Ilja
Ein
feiner Kratzer zieht sich über meinen Unterarm. Er ist knapp sechs
Zentimeter lang, und wenn man ganz genau hinsieht, erkennt man
winzige Schorfpunkte darauf. Das war die Katze Tamara. Ich nenne sie
Katze, weil es zu ihr passt. Ich bin das Krokodil. Niemand nennt mich
so, aber ich finde, dass ich ein Krokodil bin.
Mir
die Menschen als Tiere vorzustellen, hilft mir dabei, mit ihnen
umzugehen. Ich muss mir nicht einmal Mühe dabei geben, sie einem
Tier zuzuordnen. Das passiert ganz von allein.
Tamara
ist eine Katze, weil sie schnurrt und miaut wenn sie spricht, und
sich geschmeidig bewegt.
Ich
bin ein Krokodil, weil ich unauffällig bin. Meistens treibe ich und
beobachte nur. Aber wenn ich ein Ziel habe, bin ich schnell und
konsequent dabei, es zu erreichen. Viele Ziele habe ich allerdings
bisher noch nicht gehabt.
Tamara
ist seit der Grundschule meine Freundin gewesen, oder sowas
ähnliches. Wir sind jetzt immer noch in derselben Klasse, aber
beschäftigen uns in der Schule eigentlich nicht miteinander. Wir
fahren nur zusammen hin und zurück und machen manchmal zusammen
Hausaufgaben. Unsere Mütter sind besser befreundet als wir.
Sie
hat ihre Leute und ich habe meine. Es liegt wohl daran, dass wir
nicht die gleichen Interessen haben. Außerdem mag sie mich wohl
nicht so besonders. Sie macht sich über mich lustig und zieht in der
Schule über mich her.
Bei
der letzten Fahrt im Bus von der Schule nach Hause hat sie so getan,
als wollte sie mich anbaggern oder so, und hat sich einfach meinen
Arm gegriffen. Als ich ihn wegziehen wollte, hat sie sich daran
festgekrallt und mich gekratzt.
„Die
steht auf dich,“ behauptet Mirko mit hochgezogenen Augenbrauen. Er
ist mein bester Kumpel, obwohl wir auch nicht viel gemeinsam haben.
Ich mag ihn eben einfach.
Wir
sitzen vor der Schule auf einer Banklehne und warten auf die anderen.
Ich habe ihm gerade die Geschichte des Kratzers erzählt.
„Quatsch.
Die will mich nur ärgern.“ Ich grinse. Mirko wirkt sehr ernst.
„Sie
ärgert dich dauernd. Das ist doch offensichtlich. Dass sie auf dich
steht.“
„Tse.“
Den
ganzen Tag bleibt Mirko ernst und redet nicht viel. Beim Sport in den
letzten beiden Stunden wird er dann sogar sauer, weil ich mich etwas
rücksichtslos gebe.
„Hallo?!
Das ist Badminton, kein Krieg!“ Er sammelt den Ball zum x-ten Mal
auf und kommt nach vorne zum Netz. Es sind heute nicht so viele Leute
hier, weil die siebte und achte Stunde natürlich nicht so populär
sind. Wir sind nur zu zwölft und haben zwei Sporthallen zur
Verfügung. Vier Paare spielen hier in der großen Halle, und zwei in
der kleineren. Auf dem Feld hinter mir spielen Tamara und Pinar.
Weil
wir so wenige sind, ist es relativ ruhig. Mirko winkt mich mit einem
genervten Blick zu sich ans Netz.
„Tamara
kann dich sowieso nicht sehen, sie steht mit dem Rücken zu dir. Du
brauchst dich also gar nicht so zu verausgaben.“
Ich
brauche ein paar Sekunden, bis ich darauf antworten kann. Die
Bemerkung macht mich nämlich irgendwie verlegen. Dabei habe ich gar
nicht an Tamara gedacht. Sport macht mir einfach Spaß, und das weiß
er.
„Äh.
