Kei ging sich abreagieren. Erst Stunden später kam er zurück. Kurz
vor dem Morgengrauen setzte er sich draußen auf die Bank neben der
Hintertür. Abreagiert hatte er sich an einer kleinen Rotte von
Junkies, die der Meinung gewesen war, sich mit ihm anlegen zu müssen.
Sie hatten es bereut.
Akira hatte im Zimmer aufgeräumt und sich irgendwo eine Flasche Rum
besorgt, die er sich dabei genehmigt hatte. Zuvor hatte er die alte
Indian ohne Abdeckplane auf den Hof direkt vor die Bank geschoben und
eine Weile lang beschimpft und verflucht. Auf ihr herumzutreten hatte
er sich nicht getraut. Das Ding war immer noch wertvoll, und
obendrein das Geschenk für Kei, für das er offenbar eine
beschissene Dummheit begangen hatte.
Nun saß er mit seiner beinahe leeren Rumflasche auf der Nischenbank
unter dem Fenster und schlief. Das Geldbündel war zum Zweck der
Alkoholbeschaffung dünner geworden und lag nun in seiner
Hosentasche. Irgendwann vor dem Einkauf und dem Zusammenrollen am
Fenster hatte er sich auch den bunten Kapuzenpullover wieder
angezogen, sonst jedoch nichts.
Kei hatte das Motorrad noch nicht bemerkt, er hatte es zwar gesehen,
aber kaum bewusst wahrgenommen.
Auf seiner Tour durch die Stadt hatte er einige Menschen umgebracht,
aber auf die brutale Weise. Er selbst war in einer Schießerei
mehrfach getroffen worden, während er in blinder Wut wild auf
irgendwelche Typen eingedroschen hatte. Dazu hatte es noch jede Menge
Alkohol gegeben.
Er zog die Knie hoch und lgte die Arme darauf. Sein Kopf folgte kurz
darauf. So saß er eine Weile da.
Hinter dem Fenster regte sich etwas.
Akira hob den Kopf und eigentlich auch den Rest seines Körpers,
dachte er, bis er auf dem Boden lag und die Flasche ihm klirrend
folgte. Der sich drehende Raum trieb ihm das Wasser in den Mund und
ließ seine Eingeweide sich zusammenziehen. Erst krabbelte, dann
stürzte er auf die Tür zum Hof zu, hebelte sie auf und stolperte
blind von der Veranda, um den zertretenen, sandigen Boden davor mit
Rum zu füttern.
Kei tat, als wäre er eingeschlafen,
als er Akira kotzen hörte. Etwas in ihm verspürte ein kleines
bisschen Genugtuung. Akira bemerkte ihn nicht, sondern würgte noch
schmerzhaft trocken weiter, während er nach dem Holzpfeiler neben
sich tastete, an dem er sich danach erfolglos hochzuziehen versuchte.
Als der Rum weg war und er seinen Würgreflex unter Kontrolle
gebracht hatte, lief ihm nur noch Wasser aus den Augen. Das Würgen
ging fast nahtlos in Schluchzen über und er wischte sich mit seinem
schönen bunten Ärmel über das Gesicht. Er rammte die Stirn gegen
den Balken und kniete weiter so da.
Kei ließ ihn noch eine ganze Weile
so dasitzen, bis er den Kopf hob, um ihn anzusehen. Er musterte ihn
lange mit ausdruckslosem Gesicht, bis er irgendwann aufstand und sich
neben ihn setzte... auf die nicht vollgekotzte Seite.
„Mach sowas nicht nochmal,“
sagte er ruhig.
Akira war überrascht, denn er hatte
Keis Präsenz bisher nicht wahrgenommen, aber zwischen seiner
Aufgelöstheit und seiner ordentlichen Betrunkenheit war das kaum
bemerkbar. Bevor er Kei ansah, wischte er sich unsanft mit einem
Ärmel über das Gesicht.
Nein, werde ich nicht, bestimmt nicht, das schwöre ich,
dachte er, aber sagen konnte er nichts. Er wollte Kei um den Hals
fallen, aber auch das traute er sich nicht. Er nickte nur verloren
und versuchte, zu schluchzen aufzuhören. Er wollte schließlich kein
Kind mehr sein.
Kei nahm ihn in den Arm. Zum Teil
auch deswegen, weil er die Tränen nicht sehen und sein Schluchzen
nicht hören wollte. Der Vampir konnte damit nicht umgehen. Er war
immer noch wütend und gekränkt, aber seine Aggression war
verschwunden. „Geh schlafen. Du bist völlig dicht,“ sagte er
leise.
„I really love you. Really,“ murmelte Akira alkoholgetränkt an
seinem Hals. „I never wanna hurt you. Tha‘ was stupid. I know.
But I didn‘t. I thought you‘d mind a wee bit. But not like this.
Then when you saw the bike it got you you‘d be happy -“ blubberte
er mit seinem Akzent voller flacher Vokale und rollender Rs. Kei
drückte ihn und blickte dabei auf das Motorrad. Es fiel ihm nun zum
ersten Mal auf. Die Situation überforderte ihn, nicht nur, weil er
nicht wusste, was er dazu sagen sollte.
„Ich weiß,“ flüsterte er leise. Er wusste das wirklich, aber er
verstand es nicht. Er verstand sich selbst gerade nicht und Akira
noch weniger. Einerseits wollte er ihn in der Luft zerreißen,
andererseits wollte er nicht, dass er wie ein Häufchen Elend in
seinen Armen lag. Er wusste nicht, wie der Kleinere auf solche Ideen
kam. Er hob ihn hoch und trug ihn hinein, um ihn auf das Bett zu
legen.
