Anatamo = (jap.) "Sie/Du auch." Hier: "Ich dich auch."
Omedetou = (jap.) Glückwunsch
Arigatou = (jap.) Danke
MONTAG, 2. JANUAR
Am Vormittag stand Kei auf. In der Küche fand er auf dem Tisch einen
Zettel:
'Diesmal mache ich nichts dummes. Ich bin bald wieder da.'
Er seufzte leise, ehe er sein Handy nahm und draufsah. Es waren
mehrere Nachrichten und einige Anrufe darauf.
Er wählte die letzte Nummer, eine ihm unbekannte. Dran ging eine
junge Frau.
"Ich soll dir eine Nachricht ausrichten, Akaya," säuselte
sie. "Schon mal was von Anrufbeantworter gehört?" fragte
dieser sarkastisch.
"Ryuji lässt ausrichten, dass er dich sucht."
Kei lachte ironisch. "Was will der Wichser? Er hat sich seit gut
zehn Jahren nicht blicken lassen."
Die Frau sagte ihm, dass sie das nicht wüsste. Gelogen.
Akaya legte einfach auf.
Er hörte die bis dato ignorierte Voicemailnachricht ab. Es war
Akira. Entweder hatte die Leitung oder seine Stimme eine schwache,
kratzige Qualität.
"Es dauert etwas länger als ich dachte. Ich weiß nicht, wie
lange, aber es ist alles in Ordnung -" Hier machte er eine Denk-
oder Atempause "- und ich stelle nichts an. Ich schwöre es. Und
nur falls dus nicht mehr geglaubt hast: Ich liebe dich."
Kei hielt kurz inne, ehe er auf die unbekannte Nummer sah, die zweite
in fünf Minuten. Er speicherte sie mit einem Fragezeichen ab, weil
er nicht wusste, ob Akira ein neues Handy hatte, oder von sonstwo
anrief.
Er schrieb einen Zettel.
'Hey, Wenn du wieder da bist, mach dich gleich auf den Weg. Ich bin
in der Werkstatt, arbeiten. Wichtig.
Kei
Ach ja, danke.' Hinter die Nachricht kritzelte er die Adresse.
Ein paar Stunden später klingelte Keis Handy mit der Nummer, von der
aus Akira ihm am Morgen seine Nachricht aufgezeichnet hatte.
Kei nahm ab. "Ja?" Davon, sich höflich am Telefon zu
melden, hielt er so gar nichts.
"Hey," sagte Akira. "Ich muss noch länger
hierbleiben. Aber es ist alles gut."
Keis skeptischer Blick war beinahe hörbar. "Okay. Falls ich
nicht da bin, findest du ne Kleinigkeit in deiner Jackentasche."
"Ich hoffe, es ist kein Haustier. Die Verantwortung wäre mir zu
groß," scherzte Akira. "Ich soll über Nacht hierbleiben,
aber morgen kann ich wieder gehen," fügte er vorsichtig an.
"Wo bist du?" fragte Kei verwundert. "Und nein, es ist
kein Haustier."
"Gut. Beim Roten Kreuz," sagte Akira schlicht. "In der
Hauptstelle beim Bahnhof."
Kei war verwirrt. "Eh, okay. Was auch immer du da machst..."
"Kann ich dir das morgen erzählen? Die Schwestern brauchen das
Telefon wieder."
"Ja, bis morgen. Anatamo," beantwortete er Akiras kleine
Meldung vom Morgen.
"... Das ist... gut," sagte Akira leise. "Bis morgen."
Er legte auf.
Kei steckte sein Handy wieder weg und arbeitete weiter. Erst sehr
spät in der Nacht kam er nachhause, mit ein bisschen mehr Geld als
vorher. Einiges davon hatte er an seinen Boss abgedrückt.
