BOLIVIEN
Ostern war nah. Das wurde hier mächtig gefeiert. Akira wurde nun
richtig bewusst, wie katholisch hier alles war. Das kam seiner
Vermarktungsstrategie sehr entgegen. In den Wochen vor Ostern war er
im Frühstücksfernsehen, Gedenkfeiersendungen und für öffentliche
Veranstaltungen gebucht. Allein sein Name mit dem Kunstimage, das die
Firma ihm gebastelt hatte, war so gute Werbung, dass sein Agent trotz
Überarbeitung kaum aus dem Grinsen herauskam.
Am Montag wurde eine Veranstaltung aus einer Kirche live übertragen.
Es war keine Messe, sondern nur eine Musikveranstaltung, aber in
seiner Rolle und zu dieser Jahreszeit wurde natürlich etwas ganz
bestimmtes von ihm als ‚Angel‘ erwartet.
Also stand er da in einem Aufzug wie der Kleine Lord Fountleroy vor
dem Altar, spielte Bach und sang Madre Deus.
Kaito bekam ein paar dieser Sendungen mit. Auch wenn er nichts
verstand, wusste er jetzt, wo sein Freund steckte. Nicht weit weg.
Der Vampir verbrachte viel Zeit mit seiner neu erstandenen Gitarre.
Sein Geld verdiente er mit dem was er konnte: Mit Auftragsmorden und
anderen krummen Dingen.
‚Angels‘ CD kam pünktlich zum Ostergeschäft in die Läden,
einen Tag nachdem eines der Stücke darauf zum ersten Mal als
Musikvideo gezeigt wurde. Angeblich war das meiste von ihm selbst
komponiert und geschrieben, was laut skeptischer Moderatoren erst
einmal genau in Erfahrung gebracht werden müsse. In den Tagen um das
Erscheinungsdatum herum wurde der blasse Nordamerikaner, der von
seinem Studio wohl auf ‚Interview mit einem Vampir‘ getrimmt
worden war, von Interview zu Interview geschubst und wurde dabei
durch seine abwesende, nachdenkliche Stimmung unbeabsichtigt dem
Image gerecht, das sein Agent und die Plattenfirma von ihm wollten.
Kaito und Jack kamen gut miteinander aus und lebten mehr oder weniger
als WG in Jacks Wohnung.
Der Mann, der ein paar Jahre älter war als Kaito, hatte ihm eine CD
des neuen Musikers mitgebracht, nachdem er gesehen hatte, wie der
Japaner reagierte, wenn der rothaarige Junge im TV zu sehen war, und
sie ihm zu Ostern geschenkt.
Der Titel (Everything) stellte sich als das Stück heraus, das
Akira für Kei komponiert hatte, allerdings mit orchestraler
Begleitung. Für Kei war es recht leicht herauszuhören, welche
Stücke und Texte von Akira stammten, ohne das im Booklet
nachzulesen. Auf der CD befand sich auch das Video für eine
industrialzermixte Version von Hijo de la Luna, von Akira in
seinem pseudobarocken Spitzenfrack in malerischen Herrenhausruinen
gesungen und mit E-Geige begleitet, in der aus irgendeinem Grund ein
ziemlich gutaussehender Asiate streckenweise im Hintergrund zu sehen
war.
Kei hatte sich mit der CD in sein Bett verkrochen und hörte sie rauf
und runter. Sie war so voller Erinnerungen. Kei spürte sein Herz
einsetzen.
Verdammt...
Akiras neue Freunde im Firmenhaus waren mittlerweile rege
ausgewechselt worden. Es waren immer noch größtenteils die gleichen
Mitbewohner da, nur diejenigen die ihn mit offenen Armen empfangen
hatten, und die, die sich nicht für ihn interessiert hatten, hatten
ihre Rollen getauscht. Seine Bezugspersonen unter den Mitbewohnern
waren nun eine Folksängerin, die sehr sanft und ernst und eigentlich
der reinste Hippie war und sich für bedrohte Regenwaldbewohner
einsetzen wollte, und zwei Mitglieder einer Boyband, die sich gerade
fieberhaft auf ihr Debüt vorbereiteten.
