Saturday, August 13, 2016

Kei + Colin LXXXIV: In ungewohnter Hülle


 „Steht dir bestimmt.“ Kei, der seine Fantasterei bestätigt sah, wenn diese auch nicht grün gewesen war, fand das gar nicht schlecht, aber äußerst amüsant, weil er damit nicht gerechnet hätte. Colins Seitenblick auf ihn sprach Bände, aber in einer unbekannten Sprache. Er zog das Kleid aus der Tüte.
„Natürlich steht es mir,“ sagte er eingebildet, schmunzelte dabei aber. Er war auf belustigte Weise überrascht und fragte sich beim Begutachten des fast kindlich-mädchenhaften Kleides mit einem deutlichen Überschuss an Falten und Stickereien, was Kei von dieser Idee halten mochte. Kei musterte das Kleid aufmerksam.
„Ich hatte mir das etwas anders vorgestellt,“ sagte er grinsend. Er nahm den Inhalt seiner Tüte und musterte ihn. „Muss der Frack auch sein?“ fragte er seufzend.
„Wenn wir runtergehen, ja.“ Colin blickte zu Kei auf. „Ich würde das jedenfalls gern sehen.“ Und er immer noch zu gern gewusst, ob Kei die Vorstellung von ihm im Kleid gefiel. Seine Aufmachung als Angel in Bolivien hatte zeitweise hart an der Grenze zum Crossdressing gelegen, aber das waren Showkostüme gewesen, und nie so eindeutige Verkleidungen.
Kei würde Colin das nicht unbedingt auf die Nase binden, aber der Kleinere würde schon früh genug darauf kommen, was er von seiner Verkleidung hielt. Colins Showkostüme hatte er damals auch gemocht, auch wenn er nicht alle davon gesehen hatte. „Schulde ich dir noch was?“ fragte er grinsend. Colin lächelte erst verschmitzt aber schien dann kurz nachzudenken und zuckte nur mit den Schultern.
„Gar nichts. Wir sind schließlich nicht verheiratet.“ Daraufhin wandte er sich wieder seinem Tüteninhalt zu und probierte die Knöpfe auf den Stiefeln aus. Kei nahm das Schmunzeln des Kleineren eher zur Kenntnis als seine Antwort. Würde er Colin etwas schulden, wenn sie verheiratet wären? Er war davon nicht überzeugt. So gar nicht. Er nahm den Inhalt der Tüte auseinander.
„Aber nur weil ich wissen will, wie das aussieht,“ kommentierte er sein Outfit und begann, sich umzuziehen. Grinsend schüttelte Colin den Kopf.
„Wenn Rupert es ernst meint, müssten da noch Kontaktlinsen für dich sein. Es kann nicht sein, dass nur ich unter dem Radar bleiben muss.“ Er packte alles in die Tüte zurück und stand damit auf. Kei schaute genauer auf dem Boden der Tüte nach - und tatsächlich! Dunkelbraune Kontaktlinsen.
„Ich komm mir so anständig vor in diesen Sachen...“ Er fummelte die Kontaktlinsen in seine Augen und drehte sich zu Colin um, der gerade die Karaokemaschine ausgeschaltet hatte. „Wie sehe ich mit braunen Augen aus?“
Mit ernsthaft verwundertem Gesicht musterte Colin ihn. Als er den Mund schließen konnte, rieb er sich verlegen über eine Wange. Seine Hand war kühler als sein Gesicht, und das war nunmal angenehm.
„... Menschlich.“
Dass Kei gerade irgendwie warm und hübsch aussah, wirklicher und damit lebendig, was sich alles mit ihm irgendwie echter anfühlen ließ, konnte er doch nicht einfach so sagen.
„... Unheimlich...“ sagte Kei. „Hast du irgendwas spiegelndes? Ich muss das selbst sehen.“
„... In meinem Zimmer.“ Da hatte Colin sowieso hingehen wollen. Zu diesem Zweck hatte er sein Hemd wieder angezogen und hielt die vollgestopfte Kostümtüte in einer Hand. In Hemd und seiner eigenen Hose und mit Kontaktlinsen in den Augen, nahm Kei sein Zeug und ging zur Tür um mit dem Kleineren in dessen Zimmer zu gehen. Dort stand in der Ecke zwischen geschnitztem Kleiderschrank und Schmucktapete ein menschengroßer Spiegel, zu dem Colin hinnickte, als sie hineinkamen. Er warf seine Tüte auf das Bett und setzte sich daneben, um Kei anzuschauen. Der ging zum Spiegel und betrachtete seine völlig ungewohnte Augenfarbe. Sein Blick war schwer zu deuten. Colin lächelte leise.
„Wenn ich eine rausnehme und die andere drinnen lasse, dann erschrecken sich die Leute zu Tode,“ dachte Kei laut.
„Es gibt schrecklicheres. Aber es wäre sehr auffällig. Was hältst du jetzt von deinem Gesicht?“
„Das ist extrem ungewohnt. Ich sehe halbwegs menschlich aus...“
„Don't be so hard on yourself. Du siehst immer halbwegs menschlich aus. Jetzt siehst du sogar fast ganzwegs menschlich aus!“ Colin grinste. „... Wie ein Elf, der sich Menschenohren aufgesetzt hat!“
„Ich bin zu schmal, um als Mensch durchzugehen, aber den Menschen fällt das nicht auf, die glauben, ich esse zu wenig.“ Der Vampir schien das amüsant zu finden.
„Tust du ja auch,“ entgegnete Colin mit hochgezogener Augenbraue und winkte ab. „Als Ostasiate darfst du aber ein Strichmännchen sein, das macht nichts. Ich weiß schließlich, wie du ohne Kleider aussiehst.“
„Wie ein muskulöses Strichmännchen...“ grinste Kei. Colin lachte.
