Als Kei durch die Tür zurückkam, nass vom Novemberregen und mit
einer kleinen Tüte in der Hand, kniete Colin sich auf Keis Bett
eilig hin. Er hatte nur ein Handtuch um die Hüften gewickelt. Kei
warf die Tüte mit den Einkäufen aufs Bett, neben Colin, und pulte
sich umgehend das nasse Shirt vom Körper. Mit einer Hand auf der
Tüte hielt Colin inne, um Kei zuzuschauen. Da war etwas entschieden
ablenkendes an ihm, wie die Kleidung an ihm klebte und er sich aus
seinem T-shirt pellte.
Da er die Stiefel nicht zugebunden hatte, war es leicht, sie wieder
loszuwerden. Die nassen Kleider wurden zu einem Haufen auf dem
Fußboden. Der war groß genug, sodass es niemals aussah, als wäre
er sehr unordentlich. Er betrachtete Colin mit leichtem Grinsen. Der
starrte ihn seinerseits an, aber hauptsächlich staunend.
Kei setzte sich, seine Hose ausziehend, neben Colin und musterte ihn
leicht amüsiert lächelnd. Der riss sich schließlich von Keis
Anblick los, als noch mehr Haut zum Vorschein kam, und lenkte sich
mit dem Inhalt der Tüte ab: Einer Packung Kondome und einer Tube
Gleitgel.
Während er die Inhaltstoffe hinten auf der Tube las, ohne mit der
Information etwas anfangen zu können, wurde ihm nur bewusst, wie
unvorbereitet er mental war und dass er sich bloß an der Tube
festhielt. Er wusste nicht, was Kei sich vorstellte, er wusste nicht,
was er selbst wollte und was ihm gefiel, ob er sich alles trauen
würde, das Kei vielleicht von ihm erwartete -
Kei fühlte sich an das andere 'erste Mal' erinnert, entschied sich
aber dagegen, Colin jetzt zu erzählen, wie es damals abgelaufen war,
als er ihn an seinem Geburtstag im Park entjungfert hatte. Das konnte
er irgendwann mal machen. Zu Colins Glück erwartete Kei auch nichts
von ihm. Die Zigaretten, die zuletzt noch aus der Tüte gefallen
waren, warf der Vampir mitsamt der Tüte auf den Schreibtisch.
„Verschieb das Nachdenken auf später.“ Er nahm dem Kleineren die
Tube ab und küsste ihn. Scheinbar grundlos verwirrt erwiderte Colin
den Kuss erst, dann zog er eilig den Kopf zurück.
„Warte - Komm mit.“ Er rutschte zur Seite und zur Bettkante. Kei
blickte ihn fragend an, folgte ihm aber aus dem Bett.
Beim Aufstehen drohte das Handtuch, sich zu lösen und
herunterzurutschen, und Colin hielt es fest, während er mit
verschämtem Blick zur Badezimmertür ging. Als er sie öffnete,
konnte man gedämpft Geräusche aus seinem Zimmer durch die Tür auf
der anderen Seite hören.
Kei musste grinsen, als Colin sein Handtuch festhielt. Lange würde
er es ohnehin nicht mehr haben. Eigentlich konnte er es doch auch
gleich loslassen.
Er ging Colin nach, zum Badezimmer.
Bevor er die Tür zu seinem Zimmer öffnete, hielt Colin inne, atmete
durch und hoffte inständig, dass Kei ihn nicht auslachen oder etwas
blödes sagen würde. Denn er hatte alle vierzehn Kerzen, die er im
Schrank unter dem Waschbecken gefunden hatte, auf dem Nachttisch, den
Fensterbänken und dem Schreibtisch verteilt, angezündet und Musik
angemacht, nachdem er geduscht hatte und Kei noch nicht wieder
zurückgekommen war.
Er biss die Zähne zusammen und riss die Tür auf, ohne Kei
anzusehen.
Der sah sich staunend im Zimmer um.
Niemals hatte sich irgendwer seinetwegen wirklich Mühe gegeben.
Nicht, dass er der Typ zum Mühegeben war. Er hätte ja mit vielem
gerechnet, aber nicht damit. „Du hast dich richtig angestrengt,“
sagte er anerkennend, auch wenn das vielleicht nicht die ideale
Reaktion war.