Sein Zimmer im Haus war irgendwann ohne sein Wissen, Zutun oder seine
Zustimmung umdekoriert worden. Er hatte gewusst, dass ein Fernsehteam
angekündigt war, aber nicht, dass dafür seine ganze Einrichtung
ausgewechselt werden musste.
Die Veränderung überraschte ihn zwar, gefiel ihm aber
ausgezeichnet. Sie passte nicht nur zu seinem künstlichen Image,
sondern besonders zu seiner Stimmung der letzten Monate. Und zu
seiner Identität, die er schlicht auf ‚untot‘ festgelegt hatte.
Er sah sich selbst als eine Art Gespenst, einen intelligenten Zombie,
und hatte grimmiges Vergnügen daran, diese Rolle gutbezahlt
auszuspielen.
Nach dem hervorragenden Ostergeschäft, während ein paar seiner
Stücke und das Video rauf- und runtergespielt wurden, nahm er also
die Fernsehleute in Empfang und verkaufte sich einen Tag lang – was
auf etwa zwanzig Minuten zusammengeschnitten werden würde – der
Öffentlichkeit ‚ganz privat‘. Tatsächlich musste er keinem
Skript folgen sondern durfte sich den Tag freinehmen und machen was
er wollte. Er sprach kaum und die einzige Anweisung, die er an diesem
Tag bekam, war die, doch mal zu lächeln, aber das matte
Halbschmunzeln, das dabei herauskam, dauerte nicht lang und dann war
es der Aufnahmeleiter auch zufrieden. Sie hatten genug Einstellungen
mit schwarzem Himmelbett, Vollmondhintergrund und so weiter und so
weiter.
Kei ging gerade seiner Arbeit nach, die ihn nach La Paz verschlagen
hatte, wo er einen Firmenleiter umlegen sollte, der einem
Drogenkartell wohl ein Dorn im Auge war. Er erwischte den Mann unweit
des Hochhauses von dem er nicht wusste, dass es Akiras Plattenfirma
beherbergte. Der Mann endete mit einer Kugel im Kopf im Hinterhof des
Gebäudes.
Nach getaner Arbeit ging er in einer Bar um die Ecke etwas trinken.
Die Pistole hatte er einfach in seine Hose gesteckt.
Die Bar war voller Hipster und Yuppies, die entweder blöde gackerten
oder sich über Geschäfte unterhielten. Zu der letzteren Kategorie
gehörten eine hübsche Frau mit großen bunten Ohrringen und ein
Mann im Anzug, die Martinis vor sich stehen hatten und sich mit
ernsten Gesichtern angeregt über ‚Angel‘ und ‚Emile‘
unterhielten.
Kaito belauschte die Unterhaltung kurz und näherte sich den beiden
schließlich, um zu fragen, ob der Engel von dem sie sprachen rote
Haare hatte.
Sie unterbrachen ihr Planungsgespräch, als sie gewahr wurden, dass
sie angesprochen worden waren, und musterten den jungen Asiaten
beinahe misstrauisch. Die Presse wurde hier ferngehalten, aber Fans
liefen hier manchmal auf. Meistens wurden ihre Hoffnungen jedoch
enttäuscht, denn selbst wenn die Künstler die Zeit und Lust hatten
abends noch einen draufzumachen, taten sie das kaum in den
Schickimickibars dieses Hochhausviertels. Hier waren hauptsächlich
Manager, Banker und Anwälte anzutreffen. Umso mehr fiel dieser junge
Ausländer hier auf.
Der Mann war neugierig und lächelte den Japaner erwartungsvoll an.
„Yes.“
„Could you give him a message?“
„Sure,“ sagte der Mann. Die Frau nippte an ihrem Getränk.
Kei holte sich von einer Kellnerin Stift und Zettel und schrieb eine
Nachricht auf Japanisch.
‚Hab dein Album bekommen - Ich war am Leben.‘ Er übergab das
Blatt dem Mann. „Thank you.“
Der blickte auf die Schrift und lüpfte seine Augenbrauen etwas. Er
konnte kein Japanisch, wusste aber, dass Angel – er blickte zu Kei
auf, um ihn erneut zu mustern.
Kei musterte zurück. „What's wrong?“ Er wusste den Mann nicht
einzuordnen. Der Mann lächelte ein wenig erstaunt, so als ob er
gerade eine fantastische Erkenntnis gehabt hätte, und schien sich
Keis Aussehen genau einzuprägen.