„Solange du die gleichen Sachen kannst wie Jean-Claude van Damme musst du nicht unbedingt so aussehen.“ Er grinste.
„Ich kann mehr.“ Da war er sich sehr sicher. Muskelberge machten bestimmt unbeweglich.
„Oho. Große Töne. Wieso nimmst du den Mund so voll, glaubst du, dass du das beweisen kannst?“
Durch die geschlossene Tür konnten sie nun gedämpft einen Gong vernehmen.
„Da ich van Damme nie begegnet bin nicht, aber das muss ich auch nicht - Wofür is der Gong?“
„Keine Ahnung. Wahrscheinlich fängt jetzt der erste Programmpunkt an oder so.“ Colin saß gemütlich an einen Himmelbettpfosten gelehnt auf der Ecke herum. „Zieh die anderen Sachen noch an.“
Kei zog sich den Rest seiner Kostümierung an, eine bestickte schwarze Weste und den Frack, doch das Krawattending trug er zu Colin. „Ich kann ja Krawatten binden, aber wie geht das?“
So etwas hatte Colin als Angel häufig genug getragen, um es im Schlaf korrekt anlegen zu können. Er stand auf und drapierte das schwarze Tuch um Keis Kragen, band es locker zusammen und fixierte es mit der dekorativen silbernen Nadel, die bereits an einem Ende heruntergebaumelt hatte.
„Bittesehr, Lestat,“ sagte er, indem er mit dem Daumen kurz über den glänzenden Halbmond strich.
„Danke.“ Kei hatte die Bücher von Anne Rice nicht gelesen, aber die Filme waren ihm irgendwann in Japan mal untergekommen.
„Du kannst dich sehen lassen. All the girls in the county will want to marry you,“ lispelte er in einem sehr schottischen Akzent mit übertriebenem Augenaufschlag.
„But I don't want to marry. You must save me.“
„Oh, good golly, what are you suggesting?“ Er behielt das schottische Geschwurbel bei.
„Take a sword and kill them,“ war Keis wunderbare Idee. Er musterte Colin und sein Geschwurbel misstrauisch, aber grinsend.
„You think I'm that kind of Highlander?“ Während Colin das R anrollte, zwinkerte er grinsend.
„Do you prefer a Highlander's weapon?“ Kei bemühte sich, nicht in lautes Gelächter auszubrechen.
„A true Highlander kills with his bare hands... however, when it comes to weapons, I prefer it Japanese. Japanese... swords. My hands, your sword... how about it?“ Er zuckte die Schultern.
„Agreed.“
Colin sah ihn hungrig an. „Then let's get your sword. And find those girls and kill them,“ sagte er fröhlich und drehte sich weg.
Kei verschwand tatsächlich kurz in seinem Zimmer und kam wenig später mit seinem Schwert wieder.
„Now I look like a Yakuza killer from a hundred years ago,“ grinste er. Colin patschte sich mit der Hand auf die Stirn, während Kei sein Schwert lachend in die nächste Ecke stellte.
„Okay, der Witz ist schiefgelaufen. Wenn ich sage, dass ich dein japanisches Schwert bevorzuge, dann rede ich nicht unbedingt von Stahl.“
Kei amüsierte sich köstlich, sodass der Verdacht aufkommen konnte, er hätte Colin absichtlich missverstanden.
„Du kannst so jedenfalls runtergehen, du bist gut getarnt und siehst verdammt gut aus,“ sagte Colin mit einer Geste des Hinfortwinkens.
„Ich darf nicht beim Umziehen zugucken? Pff.“
Colin staunte kurz. „Umz-“ Er blickte auf die Tüte und dann zurück zu Kei. „Du willst, dass ich das anziehe?“ Er klang mehr interessiert als alles andere.
„Ich will zumindest sehen, wie es aussieht,“ entgegnete er mit leichtem Grinsen.
„Na gut, aber nur... mit meiner Freigabe. Also darfst du nicht zugucken. Raus.“ Er zeigte auf die Badezimmertür. Dann mit dem anderen Arm auf die Tür zum Flur. Sah dabei aber richtig streng aus. „Und am besten gehst du auch gleich runter, sonst muss ich die Schlüssellöcher verhängen.“
„Ich kann auch durchs Fenster gucken.“ Kei grinste. Sein Schwert ließ er in Colins Zimmer. Da lag es fast genauso gut wie in seinem eigenen. Er schlenderte die Treppe hinunter zum Saal.

Da gingen Leute mit Häppchen und Getränken umher und es gab wohl ein Streichquartett, dessen sanfte Töne er bis ins Foyer hören konnte. Als er zu all den Leuten herunterkam, verstummte es gerade. Die Gäste standen nun alle im Saal, in dem sonst immer dieser große lange Tisch stand, mit Getränken in den Händen da und hörten abwechselnd ein paar Ansprachen zu und klatschten zwischendurch. Die meisten von ihnen waren etwa in mittlerem bis etwas höherem Alter. Kei identifizierte einige Frauen, deren Männer sie wohl wegen ihrer Brüste und blonden Haare geheiratet hatten. Sie erschienen ihm etwas zu alt, um als Begleitung gemietet worden zu sein. Die Gäste sahen für ihn fast alle so aus, wie er sich europäische Snobs vorstellte.
Als nach all diesen Ansprachen und dem Geklatsche, die Kei komplett ausblendete, die Musik und das Häppchenfressen wieder begann, war Colin immer noch nicht zu ihm gestoßen. Es dauerte über zwanzig Minuten, in denen Kei sich unten weiter umsah und sich ein paar Drinks und Anstandshäppchen genehmigte. Ansonsten musterte er die Personen, von denen er keine kannte und wartete mit stetig wachsender Ungeduld auf ein Zeichen von Colin. Was macht der da oben noch?