Déja vu? fuhr Akira im Suff
durch den Kopf. Eine etwas andere Situation als am vorigen Abend. Er
hielt sich an Kei fest, auch nachdem der ihn hingelegt hatte. Dabei
wurde er benebelt der Blutspuren auf Keis nacktem Oberkörper gewahr
und tastete halbbewusst nach Wunden. Er fand keine, nur das Blut.
„Ich liebe dich. Das sollte ganz
anders laufen,“ sagte er abwesend. Da stimmte der Vampir seinem
Freund voll und ganz zu. Er ließ sich festhalten und blieb neben dem
Kleineren sitzen. Er blutete und hatte ein paar Einschusswunden und
einen Streifschuss an der Schulter, aber keine, die man sofort finden
konnte.
„Anatamo...“ Er flüsterte
beinahe. Sonst wärst du längst nicht mehr hier...
Einer der Schüsse hatte ihn an der
Hüfte getroffen und ein weiterer über der Brust in der Nähe des
Schlüsselbeins. Akira hielt ihn noch ein bisschen, aber seine Hände
rutschten nach und nach schlaff herunter. Bevor er einschlief, oder
vielmehr bewusstlos wurde, dachte er noch, dass er wollte, dass Kei
sich zu ihm legte. Aber sagen konnte er nichts mehr.
Kei strich ihm die Haare aus dem Gesicht und blieb bei Akira auf der
Bettkante sitzen.
Als der Kleinere tief schlief, stand er auf und ging nach draußen.
Sein Blick fiel auf die Ursache des Übels. Sein Geburtstagsgeschenk.
Er wollte Akira hassen, konnte es aber nicht. Er schob das Motorrad
ein Stückchen weiter in den Hof und nahm es genauer unter die Lupe.
Die nächsten Stunden verbrachte er damit, Ersatzteile für die
fehlenden zu besorgen und zu versuchen die Maschine wieder zum Laufen
zu kriegen. Gegen Mittag und ein paar Straftaten später war er damit
fertig.
Das Brummen weckte Akira schließlich
auf. Mit einem Ruck, den er kurz darauf bereute, setzte er sich auf.
Er rutschte vom Bett, stolperte über seine Schuhe zum Waschbecken,
das luxuriös in einer Zimmerecke angebracht war, hielt seinen Kopf
hinein und ließ kaltes Wasser darüberlaufen. Danach gurgelte er mit
Zahnpasta und putzte sich rabiat die Zähne. Dann brauchten noch
seine Fußsohlen eine gründliche Wäsche, und als er sich Socken und
Schuhe angezogen hatte, ging er den Geräuschen im Hof nach. Ihm
schwindelte noch etwas, also lehnte er sich an die Wand neben der
Tür, nachdem er auf die Veranda gegangen war, um Kei zuzusehen. Der
bemerkte ihn erst gar nicht. Er saß neben seinem geputzten und mit
neuen Teilen ausgestatten Motorrad und begutachtete sein Werk. Neben
ihm lagen einige Teile herum, die er gefunden hatte. Werkzeug, eine
Pistole, ein Eimer mit Putzzeug. Kei hatte sich zum Arbeiten
umgezogen. Er trug nur eine Trainingshose und ein Tanktop.
In Akiras Hose regte sich etwas und
er verfluchte sich gleich dafür. Das war nicht der richtige Moment.
Schmierig von Schweiß und Öl, in engem Hemd ohne Ärmel, mit einer
Knarre neben sich auf dem Boden konzentriert an einem Motorrad
schraub- Nein, nein, nein!
Akira wischte sich hart über die Augen und fuhr sich mit den Fingern
durch die nassen Haare. Immerhin schien das Geschenk zu gefallen.
Wenigstens die eine Sache hatte er also richtig gemacht.
Irgendwann wurde Kei mit seiner
Schrauberei fertig und machte sich ans Aufräumen. Zufrieden
betrachtete er kurz, was er vollbracht hatte und brachte das Zeug
wieder dahin, wo er es gefunden hatte. Außer der Knarre, die hatte
er geklaut, also war es jetzt seine. Er steckte sie ein und ging in
Richtung Tür um sie zu seinen Sachen zu legen. Erst da erblickte er
Akira.
„Hey, geht's dir besser?“ fragte er. Von seinem Gesicht war nicht
sehr viel zu sehen, weil er völlig ölverdreckt war. Akira nickte
und lächelte mit einer Mischung aus Reue, Dankbarkeit und etwas
dreckigerem, das mit dem Ziehen in seiner Hose zu tun hatte.
„Dir auch?“
Kei nickte leicht. Er bedankte sich
für das Motorrad und blieb vor Akira stehen. Die Pistole ließ er in
seiner Hosentasche verschwinden.
Akira konnte nicht direkt ‚Gern
geschehen‘ sagen, nach letzter Nacht. Also nickte er nur verlegen
und widerstand dem Drang, sich auf Kei zu stürzen. Das wäre jetzt
nicht angemessen gewesen. Darum musste er sich von dem Anblick
losreißen, und das tat er auch, mit Blick auf den Boden und wieder
einer Hand in seinen Haaren.
Kei brachte die Waffe weg und
stellte danach das Motorrad wieder ans Haus, damit es nicht nass
würde, wenn es regnen sollte. Anschließend ging er an Akira vorbei,
legte sich wie er war aufs Bett und wollte nichts sehnlicher als eine
Weile zu schlafen. Akira ließ ihn das tun und überlegte, was sie
als nächstes tun sollten. Nun hatten sie zwei fahrbare Untersätze
und konnten endlich verschwinden. Wenn Kei ihn Fahren lernen ließ.
