| Luis Vieira - Froreggae |
| Luis Vieira - Bahiáfrika |
In den folgenden Tagen bekamen die Medien ein reiches Angelbüffet,
im Zuge dessen ein kleines Hotel in der Innenstadt an den Rand des
Ruins gezogen wurde, nachdem zwei seiner Mitarbeiter wegen Mithilfe
zur Entführung und Menschenhandels verhaftet wurden.
Angel blieb abgeschirmt in einem nicht spezifizierten privaten
Krankenhaus, wurde aber ziemlich schnell wieder entlassen. Kei war
nur dort gewesen um sich die Kugeln aus dem Körper popeln zu lassen
und war dann verschwunden. Er kam allerdings oft bei Akira in der
Klinik vorbei, nachdem er herausgefunden hatte, wo er lag.
„Sie gucken nur noch, ob ich jetzt plötzlich süchtig bin oder
so,“ erklärte Akira Kei bei einem Besuch. „Aber es ist alles
sofort verheilt.“ Er zuckte mit den Schultern.
Kei hatte ihm schon offenbart, dass alle Menschen, die sich dort
befunden hatten, wohin er entführt worden war, tot waren. Er nahm
seinen Freund in den Arm. Einige von den Männern hatte er grausam
hingerichtet, aber Akira brauchte nicht jedes Detail zu wissen.
Langsam strichen Akiras Finger durch Keis Haare. Er war nicht bei
vollem Bewusstsein gewesen, als Kei dazugekommen war, aber er wusste,
dass Kei in seinem Blutrausch und seiner Geschwindigkeit einiges
entgangen sein musste. Er hielt sich selten mit Einzelheiten auf. Und
diese bewussten musste er Kei auch nicht erzählen.
Kei setzte sich aufs Bett. Inzwischen hatte er sich eine Wohnung
organisiert, weil er ja irgendwo schlafen musste.
Er hielt Akira leicht fest. „Wann kommst du hier raus?“
„Ich glaube, schon morgen. Ich weiß aber noch nicht, wo ich dann
hingehe. Ich soll nicht ins Wohnheim zurück.“
„Du kannst mit zu mir kommen. Ich hab ne Wohnung gefunden.“ sagte
Kei ruhig.
Die Medien waren dominiert von dem, was auf der alten Ranch passiert
war, und Keis Aktion mit den Medienmenschen vor dem Wohnheim. Und
allem, was sonst mit Angel und seinem mysteriösen Asiatenfreund zu
tun hatte.
„Ist die schön geheim?“ fragte Akira und seinem ernsten
Gesichtsausdruck nach zu urteilen, hatte er diese Formulierung mit
voller Absicht gewählt.
„Außer mir weiß keiner, dass ich da wohne.“ Kei musste seinen
Wohnort zwar melden, tat das aber unter falschem Namen. Sodass
wirklich keiner wusste, wo er wirklich wohnte. Allein schon all der
Polizisten wegen, die ihn gerne verknacken wollten.
Akira sah auf seine Knie, die unter dem schicken Krankenhauskittel
hervorschauten.
„Dann kann ich da bestimmt mit einziehen... solange sie auch geheim
bleibt.“
„Ich geb mir die größte Mühe, das geheim zu halten,“ sagte
Kei. Akira lächelte.
„Lass uns rausgehen.“ Er rutschte vom Bett und stieg in ein Paar
Plastiksandalen.
„Ja, draußen regnet es.“ Kei nahm Akira mit nach draußen, wo es
in Strömen regnete. Hinter dem großen Vordach über der Terrasse.
Darunter war es trocken. Die Terrasse war von Pflanzen mit riesigen
glänzenden Blättern und merkwürdig geformten roten Blüten
gesäumt. Ein paar bunte Vögel saßen auf einem dünnen Balken
direkt unter dem Dach und zuckten mit den Köpfen, wenn das Prasseln
zwischendurch zu laut wurde.
„Hast du dich inzwischen um deinen Kunden gekümmert?“ Akira zog
sein Haargummi heraus und band sich den Pferdeschwanz neu.
„Ja, das hatte ich erledigt, bevor ich wieder nach La Paz gekommen
war.“
„... Machst du denselben Job weiter?“
„Ja und nein. Anonym bleiben wollende Menschen zahlen sehr gut.“
Kei sah sich etwas um und betrachtete die bunten Vögel. Er wurde von
Akira gemustert, der mit verschränkten Armen dastand, obwohl er
nicht fror. Das war mehr etwas, das er tat, weil man das bei Regen so
machte.