Er musterte die versnobt aussehenden Menschen mit verborgener Abscheu und fragte sich, weshalb Colin und er unten gewünscht waren. Durch die Reihen der Leute gehend mimte er den höflichen Japaner und suchte Rupert, der sicherlich wusste, weshalb er ihn und Colin jetzt doch unten sehen wollte.
Rupert, seinerseits wie alle anderen in Schale geworfen, war immer wieder von Gästen belagert und kümmerte sich wohlerzogen und mit geübter Höflichkeit und Sorgfalt um jeden einzelnen. Als er Kei bemerkte, versuchte er, ihn zu sich zu winken und sich zu ihm durchzukämpfen, wurde unterwegs jedoch mehrmals aufgehalten. Kei hatte ihn gesehen und bahnte sich, Unbekannte höflich grüßend, wann immer es nötig war, seinen Weg zu Rupert, jedoch ohne zu versuchen die Belagerungsgruppe zu verdrängen. Augenblicklich war es eine Dame um die vierzig, die ihn zum Tanzen überreden wollte. Das Streichquartett spielte nun bereits seit einigen Minuten, ging aber in dem allgemeinen Raunen und Gläserklicken beinahe unter.
„I'm sure I will, later on, but I haven't even greeted half our guests yet, I'm sure you will forgive me,“ entschuldigte Rupert sich bei ihr und drehte sich eilig zu Kei um. Der lächelte ganz leicht und grüßte Rupert mit angedeuteter Verbeugung. „How brilliant you could make it. Have you introduced yourself to anyone yet?“ Rupert neigte in Entgegnung der Verbeugung etwas den Kopf.
„I greeted some people but there was no real introduction.“
Rupert lächelte ein wenig. „I'm sure it won't take long, Sakamoto-san, people will want to get to know you.“ Er stellte sein leeres Champagnerglas auf ein Tablett und nahm zwei neue herunter. Eines hielt er Kei hin. „Have you come alone?“
Kei nahm mit verstehendem Nicken das Glas entgegen. „My lovely counterpart needs some more time.“ Er fragte sich dabei, wie lange es wohl brauchte das Kostüm perfekt anzuziehen. Anscheinend sehr lange.

Dennis kratzte sich besorgt am Kinn. Er war schon lange nicht mehr skeptisch, dass Colin so inkognito bleiben konnte, denn das Kleid und die Perücke leisteten ganze Arbeit. Oder vielleicht drei Viertel der Arbeit, denn Colin war überzeugend. Das war bedenklich. Fand Dennis. Nun machte er sich eher Sorgen, dass der Junge unten aus einem anderen Grund zu viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen könnte.
Mit einem kleinen Zeigefingerdreher ließ er Colin sich noch einmal drehen, um ihn von allen Seiten genau zu begutachten. Schließlich schüttelte er langsam den Kopf.
„Ich kann dich nicht runterlassen,“ sagte er.
„Aber Kei ist schon lange unten,“ protestierte Colin. Sein enttäuschter Blick ließ Dennis sich beinahe an die Brust greifen und hilflos seufzen. Schließlich rubbelte er sich über das Gesicht und öffnete die Tür.
„Dann geh eben...“ Kei würde ihn schon zuverlässig bewachen, hoffte er.

Als Kei Bewegung auf der Treppe hörte, sah er auf. Er hoffte, dass es Colin war, denn diese Gala war bisher nicht allzu interessant für ihn gewesen. Andere Gäste und Bedienstete, die sich gerade in der Eingangshalle aufhielten, blickten ebenfalls auf, denn die Treppe war auf einer der unteren Stufen mit einer Kordel abgesperrt, damit man sich nur im Erdgeschoss bewegte.
Ruperts freudig überraschter Blick ging mit einer deutlichen Entspannung seiner Körperhaltung einher.
Gleich am Fuß der Treppe, als er sich gerade umgesehen hatte, wurde Colin von jemandem angesprochen. Auch wurde ihm ein Champagnerglas in die Hand gedrückt. Er wechselte lieblich lächelnd und nickend ein paar Worte mit der alten Dame im Glitzerschmuck und knickste, als sie sich wieder abwandte. Das grüne Kleid mit all der Spitze und Stickerei war nicht besonders lang sondern reichte ihm gerade bis unter die Knie. Mit den Stiefeln, den gestreiften Strümpfen, den Handschuhen und nicht zuletzt dem lockigen Haar ließ es ihn wie Alices große Schwester aussehen, oder wie einen Charakter aus einem Charles Dickens-Roman.
Kei erblickte Colin nur Sekunden nach Rupert. Ein anerkennendes Staunen machte sich auf seinem Gesicht breit, während er sich ihm näherte. Das Grinsen ließ er unter einer perfekten Maske verschwinden.
„What took you so long?“ fragte er ruhig, nachdem die Dame wieder verschwunden war. Sein Gesichtsausdruck verriet teilweise, was er von Colins Aufmachung hielt. Offenbar nicht wenig. Obwohl sein Freund eher wie ein Buchcharakter aussah - Er war ein verdammt hübscher Buchcharakter. „That somehow suits you well,“ fügte er leise hinzu. Viktorianisches-Mädchen-Colin errötete etwas und sah zu Boden. Seine typische Geste, sich vor Verlegenheit die Haare hinter die Ohren zu stecken, brachte nun endlich wieder einmal was, jetzt, wo er eine überzeugende Perücke trug.
