Thursday, January 28, 2016

Kei + Colin LXI: Leichte Beute


Kei ging sich abreagieren. Erst Stunden später kam er zurück. Kurz vor dem Morgengrauen setzte er sich draußen auf die Bank neben der Hintertür. Abreagiert hatte er sich an einer kleinen Rotte von Junkies, die der Meinung gewesen war, sich mit ihm anlegen zu müssen. Sie hatten es bereut.
Akira hatte im Zimmer aufgeräumt und sich irgendwo eine Flasche Rum besorgt, die er sich dabei genehmigt hatte. Zuvor hatte er die alte Indian ohne Abdeckplane auf den Hof direkt vor die Bank geschoben und eine Weile lang beschimpft und verflucht. Auf ihr herumzutreten hatte er sich nicht getraut. Das Ding war immer noch wertvoll, und obendrein das Geschenk für Kei, für das er offenbar eine beschissene Dummheit begangen hatte.
Nun saß er mit seiner beinahe leeren Rumflasche auf der Nischenbank unter dem Fenster und schlief. Das Geldbündel war zum Zweck der Alkoholbeschaffung dünner geworden und lag nun in seiner Hosentasche. Irgendwann vor dem Einkauf und dem Zusammenrollen am Fenster hatte er sich auch den bunten Kapuzenpullover wieder angezogen, sonst jedoch nichts.
Kei hatte das Motorrad noch nicht bemerkt, er hatte es zwar gesehen, aber kaum bewusst wahrgenommen.
Auf seiner Tour durch die Stadt hatte er einige Menschen umgebracht, aber auf die brutale Weise. Er selbst war in einer Schießerei mehrfach getroffen worden, während er in blinder Wut wild auf irgendwelche Typen eingedroschen hatte. Dazu hatte es noch jede Menge Alkohol gegeben.
Er zog die Knie hoch und lgte die Arme darauf. Sein Kopf folgte kurz darauf. So saß er eine Weile da.

Hinter dem Fenster regte sich etwas. Akira hob den Kopf und eigentlich auch den Rest seines Körpers, dachte er, bis er auf dem Boden lag und die Flasche ihm klirrend folgte. Der sich drehende Raum trieb ihm das Wasser in den Mund und ließ seine Eingeweide sich zusammenziehen. Erst krabbelte, dann stürzte er auf die Tür zum Hof zu, hebelte sie auf und stolperte blind von der Veranda, um den zertretenen, sandigen Boden davor mit Rum zu füttern.
Kei tat, als wäre er eingeschlafen, als er Akira kotzen hörte. Etwas in ihm verspürte ein kleines bisschen Genugtuung. Akira bemerkte ihn nicht, sondern würgte noch schmerzhaft trocken weiter, während er nach dem Holzpfeiler neben sich tastete, an dem er sich danach erfolglos hochzuziehen versuchte. Als der Rum weg war und er seinen Würgreflex unter Kontrolle gebracht hatte, lief ihm nur noch Wasser aus den Augen. Das Würgen ging fast nahtlos in Schluchzen über und er wischte sich mit seinem schönen bunten Ärmel über das Gesicht. Er rammte die Stirn gegen den Balken und kniete weiter so da.
Kei ließ ihn noch eine ganze Weile so dasitzen, bis er den Kopf hob, um ihn anzusehen. Er musterte ihn lange mit ausdruckslosem Gesicht, bis er irgendwann aufstand und sich neben ihn setzte... auf die nicht vollgekotzte Seite.
Mach sowas nicht nochmal,“ sagte er ruhig.
Akira war überrascht, denn er hatte Keis Präsenz bisher nicht wahrgenommen, aber zwischen seiner Aufgelöstheit und seiner ordentlichen Betrunkenheit war das kaum bemerkbar. Bevor er Kei ansah, wischte er sich unsanft mit einem Ärmel über das Gesicht.
Nein, werde ich nicht, bestimmt nicht, das schwöre ich, dachte er, aber sagen konnte er nichts. Er wollte Kei um den Hals fallen, aber auch das traute er sich nicht. Er nickte nur verloren und versuchte, zu schluchzen aufzuhören. Er wollte schließlich kein Kind mehr sein.
Kei nahm ihn in den Arm. Zum Teil auch deswegen, weil er die Tränen nicht sehen und sein Schluchzen nicht hören wollte. Der Vampir konnte damit nicht umgehen. Er war immer noch wütend und gekränkt, aber seine Aggression war verschwunden. „Geh schlafen. Du bist völlig dicht,“ sagte er leise.
„I really love you. Really,“ murmelte Akira alkoholgetränkt an seinem Hals. „I never wanna hurt you. Tha‘ was stupid. I know. But I didn‘t. I thought you‘d mind a wee bit. But not like this. Then when you saw the bike it got you you‘d be happy -“ blubberte er mit seinem Akzent voller flacher Vokale und rollender Rs. Kei drückte ihn und blickte dabei auf das Motorrad. Es fiel ihm nun zum ersten Mal auf. Die Situation überforderte ihn, nicht nur, weil er nicht wusste, was er dazu sagen sollte.
„Ich weiß,“ flüsterte er leise. Er wusste das wirklich, aber er verstand es nicht. Er verstand sich selbst gerade nicht und Akira noch weniger. Einerseits wollte er ihn in der Luft zerreißen, andererseits wollte er nicht, dass er wie ein Häufchen Elend in seinen Armen lag. Er wusste nicht, wie der Kleinere auf solche Ideen kam. Er hob ihn hoch und trug ihn hinein, um ihn auf das Bett zu legen.
Déja vu? fuhr Akira im Suff durch den Kopf. Eine etwas andere Situation als am vorigen Abend. Er hielt sich an Kei fest, auch nachdem der ihn hingelegt hatte. Dabei wurde er benebelt der Blutspuren auf Keis nacktem Oberkörper gewahr und tastete halbbewusst nach Wunden. Er fand keine, nur das Blut.
Ich liebe dich. Das sollte ganz anders laufen,“ sagte er abwesend. Da stimmte der Vampir seinem Freund voll und ganz zu. Er ließ sich festhalten und blieb neben dem Kleineren sitzen. Er blutete und hatte ein paar Einschusswunden und einen Streifschuss an der Schulter, aber keine, die man sofort finden konnte.
Anatamo...“ Er flüsterte beinahe. Sonst wärst du längst nicht mehr hier...
Einer der Schüsse hatte ihn an der Hüfte getroffen und ein weiterer über der Brust in der Nähe des Schlüsselbeins. Akira hielt ihn noch ein bisschen, aber seine Hände rutschten nach und nach schlaff herunter. Bevor er einschlief, oder vielmehr bewusstlos wurde, dachte er noch, dass er wollte, dass Kei sich zu ihm legte. Aber sagen konnte er nichts mehr.
Kei strich ihm die Haare aus dem Gesicht und blieb bei Akira auf der Bettkante sitzen.

Als der Kleinere tief schlief, stand er auf und ging nach draußen. Sein Blick fiel auf die Ursache des Übels. Sein Geburtstagsgeschenk. Er wollte Akira hassen, konnte es aber nicht. Er schob das Motorrad ein Stückchen weiter in den Hof und nahm es genauer unter die Lupe. Die nächsten Stunden verbrachte er damit, Ersatzteile für die fehlenden zu besorgen und zu versuchen die Maschine wieder zum Laufen zu kriegen. Gegen Mittag und ein paar Straftaten später war er damit fertig.
