Colin lachte ein bisschen und sah zu den Mädchen, die ihm lachend
zuprosteten. Kei ließ seinen Blick durch die Runde schweifen. Seine
Augen stachen auch in dem Licht des Clubs hervor. Er kannte niemanden
aus der Gruppe. Colin hob seine Flasche ebenfalls und der Rest der
Gruppe nahm den Toast mit einem gemeinschaftlichen "Kampai!"
auf. Kei fiel in den Toast mit ein, als er unten auf der Bühne ein
bekanntes Gesicht sah.
"Ich hab euch hier noch nie gesehen - sprichst du Japanisch?"
rief das Mädchen neben Colin über die Musik hinweg. Er nickte.
"Ich war auch noch nie hier. Nehmen wir euch euren Stammplatz
weg?"
"Nö, der ist groß genug, und du bist klein genug," lachte
sie.
Der Typ gegenüber hatte sein Glas schon geleert und sagte mit
finsterer Miene etwas zu dem Jungen neben ihm, als er aufstand und
mit dem leeren Glas wegging. Kei schaute zu Colin.
"Erinnerst du dich an Shin? Der scheint heute hier zu spielen."
Er deutete nach unten in Richtung Bühne, wo sein Kumpel mit Kabeln
in der Hand herumstand und sich unterhielt. Colin sah zur Bühne und
nickte.
"Also wird die Musik garantiert gut."
Der Vampir hatte sich etwas weniger breit gemacht um den anderen
Platz zu lassen. "Seid ihr öfter hier?" fragte er.
"Alle paar Wochenenden," rief ein Mädchen zurück. "Und
immer hier oben."
"Von hier hat man den besten Blick," sagte Kei gut gelaunt.
Seine Stimme war tief und ein bisschen angerauht, was seinem
Zigarettenkonsum geschuldet war.
"Wird es noch voller?" fragte Colin in die Runde. Es war
noch relativ früh, dachte er sich.
"Ja, sehr," antwortete eins der Mädchen. "Aber erst
so gegen elf, zwölf."
"Wo ist Satou hin, der Bastard, holt der sich mehr Alkohol, ohne
uns zu fragen?"
Der übrige Kerl nickte und lächelte friedlich.
"Vielleicht bringt er euch was mit," schlug Kei vor, der
durchaus dazu in der Lage war, sozial zu handeln - wenn es um Colin
ging. An die Rückenlehne des Sofas gelehnt saß er da und nahm noch
einen großen Schluck Bier.
"Eher nicht," sagte ein Mädchen und nippte an einem
leuchtend blauen Getränk mit Schirmchen. Sie lächelte Kei an. "Du
hast interessante Kontaktlinsen. In der Farbe könnte ich ERTRINKEN."
Sie schlürfte nochmal und schmunzelte.
Der Vampir ließ sie im Glauben, dass er Kontaktlinsen trüge, nur
fragte sich rethorisch seit wann die denn im Dunkeln so gut zu sehen
seien.
"Das ist keine gute Idee," sagte er.
"Warum, ist es zu tief?" Im Kokettieren war sie gut.
Zwischendurch fuhren kleine Verfolger durch die Halle, neben dem
stroboskopischen Geblitze.
"Tief und tödlich," entgegnete Kei. "Wie
felsengesäumte Küsten." Er nahm noch einen Schluck aus seiner
Bierflasche und musterte das fremde Mädchen unauffällig. Sie trug
einen engen Minirock aus Leder, ein grobmaschiges Netzhemd mit einem
neongrünen BH darunter, eine Netzstrumpfhose und hohe Stiefel. Bis
auf den BH war alles schwarz. Ihre Haare in Form eines sehr
klischeeasiatischen Pottschnitts hatten neonpinke Strähnen und sie
trug bunten Plastikschmuck mit Totenköpfen, Malteser Kreuzen und
anderen Motiven. Ihre Fingernägel waren auch neongrün und ihr
großzügig aufgetragener Lidschatten rosa. Sie war an so ziemlich
allen Standards gemessen sehr hübsch.
"Ich liebe das Meer," entgegnete sie und steckte ihrer
Nachbarin, die neben Colin auf dem Sofa saß, ihren Cocktailschirm in
die Haare.
Kei stellte fest, dass die ganze Gruppe ziemlich ansehnlich war.
