Als es klingelte, ging Kei artig zur Tür, imerhin wusste er, wer
davorstand. Relativ schnell hatte er die Polizisten mit der
Geschichte, die er Colin zuvor angedeutet hatte, abgespeist und
abgefertigt und zum Nachbarn geschickt.
Währenddessen blieb Colin lange im Badezimmer, um sich langsam,
sorgfältig und vorsichtig zu waschen, all seine Verletzungen zu
inspizieren, die er sehen und erreichen konnte, und sicherzugehen,
dass seine Nase auch diesmal nicht gebrochen war und auch nicht
wieder zu bluten begann. Er kämmte sich auch sorgsam die Haare und
wusch sich gründlich die schwarzen Füße weiß.
Erst als er sich sauber und ordentlich vorkam und sich merklich
beruhigt hatte, kam er wieder heraus. Keis Gespräch mit der Polizei
hatte zwischen Tür und Angel stattgefunden und sich kaum halb so
bedrohlich angehört, wie Colin befürchtet hatte. Als die Polizisten
wieder weg waren, tauchte er wieder im Flur auf, weiß und rot und
sauber und viel gelassener. Seine Hosen hatte er im Wäschekorb
gelassen.
"Die sind wir los," verkündete Kei, während er Colin
betrachtete. Keine Klamotten standen ihm auch, befand er,
schmunzelnd.
Colin hatte stumm zur Tür gesehen und musterte nun Kei. Es war
eigentlich kein gutes Zeichen, aber dennoch sehr praktisch und
beruhigend, dass Kei so viel Erfahrung in Kriminalität hatte.
Er leckte sich nachdenklich über den Riss in seiner Lippe, den ihm
Kei gestern zugefügt hatte. Er war hungrig.
Er streckte eine Hand nach Kei aus.
Kei gab ihm eine Hand und zog ihn zu sich, küsste ihn. Colin
erwiderte den Kuss langsam und sanft.
Nach einer Weile brach Kei den Kuss ab. Es war spät geworden.
Annähernd Abend.
"Ich muss mich langsam anziehen," sagte er. Seinen Körper
zierten nur Tanktop und Jogginghose.
Colin nickte. Er ging zum Kleiderschrank, wo er seine kleine, frisch
erstandene Sammlung in einer Ecke aufbewahrte, und nahm sich einen
Satz von allem heraus, um sich auch anzuziehen.
Kei schlenderte mit ihm ins Schlafzimmer, wo er sich erst auszog und
dann eine schwarze Hose, ein sauberes dunkelgraues T-shirt und
Boxershorts auf das Bett warf und dann anzog.
Als er fertig war, lehnte Colin sich in den Türrahmen und sah zu,
mit ernstem und interessiertem Ausdruck im Gesicht. Der Vampir
brauchte zum Anziehen nicht lange. Seine Münze baumelte wie immer
schon um seinen Hals. Er richtete noch schnell die Haare, kämmte sie
durch und war schnell zufrieden.
Mit den Händen in den Hosentaschen beobachtete Colin ihn stumm.
Als er fertig war schaute er zu Colin.
"Ich fahr eben los. In zwei Stunden am Bahnhof in Shinjuku?"
Colin schien kurz zu überlegen, dann nickte er und lächelte.
"Alles klar. Dann sehen wir uns gleich da." Er nahm seinen
Helm, zog sich Stiefel an und küsste Colin, bevor er durch die Tür
verschwand.
Colin atmete kurz durch und zog sich dann hastig die eigenen Schuhe
und seinen Mantel an, setzte sich eine Mütze und die Sonnenbrille
auf und horchte auf das Klicken des Haustürschlosses, ehe er
hinunterrannte. Als er das Motorrad wegfahren hörte, ging er hinaus
und rannte zum U-Bahnhof.