„Ich habe Kerzen angezündet,“ sagte Colin leise mit einem
kleinen verwirrten Schmunzeln. „Das war jetzt nicht allzu
anspruchsvoll.“ Er warf einen besorgten Blick auf die Stereoanlage.
Vielleicht waren Ronan Keating und The Corrs doch etwas zu schnulzig?
„Aber es sieht nach Mühe aus.“ Kei sah sich noch ein bisschen
weiter um. Das Bett sah normal aus, das hieß unberührt, die antike
Geige und ein Stapel Bücher aus der schlosseigenen Bibliothek lagen
auf dem Schreibtisch, mehr davon auf dem Nachttisch, und insgesamt
war der ganze Raum sehr ordentlich. Die einzigen sichtbaren Kleider
waren die, die Colin vor seiner eiligen Dusche ausgezogen hatte, und
die lagen und hingen ordentlich zusammengelegt auf einem Stuhl neben
der Badezimmertür. Kei betrachtete den Raum noch ein bisschen und
verschwand dann kurz, um Kondome und Gleitgeltube zu holen, die er in
seinem Zimmer liegengelassen hatte. Er warf beides auf Colins Bett,
als er wieder neben ihm stand. Der Junge hatte sich kaum bewegt. Er
hatte sich etwas entspannt, schien es, und als Kei zurück war und
die Dinge mitgebracht hatte, zog er wieder unwillkürlich die
Schultern hoch.
Er räusperte sich. „Ich werde sehr schlecht sein,“ sagte er
leise.
„Ach was.“ Kei küsste ihn.
Er schloss die Augen und lehnte sich Kei entgegen. Mit Keis Lippen
und Zunge, seinem Regengeruch und all der nackten Haut brauchte
Colins Erektion nur ein paar Sekunden, um sich zurückzumelden.
Zögerlich legte er die Hände auf Keis Schulter und Nacken, und er
wollte ihn mehr anfassen, aber irgendein lästiger neuartiger Respekt
hielt ihn davon ab. Kei grinste leicht und war so frei, Colin seines
Handtuchs zu entledigen.
Nun musste Colin sichergehen, dass Keis Mund seinen nicht verließ.
Wenn er den Kopf zurückzog, würde Kei ihn vollständig sehen
können. Das galt es zu verhindern. Außerdem fühlte sich Kei
sowieso zu gut an, um das hier jetzt zu unterbrechen. Colin nagte
langsam und vorsichtig an seiner Unterlippe und strich mit den
Fingern über seinen Rücken. Ihm fiel nutzloserweise am Rande auf,
wie interessant es doch war, dass man das riesige Tattoo überhaupt
nicht spüren konnte. Die Haut war einfach nur weich und warm,
gespannt über etwas viel härteres und starkes.
Kei hatte gerade gar nicht vor, damit aufzuhören, Colin zu küssen.
Er hob ihn hoch. Das war ein leichtes. Colin war nicht schwer.
Er machte ein leises Beschwerdegeräusch, hatte aber eigentlich gar
nichts dagegen, getragen zu werden, und so legte er nur die Beine um
Kei, der glücklicherweise noch seine Boxershorts trug. Die waren
zwar eng und momentan noch zusätzlich gewölbt und ausgedehnt, aber
sie waren immerhin noch da, als dünne Barriere. Hinter Kei hakte er
die Füße zusammen und seine Hände krallten sich nun in seine
Schultern. Er merkte nicht, wie er gieriger und härter wurde,
während er Kei küsste. Kei bemerkte es, aber sich zu beschweren
wäre ihm niemals in den Sinn gekommen. Er trug Colin zum Bett.
„Sagst du mir, wenn ich was falsch mache?“ sagte Colin leise, als
er Kei losließ. Er leckte sich die Lippen und rutschte rückwärts
auf das Bett.
„Klar.“ Kei grinste leicht und küsste Colin wieder.
Um sich von seiner eigenen Nacktheit und Erregung abzulenken,
konzentrierte Colin sich weiter nur auf Kei. Darauf, ihn anzufassen,
wo es nur ging. Aber nicht zu hastig. Und mit geschlossenen Augen.
Colin war ja nicht leicht zu haben. Oder gierig. Aber auch nicht zu
langsam. Er war schließlich auch nicht prüde.
ARGH! Er ohrfeigte sich innerlich und ließ sich mit den
Händen über dem Gesicht zurückfallen.
