik schwoll weiter an und der Film hörte auf. Nun wurden dafür
Scheinwerfer auf die Grube gerichtet.
Keis Gesicht war versteinert auf die Grube gerichtet. Er wartete. Die
blauen Augen hinter der Sonnenbrille verborgen.
In der schwarzen Wand der Grube öffnete sich knarrend eine schwere
Stahltür. Der Gang oder Raum hinter ihr war finster.
"The challenger, the human! Who devours his opponents - but will
he choke on the hard steel of the Construct? I give you - The Ghoul!"
Die Zuschauer jubelten und klatschten, während aus der Schwärze
hinter der geöffneten Tür Colin hevortrat - oder mehr, geschubst
wurde. Seine Arme waren mit dicken Eisenriegeln hinter seinen Rücken
gefesselt, seine Fußknöchel mit einer kurzen Kette, und um den Kopf
trug er ein Eisengestell, das etwas an ein mittelalterliches
Folterinstrument erinnerte.
Kei blieb sitzen, ließ sich nichts anmerken. Wäre er ein Mensch mit
funktionierenden Emotionen hätte er sich jetzt übergeben. Aber er
war kein Mensch und funktionierende Emotionen kannte er nicht. Das
Entfesseln seines Freundes durften diese Wichser gerne übernehmen,
für den Rest würde er sorgen.
Gegenüber von Colin, in der Wand, die Kei und Dennis nicht direkt
sehen konnten, öffnete sich ebenfalls eine Tür. Die hinter Colin
war noch offen. Von den Eisenbändern um seine Unterarme aus führten
ein paar dünne Stangen in das Dunkel hinter ihm hinein. Er bewegte
minimal den Kopf, als sich die zweite Tür öffnete, und riss die
Augen auf, während er weiter nach vorn geschubst wurde. Gleichzeitig
klickte und knackte es um ihn herum und seine Fesseln öffneten sich.
Er riss sich den Käfig vom Kopf und warf ihn auf den festgetretenen
Erdboden, wo er rasselnd liegenblieb. Ein kleineres Eisengerät wurde
neben Colins Füße geworfen, bevor die Tür hinter ihm zufiel. Ihr
Krachen schien nicht aufzuhören sondern nahtlos in ein lautes,
kreischendes Rasseln überzugehen, das lauter wurde, als das
Konstrukt in die Grube trat. Das Publikum johlte.
Colin war in die Knie gegangen, um seinen Klingenhandschuh aufzuheben
und umzuschnallen, während er mit konzentriertem, hungrigem Blick
das nicht mehr ganz menschliche Wesen aus Muskelbergen und
Eisenplanken vor sich in Augenschein nahm.
"Jetzt," flüsterte Dennis und stand auf.
Kei wartete auf den Feueralarm, der die Menschen ablenken sollte. Er
blieb sitzen, war aber dazu bereit sofort auf Colin zu springen -
oder neben ihn.
Ein rotes Blinken, begleitet von einem durchdringenden Brummton,
erfüllte die Halle.
"Fire!" rief einer der Buchmacher, der in die Halle
gestürzt kam.
Die Zuschauer drehten sich verwirrt auf ihren Sitzen, einige standen
auf und gingen eilig zum Ausgang.
Derweil schritt das Konstrukt mit erhobenem Arm auf Colin zu, der
überrascht aufblickte. Kei sprang dazwischen. Den klingenbestückten
Drähten über der Grube wich er dabei mit Leichtigkeit aus.
"Time to go! Kommst du freiwillig oder muss ich dich zwingen?"
Die meisten Zuschauer waren nun etwas hastiger unterwegs, während
Rauch aus dem Vorraum in die Halle drang. Unpraktischerweise schien
dies aber der einzige Ein- und Ausgang zu sein.
Dennis stand hinter dem Konstrukt am Geländer, das er krampfhaft
umklammerte, während er angestrengt auf den Fleischbatzen starrte,
der der Kopf des Konstrukts sein musste. Es schwang seinen
stachelbewehrten Arm und rammte ihn desorientiert neben Kei in den
Boden. Es krachte und kreischte, schwarze Krustenflocken stoben auf
und Colin riss seine Arme vor das Gesicht. Er starrte Kei erstaunt
an.