„I don't know if that's a compliment or not... but thank you,“ entgegnete er leise.
„Indeed, you look pretty,“ stimmte Rupert mit ein. „Did you just introduce yourself to Mrs Jefferson?“
„Kind of that was what I wanted to say,“ erklärte Kei leise. Er wollte es nur nicht so formulieren und dann kam was merkwürdiges dabei heraus. Gut, dass Colin ihn auch so verstand. Der Vampir sah zu Rupert in Erwartung dessen, was dieser sich für Colin ausgedacht hatte.
„Yes. She knows my name's Ivy Branson,“ sagte Colin leise. Rupert schmunzelte hauchzart und nickte.
„Very good. Please carry on, Ivy, and enjoy yourself. Kenichi Sakamoto will look after you.“ Mit diesen Worten klopfte er Kei dezent auf die Schulter. Das brachte Kei fast zum Lachen. Kenichi? Wirklich? Es gab so viele japanische Namen und Rupert musste sich diesen aussuchen. Ivy für Colin war aber auch nicht besser. Das passte so gar nicht zusammen.
„I guess I'm your bodyguard for today,“ stellte er fest.
„That's a relief,“ sagte Colin und sah auch so aus, ehe er einen kräftigen Zug von seinem Schaumwein nahm. Rupert tat es ihm gleich und wandte sich mit einem Winken ab.

Kei trug sein Glas mit sich herum und leerte es nur langsam. „Do you know what this is all about?“ fragte er und sah in die Menschenmenge.
„Wir können Japanisch sprechen, weißt du?“ flüsterte Colin.
„Weiß ich. Dann versteht uns keiner. Glaub ich. Also, worum dreht sich diese ganze Veranstaltung?“ Kei hoffte, dass Colin das wusste. Auf einer Veranstaltung zu sein, von der er nicht einmal wusste, weshalb sie stattfand, war seiner Meinung nach reichlich sinnlos.
„Die Leute hier sind alle Förderer von verschiedenen wohltätigen Geschichten rund um Lancaster, und diese Gala für sie findet hier jedes Jahr um diese Zeit statt. Als Dennis mir beim Anziehen geholfen hat, hat er gesagt, dass du und ich hier sowas wie eine Generalprobe haben.“ Colin nahm Keis Arm. „Rupert will beweisen, dass wir unentdeckt bleiben können, ohne uns zu verstecken. Aber Dennis ist darüber nicht glücklich.“
„Ich bezweifle, dass wir so, wie wir gerade aussehen, irgendwem auffallen.“ Da war sich Kei sehr sicher. Colin im Kleid und er ohne seine blauen Augen konnten irgendwer sein, aber nicht sie selbst.
„Erkannt werden wir nicht, nein... aber wir fallen trotzdem auf.“ Colin warf einen bedeutungsvollen Blick durch den Raum. Hier in der Bibliothek standen und saßen genug Menschen herum, um nicht jeden wahrnehmen zu müssen, doch diese Leute hier kannten sich untereinander und Colin konnte das Gefühl, begafft zu werden, mittlerweile sehr deutlich ausmachen. „Jede Auffälligkeit ist gefährlich, sagte Dennis, und wenn wir enttarnt werden, reiten wir Rupert und alle anderen damit rein.“ Er zog an Keis Arm und stellte sein leeres Glas auf einen Beistelltisch. „Lass uns rausgehen.“
„Wir werden angestarrt, aber nicht enttarnt. Das ist so, wenn man auffällt.“ Er folgte Colin nach draußen und leerte auf dem Weg sein Glas.
Draußen waren kaum bis keine Leute, da diese noch damit beschäftigt waren, sich drinnen zu unterhalten. Hier auf der laternenbeleuchteten Terrasse standen nur eine handvoll Gäste zum Rauchen herum, und unterhalb der Treppe auf dem Gras ging ein junger Kerl einsam umher und popelte im Dunkeln mit seinen feinen Schuhen im Boden herum. Er musste sehr gelangweilt sein.
„Der ist nicht freiwillig hier,“ stellte Kei, auf den jungen Mann deutend, fest.
„Mir blutet das Herz.“ Colin ging die Treppe zum Rasen hinunter, um der Intimität der Rauchgemeinschaft vor den Glastüren zu entgehen. Sie würden sie ausgiebig betrachten und bestimmt ansprechen, wenn sie dort stehenblieben. Kei folgte artig.
„Das bezweifle ich.“
Colin warf ihm einen schmunzelnden Blick zu, ehe er sich am Fuß der Treppe umschaute, um zu entscheiden, wo sie hingehen konnten.
„Kennst du irgendeinen Ort in diesem Garten noch nicht?“
„Ich würde sagen, ich kenne den ganzen Garten noch nicht richtig. Ich war bisher davon überzeugt, dass ich ihn mir nur einbilde.“ Er zuckte graziös mit den Schultern. “Findest du, dass der Irrgarten dahinten nett ist?“
„Lass es uns herausfinden. Ich kenne den Irrgarten nur von oben.“
Colin fischte nach Keis Hand, ehe er losging. Vorsichtig, um mit seinen Absätzen nicht in der Erde einzusinken, ehe sie den Kiesweg erreichten. Kei überließ Colin seine Hand, er hatte schließlich zwei davon, und fingerte mit der anderen geschickt eine Zigarette aus der Packung in seiner Jacketttasche. Colin sah ihm zu, als er endlich nicht mehr auf den Boden schauen musste.