Kei hatte Spaß daran, Colins Reaktionen zu beobachten. Im Schein der
vielen Kerzen, die Colin aufgestellt hatte und die ausreichend Licht
erzeugten - nicht, dass Kei welches brauchte - beschäftigte er seine
rechte Hand zwischen den Beinen des Kleineren, wobei er sich mit der
anderen auf dem Bett abstützte, vor dem er stand. Luftholend
winkelte Colin die Beine an und stellte sie auf, um Keis Arm
wegzustoßen, ohne die Hände vom Gesicht nehmen zu müssen. Kei
grinste daraufhin nur, nahm seinen Arm aber da weg, nur um sich ein
Handgelenk von Colin zu schnappen und dessen Arm freundlich aufs Bett
zu drücken. Den wieder hergestellten Zugang zu Colins Gesicht nutzte
er aus um seinen Freund zu küssen.
Im ersten Moment konnte der vor lauter Einverständnis nicht anders
reagieren, als den Kuss zu erwidern. Aber kaum dass der Vampir über
ihm lehnte, fiel es ihm wieder ein und er drückte mit dem freien Arm
gegen seine Brust.
„Warte.“
„Hm?“ Kei blickte Colin an und musterte sein Gesicht
interessiert.
Oh mann, hör auf, mich anzusehen. Um nicht nur überwältigt
zurückzustarren - „Deine Augen leuchten im Dunkeln.“ - Ja,
genau, du Genie, das wars was du sagen wolltest. Jetzt wäre ein
guter Zeitpunkt zum Sterben... „Äh, ich meine,“ fügte Colin
intelligent hinzu, indem er seinen Blick ziemlich gewaltsam von Keis
Gesicht losriss und zur Seite wandte, „das ist doch wahnsinnig...
merkwürdig... Also nicht die Augen jetzt! Ich meine... äh...“
„Ich hab keine Ahnung, was du mir sagen willst.“ Kei konnte es
nicht lassen, den Kleineren zu betrachten – wollte er auch nicht.
Er küsste Colins Hals und hinterließ dabei ein paar blau-rote
Spuren. Keine gute Idee... „Versuchst du, mich zu beißen?“
flüsterte Colin. Und räusperte sich. Was Kei da machte, fühlte
sich auf schwindelerregende Weise gut an, dieser kleine Schmerz hier
und da. Er wollte ihn wieder anfassen, aber eigentlich wollte er doch
gerade irgendwas sagen.
„Nein. Das würdest du merken.“ Kei setzte sein Treiben fort.
Wollte Colin ihm nicht irgendwas erzählen? Das würde er wohl noch,
wenn es wirklich wichtig war.
„Ich bin außerdem auch tot. Davon hättest du bestimmt gar
nichts,“ mutmaßte Colin, immer noch im Flüsterton. Er wand sich
ein bisschen unter dem Vampir und rutschte weiter rückwärts, aber
nur um ihm Platz zu machen - nicht dass das Bett nicht auch so groß
genug gewesen wäre - und um sich etwas auf die Seite zu rollen und
Kei zuzuwenden. Kei rutschte ein Stück aufs Bett, sodass er nun
darauf kniete. Große Betten waren wirklich praktisch.
„Du bist nicht tot-tot, also hätte ich was davon.“ Er machte
weiter und ließ seine rechte Hand wieder in Richtung Colins
Körpermitte wandern.
„Nicht.“ Colin fand Keis Handgelenk und hielt es fest, ehe er
sich aufsetzte. „Entschuldige. Es tut mir Leid, dass du dir die
ganze Mühe umsonst gemacht hast.“ Er sah vorsichtig aus und klang
wirklich nach Reue. Kei hielt inne. Er schaute ihn leicht verwirrt
an. Fragend. Nicht wirklich enttäuscht, aber auch nicht gerade so,
als wäre er sonderlich begeistert.
„Was ist dein Problem?“ fragte er ruhig.
Colin ließ Keis Hand los, um sich selbst mit der Faust einmal über
die Brust zu reiben. Dieses Hämmern...
„Das ist zu... schnell... Ich könnte schon tot umfallen, weil ich
gerade nichts anhabe... mehr... kann ich jetzt nicht...“ Er stellte
die Beine auf, legte die Arme auf die Knie und vergrub eilig das
Gesicht darin. „Es tut mir Leid! Ich machs wieder gut. Aber jetzt
gehts nicht!“ Ich muss ihm ja so bescheuert vorkommen. Er kennt
mich seit Jahren.