Dieses Zimmer war noch für mindestens eine Woche bezahlt, also
brauchten sie sich nicht einmal zu verabschieden, sie konnten einfach
losfahren.
Während Kei schlief, ging Akira los, um die restlichen Dollars gegen
gute Lebensmittel einzutauschen. Oder einen Kanister Benzin. Was ihn
gerade anlachen und sich als nützlich erweisen würde. Also
spazierte er mit hochgestellter Kapuze in einen zentraleren Teil des
Stadtteils hinunter.
Etwa drei Stunden später war er um den gesamten Rest seiner
US-Dollar ärmer und einen Kanister Benzin sowie irgendein scheinbar
mexikanisches Reisgericht reicher und schloss die Zimmertür hinter
sich. Die dünne Tüte, aus der der würzige Duft des angeblich
wirklich scharfen Essens drang, stellte er leise raschelnd auf den
kleinen Schrank neben dem Kopfende des Bettes. Kei schlief die ganze
Zeit und wurde erst wieder wach, als Akira den Raum betrat.
„Mhmm,“ murmelte er und drehte sich noch einmal um, als der
Geruch von Essen in seine Nase drang. Akira musste lächeln und half
ein bisschen nach, indem er den Plastikteller auspackte und dabei
noch ein wenig raschelte. Das rundete er mit dem Zischen einer
Limodose ab, die er zu guter Letzt öffnete. Langsam setzte Kei sich
auf und rieb sich über die Augen. Das änderte nicht viel. Seine
Hände sahen genauso schwarz verschmiert aus wie sein Gesicht.
Verschlafen sah er Akira an und dann das Essen und die Limodose, dann
wieder Akira. Der ließ sich im Schneidersitz auf das Bett nieder und
reichte Kei mit sanftem Lächeln die Getränkedose, der sie mit
ähnlichem Gesichtausdruck an sich nahm, einen Schluck trank und sie
dem Kleineren zurückgab. Sein letztes richtiges Menschengetränk war
schon eine ganze Weile her, wenn man harten Alkohol nicht zählte.
Irgendwie hatte sich ein Teil von
Akiras Hirn vorgestellt, wie Kei die Brause wie in einem alten
Colawerbespot an sich hinunter- Nein, nein! Falscher
Moment. Nicht jetzt. Er begnügte
sich damit, selbst einen Schluck davon zu trinken und zwang sich, Kei
nicht weiter anzusehen.
„Bäh, was ist das?!“ Es war so süß, dass es fast dickflüssig
war.
„Irgendwas sehr süßes.“ Kei
lächelte leicht. „Ich kann kein Spanisch. Limo oder sowas,“
schlug er vor. Er mochte das Zeug.
„Ja, aber...“ Akira stellte die Dose neben dem
Reis-und-Bohnen-Teller ab und sah sie noch kurz an, ehe er sich
abrupt umdrehte und Kei beim öligen Hals griff.
„Aber?“ wollte Kei wissen, der auf dem Bett saß und ein bisschen
in Richtung Akira fiel, als der ihn packte. Akira küsste ihn. Ein
bisschen zu verzweifelt. Kei stützte sich auf einem Arm ab, um nicht
ganz auf der Matratze zu landen und erwiderte den Kuss, nicht lange,
weil er ein wenig zu verdreht dasaß. Akira ließ ihn auch bald los.
„Wir sind uns wohl einig, dass
mein neuer Name nicht zu mir passt,“ murmelte er heiser. Er spielte
auf seinen neuen Pass an, den Masahiro ihm beschafft hatte.
Angel Everett Wallace. Angel. For fuck's sake.
„Definitiv nicht,“ stimmte Kei zu und sortierte seine Beine so,
dass es nicht mehr unbequem war.
„Deiner passt aber zu dir, Kageyama-san. Kaito.“ Akira rutschte
etwas dichter heran und küsste ihn wieder. Nicht so gierig diesmal,
sondern langsam und genüsslich. Kei erwiderte den Kuss. Wer auch
immer jemals sein Kind mit nun Akiras Namen gestraft hatte, musste
wirklich schlechte Laune gehabt haben. Er war froh darüber, dass er
selbst es mit seiner neuen Identität gut getroffen hatte.
Akira ließ ihn wieder gehen, ehe er nicht mehr an sich halten
konnte, und nahm schnell den Teller vom Nachttisch. Kei schaute ihm
zu und sah auf das Essen.
„Was ist das?“ Der Geruch des Tellers war ihm völlig neu.
„Weiß ich nicht genau. Ich habe nur verstanden, dass es
mexikanisch und scharf sein soll. Und wie ich sehe, besteht es aus
Reis, Bohnen, und bestimmt sehr leckerer Pampe. Man isst es mit den
Händen.“ Vermutete er. Mit drei Fingern nahm er etwas davon und aß
es. Es war wirklich scharf. Und lecker. Und scharf. Er lächelte
zufrieden. Es war kein Frischfleisch, es beinhaltete nicht einmal
Fleisch, aber es befriedigte eine Art nostalgisches Bedürfnis nach
Seelenfrieden. Kei war menschliches Essen nie gewohnt gewesen und
betrachtete es als eine Art Zwischendurchzeug zum Naschen. Er nahm
sich ebenfalls etwas davon, nachdem er sich die Hände gewaschen
hatte und probierte es einfach.
„Scharf und lecker,“ beschloss er.
„Ungefähr so wie du.“ Akira schmunzelte.
„Sicher, dass du mich meinst?“ Kei schmunzelte ebenfalls.
Akira tat kurz so, als würde er nachdenken und nickte dann. „Ja.