„Ich finde, du solltest fragen, bevor du die anmachst. Es ist eine Lady anwesend.“
„So viel Anstand hab ich nicht. Die Lady kann ja versuchen mich davon abzuhalten - gibt sicher ein sehenswertes Bild ab.“ Kei grinste. Es war niemand in Sichtweite, der sich groß für die beiden interessieren würde. Schließlich hatten sie den Irrgarten gerade erreicht. Colin blieb stehen und machte ein überzeugend brüskiertes Gesicht. Das war auch sehenswert. Kei konnte ihn nicht so ganz ernst nehmen, schaffte es aber, nicht zu lachen. Er steckte sich die Zigarette einfach hinters Ohr. „Besser?“
„Brav.“ Mit einem kleinen Schmunzeln ging Colin an ihm vorbei, wobei er sich umdrehte und rückwärts weiterging. „Es ist mir egal ob du rauchst, du sollst mich nur fragen, ob ich auch eine will, wenn du kein unzivilisierter Barbar bist.“
Kei hielt ihm daraufhin die Schachtel hin und schlenderte weiter in den Irrgarten hinein. „Lass uns hier lang gehen,“ entschied er einfach und zeigte nach links. Er wusste ungefähr, wo der Ausgang war. Sollten sie sich verlaufen, konnte er aber auch einfach nachsehen, was das Verlaufen egal machte.
Colin nahm sich eine Zigarette heraus und gab Kei die Schachtel zurück. We shouldn't be smoking but snogging right now. What else is the point of a garden maze?
Kei grinste nur leicht über das Bild vom ihm und Colin knutschend, das wie ein kurzer Film für eine Sekunde in seinem Kopf auftauchte. Er fand das eine sehr gute Idee.
Wie Recht du hast.
Er fasste nebenbei den Entschluss, nach der Gala mit Dennis zu reden um herauszufinden, was genau Colins Gedanken - das konnte nichts anderes sein, das da seit zwei Tagen hin und wieder in seinem Kopf auftauchte - in seinen zu suchen hatten.
Gemächlich ging Colin voraus in die gewiesene Richtung und sah sich um. Es war nicht sehr dunkel hier, denn das beleuchtete Schloss war nicht weit weg und der Himmel war ausnahmsweise wolkenfrei. Nach der zweiten Kurve stellten sie außerdem fest, dass hier in Intervallen kleine Laternen standen. Sie waren nur viel niedriger als die Hecken und durchdrangen mit ihrem Licht nicht das dichte Ast- und Blätterwerk.
„Ist schön hier.“ Kei sah sich alles an. Er war hier noch nie durchgelaufen. Er nahm Colins Hand und drehte sich so, dass er hinter ihm stand.
„... Ja.“ Colin musste verlegen lächeln. Kei machte sich einen Spaß daraus, Colin hochzuheben. Der hielt sich aus Reflex an seinem Arm fest. „Oi!“
Er trug Colin ein paar Meter und setzte sich auf die nächste Bank, die er fand.
„Was würdeloseres ist dir nicht eingefallen, was?“ sagte Colin augenrollend. Trotzdem klang er nicht beleidigt oder genervt und sah dabei schön verlegen aus.
„Dich durch die Gegend zu tragen?“ Kei lachte.
„Meine Füße funktionieren prima, weißt du?“ Er lehnte sich etwas zur Seite, gegen Kei, und hob einen grazil bestiefelten Fuß zum Beweis. „Ich hab auch extra Schuhe angezogen.“
„Ich weiß.“ Keis Gesicht war noch immer außergewöhnlich gut gelaunt. Er hielt den Kleineren vom Reden ab, indem er ihn küsste. Mit Freuden, einem eigenen glücklichen Lächeln und einem plötzlichen Überschuss an genau den richtigen Hormonen erwiderte Colin den Kuss.
„Was ist mit dir los?“ fragte er danach schmunzelnd, während er Kei durch die Haare strich.
„Ich vertrage keine Tussibrause,“ sagte er grinsend.
„Zwei Flaschen Whisky auf ex, kein Problem. Ein Glas Champagner, und die Welt dreht sich.“ Colin lachte leise.
Kei fand das durchaus schlüssig. „Das ergibt Sinn,“ sagte er, sich seiner Sache sehr sicher.
„Sicher, dass du nicht einfach nur gute Laune hast?“ bot Colin an und gab Kei noch einen kurzen und sehr sanften Kuss.
„Kann auch sein.“ Kei küsste seinen Freund noch einmal. Colin machte fröhlich mit.
„Es ist nicht besonders nett, dich über meine Aufmachung lustig zu machen.“ Er lächelte jedoch selbst und blieb mit den Lippen fast auf Keis kleben.
„Ich mach mich nicht lustig,“ nuschelte Kei in den Kuss. Eine Antwort brauchte er nicht unbedingt.
„Ich wusste es...“ Colin legte die Arme um Keis Nacken. „Du stehst drauf, Perversling.“
„Ich nehm' das als Kompliment.“ Grinsend hielt er Colin leicht fest.
„Dann ist das also keine Münzrolle in deiner Hosentasche, auf der ich da sitze,“ sagte Colin belustigt.
„Das wäre reichlich unwahrscheinlich,“ entgegnete Kei und küsste den Kleineren wieder.