Zwei Stunden später stand er am Shinjukubahnhof. Er hatte sich sehr
beeilt, war aber nicht außer Atem. Er hatte Atmen insgesamt nicht
nötig, bemerkte er zum wiederholten Mal. Er tat also völlig
gelassen, während er andere Wartende vor dem Eingang durch seine
schwarze Sonnenbrille beobachtete.
Kei kam einige Minuten nach Colin angelaufen. Das Motorrad hatte er
im Hinterhof eines Clubs abgestellt, der seinem Boss gehörte. Er kam
aus einer Seitenstraße zum Bahnhof geschlendert.
"Hey," grüßte er knapp und küsste Colin.
Vor Verlegenheit wusste Colin nicht, wie er reagieren sollte. Sein
Körper machte das von allein, indem er sich Kei ganz ohne bewusste
Absicht zuwandte, den Kuss freudig erregt erwiderte und dann die
Sonnenbrille abnahm.
"Du erregst mit Sonnenbrille nachts übrigens mehr Aufsehen, als
du brauchen kannst," grinste Kei. "Sie sieht aber gut aus."
"I wear my sunglasses at night," deutete Colin leise das
Lied an und steckte die Sonnenbrille ein. "Man darf in mir nicht
die Leiche erkennen, nach der gefahndet wird," entschuldigte er
sich.
Kei grinste leicht. "So, wo woll'n wir lang?"
"Das solltest du bestimmen. Ich habe in sowas keine Erfahrung."
Colin kam der flüchtige Gedanke, dass Kei unter 'Rausgehen' etwas
anderes verstanden hatte, als es bedeuten sollte.
Kei grinste. "Wir sind mitten in Shinjuku. Da findest du überall
ein einfaches Abendessen."
Colin schnaubte ungeduldig.
"Da lang." Kei deutete in eine wenig frequentierte
Richtung. Sofort marschierte Colin los, mit fest entschlossenem
Blick. Kei schlenderte neben ihm her.
Colin sah sich um, musste sich darauf konzentrieren, sich die
Menschen anzusehen und sich nicht von den Lichtern und Angeboten der
Geschäfte ablenken zu lassen. Ziemlich bald blieb er plötzlich
stehen und sagte: "Die da." Er nickte in Richtung einer
jungen hübschen Frau, die am Schaufenster eines Buchgeschäfts stand
und frierend auf etwas zu warten schien.
"Sie wird vermisst werden, du darfst keine Spuren hinterlassen,"
sagte Kei und sah sich ebenfalls ein bisschen um.
"Gut, dann der da." Er zeigte unverhohlen auf einen jungen
Mann im Jogginganzug, der mit seinen blondierten Haaren und den
Ketten um den Hals ziemlich proletenhaft wirkte. Seine Nase war
mindestens einmal gebrochen worden und er hatte unregelmäßige
Bartstoppeln im Gesicht. Er saß sehr breitbeinig auf einer Bank
zwischen zwei Pflanzenkübeln, mit seinem Smartphone in der einen und
der Plastiktüte eines Kleidergeschäfts in der anderen Hand. Er
hatte die Arme auf der Lehne ausgebreitet, sodass er kaum Platz für
andere ließ und die Bank ganz für sich hatte, und hörte mit
Ohrstöpseln Musik mit seinem Handy. Dabei rauchte er.
"Okay. Er gehört dir," sagte Kei, der seinerseits ein
bisschen Aufmerksamkeit auf sich zog. Er hatte nur eine enge Hose,
Stiefel und das T-shirt an. Eine Jacke trug er nicht. Alles wichtige
hatte er in den Hosentaschen und den Helm hatte er bei seinem
Bekannten an der Bar gelassen.
"Mir?" Er sah Kei überrascht an. Soll ich das jetzt
alleine machen?
"Ja, dir. Ich bin gar nicht da, nur wenn's brennt." Kei
steckte seine Hände in die Hosentaschen und schaute zu dem Typen
hinüber.