Das Brummen weckte Akira schließlich auf. Mit einem Ruck, den er kurz darauf bereute, setzte er sich auf. Er rutschte vom Bett, stolperte über seine Schuhe zum Waschbecken, das luxuriös in einer Zimmerecke angebracht war, hielt seinen Kopf hinein und ließ kaltes Wasser darüberlaufen. Danach gurgelte er mit Zahnpasta und putzte sich rabiat die Zähne. Dann brauchten noch seine Fußsohlen eine gründliche Wäsche, und als er sich Socken und Schuhe angezogen hatte, ging er den Geräuschen im Hof nach. Ihm schwindelte noch etwas, also lehnte er sich an die Wand neben der Tür, nachdem er auf die Veranda gegangen war, um Kei zuzusehen. Der bemerkte ihn erst gar nicht. Er saß neben seinem geputzten und mit neuen Teilen ausgestatten Motorrad und begutachtete sein Werk. Neben ihm lagen einige Teile herum, die er gefunden hatte. Werkzeug, eine Pistole, ein Eimer mit Putzzeug. Kei hatte sich zum Arbeiten umgezogen. Er trug nur eine Trainingshose und ein Tanktop.
In Akiras Hose regte sich etwas und er verfluchte sich gleich dafür. Das war nicht der richtige Moment. Schmierig von Schweiß und Öl, in engem Hemd ohne Ärmel, mit einer Knarre neben sich auf dem Boden konzentriert an einem Motorrad schraub- Nein, nein, nein! Akira wischte sich hart über die Augen und fuhr sich mit den Fingern durch die nassen Haare. Immerhin schien das Geschenk zu gefallen. Wenigstens die eine Sache hatte er also richtig gemacht.
Irgendwann wurde Kei mit seiner Schrauberei fertig und machte sich ans Aufräumen. Zufrieden betrachtete er kurz, was er vollbracht hatte und brachte das Zeug wieder dahin, wo er es gefunden hatte. Außer der Knarre, die hatte er geklaut, also war es jetzt seine. Er steckte sie ein und ging in Richtung Tür um sie zu seinen Sachen zu legen. Erst da erblickte er Akira.
„Hey, geht's dir besser?“ fragte er. Von seinem Gesicht war nicht sehr viel zu sehen, weil er völlig ölverdreckt war. Akira nickte und lächelte mit einer Mischung aus Reue, Dankbarkeit und etwas dreckigerem, das mit dem Ziehen in seiner Hose zu tun hatte.
„Dir auch?“
Kei nickte leicht. Er bedankte sich für das Motorrad und blieb vor Akira stehen. Die Pistole ließ er in seiner Hosentasche verschwinden.
Akira konnte nicht direkt ‚Gern geschehen‘ sagen, nach letzter Nacht. Also nickte er nur verlegen und widerstand dem Drang, sich auf Kei zu stürzen. Das wäre jetzt nicht angemessen gewesen. Darum musste er sich von dem Anblick losreißen, und das tat er auch, mit Blick auf den Boden und wieder einer Hand in seinen Haaren.
Kei brachte die Waffe weg und stellte danach das Motorrad wieder ans Haus, damit es nicht nass würde, wenn es regnen sollte. Anschließend ging er an Akira vorbei, legte sich wie er war aufs Bett und wollte nichts sehnlicher als eine Weile zu schlafen. Akira ließ ihn das tun und überlegte, was sie als nächstes tun sollten. Nun hatten sie zwei fahrbare Untersätze und konnten endlich verschwinden. Wenn Kei ihn Fahren lernen ließ. Dieses Zimmer war noch für mindestens eine Woche bezahlt, also brauchten sie sich nicht einmal zu verabschieden, sie konnten einfach losfahren.
Während Kei schlief, ging Akira los, um die restlichen Dollars gegen gute Lebensmittel einzutauschen. Oder einen Kanister Benzin. Was ihn gerade anlachen und sich als nützlich erweisen würde. Also spazierte er mit hochgestellter Kapuze in einen zentraleren Teil des Stadtteils hinunter.
Etwa drei Stunden später war er um den gesamten Rest seiner US-Dollar ärmer und einen Kanister Benzin sowie irgendein scheinbar mexikanisches Reisgericht reicher und schloss die Zimmertür hinter sich. Die dünne Tüte, aus der der würzige Duft des angeblich wirklich scharfen Essens drang, stellte er leise raschelnd auf den kleinen Schrank neben dem Kopfende des Bettes. Kei schlief die ganze Zeit und wurde erst wieder wach, als Akira den Raum betrat.
„Mhmm,“ murmelte er und drehte sich noch einmal um, als der Geruch von Essen in seine Nase drang. Akira musste lächeln und half ein bisschen nach, indem er den Plastikteller auspackte und dabei noch ein wenig raschelte. Das rundete er mit dem Zischen einer Limodose ab, die er zu guter Letzt öffnete. Langsam setzte Kei sich auf und rieb sich über die Augen. Das änderte nicht viel. Seine Hände sahen genauso schwarz verschmiert aus wie sein Gesicht. Verschlafen sah er Akira an und dann das Essen und die Limodose, dann wieder Akira. Der ließ sich im Schneidersitz auf das Bett nieder und reichte Kei mit sanftem Lächeln die Getränkedose, der sie mit ähnlichem Gesichtausdruck an sich nahm, einen Schluck trank und sie dem Kleineren zurückgab. Sein letztes richtiges Menschengetränk war schon eine ganze Weile her, wenn man harten Alkohol nicht zählte.
Irgendwie hatte sich ein Teil von Akiras Hirn vorgestellt, wie Kei die Brause wie in einem alten Colawerbespot an sich hinunter- Nein, nein! Falscher Moment. Nicht jetzt. Er begnügte sich damit, selbst einen Schluck davon zu trinken und zwang sich, Kei nicht weiter anzusehen.
„Bäh, was ist das?!“ Es war so süß, dass es fast dickflüssig war.
Irgendwas sehr süßes.“ Kei lächelte leicht. „Ich kann kein Spanisch. Limo oder sowas,“ schlug er vor. Er mochte das Zeug.
„Ja, aber...“ Akira stellte die Dose neben dem Reis-und-Bohnen-Teller ab und sah sie noch kurz an, ehe er sich abrupt umdrehte und Kei beim öligen Hals griff.
„Aber?“ wollte Kei wissen, der auf dem Bett saß und ein bisschen in Richtung Akira fiel, als der ihn packte. Akira küsste ihn. Ein bisschen zu verzweifelt. Kei stützte sich auf einem Arm ab, um nicht ganz auf der Matratze zu landen und erwiderte den Kuss, nicht lange, weil er ein wenig zu verdreht dasaß. Akira ließ ihn auch bald los.
Wir sind uns wohl einig, dass mein neuer Name nicht zu mir passt,“ murmelte er heiser. Er spielte auf seinen neuen Pass an, den Masahiro ihm beschafft hatte.
Angel Everett Wallace. Angel. For fuck's sake.
„Definitiv nicht,“ stimmte Kei zu und sortierte seine Beine so, dass es nicht mehr unbequem war.
„Deiner passt aber zu dir, Kageyama-san. Kaito.“ Akira rutschte etwas dichter heran und küsste ihn wieder. Nicht so gierig diesmal, sondern langsam und genüsslich. Kei erwiderte den Kuss. Wer auch immer jemals sein Kind mit nun Akiras Namen gestraft hatte, musste wirklich schlechte Laune gehabt haben. Er war froh darüber, dass er selbst es mit seiner neuen Identität gut getroffen hatte.