Unfug. Ich verausgabe mich nicht. Du kannst nur nicht spielen.“ Das
war scherzhaft gemeint, obwohl es die Wahrheit ist. Heute spielt er
wirklich noch viel schlechter als sonst. Aber er rollt nur mit den
Augen.
„Das
weiß ich selbst. Könntest du wohl trotzdem so spielen, dass ich den
Ball mal kriege?“ Er klingt sehr angepisst, als er das sagt, und
geht an seinen Platz zurück. Vor seinem Aufschlag wirft er mir noch
einen Na-was-ist-Blick
zu. Ich nicke und spiele etwas sozialer.
„Hast
du Bock, noch irgendwas zu machen? Oder musst du dringend nach
Hause?“
Ich
wäre liebend gern zum Duschen und Essen nach Hause gefahren, aber
ich habe das dumpfe Gefühl, dass Mirko irgendein ernsteres Problem
hat. Er macht so einen besorgten Eindruck. Und er sieht ziemlich viel
auf den Boden.
„Klar,
wenn ich vorher duschen darf.“
„Dann
sieh zu, dass du deinen Bus kriegst.“ Er zeigt zur Haltestelle, an
der Tamara steht. Wir sehen beide kurz hin, als sie sich eine Kippe
anzündet.
„Kann
ich nicht bei dir duschen? Das ginge schneller.“
Irgendwas
passiert mit seinem Gesicht.
„Um.
Also wenn das nicht geht-“
„Doch,
klar!“
„Du
machst aber ein sehr geschocktes Gesicht.“
„Hehe.“
Jetzt serviert er mir ein falsches Grinsen, das ich ihm nicht
abkaufe.
Mirkos
Mutter ist 100%-Hausfrau. Darum gibt es immer genau dann Mittagessen,
wenn er aus der Schule kommt. Außerdem kocht sie fast nur asiatische
Sachen, weil sie aus Thailand kommt. Sie mag mich anscheinend und hat
kein Problem damit, dass Mirko mich mitgebracht hat, ohne zu fragen.
Mirko darf irgendwie viel. Er hat auch einen eigenen Fernseher mit
Flachbildschirm, eine PS2 und eine Wii-Konsole. Damit beschäftigen
wir uns meistens, wenn wir bei ihm sind. Bei mir gibt es nur den PC.
Einen sehr guten, wohlgemerkt, aber ich habe eben keine anderen
Konsolen.
Mirko
lässt mich zuerst duschen. Während er im Badezimmer ist, spiele ich
ein bisschen Dark Alliance. Er hat nur Fantasyspiele.
„Alter,
hast du kalt geduscht?! Ich hatte ganz lange heißes Wasser!“
„Du
hast echt lang gebraucht, Warmduscher.“ Ich grinse.
Erleichtert
stelle ich fest, dass er auch wieder gute Laune zu haben scheint.
„Halt
die Fresse.“
Ich
pausiere das Spiel, weil er ein paarmal vor dem Fernseher hin- und
hergeht, während er sich anzieht.
„Machst
du das, um mich abzulenken?“
„Ja.“
Er zwinkert. „Was ist jetzt mit Tamara?“
„Grunz.
Sie will nichts von mir. Ich
will nichts von ihr!“
„Sicher?“
„Ja!
Bitte, nimm du sie, ich will sie nicht!“
Auf
einmal fängt er an zu lachen.
„Gut!
Lass zocken.“
Mirko
ist übrigens ein Zwergotter. Jeder mag ihn, er spielt viel und ist
meistens lustig, und außerdem sieht er ganz gut aus. So wie im Zoo
alle verzückt juchzen, wenn sie die Zwergotter beobachten, und „Wie
süüß!“ quietschen, so finden fast alle Mädchen Mirkos Gesicht
und seine joviale Art „süß“. Wie Mädchen halt jemanden finden.
Darum
hatte ich auch erst keine Zweifel, dass es nicht lange dauern würde,
bis er sich Tamara angelt. Aber das ist irgendwie nie passiert.