Obwohl, warte mal, lecker... jaa, doch.“
Dass das auch auf Akira zutreffend war, sprach Kei jetzt nicht laut
aus. Der Kleinere wusste das sicher. Vielleicht.
Gemächlich aß der Junge weiter und genoss dabei das wilde Stechen
in seinem Mund. Zwischendurch sah er Kei an.
„Läuft sie jetzt?“
Kei genehmigte sich ab und zu ein bisschen von Akiras Essen. „Ja.
Ich mache nachher ‘ne Probefahrt.“
„Echt schnell. Darf ich mit dem anderen Rad fahren? Wenn ich das
kann, können wir hier abhauen.“ Kei überlegte kurz.
„Ich wollte das eigentlich loswerden, aber wir können es auch
einfach umlackieren...“ Er machte eine kurze Pause. „Zum Üben
ist das aber gut... es macht nichts, wenn‘s ein bisschen
kaputtgeht.“ Und Motorräder gab es hier genug. Man musste sie nur
finden.
Motorradfahren war leicht! Und Kei schien ein guter Lehrer zu sein.
Akira war begeistert. Das ständige laute Brummen und Rattern des
kleinen, klapprigen Motors machte ihm fast gar nichts aus, soviel
Spaß machte das Fahren. Rutschend und Staub aufwirbelnd – aber mit
Absicht – hielt er auf dem Hof an.
„Also, meinetwegen können wir sofort verduften. Nachdem ich
gegessen habe.“
Kei war erstaunt, wie schnell Akira mit dem kleinen Motorrad
zurechtkam. „Dann pack schon mal dein Zeug zusammen, wir fahren
nachts,“ verkündete Kei und stellte sein eigenes Motorrad ab. Es
fuhr sich wirklich gut. Akira stellte die Maschine ab und ging zur
Hintertür zu ihrem Mietzimmer. Ein prüfender Blick in den Himmel
sagte ihm, dass es noch später Nachmittag war. In der offenen Tür
hielt er inne und drehte sich noch einmal um.
„Keisuke.“
Kei war ihm nachgegangen und blieb bei ihm stehen. „Ja?“
„Willst du mich irgendwas fragen?“ Akiras freudige Energie von
vorhin war weg, dafür klang er nun eher schüchtern und zögerlich.
Kei dachte kurz nach.
„Ja... Was ist da wirklich gewesen?“ Seine Stimme war ruhig. Er
war sich nicht sehr sicher, ob er das wirklich wissen wollte.
Akira ließ einen vorbereitenden Atemstoß heraus und blickte zu Kei
auf. Innerlich kam er sich verdammt mutig vor, aber den Türknauf
musste er trotzdem weiter festhalten. Wie genau wollte Kei das nun
wissen? Chronologische Details? Nur seine Motivation und wer hatte
wie welches Angebot gemacht? Ob er geschluckt hatte, ob Bobby ihn
zusätzlich noch angegrabscht hatte?
Er zögerte mit seiner Antwort.
Kei wartete geduldig. Akira sah ihn immer noch direkt an.
„Ich bin zu ihm gegangen, um zu fragen, ob er Arbeit für mich hat.
Er sagte bloß, dass das Geschäft sowieso schlecht wäre und darum
nichts zu tun wäre. Aber ich könne ihm Gesellschaft leisten, wenn
ich Zeit hätte. Und er war wirklich freundlich. Gar nicht anzüglich
oder so. Er fand mein Englisch gut, und er glaubt ja, dass ich auch
Amerikaner bin.“ Er pausierte kurz, um Keis Gesicht zu studieren.
Sein Gesichtsausdruck veränderte sich nicht. Er wartete immer noch
geduldig darauf, dass Akira die Geschichte beenden würde.
„Wir haben uns erst nur unterhalten, während er irgendwas
gearbeitet hat. Er hat unter einem Auto gelegen und ich habe Bier
getrunken und ihm Dinge angereicht. Das funktionierte nicht so gut.
Ich kann einen Schraubenschlüssel von einem Schraubenzieher
unterscheiden, aber das wars dann auch... egal, er hat jedenfalls
viel erzählt, so von den schlechten alten Tagen und so. Und dann hat
er irgendwann angefangen zu weinen.“ Akira schüttelte den Kopf.
„Ach, egal. Nach ein paar Stunden hatten wir seine halbe
Lebensgeschichte durch und... dann hat er mich ganz vorsichtig
gefragt.“ Er untersuchte wieder Keis Gesicht – das sich immer
noch nicht veränderte. Kei wusste nicht, warum, aber er musste die
Geschichte zuende hören.
„Vorher hatte ich schon das Motorrad gesehen. Davon hatte er
zwischendurch geschwärmt. Ich hatte gesagt, dass es genau das
richtige wäre. Also hat ers mir... dafür... angeboten. Das Geld hat
er hinterher draufgelegt.“
Kei nickte. Dass du so eine Scheiße baust... nur um mir eine
Freude zu machen...
„Ich habe mir nichts weiter dabei gedacht,“ gab Akira zu. „Ich
wusste natürlich, dass du nicht in Begeisterung ausbrichst, aber ich
dachte einfach, dass dus nachvollziehen kannst... so als mechanische
Dienstleistung für etwas, das wir wirklich brauchen.“ Er sah zu
Boden, auf Keis Stiefel, und sprach leise weiter. „Ich weiß, dass
ich dir... ich weiß, dass du... ich dachte...“ Er gab auf. Er war
bei den Gedanken Ich weiß, dass ich dir gehöre und Ich
weiß, dass du besitzergreifend bist schon rot geworden. Sie
auszusprechen wäre zu peinlich.