Akira ließ ihn wieder gehen, ehe er nicht mehr an sich halten konnte, und nahm schnell den Teller vom Nachttisch. Kei schaute ihm zu und sah auf das Essen.
„Was ist das?“ Der Geruch des Tellers war ihm völlig neu.
„Weiß ich nicht genau. Ich habe nur verstanden, dass es mexikanisch und scharf sein soll. Und wie ich sehe, besteht es aus Reis, Bohnen, und bestimmt sehr leckerer Pampe. Man isst es mit den Händen.“ Vermutete er. Mit drei Fingern nahm er etwas davon und aß es. Es war wirklich scharf. Und lecker. Und scharf. Er lächelte zufrieden. Es war kein Frischfleisch, es beinhaltete nicht einmal Fleisch, aber es befriedigte eine Art nostalgisches Bedürfnis nach Seelenfrieden. Kei war menschliches Essen nie gewohnt gewesen und betrachtete es als eine Art Zwischendurchzeug zum Naschen. Er nahm sich ebenfalls etwas davon, nachdem er sich die Hände gewaschen hatte und probierte es einfach.
„Scharf und lecker,“ beschloss er.
„Ungefähr so wie du.“ Akira schmunzelte.
„Sicher, dass du mich meinst?“ Kei schmunzelte ebenfalls.
Akira tat kurz so, als würde er nachdenken und nickte dann. „Ja. Obwohl, warte mal, lecker... jaa, doch.“
Dass das auch auf Akira zutreffend war, sprach Kei jetzt nicht laut aus. Der Kleinere wusste das sicher. Vielleicht.
Gemächlich aß der Junge weiter und genoss dabei das wilde Stechen in seinem Mund. Zwischendurch sah er Kei an.
„Läuft sie jetzt?“
Kei genehmigte sich ab und zu ein bisschen von Akiras Essen. „Ja. Ich mache nachher ‘ne Probefahrt.“
„Echt schnell. Darf ich mit dem anderen Rad fahren? Wenn ich das kann, können wir hier abhauen.“ Kei überlegte kurz.
„Ich wollte das eigentlich loswerden, aber wir können es auch einfach umlackieren...“ Er machte eine kurze Pause. „Zum Üben ist das aber gut... es macht nichts, wenn‘s ein bisschen kaputtgeht.“ Und Motorräder gab es hier genug. Man musste sie nur finden.

Motorradfahren war leicht! Und Kei schien ein guter Lehrer zu sein. Akira war begeistert. Das ständige laute Brummen und Rattern des kleinen, klapprigen Motors machte ihm fast gar nichts aus, soviel Spaß machte das Fahren. Rutschend und Staub aufwirbelnd – aber mit Absicht – hielt er auf dem Hof an.
„Also, meinetwegen können wir sofort verduften. Nachdem ich gegessen habe.“
Kei war erstaunt, wie schnell Akira mit dem kleinen Motorrad zurechtkam. „Dann pack schon mal dein Zeug zusammen, wir fahren nachts,“ verkündete Kei und stellte sein eigenes Motorrad ab. Es fuhr sich wirklich gut. Akira stellte die Maschine ab und ging zur Hintertür zu ihrem Mietzimmer. Ein prüfender Blick in den Himmel sagte ihm, dass es noch später Nachmittag war. In der offenen Tür hielt er inne und drehte sich noch einmal um.
„Keisuke.“
Kei war ihm nachgegangen und blieb bei ihm stehen. „Ja?“
„Willst du mich irgendwas fragen?“ Akiras freudige Energie von vorhin war weg, dafür klang er nun eher schüchtern und zögerlich. Kei dachte kurz nach.
„Ja... Was ist da wirklich gewesen?“ Seine Stimme war ruhig. Er war sich nicht sehr sicher, ob er das wirklich wissen wollte.
Akira ließ einen vorbereitenden Atemstoß heraus und blickte zu Kei auf. Innerlich kam er sich verdammt mutig vor, aber den Türknauf musste er trotzdem weiter festhalten. Wie genau wollte Kei das nun wissen? Chronologische Details? Nur seine Motivation und wer hatte wie welches Angebot gemacht? Ob er geschluckt hatte, ob Bobby ihn zusätzlich noch angegrabscht hatte?
Er zögerte mit seiner Antwort.
Kei wartete geduldig. Akira sah ihn immer noch direkt an.
„Ich bin zu ihm gegangen, um zu fragen, ob er Arbeit für mich hat. Er sagte bloß, dass das Geschäft sowieso schlecht wäre und darum nichts zu tun wäre. Aber ich könne ihm Gesellschaft leisten, wenn ich Zeit hätte. Und er war wirklich freundlich. Gar nicht anzüglich oder so. Er fand mein Englisch gut, und er glaubt ja, dass ich auch Amerikaner bin.“ Er pausierte kurz, um Keis Gesicht zu studieren.
Sein Gesichtsausdruck veränderte sich nicht. Er wartete immer noch geduldig darauf, dass Akira die Geschichte beenden würde.
„Wir haben uns erst nur unterhalten, während er irgendwas gearbeitet hat. Er hat unter einem Auto gelegen und ich habe Bier getrunken und ihm Dinge angereicht. Das funktionierte nicht so gut. Ich kann einen Schraubenschlüssel von einem Schraubenzieher unterscheiden, aber das wars dann auch... egal, er hat jedenfalls viel erzählt, so von den schlechten alten Tagen und so. Und dann hat er irgendwann angefangen zu weinen.“ Akira schüttelte den Kopf. „Ach, egal. Nach ein paar Stunden hatten wir seine halbe Lebensgeschichte durch und... dann hat er mich ganz vorsichtig gefragt.“ Er untersuchte wieder Keis Gesicht – das sich immer noch nicht veränderte. Kei wusste nicht, warum, aber er musste die Geschichte zuende hören.
„Vorher hatte ich schon das Motorrad gesehen. Davon hatte er zwischendurch geschwärmt. Ich hatte gesagt, dass es genau das richtige wäre. Also hat ers mir... dafür... angeboten. Das Geld hat er hinterher draufgelegt.“
Kei nickte. Dass du so eine Scheiße baust... nur um mir eine Freude zu machen...
„Ich habe mir nichts weiter dabei gedacht,“ gab Akira zu. „Ich wusste natürlich, dass du nicht in Begeisterung ausbrichst, aber ich dachte einfach, dass dus nachvollziehen kannst... so als mechanische Dienstleistung für etwas, das wir wirklich brauchen.“ Er sah zu Boden, auf Keis Stiefel, und sprach leise weiter. „Ich weiß, dass ich dir... ich weiß, dass du... ich dachte...“ Er gab auf. Er war bei den Gedanken Ich weiß, dass ich dir gehöre und Ich weiß, dass du besitzergreifend bist schon rot geworden. Sie auszusprechen wäre zu peinlich.
Kei schluckte den Impuls hinunter, den Türrahmen zu zerschlagen und nahm stattdessen Akira in den Arm. Er wusste nichts zu sagen, was nicht völlig bescheuert klang oder etwas war, das sein Freund schon wusste. Also ließ er es einfach bleiben.
Überrascht erwiderte Akira die Umarmung.
„Es tut mir Leid. Anscheinend kenne ich die Spielregeln noch nicht,“ murmelte er gedämpft an Keis Schulter, dessen Geruch ihm nun etwas zu Kopf stieg. Er brauchte bald wieder Fleisch.
„Die sind nicht schwer,“ sagte Kei leise und hielt ihn noch ein Weilchen fest, ehe er ihn wieder losließ.