Als
wir einmal bei ihm hocken und Skelette vermöbeln, fällt mir das
auf, weil seine Minirockelfe ein wenig an Tamara erinnert.
„Was
ist jetzt mit Tamara?“
„Hä?“
„Du
hast gar nichts bei ihr versucht.“
„Hä?!“
Er pausiert das Spiel, gerade als mein Zauber alles plattmachen
sollte, und sieht mich ziemlich schräg an.
„Was
soll ich bitte mit Tamara?!“
„Em.
Das was man so mit Frauen macht.“
Er
stiert immer noch schief in meine Richtung. Nach einer seltsamen
Pause sagt er in einem scharfen Tonfall:
„Ich
habe kein Interesse an Tamara.“
„Aber
warst du nicht eifersüchtig, als du dach-“ auf einmal kracht und
blitzt es im Fernseher, als mein Zauber auf die Untoten
niederdonnert. Ich zucke kurz zusammen und werde von nun an
ignoriert.
Bis
etwa eine halbe Stunde vergangen ist – wir können das gut, uns
anschweigen – und ich meinen Magier durch eine Unachtsamkeit
umbringe.
„Lazarus!“
„Entschuldigung!“
Ich
heiße Ilja, nicht Lazarus, aber jemand fand es mal lustig, mich so
zu nennen, weil mein Nachname mit La anfängt und mein Vorname
russisch ist. Keine Sau kapiert den Witz, aber das ist egal.
Mittlerweile heiße ich seit Jahren so, keiner muss wissen, wie
dämlich der Grund dafür ist.
„Lazarus!!
Naaaiin!! Aaaah!“ Schreiend lässt Mirko seine Elfe zwischen den
Untoten hindurchsprinten und meinem Charakter in den Abgrund
hinterherspringen.
Ich
lache fast so laut wie er schreit, als er seinen Controller wegwirft
und mit ausgestreckten Armen seitlich zu mir herüberkippt.
„Lazarus!
Warte! Ich rette dich!!“
„Haha,
was tust du, wir haben nicht gespeichert!“
„Ultimate
Suicide!“
Ich
fange ihn auf, bevor er auf mir landet und setze ihn wieder auf. Mit
etwas ernsterem Gesicht räuspert er sich.
„Ähem.
Das war eine dumme Aktion.“
„Ich
weiß, entschuldige!“
„Du
hättest einfach unsichtbar bleiben sollen, dann wäre dir nichts
passiert.“ Das sagt er leise und seufzend, indem er mich ernst
anstarrt. Und indem er meine Haare hinter meine Ohren steckt!
„Sieht
gut aus. Lass sie weiter wachsen.“
Was
zur Hölle?!
Er
räuspert sich wieder und hebt seinen Controller auf. „Wir müssen
die Gruft jetzt nochmal ganz durchspielen. Aber diesmal speichern
wir.“
„Klar.
Dann kann deine Elfe ihrem geliebten Lazarus jederzeit in den Tod
hinterherspringen.“
„Genau,“
er grinst. Ich beobachte ihn jetzt ganz genau. Zumindest, bis er das
Level neu gestartet hat.
Mirko
hat manchmal genau dann schlechte Laune, wenn ich über die Katze
rede. Seit ihrem Kratzer ist mir das aufgefallen, und jetzt achte ich
eben darauf. Ich will sowas überhaupt nicht bemerken, darum spreche
ich nicht mehr viel über sie, wenn ich mit ihm allein bin. Was
übrigens nicht mehr so oft vorkommt. Ich will nicht, dass er in
meinen Augen seltsam wird, weil er eigenartige Stimmungsschwankungen
hat, darum bin ich in gewohnte Gewässer abgetaucht. Wir gammeln
jetzt mehr mit unseren Freunden herum. Ich hasse es eigentlich, mit
zu vielen Menschen auf einmal zu kommunizieren, aber das ist mir
lieber, als mit einem einzelnen unberechenbaren Zwergotter umgehen zu
müssen. Ehrlich, es ist viel einfacher. Nur mit ihm stundenlang
irgendwo zu hocken, ohne zu reden, oder zu zweit nachts durch die
Stadt zu wandern, ist zwar sehr viel cooler, aber so ist es
einfacher.