„Ich hatte nicht vor, dich umzubringen.“ Nicht jetzt und nicht
heute... Kei musste schmunzeln, denn damals war das ähnlich
verlaufen. Nicht an nur einem Tag, sondern an vielen. Er setzte sich
auf.
„Nein,“ sagte Colin von hinter seinen Armen, „Sex ist gruselig
genug.“
„Das sagst du jetzt.“ Kei musste sich beherrschen, nicht zu
lachen. Das aus Colins Mund zu hören war mehr als ungewohnt. Und
sehr lange her.
Colin nickte, ohne den Kopf zu heben.
„Ich überzeuge dich vom Gegenteil,“ sagte Kei grinsend. Dass
er's gerade scheiße fand, dass Colin diese Idee JETZT kam, schluckte
er herunter. Das musste der Kleinere in diesem Moment nicht wissen.
Colin hob den Kopf und sah Kei seitwärts an, das andere Auge
zugekniffen.
„Du bist nicht sauer?“
„Ich werde nicht daran sterben,“ entgegnete Kei. Sauer war er
wirklich nicht, höchstens frustriert.
Colin musterte ihn vorsichtig. „Ich mag dich wirklich, weißt du?“
Er fand, dass er das nochmal sagen musste. Im Moment wirkte er
nämlich wohl nicht so. „Wie sagt man so schön - Ich will dich
eigentlich nicht von der Bettkante schubsen.“
„Diesmal ist es tatsächlich 'ne Bettkante.“ Kei ließ sich so
fallen, dass er auf dem Rücken auf Colins Bett lag.
Dach, ein anderes Dach, Pavillon im Park und viele andere Orte, aber
ein richtiges Bett war selten darunter gewesen.
Colin musste lachen. „Sag nicht, das passiert dir öfter.“
„Ist mir mit dir öfter passiert, wenn du das meinst.“ Kei
schaute an die Decke.
„Ehrlich? ... Bin ich prüde?“ fragte Colin stirnrunzelnd, als
spräche er gar nicht über sich selbst.
„Sagen wir, dich zu überreden war nicht einfach.“ Kei wandte den
Blick zum Fenster, wo außer drei Kerzenflammen nicht viel zu sehen
war. Colin blieb für kurze Zeit still.
„Vielleicht bist du auch einfach nicht so gut wie du dachtest,“
versuchte er danach scherzhaft.
Kei musste lachen. „Der Meinung warst du damals nicht.“
„Das kann jeder behaupten. Was für ein Glück für dich, dass ich
Amnesie habe.“ Colin grinste und rutschte dichter an Kei heran, um
sich neben ihn zu setzen. Er setzte einen Fuß zwischen Keis Beine
und strich mit einer Hand federleicht und langsam scheinbar wahllos
über verschiedene Stellen auf Keis Torso.
„Du wirst noch sehen, dass das nicht gelogen ist,“ grinste Kei
und verschränkte die Arme hinter dem Kopf.
„Pff... ich hab schon wieder vergessen, was die Lüge war, also sei
ruhig.“ Selig schmunzelnd und mit dem Kinn auf dem Knie machte er
damit weiter, Kei streichelnd zu ertasten. Eigentlich fühlte Keis
Haut sich nur gut an.
Kei wusste nicht, was er davon halten sollte, dass Colin ihn erst
abblitzen ließ und dann wieder begrabbelte. „Jaja. Lügner.“
Colin lächelte bloß und zuckte mit den Schultern. Sein Zeigefinger
wanderte in lässigen Schlangenlinien bis zum Schlüsselbein hinauf.
„Bist du kitzelig?“
„Nö.“ Jetzt schaute Kei zu Colin. Probeweise kraulte der
trotzdem Keis Achselhöhle.
„Hm. Tatsache.“
„Was wird das, wenn's fertig ist?“
„Was?“ Colins Hand leistete schnell der anderen an seinem
Schienbein Gesellschaft. Kei schmunzelte.
Colin lächelte. Vielleicht ein bisschen erleichtert.
Er kniete sich hin, das eine Bein nun beinahe in Keis verhakt, und
beugte sich über den Vampir, der ihn nur ansah und abwartete, was
jetzt kommen würde. Dieser Blick ließ Colin noch einmal zögern,
oder lenkte ihn bloß ab, wie so vieles immer wieder, aber
schließlich stützte er sich neben Keis Arm irgendwo auf und küsste
ihn, sehr langsam und sachte und nur mit den Lippen. Kei erwiderte
den Kuss. Das war gemein. Erst so, dann so. Es gab niemanden, den er
so sehr auffressen und umbringen wollte wie Colin.
