„Wir haben Blättchen, große sogar. Aber keine Filter. Und Tabak
nur, wenn du eine Zigarette opferst.“ Akira begann, gelassen
rückwärts zum Haus zurückzuschlendern. „Und wenn du das tätest,
hätten wir auch einen Filter.“ Er zwinkerte.
„Das dürfte nicht allzu schwer sein.“ Kei schlenderte ihm nach.
In seinem Kopf meldete sich das Bedürfnis nach Tod und Blut.
War das alles, was nötig war, ein ‚Gespräch‘? überlegte
Akira auf dem Weg durch den Garten, den finsteren Flur und das ebenso
finstere Sofazimmer, wo er die Utensilien auf dem Boden
liegengelassen hatte. Wenn ich die nächste Panikattacke oder so
kriege, weiß ich also bescheid. Einfach den Wahnsinnigen belästigen.
Kei baute zwei Joints nachdem er sich auf das Sofa gesetzt hatte und
reichte einen seinem Freund. Akira hatte, so gut es ihm in der
Schwärze des Raumes möglich war, augenzusammenkneifend, beim Bauen
zugeschaut und nahm nun den Joint vorsichtig entgegen. Er tastete auf
dem Boden herum und fand das Feuerzeug, das er dem Peruaner
abgenommen hatte.
„Es war wirklich ein Glück, dass wir an der Grenze nicht
kontrolliert wurden. Ich hatte da ganz vergessen, dass ich das Zeug
in der Tasche hatte.“
„Der hätte uns nicht kontrolliert.“ Kei war fest davon
überzeugt, auch wenn er noch nicht wusste, weshalb. Er fingerte
sein Zippo aus der Tasche und zündete den Joint an.
Drogen. Das war sehr lange her. Zumindest die menschliche Art von
Drogenkonsum. Sie hatte ihm nicht viel an, die Effekte waren immer
schwach gewesen.
Akira röstete seinen erst ein bisschen in der Flamme des Feuerzeugs,
wie er es Leute auf dem Freakfest hatte tun sehen, bevor er ihn
anzündete und zog. Das Kitzeln in seinen Bronchien war gerade noch
erträglich, oder eher nicht, aber er schaffte es trotzdem, den
drohenden Hustenanfall zu unterdrücken und atmete den Rauch durch
die Nase wieder aus.
„Vermisst du etwas?“ Seine Stimme klang unterdrückt, weil er
noch gegen das Kratzen ankämpfte.
„Aus dem Leben?“
Ja... Das Leben selbst. Er wollte seinen Herzschlag zurück
und spüren was um ihn herum los war. Er hatte keinerlei
Empfindungen, wenn er tot war. Nur das dumpfe Verlangen nach Blut.
Akira winkte ein bisschen ab. „Aus Japan. Von zuhause.“ Er selbst
vermisste da so gut wie alles. Er vermisste sogar Dinge, die
überhaupt nicht passiert waren, wie die Hochzeit seiner Eltern, das
Wiedersehen mit seinem Vater und ganz viele Dinge, die er mit Kei
hatte machen wollen. Normale Dinge.
„Meine Gitarre.“ Mein ganzes Leben. „Leute, die meine
Sprache sprechen...“
Akira faltete seine Beine in den Schneidersitz und streckte seinen
Rücken. Der Rauch nagte nun nicht mehr so in ihm, sondern bedeckte
die Kapillaren eher mit einer angenehm weichen Schicht, die ihm auch
gleich zu Kopf stieg. Es war sehr angenehm.
„Wir sind in Chile. Hier gibt es Gitarren. Wir sind in Chile,
Mann. In Chile. Wir werden Straßenmusiker in
Santiago.“
Er hatte keine Ahnung, warum er jedes dritte Wort gesondert betonte,
aber nun, da er darüber nachdachte, wurde ihm bewusst, dass sie es
hiermit doch ganz gut getroffen hatten. Chile... echt gut
eigentlich.