VIEL SPÄTER
Akira lag bäuchlings auf dem fast waagerecht stehenden Stamm
irgendeines Baumes mit sehr großen, dicken Blättern, und las. Die
Nachmittagssonne brannte genau von links schräg durch die Blätter
und ließ die Buchseiten so leuchten, dass er seine Sonnenbrille
brauchte. Vor ihm, hinter dem schmalen Strand, lag der Atlantik. Das
abgegriffene Taschenbuch hatte er am Vormittag für ein paar Real auf
dem Markt erstanden von wo er auch seine neuen, gefälschten
schwarzen RayBans hatte. Kei lag im Wasser. Halb im Sand und halb im
Wasser in Boxershorts. Seine Kleider lagen unter dem Baum, auf dem
Akira wie ein dösender Jaguar lag.
Es war viel Zeit vergangen, seit sie in Brasilien angekommen waren,
aber dem Vampir kam sie vor wie ein paar Wochen. Er verdiente sich ab
und zu mal ein bisschen Geld dazu, mit allem, was so anfiel. In
Brasilien war das einfach. Aber er hinterließ keine Nummern oder
Namen. Auch seine Handynummer war eine neue, aber das Gerät benutzte
er kaum noch.
So semizufrieden mit dem Abschluss des vierten Kapitels blickte Akira
auf, sah Kei da herumliegen und sah sich nach weiteren
Strandbesuchern um. Diese Gegend war nicht mit Hotels, Restaurants
und asphaltierten Promenaden zugebaut, aber das lag nur daran, dass
die Grundstücke hier zum größten Teil Privatbesitz waren oder von
sehr edlen Resorts genutzt wurden, die mit der Naturbelassenheit
dieser Gegend warben. Dieser Strandabschnitt war einer, der zu einer
Ferienvilla gehörte, in der aber jedes Jahr nur wenige Wochen lang
jemand wohnte. Sie war dennoch ständig gut bewacht und
instandgehalten, nur der Strand war frei zugänglich.
In diesem Moment waren ein paar Spaziergänger unterwegs, denen man
an Haar- und Hautfarbe sowie ihrer Kleidung ansehen konnte, dass sie
Touristen waren. Kei drehte sich so, dass er die Leute sehen konnte,
die dort herumgingen. Es war ein schöner Strand, aber extra hierher
einen Ausflug machen? Er drehte sich noch ein Stück. Touristen.
„Wir haben Besuch,“ tat Kei kund.
„Hm,“ erwiderte Akira, „benimm dich.“ Er griff in eine
Seitentasche seiner Cargoshorts und kramte eine Erdnuss heraus,
ebenfalls vom Markt. „Dann gibt es ein Leckerchen.“
„Was soll ich mit ner Erdnuss?“ fragte Kei verdutzt und dachte an
eine blutige Mahlzeit.
„Ich weiß nicht, essen?“ schlug Akira vor und demonstrierte
ebendas. Er selbst hatte sich schon in der Nacht zuvor an einem
jungen Saisonarbeiter gütlich getan und hatte keinen besonderen
Appetit.
„Pff Erdnüsse. Die werden überbewertet.“ Kei wollte Blut und
keine Nüsse oder Hülsenfrüchte oder was auch immer Erdnüsse
waren. Obst. Egal. Aber er wusste auch, dass Touristen umlegen keine
besonders clevere Sache war, wenn man nicht entdeckt werden wollte.
Schmunzelnd stützte Akira das Kinn auf eine Faust.
„Du kannst dich bestimmt auch ohne Belohnung zurückhalten. Ich
glaube fest an dich.“ Er schnippte die Erdnussschalenhälften
irgendwohin. Es gab sicher noch nicht vermisst werdende Geschöpfe in
der Nähe - Nähe war ein dehnbarer Begriff, wenn man verdammt
schnell war.
„Können ja.“ Der Vampir schmunzelte im Wasser liegend.
Das schlendernde Paar war umgekehrt und flanierte wieder in die
Richtung, aus der es gekommen war. Lächelnd las Akira weiter. Kei
schälte sich aus dem kalten Wasser.