Der
Luchs Biermann hat uns eben verlassen, jetzt sitzen Mirko und ich
allein im nächtlichen Park auf dem Skateplatz und verrauchen das
Gras, das er uns dagelassen hat. Beim Skaten hatte er am Nachmittag
mal wieder seine Raubtierreflexe zur Schau gestellt und war,
geschmeidig wie immer, bei einem der Mädchen erfolgreich gewesen.
Mir tut es ein bisschen für die Mädchen leid, die immer wieder auf
ihn hereinfallen, aber sie müssen selbst wissen, was gut für sie
ist. Solange mir der Kater vor lauter guter Laune seine restlichen
Drogen überlässt, wenn er jemanden abschleppt, kann er ruhig so
weitermachen.
„Mirko.
Hattest du mal ne Freundin?“
Er
legt sich auf den Rücken und verschränkt einen Arm hinter dem Kopf.
Nach einem langen, friedlichen Zug gibt er mir die Tüte.
„Nein,
mein Freund.“
„Wieso
nicht?“
„Weil
mich Frauen nicht interessieren.“
„Ach.
Okay.“ Ich muss mich am Kopf kratzen. Der Zwergotter interessiert
sich nicht für Frauen, na sowas. „Hattest du dann mal einen
Freund?“
„Du
meinst, habe ich mal einen Typen gevögelt? Nein.“
Wir
müssen plötzlich lachen.
„Wieso
nicht? Oh scheiße.“
Er
sieht mich an und lacht.
„Hehe,
sie sind alle irgendwie nicht schwul.“
„Haha,
das ist traurig.“
„Haha,
ja.“
Er
ist auf einmal kein Zwergotter mehr, sondern ein Elefant, der
melancholisch durch das Gitter seines Geheges in den Himmel blickt
und nicht weiß, wo seine Artgenossen sind.
„Ja.
Das ist
traurig,“ ich lege mich neben ihn und reiche ihm die Tüte.
So,
und jetzt kommt mein erster Kuss mit einem Jungen. Ich bin hier der
Initiator, und ich gebe zu, dass ich Mirko eigentlich nur antesten
will.
Er
ist die Beute, die ich auf dem Grund des Flusses herumrolle, um sie
nur halb ertrunken in mein Futterlager zu stopfen.
Als
ich ihn küsse, tut es mir sofort leid.
„Lass
das. Hör auf.“ Er schiebt mich mit den Händen an meinen Schultern
weg. Dann setzen wir uns sofort auf. „Was sollte das?“
„Weiß
nicht.“
„Und,
hat’s dir Spaß gemacht?“
„Ja.
Entschuldige.“
„Arschloch.“
Kichernd gibt er mir den restlichen glimmenden Stummel.
„Laarmann,
Lorenz und Nassar!“
Lazarus,
Sina und ich gehen auf die drei Leinwände zu, die vor einer Wand der
Sporthalle aufgebaut sind. Um sie herum stehen diese silbernen
Schirme, die die Fotografen für das Licht brauchen.
Lazarus
geht natürlich so langsam wie möglich auf den am weitesten
entfernten Schirm zu.
Die
meisten haben sich eben noch im Umkleideraum die Haare gekämmt und
gegelt, und ein paar der Mädchen, wie ich sehe, haben sich sogar
umgezogen. Lazarus hat sich natürlich geweigert, Hand an sein
sorgfältig zerzaustes, wertvolles Haupthaar zu legen, und gemeint,
dass sein Foto wenigstens repräsentativ sein sollte, wenn es schon
so dringend gemacht werden müsse.