Bitte, wie du willst. Colin nickte und marschierte auf die
Bank zu. Er setzte sich unverschämt neben den Typen, so dicht, dass
der entweder seine Breitbeinigkeit aufgeben oder damit klarkommen
musste, dass Colins Bein sich an seines schmiegte. Letzteres schien
ihm nichts auszumachen. Er musterte Colin nur überrascht, der ihn
direkt ansah und lächelte.
"Hallo. Kann ich eine schnorren?" Er nickte zur Zigarette.
Der Kerl nahm sich einen Stöpsel aus dem Colin zugewandten Ohr und
fragte überrascht, was er wolle. Colin lächelte freundlicher und
wiederholte seine Frage. Der Typ sah ihn verblüfft an. Vielleicht
wunderte er sich darüber, dass dieser Ausländer fließend Japanisch
sprach. Oder darüber, wie vertraut er ihn angesprochen hatte. Er
sagte nichts, sondern holte nur seine Zigarettenschachtel hervor und
ließ Colin eine herausziehen. Ungefragt hielt er ihm noch ein
Feuerzeug hin und zündete ihm die Zigarette an. Dabei musterte Colin
sein Gesicht interessiert. Der Kerl sah immer noch verwirrt aus. Er
musste denken, dass Colin versuchte, ihn anzugraben. Gut, wenn er das
tat, denn das war Colins armselige Strategie. Körperlich hatte er
gegen kaum jemanden eine Chance, also konnte er niemanden
überwältigen, also musste er listig sein.
Kei beobachtete die Szene aus einiger Entfernung aus dem Augenwinkel,
als er von einem Strichjungen angesprochen wurde, ob ihm nicht ein
wenig zu kalt sei.
Nein... aber wenn du das gerne glauben willst... Er nickte
leicht, erklärte dem Jungen, dass er sich verlaufen habe und seit
etwa zwei Stunden in Shinjuku umherirre.
Colins Strategie fand er nicht schlecht, nur musste man immer
aufpassen, wem man sich so näherte.
Der Kerl fragte Colin, 'welches' er wolle. Als Colin ihn nur verwirrt
anglotzte, schnaubte er genervt und steckte sich wieder den zweiten
Stöpsel ins Ohr.
Ein Dealer.
"Nichts davon," sagte Colins Mund von selbst. Er lehnte
sich zu dem Kerl und zog ihm den Kopfhörer heraus. "Dich,"
sagte er leise. "Ich habe Hunger."
Der Kerl sah ihn halb schockiert an, doch der Zufall wollte es, dass
Colin ihn gerade von oben bis unten musterte und dieser Blick leicht
missverstanden werden konnte. Der Kerl schmunzelte dreckig und
musterte Colin seinerseits gründlich.
"Ich bezahl dich nicht dafür, dass das klar ist," sagte er
und schnippste seine Kippe weg.
Kei bekam die kaum hörbare Konversation mit, während er tat, als
wäre ihm etwas kalt.
Gar nicht mal schlecht. Er wendete sich an den jungen Mann
neben sich und fragte ihn, ob er ihm den Weg 'zurück' zu einem
nahegelegenen Hotel zeigen könne, von dem er gekommen sei.
"Ich will auch nicht dein Geld, nur dein Fleisch,"
flüsterte Colin und hauchte dem Proleten dabei Rauch ins Gesicht.
Das brachte den Kerl zum Grinsen. Er leckte sich die Lippen und
wackelte mit einem Fuß. Er legte einen Arm um Colin und raunte ihm
etwas ins Ohr.
Kei musterte die beiden. Fass meinen Freund nicht zuviel an...
Er erinnerte sich daran, dass der Typ so oder so ein Abendessen war
und wandte sich seinem eigenen zu. Das hatte gerade eingewilligt, ihm
den Weg zu zeigen, damit er nicht wieder verloren gehe, und grinste
zweideutig. Kei nahm das Angebot an. Er hatte nicht vor, dem Hotel
auch nur nahe zu kommen.
Colin murmelte eine Entgegnung und legte ein Bein über das des
Breitbeinigen. Der legte gleich eine Hand auf Colins Oberschenkel.