„Ach, kann ich das Handbuch dann haben, wenn dus schon auswendig kannst?“ Akira war dankbar, einen kleinen Abstand zu Kei zu gewinnen und stopfte seine Habseligkeiten in seinen Rucksack. Der Vampir packte ebenfalls sein Zeug zusammen und zog sich seine Jacke über. Die Waffe, die er geklaut hatte, hatte er einfach in seinen Rucksack gesteckt. Er brauchte sie nicht dringend, aber sie zu haben war praktisch.
Als sie damit fertig waren und ihre respektiven Taschen geschultert hatten, drehte Akira sich noch einmal langsam im Raum.
„... Abendessen.“
„... Ist eine gute Idee.“ Kei verließ den Raum langsam. Draußen schaute er sich um. „Unten in der Stadt, gleich wenn man die Straße hier runterkommt, treffen sich oft Junkies.“
Akira ging mit ihm vorn hinaus und schloss von außen ab, ehe er um das Haus herum in den Hof ging, wo die Motorräder standen. Kei folgte ihm. „Was machen wir mit dem Schlüssel?“ fragte er. Man konnte ihn behalten, aber ihn zu entsorgen, wäre vielleicht sinnvoller. Akira lachte kurz.
„Wir geben ihn den Besitzern zurück.“
„Oh, okay.“ Das ging natürlich auch.
Auf dem Weg die Straße hinunter hielt Akira kurz vor der Nachbartür an, um den Zimmerschlüssel darunter hindurchzuschieben, klopfte seine Bauchtasche ab um zu schauen, ob die Straßenkarte noch drinnensteckte und folgte dann Kei in Richtung Stadt.
Kei fuhr nicht allzu schnell, da Akria noch Anfänger auf seinem Gefährt war und auf den Straßen immer irgendwer herumlief. Als sie in der Stadt ankamen, stellte er das Motorrad vor einer Kneipe ab. Akira stellte das kleine, das er liebevoll Gnome getauft hatte, daneben, und zwar mit der Nase nach vorn, sodass er bei Bedarf ohne zurückzusetzen türmen konnte. Die Sonnenbrille, die er bei der Fahrt getragen hatte, hängte er in den Kragen des Pullovers.
Kei, der sich irgendwann in Lima auch noch eine Sonnenbrille gekauft hatte, damit man seine Augenfarbe nicht sah, trug sie noch. Die Haare fielen darüber, aber solange Kei noch etwas sah, war ihm das gekonnt egal. Die Kugel unter seiner Lippe passte farblich zum Rest. Schwarz. Die einzige Farbe an ihm war das Blau in seinen Haaren. Er stieg neben Akira ab – er weigerte sich, dessen neuen Namen, den er bei der Flucht bekommen hatte, zu akzeptieren – und betrat mit ihm zusammen den Laden. Akira blieb dabei schräg hinter ihm und hatte die Kapuze schön tief im Gesicht sitzen. Immerhin sah er nicht gerade furchtbar erwachsen und volljährig aus und da half es, wenn man sein Gesicht nicht gleich sah, und um ihn unter die Lupe zu nehmen erstmal an Kei vorbeimusste. Doch weder er noch Kei wurden am Eingang kontrolliert. Mit den Händen in der Bauchtasche des Pullovers sah er sich nach Kandidaten zum Verspeisen um. Der Vampir tat, als sei er öfter hier gewesen und steuerte die Bar an, um sich und Akira etwas zu trinken zu holen. Akira schälte sich aus seinem Fahrwasser, sobald er sah, wo er hinsteuerte, und schlenderte eine lässige Volte zu einem leeren runden Tisch an einem hohen Fenster, der von Saloonstühlen umstellt war. Er suchte sich einen Stuhl aus, dessen Rückenlehne schräg zur Wand stand und lehnte sich darauf zurück, um den Raum und die Menschen darin weiter zu betrachten. Kei kam kurze Zeit später mit zwei Gläsern Whisky zurück und setzte sich zu Akira. Der lehnte sich zu ihm.
„Es ist kaum jemand hier,“ flüsterte er.
„Warte eine Weile, die kommen noch. Es ist gerade einmal sieben Uhr,“ meinte Kei dazu und sah sich um. Viele Gäste hatte das Lokal nicht, aber der Vampir wusste, dass sich das noch ändern würde, der Arbeitstag der Menschen hier ging gerade erst zuende. Akira nahm sein Glas und hob es an, hielt dann aber inne, als ihm der Geruch in die Nase stieg und ihm ein klein wenig flau wurde. Zögerlich stellte er das Glas wieder vor sich ab.
„Immer noch übel?“ erkundigte sich Kei, während er ein paar Leute beim Hereinkommen beobachtete, die sich in die Nähe der Bar setzten.
„Ich habe Hunger,“ brummte Akira bloß. Sein Blick blieb auch an den Männern haften. Sie schienen tatsächlich gerade eben zusammen von der Arbeit gekommen zu sein und nun ihr Feierabendbier oder Mescal oder was auch immer man hier so trank zu sich nehmen zu wollen. Sie waren ungeeignet, denn es war Akira zuwider, ehrliche, hart arbeitende Familienväter, Ehemänner, Brüder und Söhne, die offensichtlich Kumpel hatten die sie mochten, wehzutun. Doch sie bestanden aus viel gutem Fleisch. Sie trugen alle entweder kurze oder hochgekrempelte Ärmel, sodass zumindest dort ihre recht beachtlichen Muskeln sehr gut zu sehen waren. Akira konnte sehen, wie sich die Stränge unter der glänzenden braunen Haut bewegten. Zwischen ihnen lagen weichere Stellen, die sich senkten und wölbten... er bemerkte nicht, wie er unter seiner Kapuze hervorstarrte, nur wie ihm das Wasser im Mund zusammenlief.
Der kleinen Gruppe Kumpel folgten noch weitere Menschen. Es waren nur wenige Frauen darunter, drei vielleicht. Kei, der seine Sonnenbrille abgenommen und in den Kragen seines T-shirts gesteckt hatte, schaute gelangweilt. Er war nicht so ausgehungert wie Akira und beobachtete ihn und die anderen Menschen als ginge ihn das alles gar nichts an. Trotzdem zog der hübsche junge Japaner mit den blauen Haaren mehr Aufmerksamkeit auf sich als ihm lieb sein konnte. Er steckte sich eine Zigarette an. Das Aufschnappen des Feuerzeugs lenkte Akira vom Glotzen ab.
„Kann ich auch eine haben?“ Er musste seinen Mund beschäftigen, sonst fing er noch an zu sabbern. Kei reichte ihm das Päckchen.
„Da.“
„Thanks.“ Vorsichtig, damit er dabei nicht zitterte, zündete er sich eine an und gab das Päckchen und das Zippo zurück. Der beißende Rauch half dabei, seinen Mund auszutrocknen. Dafür fing er an, mit einem Bein zu wackeln. Er musste wie ein Crackjunkie aussehen, solange man sein Gesicht nicht genauer betrachtete. Kei nahm beides wieder an sich und steckte es in seine Jackentasche.
„Du musst was essen,“ sagte er leise und nahm einen Schluck aus seinem Glas. Einer der Gäste klebte mit seinem Blick in der Richtung in der er und Akira saßen. Akira begann zu nicken und senkte den Blick, um sein Gesicht zu verbergen, als er den Mann zu ihnen schauen sah.
„Den da?“
„Wen von uns starrt er die ganze Zeit an?“ Kei hatte nicht genau hingesehen. Der Typ sah nicht aus wie einer, der einem geregelten Leben nachging.