Nicht,
dass ich etwas dagegen hätte, ich mag seine wilden Haare, damit
sieht er irre gut aus. Und ich finde es niedlich, wie er sich ziert.
Habe ich das gerade gesagt? Hehe.
Jedenfalls
findet unsere Lehrerin sein zögerliches Schleichen anscheinend nicht
so sehenswert.
„Mach
hin, Ilja, wir haben nicht den ganzen Tag Zeit!“
Er
wirft ihr einen genervten Blick zu und lässt sich mit den Händen in
den Hosentaschen auf seinen Hocker fallen. Es blitzt einmal kurz, und
sein Fotograf ruft sofort:
„Jupp,
das wars,“ und Lazarus steht lässig auf und geht gelangweilt zum
Biermann hinüber, der auf einer dieser kleinen Bänke sitzt.
Auf
einmal rufen mehrere Menschen gleichzeitig meinen Namen und der
Fotograf vor mir winkt ungeduldig.
„Haaalloo!
Hier spielt die Musik! Sollte ich besser Chinesisch sprechen, damit
du mich verstehst?“
Arschloch.
Als
ich mich zwischen Biermann und Lazarus setze, grinsen die beiden mich
blöde an.
„Was
hat dich denn so abgelenkt?“ fragt Biermann.
Ich
sehe auf meine Knie, darum kann ich leider nicht Lazarus’
Gesichtsausdruck sehen, als er bemerkt:
„Dein
Fotograf ist so ein Wichser.“
Ich
nicke. Es tut gut, das aus seinem Mund zu hören.
Auf
dem Weg zur Bushaltestelle fragt er:
„Sag,
sprichst du eigentlich Thai – also was auch immer man in Thailand
so spricht?“
Ich
hab mich wohl verhört, also ziehe ich mir die Knöpfe aus den Ohren.
Ich muss halt dauernd Gedudel im Hirn haben, sonst funktioniert es
nicht richtig. Vielleicht habe ich ADS oder so, aber mit Musik läuft
alles wie am Schnürchen.
„Thailand?“
Ich grinse ihn überrascht an.
Er
bleibt stehen und schaut vorsichtig mit schiefgelegtem Kopf, was echt
hübsch aussieht.
„Ja
...?“
Ich
knuffe ihn in die Schulter.
„Meine
Mutter kommt aus Taiwan, Mann! Taiwan!“
Jetzt
sieht er furchtbar erschrocken aus.
„Oh!
Entschuldige, das tut mir leid!“ Er legt eine Hand auf meine
Schulter und entschuldigt sich noch ein paarmal. Und er meint das
wirklich ernst, denn ich weiß, dass er überhaupt nicht
schauspielern oder lügen kann, und das macht das Ganze doppelt
witzig. Es tut ihm wirklich leid, sich geirrt zu haben, aber weil ich
mich bloß darüber kaputtlache, blickt er etwas betreten drein.
„Wir
haben früher viel Taiwanisch gesprochen, aber damit meine Mum
richtig Deutsch lernen konnte, wollte sie irgendwann, dass wir beide
uns nur noch auf Deutsch unterhalten.“
Er
nickt.
„Ich
kann mich ganz gut verständigen, aber ich kanns leider nicht gut
schreiben.“
„Trotzdem
cool.“
Ich
wische meine Kopfhörer an meinem T-shirt ab und gebe sie ihm.
„Hier.
Taiwan.“
Lazarus
guckt ganz erwartungsvoll. Jetzt bekommt er S.H.E zu hören -
bonbonbuntester, zuckersüßester Girlpop aus Taiwan.
Keine
Ahnung, ob ihm das gefällt, er grinst nur schelmisch. Er hat leider
keine Gelegenheit, viel mehr zu tun, weil sein Bus gerade kommt.
Der
Bus hält, er legt mir die Kabel über die Schulter und wir
verabschieden uns per Handschlag.
„Skatepark?“
frage ich.
Er
nickt, „Bis nachher, Sportskanone.“
„Haha.