„Ich lass die Touris leben,“ sagte er als er die nassen
Boxershorts aus- und seine Hose anzog, gefolgt vom T-shirt und den
Schuhen. Akira atmete enttäuscht aus. Kei schaute zu ihm hoch.
„Was?“
„... Du musstest dich doch nicht gleich anziehen.“
Darauf begann Kei leicht zu grinsen. „Ich zieh mich nachher wieder
aus,“ versprach er.
Ein halbherziges Schulterzucken drückte gekonnt gelangweilte
Gleichgültigkeit aus, die Akira noch unterstrich, indem er wieder
ins Buch guckte. Dem Vampir entwich ein leises Lachen und er machte
sich auf in die Richtung aus der die Passanten gekommen waren.
Friedlich las Akira weiter.
Kei ging eine Weile durch die Gegend auf der Suche nach einer
Nachmittagsmahlzeit und blieb daher eine Weile verschwunden.
Solange es noch genug Licht gab - was noch einige Stunden lang der
Fall sein würde - blieb Akira auf seinem Baum liegen und las weiter
in seinem Mysteryroman. Wenn Kei nicht hierher zurückkäme, würde
er sich irgendwann nach Hause begeben.
Mit Zuhause war dieser Tage ein windschiefer Verschlag gemeint, den
sie vor einer Weile gemietet hatten. Eigentlich war der geräumige
Schuppen zum sicheren Unterstellen von Booten, Surfbrettern und
ähnlichem gedacht, doch was tatsächlich damit gemacht wurde, war
dem Eigentümer egal, solange das Ding stehenblieb und er sein Geld
bekam. Also wohnten sie darin. Eine Küche brauchten sie nicht, als
Badezimmer dienten ihnen Strandduschen, Eimer, das Meer und der Rest
der Landschaft, und zum Kleiderwaschen gab es im Ort einen
Waschsalon, der hauptsächlich von den Saisonarbeitern genutzt wurde.
Eigentlich brauchten sie auch diesen Verschlag nicht, jedenfalls
nicht für sich selbst. Sie brauchten im Grunde nur einen Ort, an dem
sie ihre Gitarre, Geige und Keis Waffen und Motorrad einschließen
konnten. Und natürlich gelegentlich Privatsphäre.
Als die Sonne unterzugehen begann, schob Akira sich die schwarze
Plastiksonnenbrille über die Stirn und betrachtete die Finsternis am
Horizont, die unter den wenigen, orange angestrahlten Wolken langsam
immer weiter am Himmel hochkroch.
Als die Sonne untergegangen war, kam Kei von seinem kleinen Ausflug
zurück. Langsam schlenderte er in Richtung Strand, leise. Man hörte
ihn selten, wenn er sich nicht absichtlich bemerkbar machte.
„Im Ort wird ein Fest gefeiert!“ rief er Akira zu.
„Was für eins?“ entgegnete Akira in normaler Redelautstärke. Er
vertraute darauf, dass der Vampir ihn hören konnte.
„Keine Ahnung. Ich kann kein Brasilianisch,“ sagte Kei im
Näherkommen und ließ sich unter dem Baum nieder. „Aber dort ist
Musik und es sind viele Menschen da.“
Akira benutzte das zugeklappte Taschenbuch als Kissen. Er lächelte.
„Willst du zurück?“
„Wir können es uns ja mal ansehen und dann entscheiden, ob wir da
bleiben oder woanders hingehen.“
Akira atmete laut aus und ließ eine Erdnuss auf Kei fallen.
„Überlass das Plänemachen mir.“
„Und wie sieht dein Plan aus, Meister des Planens?“ Der Vampir
fing die Erdnuss auf, nahm die Schale ab und steckte sich die Kerne
in den Mund.
„Wir gehen es uns ansehen.“
Mühselig richtete Akira sich auf und streckte sich. Stundenlang in
derselben Position auf einem harten Baumstamm zu liegen, war nicht
gerade eine Wohltat für die Muskeln. Er schob das Buch in die
Seitentasche seiner Hose, in der nicht die Erdnusstüte steckte und
guckte nach unten, um zu schauen, wo er landen konnte. Kei stand fast
direkt unter ihm und schaute nach oben, halb zu Akira und halb in den
Himmel darüber. Akira zog die Füße hoch und hockte sich auf den
Stamm, richtete sich langsam auf und balancierte dahin, wo es
schmaler wurde. Kei beobachtete das, in der ganz leisen Hoffnung,
dass jetzt was dummes passieren würde. So wollte es die
Schadenfreude, die unglaublich laut schreien konnte.