„Dich,“ behauptete Akira einfach. Er wusste es nicht, hielt das aber für am wahrscheinlichsten. Nun genehmigte er sich doch einen kleinen Schluck aus dem Glas, nur um es nicht so verdächtig lange unberührt zu lassen. Es war süßer Bourbon, also eigentlich recht erträglich.
Nun schaute Kei tatsächlich direkt hin und siehe da – der fremde Typ sah ertappt weg. „Ich glaub, er ist schüchtern. Leichte Beute.“ Der Vampir leerte sein Glas und schaute sich weiter um.
„Für dich.“ Akira lachte nervös. „Schwerenöter.“ Er musterte den Typen. Kei schmunzelte ein bisschen.
„Übung ist alles.“
Akira lächelte ihn süffisant an. „Und worin besteht die genau, oh mein Meister?“
Kei lachte ein bisschen. „Erzähl ich dir ein anderes Mal. Den anzusprechen ist auf jeden Fall nicht schwierig, der ist ganz allein da.“
„Dann los, zeig mir wies geht. Ich werde zusehen und lernen.“ Akira lehnte sich zurück und streckte die wackelnden Beine aus. Kei schaute amüsiert drein.
„Muss ich dir jetzt wirklich dein Abendessen klarmachen?“ Wenn Akiras Abendessen kein Englisch konnte, wäre Kei verloren, wobei er gut in nonverbaler Kommunikation war. Akira schmunzelte nur, nahm mit abgespreiztem kleinem Finger einen Schluck Whisky und stand dann schwungvoll auf.
„Nein, mein Meister, ich werds selbst machen.“ Schon war er abenteuerlustig auf dem Weg zu dem Mann am Tresen, der etwas für Kei übrig zu haben schien, und zog sich dabei die große Kapuze von den roten Locken herunter. Kei amüsierte sich und sah dem Kleineren dabei zu, während er sein Glas leerte und so tat, als sei er schrecklich abwesend.
„Hi. Do you speak English?“ fragte Akira den lederbejackten, halbjungen braunen Mann mit einem offenen Lächeln. Das hatte er nicht verlernt. Der Mann musterte ihn überrascht und schien sich sortieren zu müssen, bevor er antworten konnte.
„... Yes.“
„Oh, good, that will make it so much easier,“ stöhnte Akira erleichtert. „We saw you looking at my friend.“ Er gab einfachen Vokabeln den Vorzug, damit die Verständigung schön effizient ablief.
„... Sorry,“ sagte der Mann zögerlich. Er hielt sich an seinem Glas fest, das etwas weißliches mit Obststücken enthielt. Das schienen hier viele zu trinken. Akira winkte beschwichtigend ab und lehnte sich neben den Mann an die Theke.
„Oh, it‘s okay, he doesn‘t mind. It‘s just... he‘s my boyfriend, you know? We‘re... a couple.“ Er sprach offen und jovial und in normaler Redelautstärke, sodass Kei ihn höchstvermutlich sehr gut verstehen musste.
Und er verstand ihn tatsächlich sehr gut. Genau wie jeden anderen in normaler Lautstärke sprechenden Gast. Die vielen Gespräche um sich herum blendete er aus, so gut es ging, nur dem von Akira hörte er wirklich zu. Er nippte an dem Glas, das eigentlich Akiras war und schaute sich weiter um. Trotzdem behielt er den Kleineren immer im Blick.
„Okay,“ sagte der Mann und lächelte etwas. Wahrscheinlich in automatischer Entgegnung auf Akiras strahlendes Lächeln.
„Why were you looking at him?“
„Uh... he look... different. But is good, is nice.“ Akira schmunzelte freundlich und das schien den Herrn in der braunen Lederjacke etwas aufzulockern. „He look very cool. Is different, not like other boys here. Is very cool.“ Er lächelte breit und etwas verlegen.
Kei schmunzelte innerlich, während er den beiden zuhörte. Du hast ein freundliches Abendessen...
„Yeah, I know.“ Akira musterte den Mann und fragte sich, wie er nun weiter verfahren sollte. Wie machte Kei das? Ganz einfach, er war ein Bewunderungsmagnet. Offensichtlich musste er sich nur in irgendeine Kneipe setzen und schon klebten die Blicke an ihm, und wenn er wollte, auch die Menschen. Er war wie Fliegenpapier. Dann musste er sie nur noch mit in eine dunkle Ecke nehmen und fertig. Akira war selbst nicht abstoßend, vielleicht gar gutaussehend, was er nicht besonders beurteilen konnte, aber äußerlich eben fast noch ein Kind. Und neben Keisuke Sakai wurde sowieso jeder unsichtbar.
Was also tun? Er rieb sich nachdenklich das Kinn und warf Kei einen hilfesuchenden Blick zu. Der Mann trank derweil gemütlich von seinem... Zeug. Kei hatte die beiden aus dem Augenwinkel beobachtet. Der Blick seines Freundes blieb natürlich nicht unbemerkt. Nach einer kurzen Weile schlenderte Kei zu seinem Freund und ließ sich neben ihm nieder um sich noch einen Drink zu bestellen.
„Alles klar?“ Kei sprach Japanisch. Er mochte es, von niemandem verstanden zu werden. Das war sehr praktisch. Akira sah zwischen ihm und dem Mann hin und her, als würde er sie nonverbal einander vorstellen. Sie hatten sich ja nicht einmal selbst vorgestellt. Der Mann nickte und prostete Kei zu. Dabei musterte er ihn neugierig weiter.
„Nein, ich weiß nicht, wie ich ihn hier rauskriegen soll. Irgendwie glaube ich nicht, dass er Drogen verkauft oder sich von ‚Komm Baby, ich hol dir einen runter‘ beeindrucken lässt.“
Kei setzte ein freundliches Gesicht auf. „Nach draußen, ja?“ Er bedachte Akira mit einem vielsagenden Blick. Er prostete zurück und schaute den Mann an. „Kommst du mit raus, eine rauchen?“ fragte er ihn in seinem Japanerenglisch.
„He asks if you would like to have a smoke with him, outside.“ Akira mimte eine Zigarette zwischen zwei Fingern. Der Mann sah von ihm zurück zu Kei und lächelte.
„Yes, good!“ Er stand vom Barhocker auf und richtete seine Jacke. Er schien sich ehrlich zu freuen und neugierig auf den seltsamen Asiaten zu sein. Kei hatte seine Jacke gar nicht ausgezogen. Er bedeutete Akira, auch mitzukommen, schließlich war das sein Abendessen. Etwas peinlich berührt folgte Akira den beiden nach draußen. Vor der Tür befingerte er schonmal vorsorglich das kleine Jagdmesser, das von seinem Gürtel hing. Kei verteilte Kippen und ließ sein Feuerzeug die Runde machen. Er lehnte an seinem Motorrad und wartete ab. Der Rest war Akiras Job.
Was?! Hier vorne an der Straße?! Ich bin nicht so ein Verführer wie du, Mann! Ich kann nicht mal eben zwinkern und – Scheiße. Akira saugte gierig an der Zigarette. Was hatte er für Optionen? Die billige Sexmasche hatte bisher für ihn funktioniert, aber dieser Mann hier war nicht an ihm interessiert, geschweige denn daran, mit ihm auf Tuchfühlung zu gehen. Er guckte immer noch Kei an als wäre der ein schickes neues Kunstwerk in der Galerie, und gewährte Akira nur ab und zu einen kurzen Blick, um nicht unhöflich zu wirken.