Am späten Morgen machte Akira sich auf den Weg zurück zu Keis
Wohnung. In der U-Bahn betrachtete er die Verbände um seine
Handgelenke und den Gips um seinen rechten Oberarm und musste sehr
gerade stehen, damit es ihn nicht zu sehr in der Brust stach. Es
wurde ihm zweimal ein Sitzplatz angeboten, doch er sollte nicht in
der Bahn sitzen. Das Ruckeln würde schlechter als im Stehen
abgefedert werden und wäre für seine gebrochene Rippe sehr
ungesund.
So um zehn Uhr herum stand er vor Keis Haus und klingelte. Kei
schälte sich aus dem Bett.
"Guck in die Innentasche deiner Jacke," rief er aus dem
Fenster.
"Achso..." murmelte Akira und pulte zwei glänzende neue
Schlüssel aus seiner Jacke. Mit einem sanften Lächeln schloss er
die Tür auf.
Das Treppensteigen war etwas mühsam und er machte während des
langsamen Aufstiegs eine Pause. Schließlich kam er nach langer
Wanderung doch oben an. Er trug einen breiten Verband um den Hals,
ein paar kleine Pflaster auf Augenbraue und Wangenknochen, Verbände
um die Handgelenke und eine Schlinge für seinen rechten Arm, der vom
Ellenbogen bis zur Schulter eingegipst war. Mit dem anderen Arm hielt
er sich leicht die Seite.
Kei stand in der Schlafzimmertür, als Akira oben ankam. Vorsichtig
betrachtete er den Verletzten.
"Hey."
"Hey." Akira lächelte. Mit den Füßen zog er sich
nacheinander die Schuhe ab, ohne sich zu bücken. Kei ließ den
dummen Kommentar, der ihm auf Anhieb einfiel, da wo er war und
lächelte kaum merklich.
"Auf Scheißtage folgen schlechte Nachrichten," begann er.
"Kommen die bei uns nicht immer gleichzeitig?" Er popelte
sich umständlich die Jacke herunter.
"Fast. Ryuji ist wieder da. Ein... sagen wir, alter Bekannter,"
erklärte er. "Das ist nicht besonders erfreulich, da der Kerl
immer nur Stress im Gepäck hat. Stress und Krieg."
"Und wer ist er?" Akira lehnte sich mit dem Rücken an die
Wand des Flurs.
"Ein mächtiger Wichser. Ein Vampir. Sein Ruf eilt ihm voraus.
Er wurde nahe Tokyo gesehen. Yukio erzählte, dass er wohl eine ganze
Truppe um sich hat. Was er genau hier will, weiß ich nicht. Urlaub
machen aber bestimmt nicht."
Akira musste schlucken. Noch ein Vampir, und einer mit einer Bande?
"Äh... woher kennst du ihn?"
"Kennen ist zuviel gesagt. Ich sind uns ein paarmal begegnet,
als ich klein war. Wenn er da ist, ist mein Vater auch nicht weit.
Wenn er nicht tot ist. Das ist genauso schlecht..."
Akiras ernstes Gesicht wurde besorgter. Er ging auf Kei zu.
Kei schaute ihn an. So wie Akira aussah, würde er beim nächsten
Windhauch auseinanderfallen.
Dicht vor Kei, schon den heileren Arm ausgestreckt, zögerte er und
kratzte sich kurz verlegen am Hals. Es war bestimmt noch zu früh für
Annäherungen, und außerdem konnte er sich nicht anmaßen, zu
wissen, wie Kei sich bei dem Gedanken an seinen Vater fühlte. Dafür
wusste er zuwenig. Schließlich legte er nur kurz und sehr sachte die
Hand auf Keis Wange, zu beschämt um ihn dabei richtig anzusehen.
Kei legte seine Hand auf die von Akira und blieb eine Weile so
stehen. Seine Gedanken rasten ein bisschen von A nach D, zurück zu A
und weiter zu C.
Akira wagte es, Kei anzusehen.