Über der nächsten freien Stelle hüpfte Akira hinunter in den Sand.
Auf dem Weg zu seinen Schuhen rempelte er Kei beinahe an, aber nur,
um mit der Hand auffällig unauffällig dessen Bauch streifen zu
können. Kei griff nach Akiras Handgelenk. Der blieb nach noch einem
weiteren Schritt stehen. Der Vampir ging den letzten Schritt zu ihm
und küsste ihn. Aber nur kurz.
Schmunzelnd erwiderte der Junge den Kuss, und mit einem leisen „Hm“
beschwerte er sich ein bisschen, als es vorbei war. Dann drehte er
sich um und hob mit einem Räuspern seine Schuhe auf. Kei stand
hinter ihm und wartete.
Mit den Turnschuhen per Schnürsenkel über die Schulter gehängt
ging Akira los. Der Vampir folgte ihm und sah sich dabei um. Er
konnte das Fest riechen. Rauch von den Feuern, all die Menschen und
Tiere. Und die Musik war leise zu vernehmen, lag der kleine Ort doch
nicht weit entfernt. Akira blickte während des sanften Stapfens vor
sich auf den Boden. Er ließ Kei aufholen und streckte nach ein paar
Minuten die ihm zugewandte Hand ein fast unmerkliches bisschen offen
aus. Ohne ihn anzusehen.
Kei nahm Akiras Hand in seine und ging neben ihm her, den schmalen
Weg entlang. Akira lächelte und errötete leicht. Was man in diesem
Halbdunkel auch mit Keis Augen bestimmt nicht deutlich sehen konnte,
wenn man nicht gerade darauf achtete. Wir halten Händchen... zum
ersten Mal.
Kei achtete nicht auf Akiras Gesicht, er schaute sich im Dunkel des
relativ unbeleuchteten Weges und des Grüns daneben um. Die Geräusche
des Festes wurden immer lauter. Als sie sich den ersten im Boden
steckenden Fackeln näherten, ließ Akira Keis Hand los, aber nicht
gern. Er wollte nur keine unnötige Aufmerksamkeit erregen.
Auf dem Gelände, das nicht so sonderlich groß aber auch nicht
wirklich klein war, tummelten sich viele Menschen und in einer Ecke
stand eine kleine Bühne auf der Livemusik gespielt wurde. Es wurden
Essen und Getränke verkauft, die Stimmung war ausgelassen und
fröhlich. Der Vampir sah sich um. Das schien ein lokales kleines
Fest zu sein. Alles war auf Brasilianisch und es gab nichts, aber
auch gar nichts, das er verstand.
Obwohl seine letzte vernünftige Mahlzeit noch nicht lang zurücklag,
führte Akiras Nase seinen Blick sofort zu einem der Stände mit
Bastdach, in dem unter bunten Glühlampen über offenem Feuer Fleisch
geröstet wurde. Ihm war nicht bewusst, dass er stehengeblieben war
und wie sehr er starrte, während ihm das Wasser im Mund
zusammenlief. Die vielen heißen, atmenden und schwitzenden Menschen,
die eine Menge nackter Haut zeigten, taten ihr Übriges dazu, seinen
Appetit zu wetzen.
Kei blieb in seiner Nähe, während er sich weiter umsah.
„Vielleicht kannst du dir‘n rohes Stück holen,“ schlug er vor.
„Wäre das nicht ein bisschen zu auffällig? Ich fülle besser nur
meinen Magen und betrinke mich. Dann... später... Willst du auch
was?“ Er zog seinen unordentlichen Pferdeschwanz fest.
„Auch ‘ne gute Idee.“ Kei teilte seinem Freund mit, dass er
gern etwas Alkohol hätte.
Sein Blick fiel aus dem Augenwinkel auf einen Asiaten, der einige
Meter entfernt herumstand und sich mit jemandem unterhielt.
Akira nickte.
„Ich bin gleich zurück.“ Er ergriff Keis Handgelenk.
„Wo willst du hin?“ fragte Kei etwas perplex und drehte sich zu
Akira um. Akira küsste ihn. Es war so gut, das einfach so,
wann auch immer und wo auch immer tun zu können!
„Alkohol holen,“ entgegnete er schmunzelnd.