"Nur so lange bis dich eine Strumflut in die Tiefe reißt und
nicht wieder zurückgibt." Sein rechter Arm lag um Colins
Schultern. Er mochte solche Situationen. Noch war ihm nicht ganz
genau klar, was sie von ihm wollte. Ihn anschmachten, ihn
abschleppen, abgeschleppt werden, einfach nur Komplimente machen oder
einen spendablen Typen. Möglichkeiten gab es viele.
Colin musterte alle und verfolgte den Austausch interessiert, während
er sich an seiner Bierflasche festhielt. Als der Schnelltrinker
zurückkam und sich mit zwei neuen Gläsern (beide für sich selbst)
wieder hinsetzte, nickte er ihm lächelnd zu. Der warf ihm nur einen
ziemlich unfreundlichen Blick mit hochgezogenen Augenbrauen zu und
sagte wieder leise etwas zu seinem Nachbarn, der kaum darauf
reagierte.
"Ich habe nichts dagegen, in die Tiefe gerissen zu werden,"
sagte das Neonmädchen, "und wenn ich mal hingerissen bin,
möchte ich auch nicht wieder losgelassen werden."
"Oho!" Die anderen drei (außer Schnelltrinker) lachten.
"Wie du rangehst," das Mädchen neben Colin knuffte ihn in
die Schulter und er grinste amüsiert.
"Lass uns schonmal runtergehen," rief das Lockenmädchen
mit den hohen Ringelstrümpfen dem ruhigen Kerl zu, der nickte.
"Das würdest du aber, sobald der Sturm verflogen ist, liegst du
tot und einsam auf dem Meeresgrund." Innerlich lachte Kei sie
ein bisschen aus, aber davon merktle man nichts. Seine rechte Hand
spielte ein bisschen mit Colins Haaren herum.
Locke und Stoiker standen auf und kletterten hinunter, um zur Bühne
zu gehen.
"Ich komme mit!" Das Mädchen neben Colin sprang auf und
ging hinterher.
Colin sah auf, als würde ihm gerade etwas einfallen.
"Ich fahre bestimmt nie mit dir ans Meer," sagte er
trocken.
Kei schaute seinen Freund an. "Dich ertränke ich schon nicht,"
entgegnete er und wendete seine Aufmerksamkeit Colin zu. Der
schmunzelte.
"Könnt ihr das vielleicht mal lassen? Das ist ja widerlich,"
sagte Schnelltrinker. Er hatte schon eins der Gläser geleert.
"Ich finde es niedlich," sagte Neon und begab sich auf den
freien Platz neben Colin.
Kei schaute den Griesgram an. "Bist du immer so mies drauf, wenn
du Alkohol trinkst?"
"Nein. Ich bin immer mies drauf," entgegnete er und grinste
humorlos.
"Weil er frustriert ist," steuerte Neon bei. Sie legte eine
Hand auf Colins Knie. "Er hatte nicht so viel Glück wie ihr."
Schnelltrinker grunzte und stand auf.
"Wie meinst du das?" fragte Colin.
Langsam aber sicher ging Neon Kei auf die Nerven. Er ließ das völlig
unkommentiert und malte sich die Antworten auf Colins Frage aus.
"Du solltest weniger trinken, das machts nicht besser." Mit
diesem Satz ließ er den Schnelltrinker vorerst in Ruhe.
Neon zuckte graziös mit den Schultern.
"Er behält keine Freundin, weil er sie alle scheiße
behandelt," sagte sie schlicht. "Das meine ich mit Glück.
Du wirst gut behandelt, oder?" sagte sie, indem sie Colin durch
die Haare strich. "Du hast schöne Haare."
Schnelltrinker war auf dem Weg nach unten. Schlecht gelaunt.
Colin war zu perplex, um auf die Tuchfühlung zu reagieren.
"Äh. Ja?" Er runzelte die Stirn und trank.
Kei ließ es bleiben, Neon tödlich anzufunkeln, man konnte sich auch
anstellen, aber er war nunmal eifersüchtig.
"Soll er sich halt benehmen," war alles, was er noch über
den Griesgram zu sagen hatte. Dass der Kerl mies drauf war, weil er
seine Freundin scheiße behandelt und dann verlassen wird - selbst
Schuld.
Aus dem Mikro von unten ertönte ein "Kei, beweg deinen Arsch
hier runter, ich hab dich gesehen."