„Do you know where I could get some...“ Akira wackelte etwas mit den Fingern, um irgendwelche Drogen anzudeuten, wollte sich aber nicht auf eine bestimmte festlegen. Erstens, um sich die Möglichkeiten schön offen zu halten, sodass er auf einen direkten Vorschlag des Mannes eingehen konnte, und zweitens, weil er sich mit Drogen kaum auskannte und sich nicht gleich verraten wollte.
Kei kümmerte sich nicht im geringsten darum, was der Typ von ihm denken mochte und wartete ab, was jetzt weiter passierte. Tatsächlich konnte der Fremde anscheinend Akira aus seiner Misere mit den nicht benötigten Drogen heraushelfen.
Only ganja, good ganja,“ sagte er mit einem entschuldigenden Achselzucken. „No chemical,“ fügte er abwinkend hinzu. Tatsächlich wirkte Akira eher wie jemand der Speed oder Pep oder etwas anderes weißes haben wollte als wie ein Kiffer. Er wusste auch gar nicht, was ganja war, doch er begann begeistert zu nicken.
„Just what I need. Come, let‘s go around the corner over there,“ schlug er vor und ging auf die nächste dunkle Nische zu. Tatsächlich folgte der Mann ihm gemächlich. Ihre Barbekanntschaft schien nicht so ganz zu glauben, dass Akira wirklich Gras haben wollte, ging aber dennoch mit. Kei ging den beiden hinterher und stellte zufrieden fest, dass weit und breit niemand zu sehen war, der sie stören konnte.
„Du siehst eher nach Crack aus,“ kommentierte er grinsend. Ihre Bekanntschaft war eindeutig zu nett... Kei zog an seiner Kippe.
Und du nach Heroin. Don‘t listen to him. Show me the stuff.“ Als sie im Schlagschatten des Gebäudes angekommen waren, langte Akira unter sein Hemd, als wollte er in seine Hosentasche greifen, und ließ die Zigarette im Mund stecken, während er in Wahrheit das Messer zog. Just in dem Moment hatte der Mann in seiner Jackeninnentasche gewühlt und nicht genau hingesehen, weshalb er auch nicht mehr dazu kam, laut zu werden. Innerhalb von wenigen Sekunden hatte Akiras kleines Messer ihm die Kehle tief quer aufgeschlitzt.
Kei grinste.
„Well done.“ Er schaute dem Kleineren beim Morden zu und sah sich ab und zu um, um zu sehen, ob ihnen jemand auf die Nerven gehen wollte.
Geschmeidig drehte sich Akira ein wenig, um dem sprühenden Blut aus dem Weg zu gehen. Ein paar Tropfen landeten dennoch auf seiner Stirn. Kaum war der Mann verwirrt torkelnd zu Boden gesunken, packte der Junge ihn bei der Stirn und rammte seinen Kopf gegen die Hauswand. Das Messer kam nun wieder zum Einsatz, indem er das T-shirt des Mannes vom Kragen bis zum Saum aufriss und dabei gleichzeitig ein paar Zentimeter tief Brust und Bauch öffnete. Fasziniert sah Kei ihm dabei zu. Zuletzt stieß Akira das Messer noch tief in den Brustkorb, der saftig knackte und knirschte, und hebelte ihn ein wenig auf. Sein Gesicht sah dabei ein kleines bisschen angestrengt aus, aber hauptsächlich gierig und von den Anblicken, die er selbst erzeugte, ziemlich hypnotisiert. Als er ein brauchbares Loch in die Rippen des netten und nun sehr blutgetränkten Peruaners gerissen hatte, eines das groß genug war, griff er mit einer Hand hinein und rupfte seine Lungen heraus. Kei sah zwischen seinem menschenzerfetzenden Freund und der Straße hin und her. Ersteres war aber deutlich interessanter und so endete er damit, ihm einfach nur gebannt zuzusehen. Das ganze Blut des jungen Mannes auf dem Boden fesselte ihn zusätzlich. Jetzt ist er interessant... dachte Kei bei sich.
Erst gierig, und dann nach und nach genüsslicher, kaute und riss Akira Fetzen aus der Lunge, die er weich und glänzend mit beiden blutverschmierten Händen vor sich hielt. Auf seinen Fersen sitzend kniete er aufrecht neben dem Mann, den er ausweidete, und kümmerte sich nicht darum, was dabei auf seine schwarze Hose und seinen Pullover, die beide eigentlich noch ganz neu waren, tropfte. Zwischendurch seufzte er leise aber genussvoll. Sein Gesicht war mittlerweise bis zu den Wangenknochen großzügig mit Blut beschmiert. Sein Blick wanderte über das Organ in seinen Händen und flackerte gelegentlich zur Leiche, als versuche er, sich für den nächsten Gang zu entscheiden. Der Vampir ließ ihn machen und betrachtete ihn weiter, leckte sich über die Lippen.
Als etwa ein Drittel eines Lungenflügels weg war, ließ Akira das Organ einfach aus seinen Händen rutschen und griff wieder in den zerstörten Brustkorb, bekam trotz der Glitschigkeit einen Muskel zu fassen und säbelte ihn ab. Er klatschte in den Schoß des Mannes und Akira hob ihn rasch auf, um sich das kurze, breite Stück gleich ganz in den Mund zu stecken. Fast ohne zu kauen schlang er so noch weitere Muskelfetzen hinunter, den Blick wie in Trance auf die eingesaute Leiche und ihre Bestandteile fixiert, bevor er ihr endlich das Herz herausriss. Dieses sah er verliebt an, während er es langsam an seinen Mund hob, um dann beinahe zärtlich hineinzubeißen und daran zu saugen. Kei sah wie gebannt auf das Blut, das aus dem Herzen herunterlief und auf Akira, der es aufaß.
Als das Herz halb aufgegessen war, sah Akira zu ihm auf. Sein Blick war finster aber friedlich, gleichzeitig verschwörerisch und lustvoll, und er lächelte dunkel, während er langsam weiteraß. Kei erwiderte das Lächeln und wartete, bis der Kleinere mit dem Essen fertig war.



Wednesday, January 27, 2016

Kei + Colin LX: Für ein Motorrad



28. JANUAR
PERU

Akira saß im Schneidersitz auf der halbverotteten Holzbank vor ihrem Pensionszimmer und starrte auf das leuchtende Wasser am Horizont, dem sich gerade die Sonne näherte. Es fiel ihm schwer, zu begreifen, dass das hier immer noch dasselbe Meer war, nur eben von der anderen Seite aus betrachtet. Kei kam bald darauf auf den Hof gefahren, mit einem alten Motorrad, das er irgendwem nach einer Schießerei geklaut hatte. Von seinem Boss in Tokyo hatte er einen neuen Motorradführerschein und einen für Autos bekommen. Genau wie einen neuen Ausweis mit einem neuen Namen. ‚Kageyama, Kaito‘ stand nun auf seinen Papieren. Gefälschten Papieren. Auch sein Freund hatte einen neuen Ausweis bekommen. Das einzige, das Kei beibehalten hatte, war sein Spitzname. Kei. Seine Haarfarbe war anders, nun waren sie deutlich mehr blau als schwarz. Das Motorrad stellte er ab, er hatte sich in Lima ein bisschen umgesehen, um herauszufinden, wie man hier an Geld kommen konnte.
Das Motorengeräusch riss Akira aus seinen müßigen Gedanken. Wer auch immer das war, er hoffte, dass er nicht um die Hausecke kommen und ihn ansprechen würde. Er verstand die Sprachen hier nicht, nicht einmal das Englisch, das sie hier zu sprechen vorgaben, und jede Auffälligkeit, die Kei und er sich leisteten, machte sie angreifbarer. Er zog sich die Kapuze seines bunten Andenpullovers über den Kopf und tief ins Gesicht.