Kei erwiderte den Kuss und grinste ein bisschen.
„Mach das.“ Kei behielt den Typen im Auge, der ihn und Akira
zwischendurch zu beobachten schien.
Schwungvoll drehte Akira sich zu dem Stand um, den er gerade gierig
begafft hatte, und schlenderte mit den Händen in den Hosentaschen
zwischen den stehenden und tanzenden Menschen hindurch.
Kei wartete auf ihn, wo er war und sah sich weiter ein wenig um.
Wenig später spazierte Akira mit zwei Tequila-Bier-Mischflaschen und
einem Pappteller mit einem außen fast verkohlten Batzen Fleisch
zurück.
„Der hat mich recht doof angeguckt, als ich nur das Fleisch haben
wollte.“
„Es soll Leute geben, die keine Beilagen mögen,“ entgegnete Kei
grinsend. „Der Typ da hinten beobachtet uns seit ‘ner Weile,“
sagte er leise. Akira gab ihm eine der Flaschen und nahm einen Zug
aus der anderen, während er um Kei herumlinste.
„Weil du auch Asiate bist? Und scharf?“ bot er an.
„Vielleicht, aber ich glaube er hat andere Gründe,“ mutmaßte
Kei. „Wenn er was will, soll er ankommen.“
Akira zuckte mit den Schultern und trug seinen Pappteller zum
nächstgelegenen Tisch, an dem ein paar Stühle frei waren. Der war
nur ein paar Schritte entfernt. Dort stellte er seinen Krempel ab und
setzte sich. Den unbenutzen Aschenbecher, den er daraufhin entdeckte,
schob er vor den ihm gegenüberstehenden freien Stuhl. Auf diesen
ließ sich Kei fallen und sah sich weiter um, während er sich eine
Kippe anzündete.
Vor der niedrigen Bühne standen keine Tische oder Bänke, doch der
Platz wurde gut ausgefüllt, indem dort viele Brasilianer und
Touristen tanzten. Das Paar, das vorhin am Strand spazierengegangen
war, war darunter. In der Band war ein stereotyp Jamaikanisch
aussehender Trommler. Akira betrachtete diese Ecke des Platzes,
nachdem er die krossen schwarzen Stellen von seiner Haxe abgepopelt
und zu essen begonnen hatte.
Kei rauchte gemütlich, spürte aber förmlich die Blicke von
mehreren Leuten an sich haften. Er sah Akira beim Essen zu und sich
selbst ab und zu um. Der Asiate beobachtete ihn immer noch.
Akira schienen die Blicke kein bisschen zu stören, obwohl er sie
wahrnahm. Er war ziemlich daran gewöhnt, seit er Angel gewesen war.
Sie brachten ihn bloß dazu, möglichst langsam und vorsichtig zu
essen, in kleinen Stückchen, gesittet, zivilisiert... und das fiel
ihm schwer.
Kei widmete sich der Betrachtung seines Freundes und dessen, was der
da gerade tat. Zivilisiert essen. Das hatte der Vampir lange nicht
mehr gesehen. Schmunzelnd zog er an seiner Zigarette. Das brachte ihm
einen strafenden Blick ein.
„Diva,“ grinste Kei und sah woanders hin.
„Hm. See if you get any tonight,“ gab Akira zurück und blickte
demonstrativ zurück zur Bühne.
Daraufhin grinste Kei etwas breiter und sah kurz zu dem Fremden, der
ihn immer noch ungeniert ansah und nicht zu wissen schien, was zu tun
war oder ob er überhaupt etwas tun sollte.
Etwas in Richtung der Bühne und der Tanzenden schien Akira zum
Lachen zu bringen.
„Kei, da.“ Mit seiner Tequila-Bierflasche deutete er auf eine
Frau, die offensichtlich sehr betrunken war und ihre Hinterseite
eifrig an einem Mann rubbelte, der sich dafür sehr zu schämen
schien und immer wieder versuchte, ihre Arme zu fassen zu bekommen um
ihr Einhalt zu gebieten.
Kei schaute auf und in ihm gedeutete Richtung... und begann zu
lachen. „Was zum-?“
„Was haben wir heute Spaß,“ kommentierte Akira die Szene, die
noch mehr amüsierte Zuschauer gefunden hatte. Der Mann lachte nun
peinlich berührt und die Frau lachte mit, obwohl sie offenbar nicht
genau wusste, was los war. Akira nahm einen großzügigen Schluck aus
seiner Flasche.