„Wir sollten uns einen Platz zum Bleiben suchen. Dieser hier ist
nicht so besonders,“ erwähnte Kei beiläufig und zog an dem Joint,
der seine Wirkung bei ihm ziemlich verfehlte. Jetzt wusste er wieder,
aus welchem Grund er so selten Drogen nahm.
Kippen zählten nicht.
„Und eine Nagelschere...“ murmelte Akira, der ohne besonderen
Grund seine Hände inspiziert hatte. Nun zog er wieder beherzt an
seiner Tüte und wankte im Sitzen. „Es muss ein schönes
Haus sein, mit Säulen vorne dran und einem Pool!“
Kei gefiel der Gedanke eines Hauses mit Pool. Das wäre ein großes
Haus und am besten wohnten sie dort allein. Dann konnten sie
unbehelligt leben wie sie wollten. Kei lag relativ viel daran vor
niemandem Rechenschaft ablegen zu müssen. Akira verlangte das nicht
von ihm und das war sehr gut. Der Vampir schätzte das sehr. Das
Unterwegssein gefiel ihm auch. Aber das Schlafen auf Feldern und in
Bruchbuden lag ihm nicht besonders.
„Ein Pool wäre gut, ja,“ stimmte er seinem Freund zu. Da gab es
nur ein Problem. Hier würden sie für alles selbst aufkommen
müssen...
Wobei... Das war nicht wirklich ein Problem.
„Wo gehen wir dafür hin... Brasilien? ... Jamaicaaaa...“ Akira
legte sich auf den Boden, die Beine immer noch gekreuzt.
„Ist mir egal...“ Er amüsierte sich stumm über Akiras
berauschten Zustand. Jamaica... Vielleicht. Ihm war es egal, wohin es
ihn verschlug. Zeit hatte er genug. Das war eines der wenigen Dinge,
von denen er sich sicher war. „Wir können überall hingehen,“
fügte er noch hinzu und zog an seinem Joint.
„Aber zuerst...“ In Zeitlupe wedelte Akira mit seiner freien Hand
vor seinem Gesicht herum. „... nach Santiago... ich will nach
Santiago... Wusstest du, dass es in Argentinien eine Stadt namens El
Turbio gibt? Das ist so cool.“ Akiras Stimme und Aussprache klangen
so dunstig, wie er sich fühlte.
„Was ist da so besonders dran?“ Fragte Kei leise und lehnte sich
an das Sofa, vor dem er sich niedergelassen hatte. Er war nicht
besonders lang darauf sitzen geblieben. Der Vampir bevorzugte den
Boden als Sitzgelegenheit.
„Santiago ist die Hauptstadt.“
„Dann los. Fahren wir nach Santiago,“ schlug Kei vor und blies
Rauch nach oben. Hier wollte er nicht bleiben, es war als wären sie
auf der Flucht. Und der Vampir wollte nicht weglaufen, sondern
einfach hin, wo er wollte, nicht weil er musste.
„Jaa...“ Akira zog wieder und ließ dann den Arm wieder auf die
staubigen Dielen fallen. Der Joint fiel ihm aus den Fingern und
verbrannte etwas Staub, glomm aber nur ein paar Sekunden lang, ehe
irgendetwas die Glut erstickte.
„Wie fühlst du dich, wenn du tot bist?“ fragte Akira lächelnd
an die finstere Zimmerdecke.
„Tot.“ Keis Erklärung war keine, aber das traf es am besten.
Tot. Das war alles. Er rauchte den Joint auf und stand langsam auf.
Ihm machte das nichts aus, aber er wusste nicht, ob Akira überhaupt
fahren konnte. Schließlich kannte er sowas kaum. Der Vampir war fast
immer klar im Kopf. Es gab nicht viel, das seine Sinne benebeln
konnte. Blut und Akira. Das war alles.