„Have you met him?“ fragte er interessiert, während er sich die
Nachricht in die Innentasche seines Jacketts steckte.
„Yeah. A while ago.“
„May I ask your name?“
„Kageyama, Kaito. But Kei to him,“ sagte er leise.
Der Agent sah ihn noch etwas an, und sagte dann ruhig: „He'll get
the message.“
„Thanks. Could you ask him to call me if he wants to? I have to go
now.“
Der Mann nickte und lächelte mit so etwas wie Begeisterung im
Gesicht. Kei verschwand mit leichter Verbeugung wieder aus der Bar,
in die Dunkelheit, und machte sich auf den Heimweg.
Als er Akira am nächsten Morgen im Auto die Nachricht gab und der
sie las, konnte der Agent sehen, wie der Junge gleichzeitig
versteinerte und unter Strom zu stehen schien. Er sah wie ein
zitterndes Hologramm aus, das jeden Moment entweder in Tränen oder
Wut, oder vielleicht beidem ausbrechen konnte. Nur ein Lächeln, auf
das er insgeheim gehofft hatte, schien weiterhin unmöglich zu sein.
Wenigstens musste er keine Sorge um die bevorstehende Aufzeichnung
der Latenightshow haben. Angel war immer professionell gewesen.
Akira ging tatsächlich das Herz auf. Es begann zu schlagen und er
wusste nicht, ob er weinen oder schreien sollte.
Schließlich brachte er es fertig, den Kopf zu drehen und seinen
Agenten anzusehen.
„He said his name was Kage... something Kaito. Kei to you,“ sagte
sein Agent hilfreich.
I know. Akira starrte ihn nur weiter an.
„He said you could call him anytime.“
„I don't even have his number.“
„So you do know him?“
„Yes.“ And I don't care if he felt alive listening to my
music.
Kei ging weiter seinem nicht so ganz legalen Leben nach, das aus
Leute töten bestand. Gegen Mittag saß er mit Jack beim Frühstück
- sein eigenes bestand aus Zigaretten - und unterhielt sich mit ihm.
Dabei erzählte er, dass er gestern eine interessante Begegnung
gehabt habe, erläuterte das aber nicht groß weiter, nur, dass es um
seinen Freund ging, mit dem er von Japan aus nach Südamerika
gekommen war.
Für seinen Auftritt bei ‚Emile @ Night‘ ließ es sich
tatsächlich einrichten, andere Lieder zu spielen. Es hatten
eigentlich eines seiner eigenen von der CD und ein neues eigenes sein
sollen - um das nächste Album anzukündigen. Als Exemplar von seinem
Debütalbum durfte er stattdessen nun (Everything) spielen und
als zweites Fading Like A Flower von Roxette covern. Die
Liveband war einverstanden und es fanden sich sogar Hintergrundsänger
dafür.
Der Agent redete ihm nicht rein. Angel stellte sonst nie Ansprüche
und er war schließlich nicht doof - diese Sendung würde heute abend
bis über die Landesgrenzen hinaus ausgestrahlt werden und Angel
guckte immer wieder auf diesen Zettel von dem Japaner. Er dachte sich
dabei etwas.
Kei hockte nach der Arbeit mit Jack vor dem Fernseher und ließ ihn
durch die Sender zappen, bis er an einer Latenight Show hängenblieb.
„Dein Schwarm, Kaito,“ verkündete er dem Japaner, der auf den
Bildschirm schaute, nichts verstand, aber Akira irgendwann sah und
die Sendung weiterverfolgte.
Angel verbeugte sich brav. Nicht überkandidelt wie ein Schauspieler
auf der Bühne, sondern wie ein Asiate bei einer höflichen
Begrüßung.
Dann spielte er als erstes Keis Stück. Da das nicht ursprünglich
geplant gewesen war, spielte er es ohne Begleitung und nur mit der
akustischen Geige. Er war sehr ruhig und ernst dabei. Aber das war
normal, so gab er sich immer. Erst als danach das nächste Stück
begann, mit einem klavierigen Keyboard und dann einer E-Gitarre der
Liveband, schien Angel nervös zu werden. Oder wütend. Jedenfalls
wirklich emotional.