Kei schluckte den Impuls hinunter, den Türrahmen zu zerschlagen und
nahm stattdessen Akira in den Arm. Er wusste nichts zu sagen, was
nicht völlig bescheuert klang oder etwas war, das sein Freund schon
wusste. Also ließ er es einfach bleiben.
Überrascht erwiderte Akira die Umarmung.
„Es tut mir Leid. Anscheinend kenne ich die Spielregeln noch
nicht,“ murmelte er gedämpft an Keis Schulter, dessen Geruch ihm
nun etwas zu Kopf stieg. Er brauchte bald wieder Fleisch.
„Die sind nicht schwer,“ sagte Kei leise und hielt ihn noch ein
Weilchen fest, ehe er ihn wieder losließ.
„Ach, kann ich das Handbuch dann haben, wenn dus schon auswendig
kannst?“ Akira war dankbar, einen kleinen Abstand zu Kei zu
gewinnen und stopfte seine Habseligkeiten in seinen Rucksack. Der
Vampir packte ebenfalls sein Zeug zusammen und zog sich seine Jacke
über. Die Waffe, die er geklaut hatte, hatte er einfach in seinen
Rucksack gesteckt. Er brauchte sie nicht dringend, aber sie zu haben
war praktisch.
Als sie damit fertig waren und ihre respektiven Taschen geschultert
hatten, drehte Akira sich noch einmal langsam im Raum.
„... Abendessen.“
„... Ist eine gute Idee.“ Kei verließ den Raum langsam. Draußen
schaute er sich um. „Unten in der Stadt, gleich wenn man die Straße
hier runterkommt, treffen sich oft Junkies.“
Akira ging mit ihm vorn hinaus und schloss von außen ab, ehe er um
das Haus herum in den Hof ging, wo die Motorräder standen. Kei
folgte ihm. „Was machen wir mit dem Schlüssel?“ fragte er. Man
konnte ihn behalten, aber ihn zu entsorgen, wäre vielleicht
sinnvoller. Akira lachte kurz.
„Wir geben ihn den Besitzern zurück.“
„Oh, okay.“ Das ging natürlich auch.
Auf dem Weg die Straße hinunter hielt Akira kurz vor der Nachbartür
an, um den Zimmerschlüssel darunter hindurchzuschieben, klopfte
seine Bauchtasche ab um zu schauen, ob die Straßenkarte noch
drinnensteckte und folgte dann Kei in Richtung Stadt.
Kei fuhr nicht allzu schnell, da Akria noch Anfänger auf seinem
Gefährt war und auf den Straßen immer irgendwer herumlief. Als sie
in der Stadt ankamen, stellte er das Motorrad vor einer Kneipe ab.
Akira stellte das kleine, das er liebevoll Gnome getauft
hatte, daneben, und zwar mit der Nase nach vorn, sodass er bei Bedarf
ohne zurückzusetzen türmen konnte. Die Sonnenbrille, die er bei der
Fahrt getragen hatte, hängte er in den Kragen des Pullovers.
Kei, der sich irgendwann in Lima auch noch eine Sonnenbrille gekauft
hatte, damit man seine Augenfarbe nicht sah, trug sie noch. Die Haare
fielen darüber, aber solange Kei noch etwas sah, war ihm das gekonnt
egal. Die Kugel unter seiner Lippe passte farblich zum Rest. Schwarz.
Die einzige Farbe an ihm war das Blau in seinen Haaren. Er stieg
neben Akira ab – er weigerte sich, dessen neuen Namen, den er bei
der Flucht bekommen hatte, zu akzeptieren – und betrat mit ihm
zusammen den Laden. Akira blieb dabei schräg hinter ihm und hatte
die Kapuze schön tief im Gesicht sitzen. Immerhin sah er nicht
gerade furchtbar erwachsen und volljährig aus und da half es, wenn
man sein Gesicht nicht gleich sah, und um ihn unter die Lupe zu
nehmen erstmal an Kei vorbeimusste. Doch weder er noch Kei wurden am
Eingang kontrolliert. Mit den Händen in der Bauchtasche des
Pullovers sah er sich nach Kandidaten zum Verspeisen um. Der Vampir
tat, als sei er öfter hier gewesen und steuerte die Bar an, um sich
und Akira etwas zu trinken zu holen. Akira schälte sich aus seinem
Fahrwasser, sobald er sah, wo er hinsteuerte, und schlenderte eine
lässige Volte zu einem leeren runden Tisch an einem hohen Fenster,
der von Saloonstühlen umstellt war. Er suchte sich einen Stuhl aus,
dessen Rückenlehne schräg zur Wand stand und lehnte sich darauf
zurück, um den Raum und die Menschen darin weiter zu betrachten. Kei
kam kurze Zeit später mit zwei Gläsern Whisky zurück und setzte
sich zu Akira. Der lehnte sich zu ihm.
„Es ist kaum jemand hier,“ flüsterte er.
„Warte eine Weile, die kommen noch. Es ist gerade einmal sieben
Uhr,“ meinte Kei dazu und sah sich um. Viele Gäste hatte das Lokal
nicht, aber der Vampir wusste, dass sich das noch ändern würde, der
Arbeitstag der Menschen hier ging gerade erst zuende. Akira nahm sein
Glas und hob es an, hielt dann aber inne, als ihm der Geruch in die
Nase stieg und ihm ein klein wenig flau wurde. Zögerlich stellte er
das Glas wieder vor sich ab.
„Immer noch übel?“ erkundigte sich Kei, während er ein paar
Leute beim Hereinkommen beobachtete, die sich in die Nähe der Bar
setzten.