„So leicht – wie ein Gespenst? Wie ein Fetzen Seide oder so...“
Akira wedelte wieder langsam mit einer Hand in der Luft, hin und her,
wie ein Stück Seegras unter Wasser, zum Illustrieren seiner
Beschreibung. „Ganz ruhig und gelassen, unberührbar. Und
friedlich.“ So hatte er sich gefühlt, am Anfang, wenn er tot war.
Er tat es immer noch. Tot sein bedeutete für ihn ein Zustand sehr
angenehmer Gleichgültigkeit.
„Gleichgültig, aber nicht wie auf Drogen oder so, sondern einfach
so, als ob alles egal ist.“ Alles außer Blut. Tot war für Kei
fast egal. Es war so, als lebte er noch, nur ohne jegliche
Gefühlsregung. Tot eben.
„Alles egal?“
„Ja.“ Kei schlenderte zum Fenster.
Akira reckte seinen Kopf ein bisschen und sah Kei zu. Nun sah er ihn
auf dem Kopf. „Bist du jetzt tot?“
Der Vampir ging im Raum umher. Am Fenster gab es nichts zu sehen, da
es verrammelt war. Das einzige, was es hereinließ waren kleine
Lichtstrahlen durch Spalten und Löcher in den Brettern. „Ja.“ Er
ging zu Akira und blieb neben ihm stehen. „Jetzt nicht mehr.“
Akira schmunzelte und lachte ein wenig. „Ich auch nicht. Wenn du
weit genug entfernt bist, fühlst du dann nichts mehr?“
„Fast nichts,“ erklärte Kei. Mordlust und Blutdurst waren da.
Aber die waren immer da.
Akira lächelte sanft zu ihm hinauf. „Fast nichts. Was fühlst du
dann?“
Konnte man das Gefühl nennen? „Da ist immer ein Durst nach Blut.“
Und Töten bereitete ihm auch tot Spaß.
„Ehrlich, das ist alles?“ Akira klang friedlich und amüsiert.
„Ja. Mehr ist da nicht mehr.“
Kei war ruhig und stand neben seinem Freund. Der studierte ihn genau,
und richtete sich ein wenig auf, um rückwärts über den Boden zu
krabbeln.
„Das heißt, wenn ich weit genug weg bin... so,“ sagte er, als er
mit der Schulter in ein paar Metern Entfernung am anderen Ende des
Raumes die Wand berührte. Er setzte sich auf und lehnte sich mit dem
nackten Rücken an die staubige, zerrissene Tapete. „Jetzt liebst
du mich nicht mehr,“ sagte er schlicht. Leise und friedlich.
Kei schaute leicht amüsiert und musterte seinen Freund gelassen. Da
war tatsächlich gar nichts mehr. Nur sein Körper, der langsam
abkühlte.
„Da ist gar nichts,“ sagte er ruhig.
Akiras Herz hatte die ganze Zeit in Zeitlupe weitergeschlagen, und
nun stolperte es ein paarmal über sich selbst. Sein Gesicht wurde
warm.
„Nichts? Nur Blut,“ flüsterte Akira. Diesmal klang er irgendwie
ergriffen. Seine Augen waren nun geweitet, wie vor Schreck.
Kei musterte ihn genau. Nickte einmal kurz, während er sein Zeug in
den Rucksack steckte, neben dem er sich niederließ.
Mit aufgestellten Beinen beobachtete Akira ihn und konnte in der
Dunkelheit natürlich nicht besonders viel erkennen. Auch, dass nun
Wasser aus seinen Augen lief, half dabei nicht. Er atmete, aber so
als ob er es möglichst leise zu tun versuchte.
Er hat schon Recht. Ich würde mich jetzt auch nicht mehr lieben.
Kei beschloss, Akira keine Drogen mehr zu geben und schaute ihn an.
„Du solltest kein Gras rauchen.“ Was geht in deinem Kopf vor?