Colin schmunzelte und musste etwas zwinkern, als ihm der Rauch seines
Zigarettenstummels in die Augen stieg.
Kei hatte sich eine Kippe angezündet, während er neben seinem
Stadtführer herging, der ihm eine Abkürzung zeigte.
Ein Fehler.
Keine zehn Minuten später war der junge Mann tot und seine Leiche
entsorgt.
Gelassen und gesättigt ging Kei zurück zu dem Ort, wo er Colin
gelassen und ihn beobachtet hatte.
Der Prolet handelte gerade diskret mit zwei Schülern, während Colin
gelangweilt daneben saß und wieder rauchte. Als die beiden Jungen
gingen, stand er auf. Dabei ging er sicher, dass er den Oberschenkel
des Dealers streifte.
Der stand auch zuverlässig mit auf und legte wieder den Arm um
Colin, diesmal aber tiefer, und schob seine Hand in eine von Colins
hinteren Hosentaschen. Colin runzelte kurz die Stirn und ging mit ihm
die Straße hinunter.
Sie kamen an Kei vorbei, der die beiden vorsichtig musterte und
weiter rauchend an der Rückwand eines Lokals lehnte.
Colin warf ihm einen Blick zu, er alles mögliche bedeuten konnte.
Sie bogen in eine Seitenstraße ein.
Kei blieb in Hörweite, aber unsichtbar.
Als Colin sie auf eine lange Reihe Stundenhotels zugehen sah, hielt
er an und packte den Kerl beim Arm. Er zog ihn in eine enge Einfahrt
zwischen zwei Häusern, wo außer einem hohen Lattenzaun und einem
finsteren Hauseingang nichts war.
Es war alles andere als sicher und ideal, aber es war besser als ein
Stundenhotel. Der Kerl ging mit und ließ dreckig lachend einen
Kommentar über Colins Eile ab. Bei dem Zaun in der unbeleuchteten
Gasse ließ er sich von Colin an die Hauswand drücken. Colin öffnete
den Reißverschluss seiner Trainingsjacke und schob das Sweatshirt
und das T-Shirt darunter hoch, während der Kerl seine Hose öffnete.
Colin fischte in seiner Hosentasche nach dem Klappmesser, doch noch
ehe er es überhaupt fassen konnte, hatte ihn der Kerl beim Schopf
gepackt und drückte sein Gesicht in seinen Schritt.
Kei lauschte vom Dach des Gebäudes aus, neben dem sich die beiden
befanden. Zusehen tat er nicht. Noch wartete er ab, ob Colin das
Messer doch noch zum Einsatz bringen würde.
Während Colin das Messer herausholte und mühsam blind aufklappte,
hatte ihm der Kerl längst seinen Schwanz ins Gesicht geschoben.
"Friss schon, Schwuchtel," schnaufte der Typ.
Colin hob das Messer über seinen Kopf und wollte sofort zustechen,
doch der Typ packte sein Handgelenk und drehte es schmerzhaft herum.
Colin hmfte nur gedämpft. Den Mund wollte er mit dem Ding, das ihm
gerade über die Lippen rieb, nicht öffnen.
Kei zählte langsam von drei herunter, ehe er sich vom Dach
fallenließ und geräuschvoll hinter den beiden landete.
"Ich störe wirklich nur ungern, aber ich glaube mein Freund
wollte dir ein Geschenk machen." Er hob das Messer auf und
rammte es dem Typen in die Schulter.
"Argh!" Er ließ Colin los und packte das Messer. Colin
stand eilig rückwärtsstolpernd auf und rieb sich angewidert mit dem
Jackenärmel über den Mund. Kei sah den Typen an, hatte schon das
nächste Messer in der Hand, und warf es so, dass es im Hals in
seiner Aorta steckenblieb.
"Nächstes Mal brauchst du einen Plan B. Er gehört dir,"
sagte er zu Colin und ging beiseite.
