"Warum?" Er sah Kei an, als müsste er das wissen. Kei
zuckte mit den Schultern.
"Ich weiß nicht."
Colin ließ die Hände sinken und hielt sich dabei ein Handgelenk.
"Du warst vorhin eifersüchtig."
"Nur ein bisschen."
"... Das ist gut." Er küsste Kei wieder. Der erwiderte den
Kuss und lächelte. Colin stützte sich auf dem Boden ab und küsste
wieder abwärts, über Keis Kinn und Hals hinunter. Kei spielte
weiter mit Colins Haaren herum und mit der anderen Hand spielte er an
Colins Hosenbund. Colin rutschte kniend weiter an Kei hinunter, um
ihn unten weiterzuküssen. Auf dem Weg schob er die Ketten und
Anhänger beiseite. Kei nahm die Hand aus Colins Hose, da sein Arm
nicht unendlich lang war, behielt aber die andere in seinen Haaren.
Über dem Hosenbund änderte Colin die Richtung und biss ihn ganz
sachte in die Hüfte.
"Lecker," sagte er leise mit einem Grinsen.
Kei hatte die Augen wieder geschlossen, grinste bei Colins Kommentar.
"Wehe dir du beißt mir da'n Stück raus," sagte er
scherzend.
"Was machst du dann?" fragte Colin herausfordernd.
"Ich fürchte, dann musst auf dein Blut verzichten. Gleiches
Recht für alle."
"Das heißt Fleischschuld. Ein überholtes Prinzip." Er
setzte sich auf, auf Keis Beine, und sah stirnrunzelnd zur Seite.
"Nein, warte. Das war andersrum."
"Überholt oder nicht, es ist fair," sagte Kei grinsend und
schaute Colin fragend an. "Was wird das?"
"Das stimmt nicht ganz. Fleischschuld bedeutet-" Er tippte
überlegend mit einem Finger auf seiner anderen Hand herum. "-
für seine Schuld oder seine Schulden mit seinem eigenen Fleisch zu
bezahlen. Dafür-"
"Hieße dann, du schuldest mir'n Stück Hüfte und zahlst mit
Blut." Kei grinste.
"Nein, das hieße, ich müsste mit einem Stück aus meiner
eigenen Hüfte dafür bezahlen. Wahrscheinlich sogar mehr, weil es
kein fairer Handel wäre, sondern ich dich sozusagen beraubt hätte.
Diese Schuld muss auch noch-"
Kei nickte. "Ahh. Schade. Blut gefiele mir besser." Er
grinste.
"Wenn du mir unerlaubt Blut abnimmst, musst du in Fleisch
bezahlen, wenn wir dieses abartige Recht anwenden."
"Wann gab es dieses Recht? Klingt nach ziemlich alt."
"Keine Ahnung. Vielleicht gab es das nie. Es ist nur ein
Konzept, soweit ich weiß. Vielleicht gibt es das nur theoretisch."
Colin kletterte von Kei herunter, um sich neben ihn zu setzen.
Kei nickte. Etwas umständlich legte er einen Arm um Colin. Der
knöpfte sich die Hose wieder zu und legte dann die Hände in den
Schoß.
"Es wäre wohl gut, zu verschwinden, was? Ich meine aus Tokyo."
"Vielleicht, ja. Aber ich bin mir noch nicht ganz sicher. Mal
davon abgesehen, dass Polizei und Nachbarn mich hassen, würde ich
wirklich gern mal hier weg... und irgendwann komme ich wieder."
"Jetzt sagst du wieder, dass du unendlich lang Zeit hast."
"Hab ich auch. Die kann man gut zum Reisen nutzen. Wo willst du
hin?"
"Äh."
"Wo liegt denn 'Äh'?"
Colin guckte nur verdutzt. "Du meinst, nachdem du deinen
Abschluss gemacht hast und so... oder?"
"Das wäre dann in anderthalb Jahren. Meinetwegen können wir
auch jetzt gehen. Ist nur die Frage, wohin. Und wie wir das anstellen
wollen."
Darüber hatte Colin nicht nachgedacht. Er war noch nicht dazu
bereit, über so etwas nachzudenken. Er war noch nicht dazu bereit,
zu akzeptieren, dass - alles. Er sah Kei mit einer Mischung aus
Entrüstung und Hilflosigkeit an.
"Ich hab 'ne Idee. Wir hauen einfach ab, wenn der Zeitpunkt gut
ist. Das entscheiden wir spontan."