Das Konstrukt blieb so stehen und begann zu zittern.
Dennis ächzte angestrengt.
Kei warf sich Colin über die Schulter. "Wir reden später.
Suzuki-kun! Wir gehen." Er machte mit Colin einen Satz aus der
Grube. "Erkennst du mich?" Er mischte sich mit Colin unter
dem Arm, dem er schnell sein Jackett übergeworfen hatte, zwischen
die hinausdrängenden Besucher. Dies war der einzige Weg nach
draußen.
Mit einem saftigen Knirschen und Erschaudern all seiner Metallteile
platzte dem Konstrukt der Kopf und Dennis stöhnte erleichtert auf,
während er schon zu laufen begann.
Colin ließ Kei ihn festhalten, sagte aber nichts und schien ihn auch
gar nicht zu hören, er sah ihn nur zwischendurch mit großen Augen
an. Ihn und die Nachzügler des Publikums, die vor ihnen in den
verrauchten Vorraum eilten, wo man nichts mehr sehen und ganz sicher
nicht mehr atmen konnte. Colins Füße waren von dem Klingendraht
über der Grube aufgerissen worden, als Kei ihn herausgezogen hatte,
aber das schien ihm überhaupt nicht aufzufallen. Er hinterließ nur
humpelnd eine fleckige Blutspur.
Dennis flankierte ihn und versperrte so effektiv die Sicht auf seinen
rechten Arm mit der Klingenhand.
Kei führte ihn nach draußen und rannte los sobald sie aus Gebäude
und Rauch raus waren. Sehr schnell war er mit Colin in den
Hinterhöfen verschwunden. "Das Auto. Schnell," teilte er
Dennis mit.
Colin ging mit, versuchte aber unterdessen, das Jackett und Keis
Griff abzustreifen. Scheinbar störten sie ihn.
Dennis nahm den direkteren Weg und sprang blitzschnell über die
Zäune und Mauern auf den Parkplatz. Innerhalb von Sekunden saß er
im Wagen, hatte ihn gestartet und war damit vor die Mauer gefahren,
wo er per Knopfdruck die Rücksitztür öffnete.
Kei beförderte Colin ins Auto und setzte sich dazu. Sobald die Tür
zu war ließ er ihn los. "Tut mir Leid, dass das so lange
gedauert hat."
Dennis raste sofort los.
Colin rappelte sich auf und setzte sich hin. Staunend betrachtete er
das Innere des Autos, hielt sich am Sitz vor sich fest, wenn es in
Kurven und beim Bremsen und Beschleunigen heftig wackelte, und
schließlich sah er Kei genau an.
"... Macht nichts," sagte er.
Auf einmal lachte er kurz, was genausogut ein Schluchzen sein konnte,
und hielt sich dann mit einem ungläubigen Starren den Mund zu. Seine
Augen wurden nass.
Kei nahm ihn in den Arm und hielt ihn leicht fest. Macht doch
was... Ich hätte früher da sein müssen...
Colin umklammerte ihn seinerseits, richtig fest.
Das ist ein Puls. Ich habe einen Puls. An Keis Hals holte er
tief und schaudernd Luft.
"Festhalten," warnte Dennis, bevor er viel zu schnell in
eine Neunziggradkurve ging und sich die linke Seite des Autos von der
Straße hob.
Kei drückte ihn ein wenig dichter an sich. Blut durch seinen Körper
fließen zu spüren war ein angenehmes Gefühl. Er mochte es sehr.
Kei hielt Colin fest, als sich der Wagen hob.
Dennis fuhr stumm weiter und während die Gebäudekulisse draußen
abnahm, wurde er langsamer und hielt sich irgendwann an die
Verkehrsregeln.
Colin hielt Kei weiter fest.
Das ist mein H- SEIN HERZ! Ich kann sein Blut hören. Das riecht
so gut. Sein Gesicht behielt er an seinem Hals vergraben, im
weißen Hemdskragen, der nun allmählich feucht wurde.