Colin zog sein Messer aus der Schulter des blondierten Dealers und
riss mit ihm Sweatshirt und T-shirt sowie die Haut darunter vom
Schlüsselbein bis zum Bauchnabel auf. Die zog er mit den Händen
auseinander, dann rammte er die Klinge in die Rippen und sägte eine
tiefere, weitere Öffnung in den Brustkorb.
Fasziniert sah Akira dem zu, was er da selbst tat, und kniete sich
rittlings auf die Beine der Leiche, die vor ihm an der Wand herunter
in eine sitzende Position gerutscht war. Ohne auf die Blutspritzer zu
achten, die ihn von oben bis unten einsauten oder sich auch nur die
Ärmel hochzukrempeln, griff er dem Typen in den Brustkorb und rupfte
Stücke heraus, die er sich sofort in den Mund steckte.
Kei betrachtete das Treiben nur. Er selbst war völlig frei von Blut
geblieben. Obwohl er sah, wie Akira die Leiche auseinandernahm, hatte
er keine Ahnung, wie er das einordnen sollte. Ab und an sah er um die
Ecke um zu sehen, ob jemand in ihre Nähe kam und wenn ja, wie er
ihnen eventuell den Abend ruinieren konnte. Es kam kaum jemand. Die
einzigen potenziellen Zeugen waren zwei, drei Betrunkene, die
anscheinend so voll waren, dass sie eh nichts mehr mitbekamen, das
von Bedeutung gewesen wäre.
Fasziniert sah er in Abständen zu seinem Akira.
Der hatte das Messer fallen lassen und fraß gierig, mal sogar indem
er mit den Zähnen in der riesigen Wunde grub, meistens aber mit den
Fingern, und zwischendurch schloss er oft die Augen. Seine Hände
zitterten etwas und ab und zu gab er ein kleines ekstatisches Seufzen
von sich. Allmählich wurde er langsamer, nachdem er mehrere Hände
voll Muskelfleisch und Lunge verschlungen hatte, und biss und saugte
nun genüsslich und langsam am Herzen.
Kei sah ihm dabei zu und sammelte die Messer auf. An einem Stück
noch nicht besudelten Hemds wischte er die Klingen ab, dann ließ er
sie in einem seiner Stiefel verschwinden. Er ließ dem Kleineren alle
Zeit die er brauchte und begann einige Meter entfernt, sich mit einer
jungen Frau zu unterhalten, die eigentlich in just diese Gasse gehen
wollte. Sie ließ es aber bleiben, nachdem Kei ihr eine
Geistergeschichte über diesen Ort erzählt hatte.
Irgendwann war Akira auch fertig und stand gelassen auf, immer noch
das halbe Herz in der Hand. Er sah sich nach Kei um. Der bog gerade
wieder um die Ecke. Blutverschmiert und glücklich lächelte Akira
ihn an. Kei erwiderte das Lächeln, während er auf ihn zuging.
"Du siehst aus," sagte er, amüsiert.
"Haha! Wie komme ich jetzt wieder hier weg?" Er lachte
berauscht und hielt das Herz hoch, als hätte es etwas damit zu tun.
"So kann ich nicht rumlaufen."
"Stimmt. Mit dem Herz in der Hand auch nicht. Plan A, ich hole
das Motorrad, Plan B, ich hole dir Klamotten."
"Plan C, ich fliege einfach - oh nein, warte." Er warf das
Herz auf die Leiche. "Plan A ist super. Plan A."
"Okay, bis gleich," sagte Kei und war mit einem Satz
verschwunden, nur um Minuten später auf dem Motorrad wiederzukommen
und neben Colin zu halten. Seinen Helm hielt er dem Kleineren hin.
"Wir fahren nicht lange. Ich nehm ne Abkürzung."
Colin nahm den Helm an. Mittlerweile hatte er sich etwas das Gesicht
und die Hände abgewischt.