„Ich habe Hunger,“ brummte Akira bloß. Sein Blick blieb auch an
den Männern haften. Sie schienen tatsächlich gerade eben zusammen
von der Arbeit gekommen zu sein und nun ihr Feierabendbier oder
Mescal oder was auch immer man hier so trank zu sich nehmen zu
wollen. Sie waren ungeeignet, denn es war Akira zuwider, ehrliche,
hart arbeitende Familienväter, Ehemänner, Brüder und Söhne, die
offensichtlich Kumpel hatten die sie mochten, wehzutun. Doch sie
bestanden aus viel gutem Fleisch. Sie trugen alle entweder kurze oder
hochgekrempelte Ärmel, sodass zumindest dort ihre recht beachtlichen
Muskeln sehr gut zu sehen waren. Akira konnte sehen, wie sich die
Stränge unter der glänzenden braunen Haut bewegten. Zwischen ihnen
lagen weichere Stellen, die sich senkten und wölbten... er bemerkte
nicht, wie er unter seiner Kapuze hervorstarrte, nur wie ihm das
Wasser im Mund zusammenlief.
Der kleinen Gruppe Kumpel folgten noch weitere Menschen. Es waren nur
wenige Frauen darunter, drei vielleicht. Kei, der seine Sonnenbrille
abgenommen und in den Kragen seines T-shirts gesteckt hatte, schaute
gelangweilt. Er war nicht so ausgehungert wie Akira und beobachtete
ihn und die anderen Menschen als ginge ihn das alles gar nichts an.
Trotzdem zog der hübsche junge Japaner mit den blauen Haaren mehr
Aufmerksamkeit auf sich als ihm lieb sein konnte. Er steckte sich
eine Zigarette an. Das Aufschnappen des Feuerzeugs lenkte Akira vom
Glotzen ab.
„Kann ich auch eine haben?“ Er musste seinen Mund beschäftigen,
sonst fing er noch an zu sabbern. Kei reichte ihm das Päckchen.
„Da.“
„Thanks.“ Vorsichtig, damit er dabei nicht zitterte, zündete er
sich eine an und gab das Päckchen und das Zippo zurück. Der
beißende Rauch half dabei, seinen Mund auszutrocknen. Dafür fing er
an, mit einem Bein zu wackeln. Er musste wie ein Crackjunkie
aussehen, solange man sein Gesicht nicht genauer betrachtete. Kei
nahm beides wieder an sich und steckte es in seine Jackentasche.
„Du musst was essen,“ sagte er leise und nahm einen Schluck aus
seinem Glas. Einer der Gäste klebte mit seinem Blick in der Richtung
in der er und Akira saßen. Akira begann zu nicken und senkte den
Blick, um sein Gesicht zu verbergen, als er den Mann zu ihnen schauen
sah.
„Den da?“
„Wen von uns starrt er die ganze Zeit an?“ Kei hatte nicht genau
hingesehen. Der Typ sah nicht aus wie einer, der einem geregelten
Leben nachging.
„Dich,“ behauptete Akira einfach. Er wusste es nicht, hielt das
aber für am wahrscheinlichsten. Nun genehmigte er sich doch einen
kleinen Schluck aus dem Glas, nur um es nicht so verdächtig lange
unberührt zu lassen. Es war süßer Bourbon, also eigentlich recht
erträglich.
Nun schaute Kei tatsächlich direkt hin und siehe da – der fremde
Typ sah ertappt weg. „Ich glaub, er ist schüchtern. Leichte
Beute.“ Der Vampir leerte sein Glas und schaute sich weiter um.
„Für dich.“ Akira lachte nervös. „Schwerenöter.“ Er
musterte den Typen. Kei schmunzelte ein bisschen.
„Übung ist alles.“
Akira lächelte ihn süffisant an. „Und worin besteht die genau, oh
mein Meister?“
Kei lachte ein bisschen. „Erzähl ich dir ein anderes Mal. Den
anzusprechen ist auf jeden Fall nicht schwierig, der ist ganz allein
da.“
„Dann los, zeig mir wies geht. Ich werde zusehen und lernen.“
Akira lehnte sich zurück und streckte die wackelnden Beine aus. Kei
schaute amüsiert drein.
„Muss ich dir jetzt wirklich dein Abendessen klarmachen?“ Wenn
Akiras Abendessen kein Englisch konnte, wäre Kei verloren, wobei er
gut in nonverbaler Kommunikation war. Akira schmunzelte nur, nahm mit
abgespreiztem kleinem Finger einen Schluck Whisky und stand dann
schwungvoll auf.
„Nein, mein Meister, ich werds selbst machen.“ Schon war er
abenteuerlustig auf dem Weg zu dem Mann am Tresen, der etwas für Kei
übrig zu haben schien, und zog sich dabei die große Kapuze von den
roten Locken herunter. Kei amüsierte sich und sah dem Kleineren
dabei zu, während er sein Glas leerte und so tat, als sei er
schrecklich abwesend.
„Hi. Do you speak English?“ fragte Akira den lederbejackten,
halbjungen braunen Mann mit einem offenen Lächeln. Das hatte er
nicht verlernt. Der Mann musterte ihn überrascht und schien sich
sortieren zu müssen, bevor er antworten konnte.
„... Yes.“
„Oh, good, that will make it so much easier,“ stöhnte Akira
erleichtert. „We saw you looking at my friend.“ Er gab einfachen
Vokabeln den Vorzug, damit die Verständigung schön effizient
ablief.
„... Sorry,“ sagte der Mann zögerlich. Er hielt sich an seinem
Glas fest, das etwas weißliches mit Obststücken enthielt. Das
schienen hier viele zu trinken. Akira winkte beschwichtigend ab und
lehnte sich neben den Mann an die Theke.