Und so hätte es noch stundenlang weitergehen können, fand Colin, wenn sich nicht dieses verdammte unbefriedigte Bedürfnis des gesamten vorangegangen Tages wieder in ihm regte. Er wollte das hier auskosten, Keis äußerst seltene zahme Sanftheit, aber seine eigene Ungeduld machte ihm das natürlich zunichte. Sein Herz schlug so laut, dass er nur noch das und seinen Atem hören konnte und seine Hände krochen so gut wie von selbst unter Keis Jackett und knöpften seine Seidenweste auf. Kei zog Colin ein bisschen dichter an sich heran - viel Platz war da ohnehin nicht mehr. Es war ungewohnt für ihn, dass sein Freund nichts anhatte, das man tatsächlich aufmachen musste. Seine rechte Hand fand einen Weg unter den grünen Stoff. Unter dem voluminösen Unterrock stellte er fest, dass die Strümpfe knapp über den Knien endeten und es keine weitere Unterwäsche mehr gab. Und, dass Colin sich ebenfalls ‚freute, ihn zu sehen.‘
Nach der Weste war Keis Hemd dran, doch Colin öffnete es nur so weit, dass er eine Hand hineinschieben konnte. Das Grinsen in Keis Gesicht verschwand nicht, während er den Kuss vertiefte und sich freute, dass Colin Unterwäsche für unnötig zu halten schien. Seufzend und den Kuss gierig erwidernd rutschte Colin Kei und seiner forschenden Hand entgegen. Leider gab es hier auf Keis Schoß nicht viel, worauf er sich dafür abstützen konnte. So hakte er nur einen Fuß um Keis Bein und riss versehentlich einen der Knöpfe ab, als er mit den Fingernägeln über Keis Bauch und zu seinem Rücken fuhr und ihm dabei das Hemd weiter aufriss.
Kei war ziemlich egal, ob seine Kleidung heil blieb. Während er Colins Körper in ungewohnter Hülle weiter unter die Lupe nahm, schob er den Stoff so zurecht, dass er nicht störte.
Um sie herum waren weit und breit keine Menschen zu sehen - und sie würden sie auch nicht so schnell finden. Allmählich war Colin immer weniger dazu in der Lage, Kei zu küssen, weil sein Mund und sein unregelmäßiger Atem ihm nicht mehr gehorchten. Er machte nur noch peinliche leise Geräusche, hielt Kei kratzend fest und schwelgte genüsslich und ungeduldig in allem, was Keis Hand da unter seinem Rock tat. Kei, der sich keine Gedanken darüber machte, ob Colin und er auf der Gala von irgendwem vermisst werden könnten, bemerkte zwar am Rande, dass Colin wohl bald noch etwas mehr als das hier wollte, aber das war ihm beinahe egal. Die Situation konnte gerne noch kleines Weilchen so bleiben, wie sie war, jedoch wirklich nur ein kleines, denn bekanntlich waren Kei und Geduld auch nicht die besten Freunde.
Gerade rutschte Colin etwas zur Seite, um Keis Hose aufzufummeln, als es auf der anderen Seite der Hecke hinter der Bank auf dem Kiesweg knirschte. Kei drehte den Kopf leicht in die Richtung aus der das Geräusch kam, wurde mit seiner Hand etwas langsamer und lauschte.
Das Geräusch war verstummt.
Colin hatte scheinbar nichts mitbekommen. Die Pause, die Kei ihm nun gönnte, nutzte er, um sich ihm zu entwinden und sich zwischen seinen Knien umzudrehen. Kei entschied, dass es egal war, denn wenn da jemand war, würde derjenige sich schon bemerkbar machen und dann sterben oder verprügelt werden und zwar ziemlich schnell. Er hatte gerade was besseres zu tun, als sich auf leise Geräusche zu konzentrieren, die plötzlich wieder verschwanden. Nämlich das, was da gerade wieder auf seinen Schoß kletterte, und zwar diesmal vorwärts. Es küsste ihn langsam und breitete seine Röcke so zwischen ihnen aus, dass man nicht mehr direkt sehen konnte, was seine Hand darunter tat.
„Das ist wirklich keine Münzrolle,“ raunte Colin auf Keis Lippen. Kei erwiderte den Kuss grinsend.
„Ne.“ Er nahm sein vorheriges Tun wieder auf und hielt Colin mit der anderen Hand im Nacken fest.
Das sachte Knirschen ging wieder los, als Colin leise stöhnte. Er stieß etwas gegen Keis Hand und vergaß beinahe, dass er auch einen Job zu erledigen hatte.
Diesmal schaute Kei genauer hin. „Ich glaube, wir werden bespannt,“ sagte er leise, aber so dicht bei Colins Ohr, dass dieser ihn hören musste. Er wurde mit seiner Hand wieder etwas langsamer. Colin seufzte und hielt allmählich inne.
„Wo?“ flüsterte er zurück.
„Von da.“ Mit der freien Hand deutete er leicht auf die hohe Hecke schräg hinter sich, aus der das Geräusch gekommen war. Mit den Armen nun um Keis Schultern linste Colin über seinen Ellenbogen auf die Hecke. Sie wies einige lichte Stellen im Geäst auf und selbst er mit normalmenschlicher Sicht konnte in diesem sanft beschienenen Halbdunkel den Schatten dahinter sehen.
„Fast direkt hinter dir, hinter der Hecke,“ flüsterte Colin. „Ich gehe zum Ende der Hecke und du schneidest ihm den Weg ab, wenn er in die andere Richtung losläuft.“
„Gut.“ Langsam stand Kei auf und stellte Colin dabei hin. Beinahe ohne Geräusche zu verursachen. Und ohne auch nur den geringsten Abstand zu ihm zu nehmen, schloss Colin Keis Hose vorsichtig wieder, und zwar so, dass er ihm erstens möglichst wenig Unbehagen in der nun beengten Hose bescherte, und zweitens nicht von außen ersichtlich war, was er da tat. Als er damit fertig war, drehte er sich hastig um und rannte auf die Öffnung in der Hecke rechts von ihrer Bank zu. Die Person dahinter schien zu stutzen und dann ebenfalls loszulaufen, vor Colin weg. Kei schnitt der Person mit einem Satz über die Hecke den Weg ab, sodass sie nun zwischen Colin und ihm stand.