Witzig!“ sage ich unlustig, als er grinsend einsteigt.
Lazarus
skatet, spielt Fußball, Basketball, ist einer der besseren im
Sportunterricht (während ich die absolute Niete bin), und geht sogar
zum Spaß joggen! Ich kann mittlerweile auch ein paar
Skateboardtricks, aber nichts Wildes. Das ist einfach nicht mein
Fall. Meistens komme ich erst später in den Park, wenn es dunkel
wird und die meisten Leute entweder nach Hause gehen oder höchstens
noch zum Chillen bleiben.
Jetzt
fragt man sich natürlich, was ich überhaupt da mache.
Bis
vor Kurzem waren Ilja und ich fast immer bei mir und haben irgendwas
gespielt.
Wie
es gekommen ist, dass wir jetzt dauernd in diesem bepissten Park
rumhängen, ist sehr einfach zu rekonstruieren.
Ilja
hat was gemerkt, als ich einmal beim Spielen zu sehr auf Tuchfühlung
gegangen bin, und will nicht mehr mit mir allein sein. Was ich
wirklich verstehen kann. Es gefällt mir nicht, aber ich kanns
nachvollziehen. Es klingt jedenfalls einleuchtend, dachte ich.
Aber
dieser Kuss letztes Wochenende hat mich richtig aus der Bahn
geworfen.
Ich
weiß echt nicht mehr, was ich von ihm zu halten habe.
Rechtzeitig
zu Sonnenuntergang komme ich auf dem Platz an. Ich hatte diesmal
keine Lust, mein Alibiskateboard mitzubringen. Wäre sowieso albern
gewesen. Ein paar Jungs, die den Park verlassen, kommen mir auf dem
Weg entgegen.
Lazarus,
Biermann und zwei andere sitzen oben auf einer der beiden Halfpipes.
Sie sehen mich, aber ich weiß wegen meines mp3-Players nicht, ob sie
mich verbal grüßen. Zur Sicherheit winke ich kurz und ziehe meine
Stöpsel aus den Ohren, sobald ich bei ihnen bin.
„-
sagt der irgendwas von wegen ‚Soll
ich Chinesisch sprechen, damit du mich verstehst?!’“
Biermann erzählt offensichtlich vom Fototag.
„Echt?
Eure Lehrerin hat dazu gar nichts gesagt?“ fragt einer der anderen
Typen.
„Wozu
auch? Sie weiß anscheinend, dass Mandarin in Taiwan Amtssprache
ist!“ Ich zeige ihnen kurz ein falsches Grinsen und hoffe, dass es
lustlos ausgesehen hat.
„Wa-?“
sagt Ilja mit dem Kinn auf der Kante seines Boards. Er runzelt
verständnislos die Stirn. Er sieht süß aus, wenn er
begriffsstutzig ist. Aber ich hüte mich davor, ihn anzustarren.
„Du
hast was von Taiwanisch gesagt!“ beschwert er sich. Er klingt müde,
und sieht auch ein wenig so aus.
„Willst
du jetzt einen Vortrag über Taiwans Landessprachen hören?“
Er
schüttelt langsam den Kopf. „Also wird da Taiwanisch und
Chinesisch gesprochen.“
„Korrekt.“
„...
Dann hat er dich ja gar nicht beleidigt,“ sagt Biermann entsetzt
und glotzt mich an. Ilja und einer der anderen beiden schlagen ihn
gleichzeitig auf den Hinterkopf. Wir lachen ihn noch ein bisschen
aus, bis Ilja auf einmal aufsteht.
Er
gähnt demonstrativ, dann sieht er zu mir herunter.
„Entschuldige.
Ich weiß, du bist gerade erst gekommen, aber willst du vielleicht
mitkommen?“
„Wohin?“
„Naja,
nach Hause.“ Er zuckt die Schultern. Ich sehe zu den anderen. Sie
sehen uns zu. Beobachten die uns? Sie sind zu stumm für meinen
Geschmack.