„Oh, it‘s okay, he doesn‘t mind. It‘s just... he‘s my
boyfriend, you know? We‘re... a couple.“ Er sprach offen und
jovial und in normaler Redelautstärke, sodass Kei ihn
höchstvermutlich sehr gut verstehen musste.
Und er verstand ihn tatsächlich sehr gut. Genau wie jeden anderen in
normaler Lautstärke sprechenden Gast. Die vielen Gespräche um sich
herum blendete er aus, so gut es ging, nur dem von Akira hörte er
wirklich zu. Er nippte an dem Glas, das eigentlich Akiras war und
schaute sich weiter um. Trotzdem behielt er den Kleineren immer im
Blick.
„Okay,“ sagte der Mann und lächelte etwas. Wahrscheinlich in
automatischer Entgegnung auf Akiras strahlendes Lächeln.
„Why were you looking at him?“
„Uh... he look... different. But is good, is nice.“ Akira
schmunzelte freundlich und das schien den Herrn in der braunen
Lederjacke etwas aufzulockern. „He look very cool. Is different,
not like other boys here. Is very cool.“ Er lächelte breit und
etwas verlegen.
Kei schmunzelte innerlich, während er den beiden zuhörte. Du
hast ein freundliches Abendessen...
„Yeah, I know.“ Akira musterte den Mann und fragte sich, wie er
nun weiter verfahren sollte. Wie machte Kei das? Ganz einfach, er war
ein Bewunderungsmagnet. Offensichtlich musste er sich nur in
irgendeine Kneipe setzen und schon klebten die Blicke an ihm, und
wenn er wollte, auch die Menschen. Er war wie Fliegenpapier. Dann
musste er sie nur noch mit in eine dunkle Ecke nehmen und fertig.
Akira war selbst nicht abstoßend, vielleicht gar gutaussehend, was
er nicht besonders beurteilen konnte, aber äußerlich eben fast noch
ein Kind. Und neben Keisuke Sakai wurde sowieso jeder unsichtbar.
Was also tun? Er rieb sich nachdenklich das Kinn und warf Kei einen
hilfesuchenden Blick zu. Der Mann trank derweil gemütlich von
seinem... Zeug. Kei hatte die beiden aus dem Augenwinkel beobachtet.
Der Blick seines Freundes blieb natürlich nicht unbemerkt. Nach
einer kurzen Weile schlenderte Kei zu seinem Freund und ließ sich
neben ihm nieder um sich noch einen Drink zu bestellen.
„Alles klar?“ Kei sprach Japanisch. Er mochte es, von niemandem
verstanden zu werden. Das war sehr praktisch. Akira sah zwischen ihm
und dem Mann hin und her, als würde er sie nonverbal einander
vorstellen. Sie hatten sich ja nicht einmal selbst vorgestellt. Der
Mann nickte und prostete Kei zu. Dabei musterte er ihn neugierig
weiter.
„Nein, ich weiß nicht, wie ich ihn hier rauskriegen soll.
Irgendwie glaube ich nicht, dass er Drogen verkauft oder sich von
‚Komm Baby, ich hol dir einen runter‘ beeindrucken lässt.“
Kei setzte ein freundliches Gesicht auf. „Nach draußen, ja?“ Er
bedachte Akira mit einem vielsagenden Blick. Er prostete zurück und
schaute den Mann an. „Kommst du mit raus, eine rauchen?“ fragte
er ihn in seinem Japanerenglisch.
„He asks if you would like to have a smoke with him, outside.“
Akira mimte eine Zigarette zwischen zwei Fingern. Der Mann sah von
ihm zurück zu Kei und lächelte.
„Yes, good!“ Er stand vom Barhocker auf und richtete seine Jacke.
Er schien sich ehrlich zu freuen und neugierig auf den seltsamen
Asiaten zu sein. Kei hatte seine Jacke gar nicht ausgezogen. Er
bedeutete Akira, auch mitzukommen, schließlich war das sein
Abendessen. Etwas peinlich berührt folgte Akira den beiden nach
draußen. Vor der Tür befingerte er schonmal vorsorglich das kleine
Jagdmesser, das von seinem Gürtel hing. Kei verteilte Kippen und
ließ sein Feuerzeug die Runde machen. Er lehnte an seinem Motorrad
und wartete ab. Der Rest war Akiras Job.
Was?! Hier vorne an der Straße?! Ich bin nicht so ein Verführer
wie du, Mann! Ich kann nicht mal eben zwinkern und – Scheiße.
Akira saugte gierig an der
Zigarette. Was hatte er für Optionen? Die billige Sexmasche hatte
bisher für ihn funktioniert, aber dieser Mann hier war nicht an ihm
interessiert, geschweige denn daran, mit ihm auf Tuchfühlung zu
gehen. Er guckte immer noch Kei an als wäre der ein schickes neues
Kunstwerk in der Galerie, und gewährte Akira nur ab und zu einen
kurzen Blick, um nicht unhöflich zu wirken.
„Do you know where I could get some...“ Akira wackelte etwas mit
den Fingern, um irgendwelche Drogen anzudeuten, wollte sich aber
nicht auf eine bestimmte festlegen. Erstens, um sich die
Möglichkeiten schön offen zu halten, sodass er auf einen direkten
Vorschlag des Mannes eingehen konnte, und zweitens, weil er sich mit
Drogen kaum auskannte und sich nicht gleich verraten wollte.
Kei kümmerte sich nicht im geringsten darum, was der Typ von ihm
denken mochte und wartete ab, was jetzt weiter passierte. Tatsächlich
konnte der Fremde anscheinend Akira aus seiner Misere mit den nicht
benötigten Drogen heraushelfen.