"Fahr nicht nach Hause," bat er.
"Wo willst du denn hin?" wollte Kei wissen.
"Zur Konzerthalle. Auf das Dach." Er stieg hinter Kei auf.
"Okay." Kei startete die Maschine und fuhr in die
gewünschte Richtung, wobei er Strecken nahm, die niemals für
Motorräder gedacht waren. Diesmal ohne Scham, Verlegenheit oder
irgendwelche Bedenken, hielt Colin sich an Kei fest.
Nach etwa einer halben Stunde Fahrt kam Kei an der Halle an und
stellte das Motorrad abseits der Straße ab.
"Wir sind da."
Colin nahm den Helm ab und sah hinauf.
"Wie kommst du da rauf? Das ist etwas höher als die Schule."
"Aber nur etwas. Gut festhalten," sagte Kei, als er vom
Motorrad abstieg. Colin tat, wie ihm geheißen. Er behielt auch den
Helm in der Hand, als er die Arme um Kei legte. Kei sprang aus dem
Stand an die Regenrinne des Daches und machte von da aus noch einen
Satz nach oben, auf das Dach.
"So komm ich hier hoch." Er lächelte. Die Halle hätte er
auch in einem Satz nehmen können, doch Colin schien sich nicht mehr
an ihren Besuch des Tokyo Tower zu erinnern und er behielt sich nun
vor, seine Stärke etwas für sich zu behalten. Oben ließ Colin ihn
los und ging ein paar Schritte. Er sah sich um.
"Wo warst du, als du mich mit der Münze beworfen hast?"
"Ich hab dich nicht beworfen. Ich lag da drüben, das eine
Fenster war offen." Er deutete auf die Stelle, an der er gelegen
hatte, als er die Münze verloren hatte.
Colin ging gemächlich zur angedeuteten Stelle und setzte sich. Den
Helm legte er neben sich ab. Kei setzte sich dazu und ließ sich auf
den Rücken fallen. Er betrachtete Colin. Der zog sich die Jacke und
die Mütze aus, legte sie auf den Helm und legte sich neben Kei auf
die Seite. Mit dem Kopf auf eine Hand gestützt lächelte er Kei
friedlich an.
Kei nahm sich Colins andere Hand und drehte den Kopf leicht in dessen
Richtung. Eine solche Situation wäre noch vor einem Jahr undenkbar
gewesen. Vor einem halben sogar. So lange kannte er Colin noch gar
nicht. Der Vampir lächelte ebenfalls, als ihm durch den Kopf schoss,
dass einzig sein Unvermögen, eine Münze zu fangen, alles ausgelöst
hatte.
Colin stützte sich auf Kei und küsste ihn langsam. Der erwiderte
den Kuss lächelnd.
Damit versuchte Colin alles auszudrücken, was er fühlte und in
diese Situation gehörte, wie in Liedern und Büchern. Um zu
überprüfen, ob es funktionierte, öffnete er die Augen und musterte
Keis Gesicht genau. Keis Gesicht zierte ein glücklich-zufriedenes
Lächeln. Seine Augen waren geschlossen, nicht mal ansatzweise
gefährlich sah er in diesem Moment aus.
Langsam setzte Colin sich auf und zog sein beschmiertes T-Shirt aus.
Kei grinste ganz leicht, als er den Kleineren beobachtete. Sein Blick
wandte sich kurz gen Himmel, an dem keine Sterne zu sehen waren.
Dafür war Tokyo einfach zu hell.
Als Colin sich seines Hemdes entledigt hatte, war Keis dran. Er
kletterte auf ihn und schob ihm das Shirt hoch. Das machte er
gemächlich und mit viel nicht unbedingt notwendigem Hautkontakt. Er
strich sanft über die Schussnarbe.
Kei setzte sich leicht auf, um Colin das Ausziehen seines Shirts
etwas leichter zu machen. Er zog ihn ohne sonderlichen Kraftaufwand
zu sich und küsste ihn.