„Ich bin‘s!“ rief Kei von unter seiner Kapuze und stellte sein neues Gefährt neben Akira ab. „Ich hab uns ein Motorrad und etwas Geld besorgt,“ verkündete der Vampir. Trotz der Temperaturen und des Klimas im allgemeinen hatte er sich schnell angewöhnt, meistens mit Jacke und Kapuze rauszugehen. Er hatte schnell gelernt, dass seine Tätowierung ihm die Aufmerksamkeit des Rechtssystems einbrachte.
Akira sah auf und ließ die Schultern hängen.
Das ist ja viel besser als -“ der Schrotthaufen, den ich dir zum Geburtstag schenken wollte. Es war bei Weitem nicht schöner als der alte Chopper, den Akira hinter dem Hühnerschuppen des Nachbarn versteckt hatte, aber es schien vollständig zu sein und funktionierte.
„Wie hast du das Geld verdient? Lass uns mal vergleichen, vielleicht ist der Job, der mir angeboten wurde, eine realistische Alternative.“ Akira lächelte sarkastisch.
„Mich hat so‘n Typ angesprochen, der wollte Koks geliefert haben.“ Er fügte an, dass er das dann erledigt habe und dafür gar nicht mal schlecht entlohnt worden sei. „Das Motorrad hab ich mehr oder weniger nur für den Weg hierher benutzt. Das wird in spätestens zwei Tagen vermisst werden und ich will es dann nicht mehr haben.“ Er setzte sich neben Akira und präsentierte seine Ausbeute. Neue Kippen und ein großes Bündel Geld, sowie eine Flasche Whisky. Akira lächelte.
Dann ist ja alles gut.“ Er nahm die Flasche und öffnete sie. „Wir sollten hier nicht bleiben, oder? Lima ist ein bisschen zu... groß.“ Wir hätten uns gar nicht erst hier niederlassen dürfen.
„Nein, sollten wir nicht,“ stimmte Kei ihm zu. „Das war nur die erste Station um aus Tokyo herauszukommen. Aber wo gehen wir hin?“
„Es ist vielleicht am klügsten, das überhaupt nicht zu planen. So ist es unmöglich, unseren Weg nachzuverfolgen,“ Akira trank einen Schluck Whisky und stellte die Flasche vor sich auf der Bank ab. „Es sei denn, sie haben uns irgendwann Sender eingepflanzt.“ Das meinte er offensichtlich nicht ernst. Er griff nach den Zigaretten. Kei schob ihm das Päckchen hin und griff seinerseits nach der Flasche.
„Dann lass uns morgen sehen, wo man von hier aus hinkommt.“ Der Vampir besaß zwar ein neues Telefon, ein billiges Wegwerfhandy, aber da er nicht oft draufschaute, hatte er nicht mehr so ganz auf dem Schirm, welcher Tag eigentlich war. Akira nahm zwei Zigaretten aus der Schachtel und steckte sie sich in den Mund. Mit dem Feuerzeug, das Kei ihm reichte – immer noch das edle Zippo aus Japan – zündete er sie gleichzeitig an. Eine davon reichte er Kei.
„Morgen ist zu früh.“ Er sah zwischen seinen schwach ausgeblichenen roten Strähnen zu Kei auf. Kei nahm die Zigarette an sich.
„Wieso?“ Er stecke sie sich zwischen die Lippen und das Zippo, von dem er sich nicht trennen wollte, wieder in die Hosentasche.
„Das siehst du dann.“ Akira zwinkerte und legte sich dann auf den Rücken. Die Beine ließ er gekreuzt, wie sie waren. Kei zog die Beine hoch, sodass er im Schneidersitz saß und begann mit Akiras Haaren zu spielen. Seine oberen Haarstufen waren dunkelblau und die Strähnen, die darunter hervorschauten, tiefschwarz.
„Wenn wir soweit sind... also, dass wir abhauen können... brauche ich erst noch einen...“ Einen Imbiss? Einen Menschen. „Etwas zu essen.“ Eigentlich brauchte er das jetzt, aber solange sie noch nicht sofort verschwinden konnten, konnte er sich einen so unordentlichen Mord nicht leisten. Dafür kannten sie sich in dieser Stadt nicht gut genug aus. Hungrig starrte er zu Kei hinauf und blies Rauch aus. „Trink von mir.“
„Das wird leicht zu kriegen sein.“ Kei war ziemlich fest davon überzeugt, denn diese Stadt war riesig und der Ort, an dem sie sich aufhielten, war nicht gerade ungefährlich und es liefen einige Drogensüchtige herum, die man ohne Aufsehen zu erregen umlegen konnte, wie Kei bereits festgestellt hatte. In seiner rechten Hand glühte die halb gerauchte Kippe fröhlich vor sich hin als er sich halbwegs hinlegte und über den Kleineren beugte. Wehe dir, wenn du zusammenklappst...
Akira beobachtete Kei und wandte seinen Blick zurück auf die Dächer, zwischen denen das Meer noch etwas zu sehen war, sobald er Keis Gesicht nicht mehr sehen konnte. Kei lächelte ganz leicht und küsste Akira. Der musste lächeln und erwiderte den Kuss mit offenen Augen. Ich sagte, trink von mir.
Tatsächlich kam der Vampir seiner Aufforderung nach und unterbrach den Kuss mit leichtem Grinsen um sich Akiras Halsbeuge zuzuwenden.
„Hn...“ Süßer Schmerz. Das krampfige Ziehen des Bisses ließ bald nach und wurde schnell durch einen prickelnden Rausch ersetzt, der rasch anschwoll und Akiras Sicht weiß umrahmte. Der gelbe Sonnenuntergangshimmel wurde greller und die Zigarette rutschte aus seinen Fingern. In seinem Unterleib rührte sich etwas und er blinzelte benebelt lächelnd. Kei ließ sich Zeit, ehe er nach einer ganzen Weile wieder von ihm abließ. Sehr viel Blut hatte er nicht getrunken, immerhin wollte er nicht, dass Akira ohnmächtig wurde, aber auch nicht gerade wenig. Grinsend leckte er mit der Zungenspitze über die kleine Wunde, die leicht blutete. Akiras Atem war etwas flacher und schneller geworden. Langsam drehte er den Kopf, um Kei wieder anzusehen.
„Lass uns reingehen. Und deinen Geburtstag gebührend begrüßen,“ knurrte er leise. Der Vampir hob seinen Freund hoch.
„Bis dahin sind es noch ein paar Stunden,“ sagte er grinsend, während er Akira auf das Bett legte und ihre Sachen von draußen hereinholte, bevor er die Tür hinter sich abschloss.
In der Zeit zog Akira sich langsam aus und schob seine Kleider von der bunten Überdecke auf den Fußboden. „Also müssen wir uns ranhalten. Das ist nicht viel Zeit.“ Er lächelte süffisant. „Und solange ich high bin, bin ich bestimmt zahm wie ein Lämmchen, es wäre dumm, das nicht auszunutzen.“
Während Kei Jacken und Tanktop in die Ecke warf, begann ein leichtes aber deutliches Grinsen sein Gesicht zu zieren, das dem Kleineren praktisch ins Gesicht schrie, dass er es für eine gute Idee hielt, Akiras benebelten Zustand auszunutzen.