Das überforderte Colin sichtlich. Er glotzte weiter. Kei lachte.
"Ach egal."
"Für dich ist immer alles ganz einfach, was?" Colin klang
teils erstaunt, teils vorwurfsvoll.
"Nicht alles. Aber das meiste."
Colin hörte auf, Kei zu mustern und blickte nach vorn. "Ich
muss Geld verdienen."
Kei dachte kurz nach, was es da für Möglichkeiten gab. Nicht viele.
"Ich kann nicht viel machen, weil ich keine Identität habe,"
sprach Colin den Gedanken laut aus, "und in die Öffentlichkeit
kann ich mich auch nicht stellen. Ich könnte vielleicht für deinen
Boss putzen oder sowas."
"Ich frag ihn mal, ob er Arbeit hat. Da lässt sich sicher was
machen."
"Ich kann auch so tun, als könnte ich kein Japanisch,"
schlug Colin wahnsinnig hilfreich vor.
"Ich glaub kaum, dass das was hilft. Aber wenn du's musst ist
das sicher hilfreich um Menschen loszuwerden."
"Oh, ja." Colins Ton deutete an, dass er damit schon
Erfahrung gemacht hatte.
"Ich könnte das gut überall machen. Nur hier nicht."
"Nur dass du 'überall' wirklich nicht verstehst," warf
Colin mit einem gemeinen Lächeln ein.
Kei lachte. "Ja, umso authentischer, und ich hab ja einen
Übersetzer."
"Ich koste fünftausend die Stunde."
"Fünftausend was?"
"Yen, du Vogel. An Feiertagen und wenn ich keine Lust habe,
siebentausend."
"Wer is hier der Vogel. Deine Preisvorstellungen von Stundenlohn
sind utopisch." Er grinste.
"Falsch. Ich habe das recherchiert." Er verschränkte die
Arme. "Noch bessere Dolmetscher können noch teurer sein."
Dass diese dann meistens gleich vier oder fünf Sprachen fließend
beherrschten, verschwieg er geflissentlich.
"Hey, das wäre auch ne Idee Geld zu verdienen, als Dolmetscher.
Die braucht man doch immer... für Geschäftsbeziehungen ins Ausland
und so."
"Ja..." Als Toter mit nur zwei Sprachen und ohne
professionelle Ausbildung sollte das aber schwierig sein.
"Warum musste erst das alles passieren, damit wir so reden
können?" überlegte Colin leise. Er sah auf seine Hände, mit
denen er auf seiner Hose herumkratzte.
"Erwartest du darauf wirklich eine Antwort?"
Ja. Colin sagte nichts. Da war ein trockener Blutstreifen auf
seinem Oberschenkel. Mein Geburtstag wäre vielleicht nicht so
passiert, der Perverse hätte uns nicht gefilmt, du hättest ihn
nicht umgebracht, die wären nicht zu mir nach Hause gekommen...
Kei dachte auch nach. Es war sehr viel passiert, das er nicht so
gewollt hatte. Ändern konnte man nichts davon mehr. Er überlegte,
wie alles angefangen hatte. Colins Geburtstag, auf dem Teich im
Park...
Kei setzte sich auf.
Colin lehnte sich zur Seite, von Kei weg, um nach seinem T-shirt zu
fischen. Er zog sich das T-shirt wieder an und wischte etwas darauf
herum, aber es hatte weder Blut noch irgendetwas anderes abbekommen.
Kei hatte sein Shirt in der Hand, zog es aber noch nicht an.
"Wie hast du's geschafft, dass das sauber bleibt?"
"Die Jacke hat wohl alles abgekriegt." Er begutachtete
dieselbe und stellte fest, dass er Recht hatte.
Kei schmunzelte. "Nächstes Mal aufpassen, sonst wirst du
verhaftet."
Mit den Fingern fuhr er sich durch die blutroten Haare, um sie
notdürftig zur Ordnung aufzurufen.
"Ich existiere nicht. Wie soll man mich da verhaften?
Irgendjemand wird aber verhaftet, denn Hashibahara liegt immer noch
ausgeweidet da rum. Und er hat Pep und Gras dabei. Das wird die Suche
noch anheizen."
"Man kann dich festnehmen, nur um festzustellen, dass du nicht
existierst, aber wenn man dich erwischt nehmen sie dich mit."
Plötzlich sah Colin erschrocken auf. "Das Messer."
Kei zog es aus seinem Stiefel. "das hier?"