„Äh,
klar.“
Wir
gehen stumm nebeneinander durch den dunklen Park. Ohne große
Ankündigung macht er ein paar unnötige Umwege.
„Kann
es sein, dass die drei uns gerade etwas seltsam angesehen haben, als
du mich gefragt hast, ob ich mit dir mitkomme?“
„Ach
was.“ Er sieht auf den Boden. Wo es nichts zu sehen gibt, weil es
eh finster ist. Dann bleibt er stehen.
„Ähm.
Ich weiß nicht, womit ich anfangen soll.“
Ich
zucke die Schultern, was er vermutlich nicht sehen kann. Er ist drauf
und dran, mir irgendwas zu beichten, und ich wills nicht hören. Wenn
er in meine Richtung sähe, könnte er hier im Dunkeln wahrscheinlich
auch nicht sehen, was für eine Scheißangst ich gerade habe.
Er
lässt sein Skateboard fallen und setzt einen Fuß drauf. Unter dem
leisen Knirschen der kleinen Steine beginnt er, es langsam hin- und
herzurollen, und steckt seine Hände in die Tasche seines
Sweatshirts.
„Ich
habe ihnen erzählt, dass ich dich geküsst habe. Ich wollte sowas
wie einen Rat, schätze ich, aber ich hab keinen bekommen, natürlich.
Hehe.“
„Lach
nicht, du Arsch. Was fällt dir ein, sowas rumzuposaunen?“
„He,
die drei sind cool, sonst hätte ichs für mich behalten. Außerdem
habe ich gesagt, dass du anscheinend nichts von mir willst.“
Ich
glaube, wir sind beide scheißnervös. Ich fiste meine Hosentaschen
und warte.
„Ich
dachte zuerst, aber dann. Du warst so, ich weiß nicht, ähm, wie
soll ich sagen...“ er macht ein frustriertes Geräusch, „hmrach.
Vielleicht habe ich dich falsch verstanden.“
Er
spricht nicht weiter.
„Und
dich habe ich jetzt gerade überhaupt
nicht verstanden.“
Er
atmet aus und das klingt wieder frustriert. Ich könnte jetzt
friedlich vor der Glotze sitzen, mich nicht hiermit auseinandersetzen
und alles wäre halbwegs in Ordnung.
„Zuerst
habe ich gedacht, dass du was von mir willst, aber letzte Woche hast
du mich weggeschoben und wolltest nicht, dass ich dich küsse, also
hatte ich dich vorher wohl falsch verstanden. Das war wohl zu
aufdringlich, entschuldige. Kannst du darüber hinwegsehen?“
„Tse.
Das war nicht schlimm. Du kannst mich nur nicht so überrumpeln.“
„Also
... was heißt das?“ Er hat aufgehört, das Board herumzuschieben.
„Das
heißt, dass es okay war. Und dass du mich aber nicht so überfallen
sollst.“ Jetzt sieht er in meine Richtung, und ich glaube, dass er
lächelt, aber genau kann ich sein Gesicht nicht sehen.
„Hätte
ich dich erst darum bitten sollen?“
Ich
grinse zurück.
„Das
wäre schon schön gewesen. Du kannst mich als mein bester Freund
nicht einfach so, aus heiterem Himmel, küssen und erwarten, dass ich
überglücklich bin und dir seufzend in die Arme falle. ... Was ich
eigentlich schon fast getan hätte.“
„Also...“
„Also
was?“
„Ich
weiß nicht. Was jetzt?“
Okay,
ich bin zwar derbe in ihn verschossen, aber muss
er so langsam sein? Ich habe ihm gerade praktisch alles
gesagt, und er steht bloß dumm da und glotzt auf seinen Fuß!
„Jetzt
kommt der Teil, in dem du
etwas sagst. Irgendwas, mit dem ich was anfangen kann.“
„Okay.
Darf ich dich nochmal küssen?“
[Ende]
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