Der Asiate, der sie beobachtet hatte, legte den Kopf etwas schief und
runzelte leicht die Stirn.
Kei schaute ihn einmal direkt an.
„Der Typ da...“ Er deutete auf ihn. „... Ich komm gleich
wieder.“
Akira nickte und widmete sich wieder seinem Snack und der
Unterhaltung.
Der Asiate nahm zur Kenntnis, dass Kei ihn ausgemacht hatte und
entfernte sich gemächlich in das Zwielicht der Büsche und Bäume,
etwas abseits des Trampelpfades, auf dem Strandfackeln den Weg zum
Meer beleuchteten.
Kei folgte ihm dahin.
„Was willst du?“
Der junge Mann in lässigen Bermudas und Hawaiihemd hatte die Hände
in den Hosentaschen und musterte Kei ruhig.
„Ich gar nichts. Aber ihr seid vielleicht ein bisschen zu
auffällig.“
„Und deshalb starrst du die ganze Zeit? Is klar, was willst du?!“
Kei war kein Meister der Geduld, im Gegenteil. Schon jetzt sah er den
Mann alles andere als freundlich an, musternd.
„Wie gesagt, ich will gar nichts von euch.“ Beschwichtigend hob
er ein bisschen die Arme. „Ich habe euch jetzt zum ersten Mal
gesehen und schon weiß ich viel zu viel über euch. Du bist Keisuke
Sakai und der blonde Junge ist Colin Hammerer.“
„Gratulation, du Genie.“ Kei verschränkte die Arme vor der
Brust. Ihn zu erkennen war keine große Kunst, wenn man ihn kannte.
„Woher weißt du das?“ Er dachte unweigerlich an die Drahtzieher
hinter seiner und Akiras Entführung.
„Ihr seid berühmt.“ Der Mann schmunzelte etwas und zuckte die
Schultern. „Für Informationen über dich gibt es ein beachtliches
Taschengeld, scheinbar hat deine Familie Sehnsucht nach dir. Ich habe
kein Interesse daran,“ fügte er schnell hinzu, „Ich bin gerade
selbst dabei, die Füße stillzuhalten. Aber du solltest dich
vielleicht nicht bei deinem echten Namen nennen lassen. Wenn ihr euch
schon schon nicht trennen könnt - der Japaner mit dem Europäer, das
ist wirklich ziemlich auffällig...“
„Ich fühle mich geehrt,“ sagte Kei mit ausladender Geste auf das
Kopfgeld bezogen und fügte hinzu, dass er keine Familie mehr habe.
„Falls du die Leute wieder treffen solltest, die Geld für meinen
Kopf wollen, dann sag ihnen, ich fühle mich geehrt und sie können
mich mal.“
Der Mann lachte. Kei guckte immer noch genervt.
Der Japaner zog eine silberne Schachtel aus einer Hosentasche und
nahm einen Zigarillo heraus.
„Sie wollen dich unversehrt, wenn ich mir das richtig gemerkt habe.
Darum habe ich von ‚Sehnsucht‘ gesprochen,“ erklärte er,
während er sich den Zigarillo anzündete. Dabei wanderte sein Blick
hinüber zu dem befackelten Weg, wo drei junge Frauen gibbelnd an
ihnen vorbeigingen.
„Unversehrt? Beim letzten Familientreffen haben sie mich
umgebracht...“ Kei grinste, es war kein fröhliches Grinsen,
sondern eins, das Ungläubigkeit signalisierte. „Weshalb bist du
hier?“
„Na, offensichtlich hat das nicht funktioniert. Ich bin aus dem
gleichen Grund hier wie du. Unentdeckt bleiben. Das klappt aber wohl
nicht so ganz. Ich sollte meinen Standort wechseln.“ Er blies Rauch
in die Luft.
„Vielleicht solltest du das. Du bist übrigens auch nicht wirklich
unauffällig, wenn du alle Leute so anstarrst, von denen du schon mal
gehört hast...“
Der Mann schmunzelte amüsiert.
„Du bist wirklich hitzköpfig. Nicht alle, von denen ich mal gehört
habe, haben ihre eigenen Väter ermordet und sind dann von der
Bildfläche verschwunden. Ich werd‘ dann mal.“ Er hob eine Hand
zum Gruß und begann, zum Weg zurückzuschlendern.