Colin grinste und sprang auf das Geländer zu.
"Was willst du mit dem Arsch von meinem Freund?!" brüllte
er gutgelaunt zur Bühne. Shin lachte.
"Anfassen, was denkst du denn?" brüllte er zurück. Kei
stand daneben und schwang sich so auf das Geländer, dass er bequem
darauf saß.
"Komm du doch rauf!"
Im Hintergrund lachte Neon. Colins Übermut ließ es ihn für eine
gute Idee halten - nicht dass er mehr groß nachdachte - Kei auf den
Hintern zu hauen. Dass er hoch über dem Boden der Tanzfläche saß,
sie sich in der Öffentlichkeit befanden und Kei das wahrscheinlich
nicht besonders schätzen würde, fiel ihm nicht ein. Kei guckte
Colin mit einem warnenden Blick an, der eindeutig zeigte, was er von
diesem brillianten Einfall hielt. Er sagte aber nichts dazu. Das
Gleichgewicht verlor er keineswegs, er bewegte sich nicht einmal groß
auf dem schmalen Geländer.
Sofort blickte Colin verlegen drein. Reiß dich zusammen, so
betrunken bist du noch lange nicht!
Kei war nicht gerade nachtragend, wenn er keinen großen Grund hatte
und so küsste er Colin.
"Ich geh dem Penner Hallo sagen, er scheint festgewachsen zu
sein da unten. Kommst du mit?"
Dankbar nickte Colin und begann schon den Abstieg.
Kei schwang sich über das Geländer und landete am Fuß der Treppe,
wo er auf Colin wartete.
"Ist das klug, so auf dich aufmerksam zu machen?" fragte
Colin ihn auf dem Weg zur Bühne.
"Das ist nicht so hoch, das fällt nicht sonderlich auf, außer
mit Sportlichkeit," sagte Kei, der sowieso oft darauf
angesprochen wurde, ob er denn Parcour machen würde. Colin, für den
Sportlichkeit ein nur theoretisch bekanntes Konzept war, nahm das so
hin und sortierte sich etwas hinter Kei ein, dem die Leute beinahe
von selbst Platz zu machen schienen.
Kei marschierte bis zur Bühne durch und wurde, kaum dort angekomen,
von Shin umarmt.
"Was hat das so lange gedauert? Du bist doch sonst schneller,"
neckte der.
"Fresse, fang du ja nicht von Schnelligkeit an, Shin."
"Er hat auf mich gewartet," meldete sich Colin zu Wort. Er
musterte Shin und den Rest der Band sowie den Aufbau gutgelaunt.
"Dich hab ich doch schon mal gesehn... Genau! Du warst bei einem
Konzert. Woher kennst du Kei?" fragte Shin neugierig, während
Kei sich dessen Gitarre nahm und ein bisschen darauf herumspielte.
"Wir sind in derselben Klasse. Das war übrigens ein gutes
Konzert." Er reichte Shin die Hand. "Ich bin Colin... Und
meinen Glückwunsch zu diesem Auftritt. Das hier ist eine Nummer
größer als der ranzige Schuppen vor ein paar Wochen."
Shin erwiderte den Gruß. "Ich bin Shin. Und danke! Der Auftritt
hier hat uns ein bisschen Überzeugungsarbeit gekostet und Kei hat da
auch seine Finger drin, keine Ahnung, wie er das angeleiert hat."
Er lachte. "Wie kommt's dass ihr in der selben Klasse seid? Hast
du'n paar Klassen übersprungen? Kei, mach dich nützlich und stimm
die Gitarre, wenn du schon darauf spielen musst."
Der Angesprochene gab ein "Bin ich dein Sekretär?!" zurück
und spielte weiter.
Yakuza, dachte Colin, so hat er das angeleiert.
"Wenn du sie stimmen würdest, würde das jetzt auch nach was
klingen," bot Colin an. "Ja, ich bin etwas gesprungen. Habt
ihr CDs oder Downloads im Angebot? Damit solltet ihr aufwarten
können, wenn euch der Auftritt hier was bringen soll." Er
wollte nicht klugscheißerisch klingen. Er wollte wirklich helfen.
"Sonst nimmt das Interesse an euch schnell wieder ab." Er
musterte Shin.
Shin grinste.