Der erwiderte den Blick. Mit leichtem Lächeln, seine Gedanken waren
nicht wirklich da, wo sie sein sollten. Akira lächelte warm zurück
und küsste ihn.
Kei erwiderte den Kuss, aber nicht allzu lange. Akira nahm seine Hand
zurück und machte einen Schritt rückwärts.
"Was passiert jetzt?"
"Ich tendiere zu Blutvergießen, Brutalität und vielen Toten,"
sagte Kei leise und behielt Akiras Hand in seiner.
"Ist das eine Prognose oder dein Vorhaben?" fragte Akira
mit kurzem Blick zur Seite.
"Prognose und ein bisschen Vorhaben."
"Kann ich helfen?"
"Sicher. Ich weiß nur noch nicht wie."
Akira nickte. "Wenn ich mich kurz hinlegen darf, mache ich alles
was nötig ist," kündigte er an.
Kei ließ das 'Du meinst, wenn du dich wieder bewegen kannst' in
seinem Kopf. "Ja."
Im Schlafzimmer holte er seine Kiste vom Schrank. Akira folgte ihm
hinein und kletterte vorsichtig auf das Bett, wo er sich erleichtert
ausstreckte. Er fand sich zu jung, um laut aufzuseufzen, aber es war
offensichtlich, was für eine Wohltat seine neue Position für ihn
war. Er sah Kei zu. Der räumte die ganze Kiste aus und sortierte
ihren Inhalt, lud die Waffen durch - alle. Das Maschinengewehr baute
er erstmal zusammen, da er es zum Wegpacken in seine Einzelteule
zerlegt hatte. Das Schauspiel fand Akira ungemein spannend. Und er
spürte, wie ihm wärmer wurde.
Nachdem Kei mehrere Pistolen - sieben um genau zu sein - gereinigt
und geladen, ein Maschinengewehr zusammengesetzt und geladen, neun
Messer, neben dem, das er immer dabei hatte, sortiert, einige
Wurfmesser und Wurfsterne in einer Tasche verstaut und hinter dem
Kleiderschrank seine neueste Errungenschaft - ein Katana –
hervorgezogen und alles vor sich ausgelegt hatte, schaute er
zufrieden darauf. Unter dem Bett hatte er noch eine Kiste, in der
noch ein Schnellfeuergewehr lag, das er ebenfalls dazusortierte.
"So. Das wär alles," verkündete er.
"... Ach..." sagte Akira trocken. Mehr brachte er nicht
heraus. Wer soll das alles benutzen?
Kei schmunzelte ein bisschen. "Das hat sich angesammelt,"
erklärte er. Wobei das nur die halbe Erklärung dafür war, wie er
an so viele Waffen gekommen war. Akira zeigte auf das schwere Gewehr
von unter dem Bett.
"Kannst du etwa damit umgehen?"
"Ja."
Akira nickte langsam. Als ich damals dachte, 'Oh, wie cool, er ist
so gefährlich,' hatte das eine etwas andere Dimension als all das
hier...
"Weiß dieser Ryuji, wo du wohnst?"
"Ich hoffe nicht, ich würde ungern meine Wohnung zerlegen
müssen."
"Hat er irgendwas mit deinen Leuten zu tun? Mit deinem Boss und
so?"
"Nein. Wenn er was mit der Yakuza zu tun, nicht mit meinem Boss.
Als ich ihn zuletzt sah, hatte er das nicht. Aber er hat das auch
nicht nötig."
"Klingt ungemütlich."
Er setzte sich auf und begann, sich erst die Schlinge und dann
vorsichtig das T-shirt auszuziehen. Das ging auch mit einem Arm ganz
gut, wenn auch langsam und mit ein paar Grimassen. Kei beobachtete
ihn dabei, als er sein Arsenal wieder wegräumte - geladen und
zusammengebaut.