„Oh, ich war ihm was schuldig,“ sagte Kei dazu, als wäre er Kira
ein Mittagessen schuldig gewesen. „Man sieht sich.“ Immer
zweimal im Leben.
Der junge Mann ging gemächlich zum Strand und folgte - zumindest für
Kei offensichtlich - den drei betrunkenen Frauen.
Ich und auffällig? Die drei wird sicher jemand vermissen...
Kei ging zu Akira zurück.
Der befand sich mittlerweile inmitten der tanzenden Menschen, wo er
mit seiner Flasche herumstand und fröhlich zur Musik nickte. Der
Vampir umarmte ihn von hinten und küsste ihn. Grinsend drehte Akira
sich in seinen Armen um und erwiderte den Kuss vernünftig.
Kei erhielt den eine ganze Weile aufrecht, bis Akira schließlich den
Kopf zurückzog und sich wieder etwas drehte, damit er noch einen
Schluck trinken konnte.
„Der Typ kennt uns, wir werden gesucht.“
„Bwah,“ sagte Akira weise, als er fast wieder ausspuckte, was er
gerade im Mund hatte. „Der Asiate?“
„Ja.“
„Wo ist er? Ist er allein?“ Akira sah sich um.
„Er ist drei betrunkenen Frauen in diese Richtung -“ er deutete
in eben jene - „nachgelaufen.“
„Äh... gut, dann... können wir ja vielleicht unbeobachtet
verduften.“
Das wunderte Kei etwas. Damit hatte er nicht gerechnet. „Wo willst
du hingehen?“
Akira stellte die leere Flasche auf den Tisch hinter sich.
„Na, weg. Hier können wir doch jetzt nicht mehr bleiben.“
„Lass uns nach Europa gehen. Irgendwann in der nächsten Zeit,“
warf Kei in den Raum, der keiner war.
Nun superernst und stirnrunzelnd ging Akira los.
„Gut, aber wie? Ich weiß nicht, ob unsere Visa das zulassen.“
„Falls nicht, kommen wir da schon irgendwie hin. Ausreisen können
wir.“
„Das kann man immer. Aber an Häfen und Flughäfen lassen sie nicht
jeden einreisen.“ Akira knirschte mit den Zähnen. Er war
immer noch hungrig. Wenigstens waren sie jetzt allein und nicht mehr
inmitten von appetitlichen Menschenkörpern.
„Um uns festzuhalten, müssen sie uns aber erstmal fangen, und ohne
Visum einzureisen ist vielleicht sogar sinnvoller, weil man dann
nicht weiß, wo wir gerade sind.“
„Dann musst du mir das mit der übermenschlichen
Vampirgeschwindigkeit mal beibringen,“ schloss Akira schmunzelnd.
In der Nähe ihres kleinen Bootsschuppens schien außer ihnen niemand
zu sein. Aus seiner Hosentasche pulte er den Schlüssel für das
Vorhängeschloss.
„Ich denke nicht, dass wir die wirklich brauchen,“ mutmaßte Kei.
Wie ein Irrer durch den Flughafen zu rennen würde nur im Notfall
wirklich Sinn machen.
Nachdem er das Schloss in der Hütte an einen Nagel in der Tür
gehängt hatte, schob Akira einen Riegel vor und betrachtete mit
ruhigem, leicht bedauerndem Blick den Raum, in dem außer etwas
abgedecktem Gerümpel nur eine Matratze und eine Hängematte mit
Decken, ein kleiner Kühlschrank und ihre Rucksäcke, das Schwert und
ihre Instrumente herumstanden, -lagen und -hingen. Und hier und da
ein T-shirt und eine leere Bierflasche. Er sah zu Kei und seufzte.
„Schade,“ sagte er leise.
„Ja,“ entgegnete Kei, der die Zeit hier wirklich genossen hatte.
Er befürchtete, diese Freiheit aufgeben und zurück in ein
geordnetes Leben kehren zu müssen. Sofern es das für ihn jemals
gegeben hatte.
Er wollte das nicht. Weiterfahren war schon in Ordnung, aber es
sollte so wie jetzt bleiben.
„Müssen wir uns beeilen?“ fragte Akira nach einem weiteren
Rundumblick.