Kei störte es nicht, dass sein Hemd - es war nicht einmal seins -
nassgeweint wurde. Dem Vampir wurde allmählich warm und es kehrte
etwas mehr Farbe in sein Gesicht zurück - er sah nicht mehr ganz tot
aus.
"Wir sind 'ne Weile unterwegs. Du kannst schlafen, wenn du
willst."
"Nein," flüsterte Colin.
Er wollte nicht schlafen. Er war nicht müde. Wenn er jetzt schlafen
würde, wäre das hier vorbei. Vielleicht würde er nicht aufwachen.
Vielleicht würde er da aufwachen, wo er hingehörte.
Nein. Diese Autofahrt konnte seinetwegen ewig dauern.
Er lockerte seinen Griff um Kei.
Der lehnte sich leicht an Colin. "Okay." Die Fahrt würde
noch eine Weile dauern. Eine ganze Weile. Schlafen ist gar keine
schlechte Idee... Er wollte nicht einschlafen, auch wenn neben
Colin einschlafen eine herrliche Aussicht war.
Colin behielt Kei im Arm und sein Gesicht auf dessen Schulter, bis
Dennis den Mercedes Stunden später schließlich anhielt. Er hatte
zwischendurch die Augen geschlossen, aber sehr genau darauf geachtet,
dass er nicht einschlief.
"Wir bleiben erstmal hier. Morgen können wir vielleicht ins
Schloss zurück," erklärte Dennis, als er den Motor
ausschaltete. Draußen dämmerte es.
"Alles klar. Sind sie uns gefolgt?" Kei erhob sich
vorsichtig. "Komm mit. Wenn du müde wirst, dann schlaf. Ich
pass auf."
Vorsichtig und langsam stieg er aus dem Wagen.
"Sehr wahrscheinlich. Ob wir sie abgeschüttelt haben, wird sich
jetzt bald herausstellen." Dennis sah sich um, während die
beiden ausstiegen. Sie waren wieder beim Safehouse vom Vormittag.
Weder Delilah und Jane noch ihre Motorräder waren zu sehen.
Colin folgte Kei. Er humpelte nicht mehr und die Schnitte an seinen
Füßen waren verheilt. Er nahm Keis Hand mit seiner freien (an der
rechten trug er immer noch den Klingenhandschuh) und sah sich auch
um. Es war niemand auf der Straße zu sehen. Gerade gingen die
Straßenlaternen an.
Kei hielt Colins Hand fest. "Haben Delilah und Jane einen Umweg
genommen?" erkundigte er sich, sein Interesse galt jedoch seinem
Freund. Den führte er in das Gebäude. Sicher war sicher. Colin und
er sollten vielleicht nicht gesehen werden.
Die quakende Dame schien nicht anwesend zu sein. Das Haus war dunkel.
Dennis folgte ihnen hinein und schloss die Tür ab.
"Sie kommen nicht her. Sie waren mit dafür zuständig, von uns
abzulenken... Ich sage besser nicht, wo sie hin sind... wenn man
verfolgt wird, ist es am besten, sich zu trennen, und nicht zu
wissen, wo die anderen hingehen." Er warf seine Mütze auf einen
Hutständer und deutete auf die Treppe. "Da oben sind
Schlafzimmer. Und ein Badezimmer."
Er drehte sich um. "Ach ja, ich muss mich noch ums Auto kümmern.
Ich bin gleich zurück." Er gab Kei den Hausschlüssel und ging
wieder hinaus.
Kei nahm den Schlüssel entgegen und führte Colin ins Haus nach
oben, wo seine erste Tat war, den Anzug loszuwerden.
Colin blieb bei der Tür des Schlafzimmers stehen und sah unschlüssig
aus. Er sah Kei beim Ausziehen zu. Währenddessen begann er, etwas
auf und ab zu gehen. Die Messer an seiner Hand schnappten vor und
zurück.
Kei zog seine Hose vom Morgen wieder an. "Meinst du, dass du die
Messer brauchst?" fragte der Vampir leise. Dass seine eigenen
Kleidungsstücke von Waffen nur so wimmelten, ließ er unbeachtet.