Tatsächlich liefen sein Blut und seine Hormone Amok. Am Ende fand
der Regisseur aber alles gut und es wurde nicht noch einmal
aufgenommen. Wie er so ernst und rauh teilweise in das Mikrofon
geschrien hatte, hatte ihm beinahe selbst Angst gemacht.
„... I ran a long, long way from home
to find a heart that's made of stone
...
Everytime I see you, oh I try to hide away
but when we meet it seems I can't let go
...
Tell me why
when I scream there's no reply
when I reach out there's nothing to find
when I sleep, I break down and cry
Cry
...“
Und so weiter und so emotional und so schämte Akira sich gegen Ende
beinahe.
Kei saß ruhig und reglos vor dem Fernseher und hörte stumm zu.
Solange bis sein Körper anfing sich zu regen. Sein Herzschlag wurde
schneller.
... Do that again...
Kei hatte den Kopf auf die Knie gelegt und einfach zugesehen.
Bei der abschließenden Verbeugung wirkte Angel etwas desorientiert.
Das war dem Hormonrausch geschuldet, der ihm in den letzten drei
Minuten die Kontrolle entrissen hatte. Als er nach der Werbepause
aber neben Emiles Schreibtisch auf dem Sessel saß, war er wieder
blass und gefasst wie immer. Er wurde nach seiner spontanen
Planänderung gefragt und antwortete nach einer kleinen
Übersetzungsverzögerung auf Englisch, dass es sich um eine
persönliche Nachricht gehandelt habe, da er nicht wusste, wie er die
betreffende Person sonst erreichen konnte. Emile gab sich
übererstaunt und bot Angel an, seine Nachricht doch direkt in die
Kamera zu sprechen. Das warf eine Welle der Schüchternheit in Akiras
Gesicht, dennoch zog er Keis Zettel aus der Tasche seiner bestickten
Jacke, die ihn wie die Gothicversion von Prinz August dem
sonstwievielten aussehen ließ, und hielt ihn zwischen Zeige- und
Mittelfinger zusammengeklappt hoch, während er fest in die aktive
Kamera sah.
„Das hier ist mir egal,“ sagte er kühl auf Japanisch. „Ich
will etwas anderes hören.“
Kei sah auf, als er die persönliche Nachricht auf Japanisch hörte,
die seinen Mitbewohner stutzen ließ, weil er nichts verstand.
Er konnte sich denken, was das war.
Emile und das Publikum waren beinahe außer sich. Niemand hatte
gewusst, dass Angel Japanisch sprach. Auf die Frage hin, was er denn
gesagt habe, lächelte Angel zum ersten Mal öffentlich und erinnerte
Emile daran, dass es sich um eine persönliche Nachricht handelte.
Das sagte er allerdings auf Spanisch, mit einem sehr knöcherigen
Akzent, der ein paar weibliche Stimmen im Publikum jubeln ließ.
Angel blieb nicht lang in der Sendung. Er machte nur noch auf
Englisch Werbung für seine CD, kündigte das neue Album für den
Sommer an, sowie ein Konzert am folgenden Wochenende, bei dem er mit
weiteren Künstlern seiner Plattenfirma auftreten würde.
Jack merkte an, dass Kaito am Wochenende etwas vorhaben sollte und
fügte hinzu, dass es kein Arbeitsauftrag war. Kaito gab ein
zustimmendes Geräusch von sich.
Die Karten waren teuer und im Handumdrehen ausverkauft. Außer dem
brandneuen finsteren Engel hatte die Veranstaltung schließlich noch
lauter kreischwürdige Pop- und Folkstars zu bieten. Wegen der
Durchmischung des Publikums würde Angel auch nicht das für ihn
Typische spielen und singen, sondern sich auf klassisch und poppig
klingende Stücke beschränken, so der Plan.
Der Agent hatte ihm nicht sagen wollen, wo er Kei getroffen hatte.
Angel fragte immer wieder und versuchte es mit Tricks, aber es wäre
nicht gut, wenn er es wüsste. Der Junge würde da hinlaufen und in
der Bar wohnen, bis der Japaner wieder auftauchte. Das wäre aus so
vielen verschiedenen Gründen schlecht. Also versicherte er Angel
nur, dass er jede Kontaktaufnahme an ihn weiterleiten würde.