„Warum nicht? Es ist schön.“ Bin ich so nicht erträglicher?
Was würde ich jetzt machen, wenn ich nicht high wäre? Ich würde
wahrscheinlich weglaufen und mich mit Absicht umbringen. Er
blinzelte ein paar Tränen weg, die sich angesammelt hatten und
daraufhin herausliefen um sein Kinn hinunterzutropfen.
Kei hatte keine Lust, jetzt mit Akira zu diskutieren. Er blickte
mittlerweile leer durch den Raum. Er begann mit dem Messer zu
spielen, das er in einer seiner Hosentaschen trug.
Als er es nicht mehr ertrug, Kei anzusehen, blickte Akira sich um und
fand einen großen, verbogenen Nagel und einen dicken Flaschenboden
aus Glas in Reichweite. Beides nahm er in die Hand. Auf dem Glas war
eine schmierige Staubschicht, und mit dem Nagel kratzte er ein Muster
hinein.
Der Vampir musterte mal Akira mit leeren Augen und mal sein Messer.
Er wollte hier weg. Dies war kein guter Ort.
„Kommst du mit? Ich will hier nicht bleiben,“ sagte er irgendwann
und stand wieder auf.
Akira war es egal, wo er sich befand. Er wollte bei Kei sein, aber
das schien nun kein guter Grund mehr zu sein. Er schüttelte den
Kopf.
Mach das nicht... Kei kommentierte das nur mit einem „Wenn
du meinst... Ich fahr jetzt.“
Fünf Minuten später war er unterwegs. Richtung Santiago.
Akira fragte sich stumpf, ob Kei nur einen Ausflug machte, um dem
Lagerkoller zu entkommen, oder ob er tatsächlich allein
weitergefahren war. Dass er seinen Rucksack mitgenommen hatte, ließ
das vermuten, und da Akira ihm offenbar egal war, schien der Gedanke
überhaupt nicht mehr abwegig zu sein.
Als Akira sich selbst satt hatte, vielleicht eine halbe Stunde oder
so später, und auch seine Beine wieder bewegen konnte, legte er sich
auf das Sofa und schlief ein.
GETRENNTE WEGE
Kei fuhr eine ganze Weile die Straße entlang und fragte sich, was er
eigentlich gerade getan hatte und vor allem warum. Er fuhr
stundenlang, bis er zum Tanken anhielt. Super Idee ohne Geld. Der
Tankwart endete tot in der Ecke und Kei leerte die Kasse. Dann ging
es weiter. Aber nicht lange, denn bei Taltal hielt ihn eine
Straßensperre auf.
Akira war durch den Rest der Nacht und den größeren Teil des
Morgens gekommen, ohne sich umzubringen. Er war zwar wieder ohne
Kontrolle über seinen Körper aufgewacht, aber es fiel ihm
überraschend leicht, ihn wieder in Besitz zu nehmen. Später
beschloss er, dass das an dem Gras liegen musste, denn sein Kopf
fühlte sich auch nach dem richtigen Aufwachen noch weich und pelzig
an.
Dass Kei nicht zurückgekommen war, ließ seinen Brustkorb etwas
zusammenschrumpeln und trieb ihm noch einmal Tränen in die Augen,
aber er war fest entschlossen, nicht zimperlich zu sein und nahm
diese Gelegenheit als Herausforderung wahr, selbstständiger zu
werden.
Im Morgengrauen hielt Kei an der Straßensperre.
Fuck... Einer der Beamten erzählte von einem Überfall auf
eine Tankstelle, soweit Kei ihn verstand, und dass sie einen
Motorradfahrer suchten, der kurz vor dem Überfall an der Tankstelle
gesichtet worden war. Kaito verneinte ihn zu kennen oder dort in der
Gegend gewesen zu sein. Einer der Beamten musterte den jungen Japaner
eindringlich.