Colin offen bewaffnet zu sehen war er nicht gewohnt.
"Ich weiß nicht," erwiderte Colin sachte. Wahrscheinlich
nicht. Aber das hatte er zwischendurch immer wieder geglaubt, und
dann - "Ich weiß nicht," sagte er noch einmal, etwas
nachdrücklicher.
Er starrte fasziniert auf die bunte Geisha auf Keis Rücken.
Sollte er sie haben. Kei machte das nichts aus. "Dann behalt sie
bei dir. Vielleicht brauchst du sie noch." Er war nicht davon
überzeugt, aber wenn die Kerle noch mal auftauchten, konnten Waffen
nützlich sein. Kei schaute ihn leicht lächelnd an. "Das kennst
du doch schon," kommentierte er Colins Blick.
Colin nickte langsam. Sein Blick war nun ein wenig misstrauisch und
er schien Kei vorsichtig zu mustern.
"Nicht für mich. Die anderen tun dir auch nichts. Aber wenn wir
unangenehmen Besuch kriegen, dann kannst du deine Messer brauchen,"
erklärte Kei mit leicht fragendem Gesicht.
"Kriegen wir den?" fragte Colin in einem Ton, der Kei
unterstellte, darauf die Antwort zu wissen. Er machte einen Schritt
auf Kei zu.
"Ich gehe nicht davon aus, dass wir ihn sehr bald kriegen, aber
kriegen werden wir ihn."
Colin machte noch einen Seitwärtsschritt auf Kei zu.
"Wie heißen meine Freunde?" fragte er.
"Welche meinst du?"
"Von zuhause. Wie heißen sie... wie heißt mein bester Freund?"
Er kam noch ein Stück näher und streckte die freie Hand vorsichtig
nach Keis Schulter aus, wo die Tätowierung etwas heraufkroch.
"Shingo. Er war in unserer Klasse."
Colins Finger strichen über die filigranen Ausläufer der großen
Tätowierung und seine Augen wurden groß.
Kei lächelte ein wenig und musterte Colin. "Was is?"
Mit plötzlich wieder feuchten Augen sah er Kei ungläubig an, mit
einer Mischung aus Schrecken und Freude in seinem Blick.
Kei schaute ihn fragend an. "Ich kann immer noch keine Gedanken
lesen," verkündete er lächelnd.
Colin nahm seine Hand zurück und begann zu weinen. Ungeduldig und
ungeschickt rupfte er an seinem Messerhandschuh herum, um ihn sich
von der Hand zu reißen. Das funktionierte nicht gleich, weil er die
Schnallen nicht zu fassen bekam, und so beugte er sich hinunter und
klemmte ihn sich zwischen die Knie, um ihn abzuziehen. Als das auch
nicht ging, knurrte er ein frustriertes Schluchzen und schlug mit dem
Eisengestell auf den Bettpfosten.
Kei nahm seinen Arm, nachdem er sich neben Colin auf den Boden fallen
gelassen hatte, hielt ihn fest und war beim Schnallenöffnen
behilflich.
Colin schniefte und atmete schaudernd aus. Kaum dass der Handschuh
gelöst war, drehte er sich zu Kei um und drückte sich an ihn. HOLY
SHIT, THIS IS REALLY REAL. IT'S REAL THIS TIME.
Kei umarmte ihn. Er wusste nicht so ganz, wie er mit dem gerade aus
der Hölle befreiten Colin umgehen sollte. Er war einfach froh, ihn
wieder bei sich zu haben. Keis Gedanken liefen in viele Richtungen
auf einmal.
Colins dagegen rannten im Kreis um eine winzige, wichtige Tatsache
herum: Kei war echt.
Er hielt Kei fest und weinte weiter. Das konnte er nicht abstellen,
und es machte ihm auch überhaupt nichts aus, dass er gerade Rotz und
Wasser heulte und wimmerte wie ein Hund, er merkte es nicht einmal
wirklich. Kei war wirklich echt.