Tatsächlich hatte er aber selbst keine Gelegenheit mehr, in die Bar
zu gehen.
Als das Wochenende kam, hatte Akira also noch nichts von Kei gehört.
Vor dem Konzert saß er mit anderen Künstlern in einer kleinen Halle
mit Sofas und Büffettischen, wo lauter Menschen mit bunten Schildern
um den Hals herumliefen, und unterschrieb Unterarme, Fotos,
Autogrammkarten, Poster, CD-Hüllen...
Kei hatte nicht gewusst, wie er an ein Ticket hätte kommen sollen,
da er null Spanisch konnte, aber Jack hatte es geschafft, ein Ticket
zu organisieren, ohne dem Japaner davon Bescheid zu geben.
Stattdessen gab er Kei einen Arbeitsauftrag in der Nähe der
Konzerthalle und gab ihm einen Umschlag mit. Den er nicht öffnen
sollte, weil der Auftraggeber ihn unbeschädigt haben wollte. Vor Ort
fand er niemanden. Irgendwann machte er den Umschlag doch auf und
fand ein Konzertticket mit der Notiz ‚Wehe du verkackst das...‘
Kaito ging in die Halle und sah sich um.
Das Publikum, das keine Sonderspezialzugangskarten besaß und für
das Konzert zu früh gekommen war, konnte die Auftretenden dennoch
sehen, denn nacheinander wurden sie alle für ihre Soundchecks aus
dem wuseligen Meet-and-Greet-Raum herausgeholt.
Als Kei in die Halle kam, standen gerade Angel in seiner
Gothicprinzenkluft und die poppigere Boyband, mit der er teilweise
befreundet war, auf der Bühne und tauschten sich mit einem Techniker
aus, während zwei der jungen Männer nur herumalberten. Zum
Ausprobieren sangen die übrigen zwei aus der Boyband mit Angel
zusammen à capella ein Stück auf Spanisch an und fast bis zum Ende.
Kei hatte sich unweit der Bühne auf einen Absperrzaun gesetzt, hörte
zu, bis sie fertig waren und ließ sich dann auf Seiten der Bühne
vom Zaun rutschen.
Unbemerkt trat er an den Bühnenrand.
„Konban wa. Akira-kun,“ sagte er gerade so für Akira hörbar.
Die Securities wurden auf ihn aufmerksam und beäugten ihn skeptisch.
Akira ließ beinahe das Mikrofon fallen.
Er sprang vom Bühnenrand und konnte sich unten gerade noch so
zurückhalten. Er wollte nicht, dass Kei weggeschickt wurde, aber er
wollte ihm auch nicht um den Hals fallen.
Doch, wollte er. Aber er durfte nicht. Stolz und Würde. Er sah
trotzdem sehr offensichtlich so aus, als wollte er. Er starrte Kei
an.
„Ehm... Ich hab von dem Konzert gehört und dachte, ich komm mal
vorbei... Ich hab dich vermisst,“ begann der Vampir ruhig.
Zumindest äußerlich. Sein Herz lief Amok...
Akira schluckte.
Ich dich auch.
„Komm mit,“ flüsterte er und legte das Mikrofon hinter sich auf
die Bühne. Von dort wurde ausgiebig geglotzt. Nun ging er langsam
los, vor der Bühne entlang.
Kei ging ihm langsam nach. „Wo gehen wir hin?“
„He's with me,“ sagte Akira leise aber bestimmt zu einem
Securitymann am Ende der Absperrung vor der Bühne, wo es hinter ein
paar Aufstellwänden in enge Gänge ging. Im ersten Flur durch den
sie kamen, fand Akira eine halboffene Tür zu einem Raum voller
frischer Arbeitskleidung in Kisten und Regalen. Dort ging er hinein
und schloss die Tür hinter Kei.
Der drehte sich zu ihm um als er hinter ihm stand.
„Ich hab deine Nachricht gekriegt,“ sagte er ruhig und umarmte
Akira einfach.
Oh my fu- Akira holte erschrocken Luft, als er sich fühlte,
als müsse er gleich bewusstlos umfallen. Oder explodieren. Eins von
beidem. Er sog Keis Geruch ein und vergrub für ein paar Sekunden
sein Gesicht und seine Finger in ihm, bevor er losließ und ihn
wegzuschubsen versuchte.