„Only ganja, good ganja,“ sagte
er mit einem entschuldigenden Achselzucken. „No chemical,“ fügte
er abwinkend hinzu. Tatsächlich wirkte Akira eher wie jemand der
Speed oder Pep oder etwas anderes weißes haben wollte als wie ein
Kiffer. Er wusste auch gar nicht, was ganja
war, doch er begann begeistert zu nicken.
„Just what I need. Come, let‘s go around the corner over there,“
schlug er vor und ging auf die nächste dunkle Nische zu. Tatsächlich
folgte der Mann ihm gemächlich. Ihre Barbekanntschaft schien nicht
so ganz zu glauben, dass Akira wirklich Gras haben wollte, ging aber
dennoch mit. Kei ging den beiden hinterher und stellte zufrieden
fest, dass weit und breit niemand zu sehen war, der sie stören
konnte.
„Du siehst eher nach Crack aus,“ kommentierte er grinsend. Ihre
Bekanntschaft war eindeutig zu nett... Kei zog an seiner Kippe.
„Und du nach Heroin. Don‘t
listen to him. Show me the stuff.“ Als sie im Schlagschatten des
Gebäudes angekommen waren, langte Akira unter sein Hemd, als wollte
er in seine Hosentasche greifen, und ließ die Zigarette im Mund
stecken, während er in Wahrheit das Messer zog. Just in dem Moment
hatte der Mann in seiner Jackeninnentasche gewühlt und nicht genau
hingesehen, weshalb er auch nicht mehr dazu kam, laut zu werden.
Innerhalb von wenigen Sekunden hatte Akiras kleines Messer ihm die
Kehle tief quer aufgeschlitzt.
Kei grinste.
„Well done.“ Er schaute dem Kleineren beim Morden zu und sah sich
ab und zu um, um zu sehen, ob ihnen jemand auf die Nerven gehen
wollte.
Geschmeidig drehte sich Akira ein
wenig, um dem sprühenden Blut aus dem Weg zu gehen. Ein paar Tropfen
landeten dennoch auf seiner Stirn. Kaum war der Mann verwirrt
torkelnd zu Boden gesunken, packte der Junge ihn bei der Stirn und
rammte seinen Kopf gegen die Hauswand. Das Messer kam nun wieder zum
Einsatz, indem er das T-shirt des Mannes vom Kragen bis zum Saum
aufriss und dabei gleichzeitig ein paar Zentimeter tief Brust und
Bauch öffnete. Fasziniert sah Kei ihm dabei zu. Zuletzt stieß Akira
das Messer noch tief in den Brustkorb, der saftig knackte und
knirschte, und hebelte ihn ein wenig auf. Sein Gesicht sah dabei ein
kleines bisschen angestrengt aus, aber hauptsächlich gierig und von
den Anblicken, die er selbst erzeugte, ziemlich hypnotisiert. Als er
ein brauchbares Loch in die Rippen des netten und nun sehr
blutgetränkten Peruaners gerissen hatte, eines das groß genug war,
griff er mit einer Hand hinein und rupfte seine Lungen heraus. Kei
sah zwischen seinem menschenzerfetzenden Freund und der Straße hin
und her. Ersteres war aber deutlich interessanter und so endete er
damit, ihm einfach nur gebannt zuzusehen. Das ganze Blut des jungen
Mannes auf dem Boden fesselte ihn zusätzlich. Jetzt ist er
interessant... dachte Kei bei
sich.
Erst gierig, und dann nach und nach genüsslicher, kaute und riss
Akira Fetzen aus der Lunge, die er weich und glänzend mit beiden
blutverschmierten Händen vor sich hielt. Auf seinen Fersen sitzend
kniete er aufrecht neben dem Mann, den er ausweidete, und kümmerte
sich nicht darum, was dabei auf seine schwarze Hose und seinen
Pullover, die beide eigentlich noch ganz neu waren, tropfte.
Zwischendurch seufzte er leise aber genussvoll. Sein Gesicht war
mittlerweise bis zu den Wangenknochen großzügig mit Blut
beschmiert. Sein Blick wanderte über das Organ in seinen Händen und
flackerte gelegentlich zur Leiche, als versuche er, sich für den
nächsten Gang zu entscheiden. Der Vampir ließ ihn machen und
betrachtete ihn weiter, leckte sich über die Lippen.
Als etwa ein Drittel eines
Lungenflügels weg war, ließ Akira das Organ einfach aus seinen
Händen rutschen und griff wieder in den zerstörten Brustkorb, bekam
trotz der Glitschigkeit einen Muskel zu fassen und säbelte ihn ab.
Er klatschte in den Schoß des Mannes und Akira hob ihn rasch auf, um
sich das kurze, breite Stück gleich ganz in den Mund zu stecken.
Fast ohne zu kauen schlang er so noch weitere Muskelfetzen hinunter,
den Blick wie in Trance auf die eingesaute Leiche und ihre
Bestandteile fixiert, bevor er ihr endlich das Herz herausriss.
Dieses sah er verliebt an, während er es langsam an seinen Mund hob,
um dann beinahe zärtlich hineinzubeißen und daran zu saugen. Kei
sah wie gebannt auf das Blut, das aus dem Herzen herunterlief und auf
Akira, der es aufaß.
Als das Herz halb aufgegessen war,
sah Akira zu ihm auf. Sein Blick war finster aber friedlich,
gleichzeitig verschwörerisch und lustvoll, und er lächelte dunkel,
während er langsam weiteraß. Kei erwiderte das Lächeln und
wartete, bis der Kleinere mit dem Essen fertig war.