„Es gibt nur eine Straße von hier bis zum Tatort,“ rief er ihm
ins Gedächtnis, woraufhin der Vampir ihn einfach nur ansah.
„Ich war nicht dort, Sir, und ich würde jetzt gern weiter...“
Drei... zwei... eins...
Kaito griff hinter sich. „Lass mich durch, Arschloch!“ Der
Polizist griff seine Waffe, doch bevor er diese berührte, hatte er
drei Kugeln in der Brust und der Vampir mindestens fünf bis
aufgehört wurde auf ihn zu schießen.
Die Polizisten lagen alle am Boden und er war wieder auf dem Weg. Und
jetzt suchen sie mich... Versucht's doch...
Während Akira am frühen Nachmittag vor einem Elektrogeschäft stand
und einen Burger aß, den er sich von gestohlenem Geld gekauft hatte,
vergaß er für eine Weile das Beißen und Kauen, während er auf
einen der Fernsehschirme starrte, der Nachrichten zeigte.
Er war wirklich weg. Er war schon auf halbem Weg nach Santiago. Und
Leichen pflastern seinen Weg, natürlich. Nach dem stummen
Wetterbericht drehte Akira sich weg und aß langsam zuende. Als er
wieder bei dem abbruchreifen Haus angekommen war, wusste er, was er
als nächstes zu tun hatte.
Kei nahm Nebenstraßen für seinen weiteren Weg, was sein Fortkommen
erheblich erschwerte, er begegnete mehr Menschen und ließ weitere
Leichen zurück, bis er irgendwann in Santiago ankam. Sein erster
Kontakt in der Stadt war ein Polizist. Was denn auch sonst. Wo
kommen die alle her? Kaito fragte ihn nach dem Weg zum nächsten
Motel und gab ihm einen Tipp, wo er nach dem Mörder suchen sollte.
Drogengang. Er hatte sie mit Pistolen und einem Motorrad ein Stück
die Straße rauf gesehen, die er gekommen war.
Ungefähr um die gleiche Zeit stand Akira von seinem Sitz auf, um
sich aus dem Fenster zu hängen und La Paz in der untergehenden Sonne
zu sehen, während der Zug darauf zufuhr. Die Grenzkontrolle hatte
kein Visum sehen wollen. Sein US-Pass hatte gereicht, und die
Tatsache, dass er eine Fahrkarte für die erste Klasse besaß. Oder
es war den Männern mit den Hunden einfach nur egal gewesen. Sie
hatten niemanden sehr genau kontrolliert, allerdings hatten in Akiras
Abteil zu dem Zeitpunkt auch nur noch drei andere Menschen gesessen.
Er hielt die Nase in den staubigen Wind, bis seine Locken zu einer
wilden Sturmfrisur geworden waren, und schloss dann das Fenster
wieder. Der dicke Mann im Anzug zwei Bänke weiter hatte sich
außerdem über den Lärm und den Luftzug beschwert.
Kaito hatte sich in einem kleinen Motel niedergelassen und verfolgte
die Nachrichten, die er nicht verstand. Da es Abend wurde, beschloss
er, sich die Stadt einmal anzusehen, in die er gefahren war. Er ging
einfach los und lief ziellos durch die Straßen.
Akira tat das gleiche in La Paz, nachdem er sich von seinem geborgten
Batzen ein Zimmer in einem mittelmäßigen Hotel besorgt hatte.
Auf einer Grünfläche, die vielleicht ein Park sein sollte, wagte er
es, im Licht einer hübschen Straßenlaterne, seine Geige auszupacken
und etwas zu spielen. Bereits vor der Abfahrt in einem Badehaus in
Arica hatte er sich die Fingernägel gestutzt, aber zum Spielen hatte
er noch keine Gelegenheit gehabt.
Während er so in allem versank, woran sich seine Finger von Albinoni
und Vivaldi erinnerten, warfen ihm ein paar Menschen Geld in den
offenstehenden Kasten.