Kei ließ ihn los und schaute ihn an. Musterte ihn.
Akira gab sich Mühe, nicht zu weinen, und versuchte wütend zu sein.
Er war es auch. Aber Kei wiederzuhaben war stärker. So sah er Kei
auch an. Wütend und herausfordernd, so als ob er nur auf ein
Stichwort wartete. Und fast verzweifelt. Sein Blut rauschte so laut.
Und sein Puls war kaum zu ertragen.
Kei erwiderte seinen Blick mit einer Mischung aus vielen
verschiedenen Emotionen. Er nahm ihn wieder in den Arm, egal, was
Akira davon hielt. Sein Puls überschlug sich.
„Aishiteru,“ murmelte er ihm in die Jacke.
Jetzt schluchzte Akira wirklich. Er erwiderte Keis Umarmung.
Der ihn daraufhin ein wenig fester drückte.
„Ich liebe dich immer, egal wie weit du weg bist!“ sagte
Akira vorwurfsvoll in Keis Lederjacke.
„Ich bin tot, wenn du nicht da bist. Ganz tot.“ Das war
allerdings dehnbar, wie Kei festgestellt hatte. Seine Gefühle waren
auch nicht weg, sie waren nur unterdrückt, wenn er tot war. Er
konnte nicht erklären, was warum mit ihm los war, nur, dass er immer
dann deutlich gefühlskälter war, wusste er.
Akira stieß ihn wieder weg und wischte sich mit dem hübschen Ärmel
über die Augen.
„Was sollte dann der Scheiß mit der CD?!“
„Deine Musik ist auch ein Teil von dir,“ versuchte er sich an
einer Erklärung und sah seinen Freund ruhig an.
Akira hatte das dringende Bedürfnis, Kei eine runterzuhauen. Seine
Augen weinten weiter. „Und was machst du, wenn du gerade keine
Musik hörst? Existiere ich dann überhaupt?!“
Kei hasste ihn in diesem Moment, aber das half ihm wenig. „Ja...“
Was glaubst du an wen ich die meiste Zeit gedacht habe, wenn ich
nicht geschlafen habe, was IMMER der Fall war?!
„Ich hab viel an dich gedacht...“ Keis innerliche Aufregung
behielt er nicht so ganz erfolgreich für sich.
Diese Aufgebrachtheit stachelte Akira nur weiter an, wie leichter
Blutgeruch einen Hai.
„Ach, du hast an mich gedacht, wie nett – aber gefühlt
hast du nichts!“ Mit diesen Worten schubste er Kei, oder versuchte
es, und wusste nicht einmal, warum. Das war so kindisch.
Was Kei aufregte, war, dass Akira so tat, als mache er das mit
Absicht und als wäre es seine Schuld. Kei bleib stehen und sah ihn
einfach an. „Weil das natürlich meine Schuld ist! Ich wäre nicht
hier, wenn du mir nicht verdammt viel bedeuten würdest!“
„Warum bist du dann überhaupt abgehauen?!“ Ohne darüber
nachzudenken, hatte Akira in eine seiner Jackentaschen gegriffen und
den Zettel mit Keis Nachricht herausgeholt. Der wurde nun unbewusst
ziemlich zerknüllt, während Akira nicht einmal wusste, wo er gerade
hinsah. Am meisten sah er wohl von seinem Ärmel, mit dem er sich
immer wieder über das Gesicht wischte.
„Du hast gesagt, du willst nicht mitkommen, also bin ich allein
gefahren. Ganz einfach.“ Kei war sich darüber im Klaren, dass das
keine besonders kluge Aktion gewesen war.
Fassungslos starrte Akira ihn an. „Was?!“
Nun holte Akira wirklich zu der Ohrfeige aus, die ihm so in den
Fingern juckte.
Kei hielt sein Handgelenk fest.
Mit einem frustrierten Ausruf riss Akira seine Hand zurück. „Ich
wusste nicht, dass du nicht zurückkommst! Und du hast gesagt, dass
du mich nicht - ich laufe doch niemandem nach, der mich nicht will!“
„Wenn dem nicht so wäre, wäre ich nicht hier... Ich hab gesagt,
dass ich weiterfahren will.“ Letzteres fügte er ruhig hinzu.