"Wenn es ein Erdbeben gibt, fällt der ganze Spaß vom Schrank
und wir haben ne Party," schlug Akira vor. Er legte das T-shirt
irgendwo neben sich und legte sich wieder hin. Unter dem Verband um
seine Brust schauten ein paar große Blutergüsse an den Stellen
hervor, die mit Keis Stiefeln Bekanntschaft gemacht hatten.
"Der Schrank fällt oben drauf und nichts passiert," machte
Kei einen Gegenvorschlag.
"Waaas, ist der etwa nicht erdbebensicher?" fragte Akira
ungläubig mit einem Schmunzeln. "Dafür aber kuuugelsicher?"
"Kleinere Erdbeben überlebt hier alles, kommt ja oft genug
vor." Kei schmunzelte. "Bei einem großen möchte ich nicht
hier sein."
"Sondern lieber bei all dem Futter draußen."
Akira hatte die Augen geschlossen. Seine Wunden pochten. Das fühlte
sich gut an.
"Nur dem, das noch lebt."
"Die Tasche da oben hat an der Seite einen kleinen
Reißverschluss."
Kei sah hoch. "Die hier?" Er deutete darauf. Es war nicht
seine. Akira nickte, ohne hinzusehen.
"Da ist was für dich drin. In dem kleinen Fach."
Kei holte die Tasche vom Schrank und öffnete das kleine Fach. Seine
Finger schlossen sich um eine Kette, er zog sie heraus und lächelte,
als er das Plektron sah.
"Danke."
Akira lächelte ihn an. "Es sollte dein Geburtstagsgeschenk
sein, aber jetzt wissen wir ja nicht, ob du den noch erlebst."
Er schmunzelte. "Ich weiß auch gar nicht, ob du Eric Clapton
überhaupt gut findest, aber das Ding da ist wertvoll für mich."
Er zeigte dahin, wo das kleine signierte Plastikdreieck zwischen Keis
Fingern herunterbaumelte. "Das war einer der guten Gründe,
leichtsinnig ins Haus zurückzugehen."
"Ich werde gut darauf aufpassen. Und meinen Geburtstag
überleben. Ist ja nicht mehr lang."
Kei lächelte, als er sich aufs Bett setzte. Akira setzte sich auf
und wollte ihm die Kette abnehmen. Kei übergab sie ihm. Schaute ihn
fragend an. Akira öffnete sie und wollte sie Kei umbinden. Kei
beugte sich zu ihm hinüber, sodass Akira sich nicht so sehr
verrenken musste.
Er befestigte sie und bemerkte: "Silber lässt dich nicht in
Flammen aufgehen, das ist sehr praktisch."
Kei lachte ein bisschen. "Sonne tötet mich auch nicht,"
merkte er lächelnd an.
Akira schmunzelte.
"Omedetou."
"Arigatou."
Akira legte sich wieder hin. Kei legte sich daneben.
"Es tut mir Leid," sagte Akira leise und flach, als er die
Decke ansah.
"Was?"
"Was ich getan habe."
Kei wusste nicht, was er darauf erwidern sollte. Vorsichtig nahm er
Akiras heile Hand als Antwort und ließ seine Gedanken
unausgesprochen.
Akira hielt Keis Hand fest und wandte sein Gesicht ab um zu
versuchen, sich über die Wangen zu wischen, was sich mit dem
eingegipsten Ellbogen als unmöglich herausstellte. Also gab er es
auf und sah mit nasserem Gesicht wieder an die Decke.
Kei drehte sich mit geschlossenen Augen auf die Seite und hatte sein
Gesicht nahe dem von Colin im Kissen vergraben.
Akira studierte Keis Gesicht. Er verstand immer noch kein bisschen,
was der Vampir an ihm fand, und was er nun immer noch für ihn übrig
hatte. Aber er hoffte, dass er seine Meinung nicht so bald ändern
würde.
Er schloss die Augen und ließ das heiße Pochen und Kribbeln durch
seinen ganzen Körper ziehen.
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