Kei ging auf ein Rockkonzert, das er durch Zufall gefunden hatte und
schaffte es, den Gitarristen für einige Minuten um sein Instrument
zu erleichtern und spielte den Menschen ein bisschen Musik aus seiner
Heimat vor.
Akira spielte auch das Stück für Kei und kam irgendwann bei
Volksmusik aus seiner Kindheit an.
Als die zweite Nachthälfte längst angebrochen war und er aufhörte,
nahm er verwundert die Münzen und Scheine aus seinem Kasten. Er
hatte gehört, wie Münzen hineingeworfen worden waren, aber so
viele? Er wusste nicht, wieviel oder wie wenig diese Geldmenge wert
war. Es kam ihm nur viel vor. Auf einer Bank, die im Halblicht unter
einer weiteren Laterne stand, saß ein bärtiger Mann und rauchte
Zigarre. Er schien herüberzusehen und hob eine grüßende Hand.
Akira grüßte zurück, während er seinen Kasten schulterte. Ein
paar Bänke weiter lag jemand zwischen Zeitungspapier herum. Diesen
Mann steuerte Akira an.
Vorsichtig, um ihn nicht zu wecken, nahm Akira ein Blatt Zeitung von
ihm herunter, legte es auf den Boden, und schüttete langsam die
Münzen und Scheine der Passanten darauf. Dann wickelte er das Papier
zusammen und legte es neben den Kopf des Mannes auf die Sitzfläche.
Kei spielte in der Konzertpause einfach drauf los, während seine
Gedanken zu Akira schweiften.
Raus aus meinem Kopf... Los, verschwinde wieder...
Irgendwann spürte er sein Herz zu schlagen beginnen. Fuck...
Kaito ging irgendwann nach draußen und brachte ein Drogengeschäft
zum Platzen. Die Beteiligten schossen ihn zusammen. Der Vampir war
nur mit einem Messer bewaffnet und richtete ein Massaker an. Ein
großes. Blutiges. Er wollte gerade nicht leben.
Nach einem interessanten Gespräch mit dem Zigarrenmann begab Akira
sich in sein Hotel und legte sich dort mit hellem Zitronenbier, das
er in der Minibar gefunden hatte, erst in die Badewanne und dann auf
das Bett, und dachte nach.
In den Nachrichten – er verließ sich nicht nur auf den Fernseher
sondern fragte auch Leute, wie den bärtigen Zigarrenmann – hatte
er keine Hinweise auf Kei mehr gefunden.
Er kommt schon klar. Er kommt immer klar. Ich bin der, der nicht
allein zurechtkommt. Und das hat ihn vergrault. Also...
Als er doch irgendwann, als die Sonne längst wieder aufgegangen war,
eindöste, tat er das mit schmerzenden Gedanken an Kei.
Kei hatte sich die ganze Nacht um die Ohren geschlagen, bevor er sich
in das Motel zurückbegab und seine Zeit damit verbrachte, an die
Decke zu starren.
Wo bist du gerade?
Tatsächlich schlief Akira ein wenig, bis zum Mittag, um dann am
Nachmittag das zu tun, worüber der Zigarrenmann mit ihm gesprochen
hatte.
Nach einem langen Spaziergang durch Stadt – mit einigem Verlaufen
und kurzen Gesprächen mit Einheimischen, die sich auskannten –
fand Akira die Adresse. Es war ein großes, gläsernes Bürohochhaus,
wie es sie überall zu geben schien. Trotzdem war es voller Spuren
von Südamerika. Die Einrichtung, wie der Teppich auf den Fluren, war
bunt gemustert, es standen überall Planzen mit dicken, großen,
glänzenden Blättern und leuchtenden Blüten in Tontöpfen und
Körben, die mit sehr detaillierten Mustern bemalt waren, und die
Menschen, die hier unterwegs waren, waren alle irgendwie braun. Und
auf der Etage, in die er sich begab, sehr bunt und modisch und laut.