Insgeheim hatte er die meiste Zeit gehofft, dass Akira tatsächlich
irgendwann auftauchen würde, aber er hatte auch gewusst, dass das
nie passieren würde und hatte das Nachdenken daher bleiben lassen.
„Und das hast du einfach so gemacht.“ Akira bemerkte den Zettel
in seiner Hand und stopfte ihn in seine Tasche zurück. „Weißt du
was, damit hast du mir einen Gefallen getan.“ Er vermied es, Kei
ins Gesicht zu sehen.
Kei schaute verblüfft, sagte aber nichts. Sondern sah seinen Freund
einfach an.
„Ich bin vom Penner zum Popstar geworden. Ohne dich.“ Er brachte
es nicht übers Herz, ‚Ich brauche dich nicht,‘ ‚Ich komme ohne
dich klar,‘ oder ‚Guck, ich kann doch ohne dich leben‘ zu
sagen. Das wäre nämlich schlicht gelogen. Es tat ihm weh, so etwas
überhaupt zu denken, aber er wollte Kei so wehtun wie er ihm,
jedesmal wenn er Akira im Zweifel ließ und den Mund nicht aufbekam,
und ganz besonders wie in Chile in dieser ekelhaften Nacht.
„Hab ich gesehen,“ sagte Kei ruhig.
Er wollte nicht, dass Akira mitbekam, was in ihm vorging. Das war
nicht gut, aber er konnte nicht ewig so tun, als würde ihn all das
nicht berühren.
Der Vampir stand lange da. Eigentlich wollte er Akira einfach
wiederhaben, dafür allerdings musste er reden, auch wenn er nicht
wollte. Er wusste nicht, was er sagen und wo er anfangen sollte. Das
war offensichtlich. „Ich bin stolz auf dich, wirklich.“
Akira musterte ihn. Sein Atem hatte sich etwas beruhigt und er weinte
nicht mehr, aber aufgewühlt war er natürlich noch. Und er sah
überrumpelt aus. Dieses unerwartete kleine Geständnis rührte ihn
sichtlich. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, und wusste dann
nicht, was, und schloss den Mund wieder. Er sah Kei weiter an.
Der Vampir erwiderte den Blick ruhig. Was sagte man in so einer
Situation? Was wurde von ihm erwartet? Erwartete Akira überhaupt
irgendetwas?
„Du weißt, ich bin nicht besonders gut in sowas...“ Er wollte
irgendetwas sagen, aber ihm wollte nichts sagbares über die Lippen
kommen. Alles mögliche wäre irgendwie unpassend und auch wieder
nicht...
„Tut es dir Leid?“ fragte Akira. Ohne Aggression in der Stimme
und im Gesicht. Um seine Finger zu beschäftigen, fummelte er am
Schnürsenkel eines Stiefels herum, der oben in einer offenen Kiste
im Regal lag.
Dass ich abgehauen bin...
„Ja...“ sagte Kei ruhig. Seine Hand hatte er in die Jackentasche
gesteckt und spielte mit dem Zippo darin herum. Akira atmete aus,
oder seufzte, und sah zur Tür.
„Ich habe dich auch vermisst.“
Kei ging einen Schritt auf den Kleineren zu. „Ich hätte dich gerne
wieder bei mir.“
„Ich wäre gern wieder bei dir,“ gab Akira leise zu, ohne Kei
direkt ins Gesicht zu sehen. „Aber du hast mich eigentlich die
ganze Zeit gehabt.“
„Ja... Ich weiß...“ sagte Kei leise und schaute dem Kleineren
ins Gesicht. Er wollte seinen Freund auch physisch wieder bei sich
haben.
Akira griff Kei vorn bei der Jacke. Kei küsste ihn, bevor der auf
die Idee kam, ihm noch mal eine zu scheuern zu versuchen.
Tat er nicht. Er erwiderte nur schaudernd den Kuss und legte dabei
die Arme um Keis Schultern. Kei umarmte ihn seinerseits. Akira
unterbrach den Kuss kurz, um ihn anzusehen. Der erwiderte den Blick
mit halb geschlossenen Augen.
Nach einem kurzen Blick zur Tür ließ Akira ihn los und trat einen
kleinen Schritt zurück.
„Musst du los?“
„Nein.“ Er kniete sich hin.
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