Der Junge, der eben noch auf dem Rasen vor dem Labyrinth Langeweile geschoben hatte, rannte fast in Kei hinein, und hielt erst Zentimeter vor ihm an. Hinter ihm kam Colin näher, nun gemächlich gehend. Der Junge sah sich gehetzt zwischen beiden um, bevor er sich etwas mehr aufrichtete und an seinen Jacketttaschen herumnestelte. Colin strich seinen Rock glatt und steckte eine lose Locke hinter ein Ohr.
„What are you doing here?“ fragte Kei. Er klang nicht, als wollte er den Jungen sofort umbringen, aber wirklich erfreut war er offensichtlich nicht.
„I's jus'... I'm sorry, I didn'... I's jus' goin'...“ stotterte er. Colin blieb wenige Meter hinter ihm stehen und nahm eine steife Porträtpose ein, in der er die Hände vor sich zusammengelegt und die Füße zusammengestellt hatte.
„Were you indeed?“ sagte er leise. Der Junge blickte von Kei zu ihm und nickte. Er sah nun nach und nach etwas trotziger aus, da er sich allmählich vom ersten Schrecken erholte. Kei musterte den Jungen.
„Of course you are sorry,“ sagte er sarkastisch. Er schaute Colin an mit der Frage im Blick, ob er dem Jungen eine knallen durfte. Aber er wusste, dass die Antwort ‚Nein‘ war.
„I am, yes. And I didn't see anything, honest. I was gonna turn right back around -“ Der Junge machte Anstalten, um Kei herumzugehen. Colins Gesicht war gerade sehr weich und freundlich, mit einem sanften Lächeln, doch sein Blick sah finster aus, mehr nach Akira als Colin, als er den Jungen betrachtete.
„That's why I heard you twice, isn't it?“ Kei schaute mit einem Auge zu Colin und beobachtete ihn.
„Yes, I - I was coming and going, just as soon as I noticed you, so I'll just-“
„Nimm sein Telefon,“ sagte Colin sanft, doch es klang trotzdem wie ein Befehl. „Es ist in seiner linken Jacketttasche.“
Kei nahm das Telefon an sich. „Was willst du damit?“ fragte er Colin. Er behielt den Jungen im Auge, sodass er nicht wegrennen konnte. Er mochte den Blick auf Colins Gesicht. Er mochte es, dass Colin grausam sein konnte.
„Oi!“ rief der Junge, als Kei ihm unverhohlen und ohne Warnung in die Jackentasche griff, doch der Vampir schien kaum zu bemerken, wie er versuchte, seine Arme wegzuschlagen und ihm das Handy wieder zu entreißen.
„Er hatte es gerade noch in der Hand. The last man who took pictures of us died soon after,“ informierte er den Jungen. „Did you save it on a server or send it to anyone?“
Die Augen des Jungen weiteten sich erschrocken.
„Your pincode. Now,“ forderte Kei. Dass Smartphones immer pingeschützt waren, war manchmal wirklich nervig.
„No way! Give it back!“ rief der Junge und langte danach. Colin beäugte ihn wie ein neugieriger Vogel.
„He can also just destroy it. And your face. He's good at that. I only need to say the word,“ sagte Colin samtig. Doch der Junge zog hastig die Arme zurück und machte einen Schritt zurück von Kei.
„I didn't send them anywhere, and they're just on there, let me delete them, give it back...“
„I will delete them myself. Just to be sure. Pincode.“ Kei grinste leicht böse. Der Junge sah ihn trotzig an und machte den Mund auf um etwas zu erwidern, doch als er Colins totes Lächeln sah, schauderte er und hielt still.
„... Six, five, two, one...“ murmelte er. Kei gab die PIN ein und suchte die Fotos durch. Sehr schnell wurde er fündig. Nachdem er alle Bilder gelöscht hatte, die ihn und Colin zeigten, fragte er: „Soll ich die gesamte Karte löschen? Dann freut er sich gleich.“
Mit einem winzigen Seitwärtsnicken deutete Colin seine Gleichgültigkeit an. Der Junge, der kein Wort verstand, sah misstrauisch zwischen ihnen hin und her. Kei leerte die ganze Speicherkarte und steckte dem Jungen das Handy wieder in die Tasche. Dann musterte er mit interessiertem Grinsen seinen Freund. Der Junge starrte ihn auch immer noch an, aber weit weniger fröhlich. Nur am Rande schien er wahrzunehmen, wie das Smartphone in seine Jacke zurückgeschoben wurde.
„You've seen how he cut you off just now,“ begann Colin mit sanfter Stimme, aber mit einem Blick wie das Gespensterkind aus jedem vierten Horrorfilm. Das fahle Laternenlicht, das ihn schräg von hinten durch die Lücke im Buschwerk beleuchtete und die Stille um sie herum taten ihr Übriges, um diesen Eindruck von verlorenem Mädchen aus dem Geisterhaus zu untermalen. „Now run far, and run fast, before I decide my hound needs some exercise.“
Kei schaute den Jungen böse grinsend an. „Run, little fucker.“ Er würde sich gerne wieder Colin widmen, aber solange der Zuschauer noch da war, ging das nicht.
Der Junge rannte schnell dorthin, wo er hergekommen war. Colin sah ihm reglos nach, bis er außer Sicht- und Hörweite war, dann neigte er wieder den Kopf und sah Kei an.
„Wo waren wir gerade?“ fragte der Vampir. Colin öffnete den Mund, aber biss sich dann auf die Lippe, leckte darüber und sah ernst zur Seite. Da war ein merkwürdiges Rauschen in seinem Körper, oder nur in seinem Kopf, so als würde sein Blut sämtlicherweise in sein Hirn gepumpt und ließe es auf Hochtouren laufen, ohne dass sein totes Herz auch nur einen Schlag tun musste.