Die Schusswunde war gut verheilt, genau wie die anderen Verletzungen,
die er abbekommen hatte. Seine freie Hand fingerte gemütlich an
Colins Hose herum und öffnete sie schließlich.
Colin zog Kei das Hemd über den Kopf und legte es irgendwohin zur
Seite. Er erwiderte den Kuss zärtlich während seine Hände leicht
über Keis Wangen, Hals, Schultern und alle anderen freien Stellen
fuhren. Von den Ketten ließ er sich auch nicht beirren, und das
Piercing benutzte er, um mit den Lippen etwas daran zu ziehen.
"-be dich," flüsterte er mittendrin.
Kei hielt den Kleineren fest. Seine Augen waren immer noch
geschlossen, als er etwas unverständliches gegen Colins Lippen
nuschelte, das als Erwiderung des Halbsatzes gedacht war. Eine Hand
fuhr die Konturen seines Oberkörpers nach. Die andere steckte halb
in Colins Hosenbund. Der Vampir küsste ihn einfach weiter.
Leicht und langsam küsste Colin Keis Kinn, Hals, Ohr, Schultern, und
was sonst noch so in der Nähe war. Dabei strich er Keis Haare
vorsichtig zur Seite. Auf Keis Hand in seiner Hose reagierte er nur
unbewusst.
Kei war auf eine ihm bis dato mehr oder minder unbekannte Weise
fasziniert. Von Colin, von dem Ort. Von beidem. Er hatte nie gedacht,
dass dieses Dach einmal ein schöner Ort sein würde. Es war immer
nur ein ruhiger Ort gewesen, an dem ab und an mal Musik lief.
Noch immer hatte er die Augen zu und vergrub eine Hand in Colins
Haaren, spielte damit herum.
"Es ist zwar richtig großer Mist passiert-" begann Colin
leise.
"Aber?" fragte Kei beinahe ebenso leise.
"Aber... es ist gut, dass du mich mit der Münze beworfen hast."
Er küsste Kei weiter auf dem Unterkiefer entlang. Kei lachte ein
bisschen.
"Ja, auch wenn ich dich nicht beworfen habe."
"Natürlich hast du. Wie ist die Münze denn durch das Fenster
gefallen?" Colin sprach sehr leise.
"Es war offen. Ich hab sie hochgeworfen und sie ist
runtergefallen, durch das Fenster," erklärte Kei, grinsend.
Colin schmunzelte ihn triumphierend an. "Da hast dus. Du hast
sie geworfen."
"Nach oben," Kei schmunzelte.
"Mit Physik hast dus nicht, was?" Colin grinste.
"Nein. Sie ist nach unten gefallen, weil ich sie nicht gefangen
habe. Nicht weil ich dich beworfen hatte. Es ist aber gut, dass sie
dir vor die Füße gefallen ist."
"Deine Haarspalterei nervt," beschloss Colin und küsste
Kei.
Kei ließ es bleiben, irgendwas dazu zu sagen, und erwiderte den
Kuss, zog den Kleineren ein Stück mehr zu sich nach unten. Colin
setzte dem nichts entgegen, rutschte aber auf Keis Bauch hinauf,
sodass er auf jeden Fall noch auf Kei hinuntersah. Als sein Blick auf
seine Hand fiel, die er auf Keis Wange gelegt hatte, stutzte er und
hielt inne. Kei öffnete die Augen und schaute Colin fragend an. Der
inspizierte seine Handgelenke, indem er sie verwirrt anstarrte und
nacheinander befühlte. Die Narben der Drahtfesseln waren
verschwunden. Kei tat es ihm gleich.
"Deine Narben sind weg," sagte er, und sprach damit aus,
was Colin gerade selbst durch den Kopf ging. Die Brandnarben und
Blutergüsse um seinen Hals und in seinem Gesicht waren ebenfalls
weg. Colin rieb sich prüfend über die Unterlippe.
"Alles weg," sagte Kei.
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