Kaito vertrieb sich die Zeit mit sinnlosem Zeug. Er hatte einfach
nichts zu tun. Am Nachmittag klopfte jemand. Die Polizei. Einer von
ihnen hielt ihm eine Waffe an den Kopf.
„Was wollt ihr?“ fragte er gelassen, woraufhin ihm erklärt
wurde, dass er festgenommen sei. Wegen Mordes. „Ihr könnt mich mal
-“ Kei wurde durchsiebt, als er den Beamten den Rücken zuwandte.
Er brach zusammen, nachdem ihn eine Kugel ihn in den Brustkorb
getroffen hatte.
Gleichzeitig stand Akira neben einem Klavier. Seine Violine hatte er
schon benutzt und auf einem Tisch abgelegt. Nun wollten sie noch
wissen, was er sonst noch konnte.
„... If you want to, I can save you,
I can take you away from here –
So lonely inside, so busy out there,
And all you wanted was somebody who cares...“
Es schien ganz gut zu laufen, aber er war trotzdem verdammt nervös.
Kei lieferte sich eine Schlägerei mit den Pseudobullen in der Tür,
bis er nicht mehr kämpfen konnte.
„Was... zum...?“ Seit wann bitte ballerte die Polizei ohne
Provokation so großzügig um sich?
... Als er wieder zu sich kam, lag er gefesselt auf dem Boden eines
großen, leeren Raumes.
Das waren nie im Leben Bullen gewesen...
aber wer dann?
Der Vampir befreite sich von den Fesseln und stellte dabei fest, dass
diese Leute ziemlich dumm waren. Das Klebeband war sehr einfach zu
lösen und sein Rucksack lag in der anderen Ecke des Raumes.
„Tzz, Idioten...“
Verdammt... Wo bist du?
Der Japaner sah sich um. Bald darauf fand er die Tür und verschwand
wieder. Eine einfache Verriegelung hatte ihm nichts entgegenzusetzen.
Die Frau mit den großen Ohrringen, die sehr gut Englisch sprach,
versicherte ihm, dass sie das mit den fehlenden Papieren schon regeln
würden. Das seien alles nur Formalitäten und der Manager würde
sich schon um all diese Dinge kümmern.
Angel E. Wallace unterschrieb an diesem Morgen also drei Verträge,
direkt nacheinander. Der eine war für einen Agenten. Der zweite für
die Anstellung und das Coaching. Der dritte sollte das Album, Werbung
und öffentliche Auftritte regeln.
Colin. Akira. Angel.
Diese Leute waren schon gestern beim Vorspielen und -singen von
seinem Namen begeistert gewesen und wussten schon genau, wie sie ihn
vermarkten würden.
Als Kaito nach draußen ging, stellte er fest, dass es Morgen war und
erstaunlicherweise keine Leute zum Bewachen da waren. Er ging mit
seinen Sachen auf dem Gelände herum.
Was waren das gestern für Typen...? Der Vampir wusste nicht,
wo er war. Den nächsten Passanten fand er erst nach einer guten
Stunde und was der ihm sagte, gefiel ihm gar nicht. Er befand sich
nicht mehr in Santiago.
„Angel Wallace. Yes.“ Akira nickte und ließ sich von der Frau
skeptisch begutachten, die ihn irgendwo abhakte oder notierte und
lauter Mist an einem Computer machte, bevor sie ihn durch das Haus
führte, einige Räume zeigte, und schließlich im Flur der ersten
Etage eine Tür öffnete.
„This is your room. We don't have many candidates now, so you don't
have to share. The second bed is only ever in use when we accommodate
groups, you know?“ Sie lächelte freundlich. „You have another
appointment at two, don't you?“ Akira nickte. Er sollte mit seinem
Agenten Mittag essen und dann Kleider kaufen und zu einem Frisör.