Als Kei neben Colin stand, sagte er: „Du bist schon wieder tot.“
Mit versteinertem Blick auf irgendein Efeublatt ließ Colin einen kurzen Atemzug gehen, der ihn daran erinnerte, dass er nicht mehr geatmet hatte, seit er mit Kei von der Bank aufgestanden war. Das Rauschen in seinem Kopf ging nun in ein dröhnendes Brummen über, wie die Motoren eines Schiffes unter Wasser. Es presste von innen gegen seine Stirn und seine Augen, und er drückte sie zu.
Kei sah ihn fragend an. „Alles okay?“
Das laute Brummen in seinen Ohren schwoll etwas an und nahm wieder ab. Es drückte gegen seine Schädeldecke und zerquetschte jeden Gedanken, den er zu fassen versuchte. Bald fühlte es sich an, als würden ihm Ohren, Augen und sein ganzes Gesicht von etwas umklammert und wie durch ein schwarzes Loch nach innen gerissen. Er konnte sein eigenes Stöhnen nicht hören, oder spüren, und griff nur zitternd mit den Händen nach seinem Gesicht, um es festzuhalten.
Kei schüttelte ihn leicht. „Erde an Colin.“
Er krümmte sich nur weiter mit zusammengekniffenen Augen ächzend zusammen und krallte die Fingernägel in seine Stirn und Schläfen. Es sah schmerzhaft, schmerzerfüllt und verzweifelt aus, obwohl Colin selbst nichts davon spürte. Sein Kopf und seine gesamte Wahrnehmung waren nur von diesem großen, drückenden Gefühl des Eingesaugtwerdens erfüllt. Zu denken zu versuchen hatte er aufgegeben.
Mit einem frustriert klingenden, langsamen und erstickten Schrei kniete er sich raschelnd in den Kies und kratzte sich mit verkrampften Fingern tief und langsam über das Gesicht.
Kei kniete sich daneben und passte auf, dass Colin sich nichts großartiges antat. Er hatte versprochen ihm keine zu knallen.
Sein rauher Schrei wurde allmählich zu einem Winseln zwischen hastigen Atemzügen, als würde er hyperventilieren, und die Striemen über Stirn und Wangen hatten begonnen, blutig zu werden, bevor Kei seine Arme auseinandergezogen hatte. Colins ganzer Körper war verkrampft und zitterte vor Anspannung, während er blind vor sich auf den dunklen Boden starrte und schluchzend Luft holte, die er gar nicht brauchte.
Kei hielt beide von Colins Handgelenken fest, sodass er sich nicht weiter das Gesicht aufkratzen konnte. Colin zerrte noch eine Weile an seinem Griff, aber beruhigte sich allmählich. Sein Atem blieb hörbar und laut aber wurde langsamer, und seine starren Muskeln lösten sich zum Teil. Er starrte zwar immer noch zu Boden, doch man konnte trotzdem deutlich sehen, dass auch sein Gesicht sich ein wenig entspannt hatte.
Kei lockerte seinen Griff um Colins Handgelenke etwas. Der zog seine Arme herunter, um sich auf dem Boden abzustützen. Kei ließ ihn los. „Besser?“
Colins Finger bohrten sich zwischen die kleinen Steine. „Bessssser...“ zischte er mit einem leisen Grollen in der Kehle. Kei verdrehte die Augen. Das klang nicht nach Colin.
„Du klingst nicht wirklich nach dir...“
„... Dirrrr...“ knurrte Colin leise, ehe er aufblickte und nach Keis weißer Kehle biss, die er ihm da so praktisch vor seine aufgerissenen Augen hielt. Kei wich leicht zurück um ihm auszuweichen.
„Reiß jemand anderem den Hals auf, nicht mir.“ What the fuck?? Wo war Dennis, wenn man ihn brauchte? Was zur Hölle war jetzt schon wieder los?
Der Vampir musterte seinen Freund. Irgendwas stimmte ganz und gar nicht... Colins wild starrendes Gesicht folgte ihm und seine Hände krallten sich nun in seine Oberschenkel und das Jackett, was immer sie zu fassen bekamen um Kei herunterzuziehen. Er schnappte wieder nach seinem Hals.
In seinem Kopf geisterten keine Gedanken mehr umher wie sonst, sondern ein tumbes Wirrwarr aus Sinneseindrücken, die aus Blutgeruch, Fleischgeschmack, dem weichen, glitschigen Gefühl auf seinem Gesicht und zwischen den Fingern, wenn er sie in einem Körper vergrub, und der Wärme und dem leisten Knistern und Pochen eines sterbenden Körpers bestanden.
Und ich kann ihm keinen Galagast hinwerfen... Wo ist Dennis, wenn man ihn mal braucht? Kei gab Colins Zug nur wenige Zentimeter nach, um nicht als sein Mittagessen zu enden. „Lebend oder tot?“ fragte er, während er Colins Hände nahm und ihn so mühelos auf Abstand hielt.
Seine Hände brauchte er gar nicht, um sich mit seinem Körper weiter auf Kei zu werfen. Als das nicht funktionierte, versuchte er es mit Keis Händen, knurrend und schnaufend wie ein Hund. Auch das war wenig erfolgreich und so beruhigte er sich wieder, hörte auf, Kei anzugreifen, aber starrte weiterhin leer vor sich hin und atmete immer noch schwer.
Hinein,‘ erklang Delilahs monotone Telepathiestimme in Keis Kopf. Sie stand einige Meter entfernt im Dunkeln. ‚Mir nach.‘



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