Erleichtert sog Colin Luft ein und griff danach.
"Das zweite steckt im andern, willst du's wiederhaben?"
"Nur meins."
Kei gab es zurück.
"Danke." Colin klappte es auf und rubbelte es an seiner
Hose ab. Dadurch riss er sie mit der gezähnten Klinge etwas auf.
"Scheiße." Er klappte es zusammen und steckte es in die
Hosentasche.
"Was?"
Akira fummelte das Loch in der Hose etwas größer und wischte sich
über den blutenden Kratzer darunter.
Kei grinste. "Aufpassen."
"Sagst du, nachdem es passiert ist," knurrte Akira.
"Ja." Kei grinste.
Akira nahm seine verschmierte Jacke noch einmal in Augenschein und
stand dann auf, um sie sich um die Hüfte zu knoten. Auf diese Weise
konnte man das Blut auf ihr nicht gleich sehen und er musste sie
nicht im Arm tragen. Kei blieb sitzen, zog aber sein T-shirt über
und wandte den Blick nach oben. Akira folgte seinem Blick, nachdem er
sich wieder hingesetzt hatte, in einen Schneidersitz.
"Ich kann... vier Stück sehen. Fünf. Sechs."
"Sieben. Das sind zu wenige. Ein schwarzer Himmel voll mit
Sternen - Hab ich noch nie gesehen..."
"Ich schon. In Gairlock. Da wohnt mein Opa. Als wir ihn mal
besucht haben und zu mehreren waren, haben wir in einem Cottage an
der Küste gewohnt, das war außerhalb der Stadt. Da konnte man sehr
viele Sterne sehen. Gairlock selbst ist aber auch ganz klein. Da gibt
es keine Lichtverschmutzung."
"Zeig mir das mal."
Akira lächelte. "Stimmt, du wolltest mal nach Schottland."
"Ja. Ich will überall mal hin."
"Warum?"
"Na damit ich sagen kann: Ich war schonmal da. ... Ich will
einfach die viele Zeit irgendwie nutzen und mir die Welt ansehen. Die
ist immerhin groß."
"Nur damit du angeben kannst?" Akira schmunzelte. Das klang
nach einem Kei, den er in der Schule kennengelernt hatte.
"Na klar. Und, weil ich's sehen will. Das ist der einzige
Grund."
"Do you know what a Scots' queer is?" fragte Akira mit
schwurbeligem Akzent.
"No." Kei musste beinahe losprusten, schaffte es aber
gerade so, das bleiben zu lassen.
"It's a man who prefers women to whisky," antwortete Akira
mit derselben breiten, R-rollenden Aussprache. "That's something
you should know when in Scotland, love."
Jetzt lachte Kei.
"It's true! So you're alright, you're not queer."
"What if I prefer blood to whisky?"
"Then you're English. That's the worst sin in the world."
"All right. I'll take both."
"On the rocks." Akira grinste. Er lehnte sich zu Kei vor.
Kei küsste ihn.
"Träumst du manchmal von dem, was mit deiner Mutter passiert
ist?"
"Manchmal, ja."
"Kommst du damit klar?"
"Irgendwie ja."
"Aber es geht nicht weg."
"Nein. Und es wird nie weggehen, das Bild wird mich verfolgen,
egal, wie lange ich lebe."
Langsam fuhr sich Akira durch die Haare und sah zu Boden. Kei stand
daneben und betrachtete ihn. Er behielt die Hand in seinem Nacken und
sah mit ernstem Gesicht auf seine Füße. Der Vampir schaute ihn an.
"Was ist?"
"Ich habe mich letzte Nacht erinnert," sagte Akira leise.
"Später dachte ich, das wäre nur ein Alptraum gewesen, aber
das wars nicht."
"Nein, war's nicht. Und ich bin indirekt mitveratwortlich
dafür... So zumindest stellten sie's dar, bevor sie straben..."
"Wer?" Akira sah verwirrt auf.
"Die, die das Massaker angerichtet haben..."
"Das stimmt ja auch. Sie wollten dich." Das ist nicht
richtig. "Aber du hast sie nicht umgebracht."
"Ich bin nicht ganz sicher, ob es wirklich die waren, die ich
umgebracht habe. Sicherlich sind nicht alle tot."
"Wenn nicht, dann will ich den Rest haben," kündigte Akira
finster an.
"Dann finden wir raus, wo und wer sie sind... Dann kannst du sie
haben."
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