Kei erfuhr, dass er sich nahe der Grenze zu Bolivien befand. Er
schaffte es einige Zeit später, einen Wagen anzuhalten und ließ
sich mitnehmen. Egal wohin. Der Mann wollte wissen, warum Kaito ein
Schwert mit sich herumtrug und bekam die Antwort, dass es ein
Erbstück sei.
Akira bekam eine komplette Garderobe und eine Auffrischung seiner
tiefroten Haarfarbe geschenkt – oder vielmehr vorgeschossen, denn
letztendlich musste er ja mit seiner Arbeit dafür aufkommen – und
am Abend lernte er im Haus noch mehr Leute in ähnlicher Situation
wie seiner kennen.
Kei machte den Tag über eine kleine Reise, weil er nicht wusste, wo
er hinsollte. In die nächsten größere Stadt - er wusste nicht
mehr, wo er eigentlich war und es interessierte ihn auch nicht. Zu
Fuß erkundete er die Innenstadt. Am nächsten Musikladen hielt er
an, sah sich das Schaufenster an und dachte nach.
Akiras Nacht in seinem schicken Plattenfirmenzimmer war unruhig. Sie
begann schlaflos, und als irgendwann zwei Mädchen hereinkamen, wurde
sie zu einer Pyjamaparty. Glücklicherweise waren diese beiden jungen
Frauen als angehende Popstars genug von sich selbst eingenommen, dass
Akira nicht viel von sich preisgeben musste, da sie genug über sich
selbst redeten. Er hätte nicht gewusst, was er hätte sagen sollen.
Und nachdenken wollte er darüber auch nicht. Nachdenken führte in
Keis Richtung. Das führte zu Gefühlen, die er ignorieren musste.
Nur wenn er Geige spielte oder sang, konnte er sie für sich nutzen,
zu jeder anderen Zeit waren sie gefährlich.
Er ließ die Mädchen also reden, steuerte ab und zu einen Kommentar
bei und starrte ansonsten den fast vollen Mond vor seinem Fenster an.
Die Nacht verbrachte Kaito auf der Straße mit ein paar Jungs, die in
einer durchlöcherten Tonne ein Feuer gemacht hatten und spielte
Lieder auf der Gitarre von einem von ihnen. Er gab eine traurige
Ballade zum besten. Die Verständigung untereinander war schwierig,
denn keiner von ihnen sprach wirklich gutes Englisch.
Der nächste Tag sah für Akira Coaching von sechs Uhr morgens bis
sechs Uhr abends vor, sowie Spanischunterricht um halb acht abends.
Letzterer fand als einziges nicht auf diesem eingezäunten Grundstück
in diesem idyllisschen Stadtteil von La Paz statt, sondern in der
Innenstadt. Er fuhr selbstständig mit dem Bus dorthin.
Kaito blieb eine Weile bei den Straßenjungs und ging dann weiter. In
einer Bar erfuhr er, wo er gelandet war - in Bolivien, nahe der
Grenze zu Chile. Auch dort waren seine Polizeimorde in den Medien.
Man suchte nach ihm. Nur wusste keiner, wer er war und das war gut
so.
„Weißt du, wo man hier schlafen kann?“ erkundigte er sich beim
Barmenschen. Er sollte einen Typen namens Jack fragen, der hätte
sicher was und das tat Kaito auch, nachdem er den Mann in derselben
Kneipe gefunden hatte.
„Klar... hab ich einen Schlafplatz für dich. Wenn du mir
wenigstens deinen Namen verrätst?“ fragte Jack, nachdem er mit
Kaito vor die Tür gegangen war.
„Kageyama, Kaito.“
Die beiden unterhielten sich auf dem Heimweg eine Weile, über Geld
und Konditionen, und das eine oder andere an persönlicher
Information. Kei gab nicht viel von sich preis, fast nichts. Aber er
hatte einen Platz wo er vorerst bleiben konnte.
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