„Nein, ich denke nicht. Er wird uns kaum hinterherlaufen.“ Dessen
war sich Kei sicher. Trotzdem wollte er nicht zu viel Zeit
verschwenden.
„Aber er weiß, wer und wo wir sind,“ sagte Akira ruhig. Er ging
zur Hängematte und schaltete das kleine Taschenradio ein, das von
einer der Kordeln herunterhing.
„Er hat aber auch gesagt, dass er selber gerade untergetaucht ist
und kein Interesse an dem Kopfgeld hat, das man auf uns ausgesetzt
hat.“ Und Kei glaubte ihm das sogar.
Akira nicht. Das machte sein Schmunzeln offensichtlich.
„Kein Interesse am Kopfgeld, uh huh.“
„Vorausgesetzt, er ist wirklich in einer Lage wie wir, dann kann
man ihm glauben,“ sagte Kei ruhig. Sollte dem nicht so sein...
tja... dann hatten sie ein Problem.
Akira schien sich trotzdem nicht sonderlich zu sorgen. Er trat die
zerknüllte Decke zur Seite und ließ sich im Schneidersitz auf die
Matratze fallen, um sich nach kurzem Suchen eine Zigarette aus Keis
Schachtel irgendwo zwischen einer Socke und dem Geigenkasten zu
nehmen. Kei packte erst sein Zeug zusammen, ehe er sich daneben
setzte.
„Wie lange waren wir jetzt hier?“
Akira zuckte mit den Schultern und reichte die Zigarette weiter.
Nachdem sein erster Vertrag bei der Plattenfirma in Bolivien
ausgelaufen war, hatte er einen neuen abgelehnt. Er hatte den Job
geliebt und die Berühmtheit hatte ihm auch gefallen, doch sie hatte
bald gefährlich weit über die Landesgrenzen hinausgereicht.
Außerdem war Kei nach ein paar Monaten des anonymen Festsitzens in
La Paz etwas nervös geworden. Also hatten sie sich nach Osten
aufgemacht und die letzten Monate in Brasilien verbracht.
„Es war jedenfalls gut.“ Plötzlich blickte er auf. „Hey, wo
liegt Jamaika?“
Kei nahm sie an sich und zog einmal daran, ehe er sie zurückgab.
„Ostküste der USA meine ich.“
„Da lässt sich bestimmt leicht einreisen,“ hoffte Akira. Er
hatte eine ziemlich romantisierte Vorstellung von dem Land und war im
Laufe des letzten Jahres auf den Geschmack von Sonne, Gras und
lässiger Musik gekommen.
„Lass es uns versuchen.“
Akira grinste ihn an.
„Müsste einfach sein. Allerdings ist das Land nicht so groß.“
Kei grinste. „Den Flughafen auseinadernehmen und dann untertauchen
dürfte also schwer werden.“
Akira lachte.
„Und wenn wir mit einem Boot fahren...“ schlug er vor,
„Vielleicht können wir... irgendwie trampen oder so. Es gibt
bestimmt viele Bonzen, die mit ihren Privatyachten hier unterwegs
sind.“
„Ja, aber wie kommen wir an Bord?“
Akiras nachdenklicher Blick blieb an Keis Ellenbogen hängen.
„Wir... verdingen uns als Matrosen.“ Das meinte er nicht ganz
ernst. Er kannte sich mit Seefahrt kein bisschen aus und jeder, der
zwei Gestalten wie sie ohne Visa, ohne Arbeitserlaubnis und ohne
Fragen zu stellen anstellen würde, konnte selbst nicht ganz legal
unterwegs sein. Aber das musste ja nicht schrecklich sein. Illegale
Geschäfte mit Jamaika mussten nicht gleich mit Heroin und
Menschenhandel zu tun haben. Und außerdem gab es nun nicht mehr
viel, vor dem sie Angst haben mussten.
Während er Keis Arme betrachtete, brannte die Kippe zwischen seinen
Fingern unbeachtet herunter.
Kei grinste. „Wir werden Piraten!“
„Uh huh.“ Akira grinste. „Au.“ Er ließ den glimmenden
Stummel fallen. Kei lachte ein bisschen.
„Das kommt davon, wenn man starrt.“
„Ich habe nicht gestarrt.“ Akira hob den rauchenden Filter auf
und warf ihn in den Plastikbecher, der ihnen zuletzt als Aschenbecher
gedient hatte.
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