Mit den Lippen fuhr Colin langsam und vorsichtig über Keis Kinn und
dann die Wange und Schläfe hinauf, über die Stirn und auf der
anderen Seite zurück.
„Ich mag deine Augen,“ flüsterte er ihm dort ins Ohr.
„Weiß ich,“ grinste Kei leise. Er strich Colin mit einer Hand
übers Gesicht.
„Alles andere auch,“ raunte Colin schmunzelnd und blieb einfach
knapp über Keis Halsbeuge hängen.
Kei gab ein Geräusch der Zustimmung von sich. „Manchmal zweifle
ich daran,“ scherzte er.
„Dann sag bescheid, wenn dein Ego gepusht werden muss. Dann hol ich
dir einen Spiegel oder so.“
„Geht nicht. Bin schon dran gewöhnt.“
Colin lachte leise. „Okay, ich sags dir alle paar... Monate
einmal.“
„Wie aufmerksam von dir.“ Kei lächelte leicht. Frustriert war er
trotzdem.
Um nicht wieder zu lachen, küsste Colin Keis Halsbeuge. Ein paarmal.
Bis zu seiner Schulter, wo die eintätowierte Monsterfratze sichtbar
war. Kei ließ ihn machen. Wie das wohl werden sollte, wenn sie
wieder zur Schule gingen? Sicher amüsant. Er hatte keine Ahnung, wie
Inverness so war, aber das war egal. Es war etwas Neues. Kei hatte
das Gefühl, schon etwas zu lange in Lancaster festzusitzen. Es war
Zeit für etwas Neues. Er setzte sich auf, als er jemanden in der
Nähe wahrnahm. Dennis. Der kam ihm gerade recht.
„Ich komm gleich wieder,“ informierte er Colin beim Aufstehen.
Colin setzte sich mit auf und sah ihm nach, bis er den Raum verlassen
hatte. Dann blickte er sich dumpf im Raum um wurde sich bewusst, dass
ihm tatsächlich immer noch schwindlig war. Wer brauchte schon
Drogen, wenn er Hormonüberschuss hatte? Er beschloss, ein paar der
gefährlich tiefbrennenden Kerzen zu löschen.
Dennis war ohne Umwege, aber nicht besonders eilig, in sein Zimmer
gestiefelt. Kei zog sich in seinem eigenen Zimmer eine trockene Hose
an und ging dann zu ihm.
„Dennis. Du kommst gerade recht. Ich habe eine Idee.“
Dennis hatte gerade seinen Mantel auf das mit Papier und diversen
Werkzeugen übersäte (nie zum Schlafen benutzte) Bett
geworfen und sich den Schreibtischstuhl herausgezogen. Nun hielt er
inne und musterte Kei von oben bis unten.
„Ach,“ sagte er.
„Colin soll ja wieder zur Schule gehen. Ich will mitgehen.“ Kei
musterte seinen Bruder und dessen Zimmer. Es sah hier aus wie immer -
naja, vielleicht etwas voller mit Kisten und Elektroteilen als sonst,
aber nicht auf außergewöhnliche Weise. Dennis selbst machte auch
einen normalen Eindruck. Vielleicht ein wenig ernster als sonst, aber
womöglich war er nur müde. Oder von Keis halbnacktem
Überraschungsauftritt betont unbeeindruckt.
„Wer hat gesagt, dass er zur Schule gehen soll?“
„Rupert anscheinend. Das jedenfalls hat Colin mir vorhin erzählt.“
Was macht der mit dem ganzen Zeug? Kei schaute auf das ganze
Elektrozeug. „Wofür ist der ganze Kram?“
„Für meinen Job. Schön für ihn. Das ist eine gute Idee.“
Kei sah ihn überrascht an. Damit hatte er nicht gerechnet. „Das
war ja einfach,“ sagte er mehr zu sich selbst als zu Dennis.
„Huh? Was?“ Dennis, der kurz auf eines der vielen Papiere auf
seinem vollen Schreibtisch geschaut hatte, blickte verwirrt wieder zu
Kei auf.