"Haben wir tatsächlich, die sind aber hinter der Bühne für
nach dem Auftritt, damit sie nicht aus Versehen wegkommen."
Kei indes stimmte die Gitarre tatsächlich ein wenig, um den Klang
des melodischen Autounfalls in etwas vernünftiges zu verwandeln.
Shin musterte den Kleineren ebenfalls ein wenig.
Anders als bei dem vorigen Konzert versuchte Colin offensichtlich
nicht, sich unsichtbar zu machen und glotzte Kei auch nicht wie ein
gejagtes Tier an, also das konnte dem Gitarristen möglicherweise
auffallen. Ansonsten war der Junge dieselbe Person, wenn auch diesmal
in schwarz mit Bändern um Hals und Handgelenke, was ihn vielleicht
nicht älter, aber weniger kindlich als damals wirken ließ.
Er schmunzelte.
"Was kostet es, eine mit Absicht wegkommen zu lassen?"
fragte er.
"Nimm sie als Werbegeschenk. Lass es mich oder Kei wissen, wenn
du die anderen auch haben willst, ich mach dir'n Freundschaftspreis."
Shin schmunzelte. "Und jetzt mal Klartext. Kei ist nicht gerade
dafür bekannt, mit anderen Menschen etwas zu unternehmen. Und mit
Schul- oder Klassenkameraden habe ich ihn noch nie gesehen. Wie hast
du das angestellt?"
Kei hörte den beiden zu, während er auf der Gitarre eine ruhige
Melodie spielte.
Colins Lächeln verzaghaftete sich.
"Äh. Ich habe eigentlich gar nichts angestellt." Das
stimmte ja auch eigentlich. Waren sie so verdächtig und
verhörwürdig? Und wenn er jetzt sagte, dass sie ein Paar waren -
wenn er sowas überhaupt sagen durfte - was würde dann passieren,
das wäre ein öffentliches Coming-Out, auf einer verdammten Bühne
sogar. Er warf einen kurzen, vorsichtigen Blick auf Kei und schob
seine Hände in die Hosentaschen.
"Äh, ich glaube er steht auf mich?" bot er mit
hochgezogenen Schultern an. Er wusste, dass Kei 'auf ihn stand', aber
als Frage und Vermutung formuliert klang das weniger eingebildet.
Shin schaute verwundert, dann grinste er.
"Ich dachte schon, Kei wäre unfähig Zuneigung zu empfinden.
Gratulation. Steht er nur auf dich oder-"
"Shin, ich höre dich sehr gut," warf Kei ein und schaute
Colin an - amüsiert. Er stand auf, legte die gestimmte Gitarre
vorsichtig beiseite und ging zu Colin, legte einen Arm um seine
Schultern. "Tu ich das - bist du dir sicher?" neckte er
ihn.
Colin hatte begonnen, darüber nachzudenken, warum Shin so an Keis
persönlicher Entwicklung interessiert sein mochte. Er lächelte
gespielt unsicher.
"Wenn du mich so fragst..."
Kei hatte sein Gesicht dicht bei Colins. "Ja?"
"... muss ich glatt mit Ja antworten."
"Ganz schön selbstsicher für deine Größe," kommentierte
Kei, bemüht, sein Grinsen zu verbergen.
Colin versteifte sich und musste zu Boden sehen. Er schämte sich
wirklich, schmunzelte aber trotzdem, weil er sich eins nicht
verkneifen konnte - die Vorlage war einfach zu gut:
"Du hast dich nie über meine Größe beschwert," sagte er
leise.
Jetzt lachte Kei. Er machte nur Spaß und war der Meinung, dass Colin
das auch wusste. Er ging einfach dreist davon aus. Er küsste ihn.
Shin lachte ebenfalls.
"Nehmt euch ein Zimmer, ihr seid ja schlimm... Ja, er steht
wirklich auf dich," wendete er sich an Colin. Mit einem
verlegenen Grinsen rieb Colin sich das Kinn und räusperte sich.
"Wir sollten nicht weiter stören, was?"
Kei lachte nur und nahm ihn mit zur Bühnentreppe.
Shin widmete sich seinen Kollegen und sehr bald darauf ging das
Konzert auch schon los. Mit einem schnellen Song, der die
Aufmerksamkeit der meisten Anwesenden schnell auf die Bühne lenkte.
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