„Ich hab nicht damit gerechnet, dass du so einfach zustimmst,“
entgegnete Kei und musterte seinen Halbbruder, der sich nicht
großartig für das, was er zu sagen hatte, zu interessieren schien.
„Zust-“ Dennis' Blick wurde groß, dann runzelte er die Stirn.
Das ließ ihn noch ein ganzes Stück jünger aussehen. „Was? Dass
du mitgehst?“
Hätte ja klappen können... „Ja.“ Kei sah ihn an,
ziemlich sicher, dass Dennis ihm jetzt zuhörte.
„Nein.“ Das Stirnrunzeln sah ziemlich eindringlich aus. Insgesamt
wirkte Dennis sowieso gerade wie ein verrückter Erfinder, der an
dreißig Dinge gleichzeitig dachte und sich sehr konzentrieren
musste, um nicht den Faden dieses Gesprächs zu verlieren.
„Warum nicht?“ Keis Blick wandelte sich zu leichter Genervtheit,
angesichts der Tatsache, dass er jetzt wohl doch mit dem Älteren
diskutieren musste. Müde rieb der Bruder sich mit einer Hand über
das Gesicht, dann stützte er sich auf den Schreibtisch.
„Nach euch wird gesucht. Das hast du doch hoffentlich begriffen.
Wenn ihr beide zu zweit auftretet, seid ihr am leichtesten zu
identifizieren.“
„In einem Internat irgendwo in der Provinz? Wohl kaum.“
Dennis kniff ein bisschen die Augen zusammen und schien nachzudenken,
aber nur ein paar Sekunden lang. Dann nahm er eine der beiden
Pistolen aus seinem umgeschnallten Halfter und knallte sie auf den
Schreibtisch, näher bei Kei als sich selbst. Kei blickte ihn
skeptisch an und legte den Kopf schief. Er wartete auf eine Reaktion
auf das, was er gesagt hatte. Das war keine.
„Was soll ich damit?“
„Du sollst mich erschießen.“ Dennis zeigte auf seine Stirn.
„Aber machs richtig. Wenn du den Widerstand zerstören und uns alle
umbringen willst, dann sei konsequent.“
„Jetzt übertreibst du. Ob ich nun hier unbeobachtet rumhänge oder
zur Schule gehe, ist doch völlig egal.“
„Es tut mir Leid, dass du deinen Schulabschluss aufschieben musst,“
sagte Dennis leise. Es klang gefährlich. „Aber es gibt
wichtigeres. Sobald du mit Colin draußen unterwegs bist, seid ihr
wie ein blinkender Leuchtturm für die Instanz.“ Er sah Kei finster
an. „Ich habe einen Gegenvorschlag.“
„Der da lautet?“
„Erstens: Du sagst Colin, dass du nicht mitkommen kannst, weil wir
dich brauchen. Zweitens: Du reist ihm hinterher und suchst dir in
Inverness eine Bleibe. Unter falschem Namen, versteht sich. Du
erzählst niemandem davon. Drittens: Du richtest ein Postfach ein und
kommunizierst ausschließlich darüber mit einer Postfachadresse, die
ich dir mitgebe. Du gibst dich Colin nicht zu erkennen und zeigst
dich niemals in seiner Nähe. Du wirst ihn beobachten und bewachen –
als sein anonymer Leibwächter. Da du dich für nichts anderes zu
interessieren scheinst, kann ich dich so am besten einsetzen - und
muss für diesen bescheuerten Leichtsinn keinen meiner wenigen Leute
abstellen.“
Kei sah Dennis wenig begeistert an. Das war so als würde man einem
Kind sagen, es solle auf einen großen Kuchen aufpassen, ohne, dass
es auch nur ein Stückchen abbekommt - noch dazu sein
Lieblingskuchen. Zwar war das Ganze immer noch besser, als im Schloss
Däumchen zu drehen, aber es war nicht das, was Kei sich vorgestellt
hatte. Gut, nicht mit zur Schule zu gehen, war kein Beinbruch, aber
Colin nicht mal ansprechen zu dürfen, war scheiße.
„Das ist ein guter Plan - bis auf die Tatsache, dass Colin nicht
wissen darf, dass ich da bin. Wenn eh niemand weiß, dass ich dort
bin, ist doch egal, ob wir uns sehen, oder nicht?“
Dennis' blaue Augen schienen plötzlich aufzuleuchten. Oder
vielleicht war es im Raum nur noch dunkler geworden.
„Hast du noch gar nichts begriffen?! Du und ich sind nicht die
einzigen telepathischen Vampire und die Instanz besteht aus URALTEN,
MÄCHTIGEN WICHSERN. Dass ihr beide hier auf dem Anwesen wie die
Kleinkinder, die ihr seid, herumtoben könnt, schuldet ihr einer
ganzen Armee an Sicherheitskräften und einer Menge Wohlwollen!“
Kei seufzte. „Müssten die dann nicht eigentlich wissen, dass wir
hier sind?“ Er wirkte wie die leicht angepisste Ruhe in Person.
Theoretisch müssten Colin und er ja ziemlich leicht zu finden sein,
wenn Dennis sich solche Sorgen über ein Desaster machte, sollten
Colin und Kei sich wissentlich in der Nähe voneinander bewegen.
Dennis atmete langsam aus.
„Vielleicht tun sie das sogar,“ gab er ruhiger zu. „Vielleicht
haben sie auch nur eine Ahnung. Vielleicht seid ihr hier aber auch
gut versteckt - dass wir alle immer noch hier sind, deutet darauf
hin.“ Langsam setzte er sich auf den antiken Polsterstuhl, wie
jemand der gerade eine Dreifachschicht in irgendeinem Knochenjob
hinter sich hat. „Der Punkt ist, dass sich Colin, wenn er zur
Schule geht, außerhalb dieser...“ Er wedelte mit einer Hand im
Kreis. „... Sicherheitsmaßnahmen bewegt. Wenn ihr beide zusammen
gesehen werdet, wenn Colin einem seiner Mitschüler ein Foto von dir
zeigt, wenn ein Postbote ihn in deiner Wohnung sieht...“
„Schon klar. Meinst du nicht, die gehen auch auf uns los, wenn sie
uns alleine sehen?“ Dass auf Colin aufgepasst werden musste, war
klar. Dass man ihn und Colin nicht zusammen sehen durfte, wenn sie
beide ein Ziel darstellten, war weniger einleuchtend.
„Jeder für sich seid ihr viel unauffälliger. ... Du nun nicht
gerade, aber du kannst auf dich aufpassen. Colin allein ist nur ein
normaler Teenager, einheimisch, macht normale... Teenagersachen...
Das fällt nicht weiter auf.“
„Kann ich ihn nicht ab und zu mal sehen?“ Er musste ja nicht
ständig an ihm kleben, aber ihn ab und zu mal sehen zu dürfen, war
nun wirklich nicht viel verlangt. Wahrscheinlich würde er sich eh
über diese Anordnungen hinwegsetzen.
„Natürlich. Ich schicke dich nach Inverness, damit du ihn nicht
aus den Augen lässt, sobald er das Internat verlässt. Für was auch
immer. Du sollst ihn ja beobachten.“
„Hm. Mich mit ihm unterhalten, meine ich.“ Fragen konnte man ja
mal. Dennis verschränkte die Finger und biss sich nachdenklich auf
die Daumen. Dabei musterte er Kei.
„... Besser nicht. Er sollte nicht wissen, dass du da bist.“
Als ob ich mich daran halten würde... Du weißt das... Da bin ich
mir sicher. „Wenn ich ihm Überfallkommandos vom Hals halten
muss, wird er das.“
„Wenn es Überfallkommandos gibt, hast du deinen Job nicht richtig
gemacht.“ Dennis funkelte ihn eindringlich an, so als ob er durch
das Starren allein in Keis Kopf wühlen wollte. „Es ist mir im
Grunde egal, was mit Colin passiert. Aber Rupert hängt an ihm. Und
du bist kein Gefangener, du kannst machen was du willst. Nur hattet
ihr jetzt leider beide ziemlich viel mit uns zu tun, und wenn ihr
entdeckt werdet, ist der ganze Widerstand in Gefahr.“
„Mir ist nicht egal, was mit ihm passiert. Ich will nicht, dass er
umgebracht wird.“ Kei musterte Dennis. Der begegnete seinem Blick
unverwandt.
„Dann halte Abstand.“
„Das ist immer noch besser, als Däumchen zu drehen...“ Kei
seufzte.
Dennis betrachtete ihn weiter.
„Ich geh Colin erzählen, dass ich hier bleiben muss. Das wird ihm
nicht gefallen.“
Dennis nickte.
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