„Solche Dummheiten sollte ich nicht begehen.“ Er setzte sich neben den Jüngeren aufs Bett, küsste ihn und drückte ihn dabei nach unten. Akira erwiderte den Kuss langsam und zog danach den Kopf etwas zurück.
„Es gibt aber einen Haken.“
„Ich höre.“ Kei hasste es, wenn Akira sowas sagte, aber seine gute Laune schmälerte das kein bisschen.
„Pace yourself. Or we won't last even an hour.“ Akira legte die Arme um Keis Nacken und küsste ihn, wieder sehr, sehr langsam. Mit leicht versautem Grinsen erwiderte der Vampir den Kuss.
Dann hätten wir mehr als genug Zeit für Runde Zwei... Den Gedanken behielt er vorerst für sich, es war noch mehr als genug Zeit bis der neue Tag anbrechen würde. Unter ihm lag Akira nun nackt auf der rauhen, bunten Decke, die Augen geschlossen und die Zungenspitze warm und nass auf seinen Lippen, und strich mit den Fingern langsam über seinen Nacken. Es verging nur eine kurze Zeit, bis Kei den Kuss vertiefte. Pace yourself hast du gesagt... aber nicht, wie lange...
Mit den Fingerspitzen kratzte Akira leicht über Keis Schultern, Brustwarzen, Bauch... und einen Fuß setzte er sanft auf Keis Schritt.
In seinem Kleiderhaufen am Fuß des Bettes war ein kleines Bündel von US-Dollarscheinen aus der Bauchtasche seines Andenpullovers gerutscht.
Der Vampir spürte das Kratzen kaum. Seit er gestorben war, war sein Schmerzempfinden noch schwächer geworden – auch, wenn sein Herz schlug. Er gab dem Kleineren ein paar Kratzer auf den Oberkörper zurück und biss ihm fast schon zärtlich in die Schulter, hinterließ aber nichts weiter als eine Reihe blauer Flecken. Dafür drückte Akira ihm mit dem Fußballen in den Schritt und setzte die Hände flach auf seine Brust, um ihn langsam, aber bestimmt wegzuschieben. Immerhin machte er keinen Hehl daraus, dass es ihn anmachte, was Kei gerade tat. Das zeigte sich in den Geräuschen, die aus seinem Mund gekrochen waren, seinem Puls, seinem flachen Atem, der Farbe in seinem Gesicht und dem, was sich gerade in seinem Schritt tat. Er sah Kei berauscht an. Der Vampir blickte ihm in die Augen, mit seinerseits leicht berauschtem Blick, der sagte: ‚Was?‘
Akira setzte sich auf und kniete sich hin, um Keis Gürtel zu öffnen. Dabei küsste er seine Schulter. Auf Keis Gesicht machte sich ein kaum sichtbares Grinsen breit und eine Hand vergrub er in Akiras Haaren, während er mit der anderen dessen Seite entlangfuhr.
Pace yourself... sagte Akira sich selbst. Er fand es zunehmend schwieriger, seine eigene Anweisung zu befolgen und hörte fast auf zu denken, bis er Keis Hose endlich geöffnet hatte. Als er Keis Hals küsste, wurde ihm bewusst, dass er vorhatte, Keis Geburtstag gegensätzlich zu seinem eigenen verlaufen zu lassen. Das hier sollte nicht die traurige, verzweifelte, eilige Befriedigung eines finsteren Triebes sein. Dem Vampir lag sowas und Akira hatte nichts gegen die Gewalt und den Schmerz, aber vielleicht wusste Kei einfach nur nicht, dass es auch anders ging. Akira küsste weiter seinen Hals, langsam und keusch nur mit den Lippen und der Zungenspitze, und schob ihm die Hose soweit hinunter, wie es Keis kniende Position zuließ. Mit Geduld hatte Kei es bekanntlich nicht so, aber er gab sich Mühe und wartete. Er kraulte den Kleineren im Nacken und lehnte sich ein Stück nach hinten, um ihm das Herunterschieben der Hose etwas zu erleichtern. Akira zog sie herunter und musste dabei etwas rupfen, weil sie so eng war. Bei den Stiefeln war dann Schluss. Er rutschte vom Bett und kniete sich davor. Er stellte sich Keis Füße nacheinander auf die Brust, schnürte ihm dort die Stiefel auf und zog sie ihm ab. Kei half ihm dabei ein wenig, indem er ihm das Herumbewegen seiner Beine erleichterte und das Becken anhob, als Akira ihm die Hose herunterzog. Während ihm die Stiefel ausgezogen wurden, stützte er sich nach hinten gelehnt auf beide Arme. Das Geldbündel fiel ihm noch nicht auf, weil seine Augen halb geschlossen waren.
Keis Hosen warf Akira achtlos zur Seite, dann erhob er sich und drückte mit der Hand etwas auf Keis Schulter, während er auf ihn kletterte. Er lächelte etwas, sah aber hauptsächlich erregt aus. Kei grinste immer noch leicht und machte ihm etwas Platz, indem er ein Stückchen nach hinten rutschte. Mit seinem tiefblauen Blick beobachtete er Akira genau. Mit einer Hand fing er an, die Konturen von Akiras Oberkörper nachzufahren und mit leichtem Druck Kratzspuren zu hinterlassen. Akira setzte sich rittlings auf seine Oberschenkel und küsste ihn tief, mit Zunge und mehr Eifer, als er vorgehabt hatte. Dabei sah er ihm weiter in die Augen, die ihm in diesem Halbdunkel entgegenleuchteten. Gierig erwiderte Kei den Kuss und hielt dabei den Blickkontakt aufrecht. Sein Blick war eine Mischung aus benebelt und erregt, die Augen halb geöffnet. Der Herzschlag des Vampirs war etwas schneller geworden und sein Körper ein, zwei Grad wärmer. Akiras Blut war für ihn wie eine Droge. Er hatte seinen Hormoncocktail getrunken. Was Kei nicht von Anfang an gewusst, sondern erst vor einigen Jahren gelernt hatte, war, dass die Zusammensetzung des Blutes, das er zu sich nahm, direkte Auswirkung auf ihn hatte.
Akira ließ Keis Mund in Ruhe und fuhr mit den Lippen über dessen Wange zum Ohr. „Leg dich hin,“ flüsterte er.
Was hast du vor? Kei leistete dem Folge und beobachtete Akira. Er folgte jeder Bewegung des Kleineren mit den Augen, kaum merklich. Der kletterte von ihm herunter und kniete neben Kei, ohne die Hände von ihm zu nehmen. Er ließ sie auf seiner Haut bis zwischen die Beine hinunterfahren und beugte sich mit ernstem Blick über ihn, um seinen Bauch weit unter dem Nabel zu küssen. Der Vampir legte den Kopf nach hinten auf die Decke, schaute mit den Augen aber noch immer in Richtung seines Freundes. Kei lag nicht ganz auf dem Bett, seine Unterschenkel hingen hinunter - was ihn aber nicht störte, schließlich war das nicht unbequem.
Ungeniert aber ernst streichelte Akira langsam Keis Haut zwischen den Schenkeln und sein Geschlecht, und gelangte mit Lippen und Zunge nun auch dorthin. Gemächlich und sanft küsste und leckte er seinen Penis, diesmal ohne zu versuchen, sich hinter seinen Haaren zu verstecken oder zu vergessen, was er da tat. Das Grinsen, das bis gerade auf Keis Gesicht zu sehen gewesen war, wandelte sich in ein sanftes Lächeln und er ließ die Augen zufallen, während sein Blut sich dort sammelte, wo Akira gerade zu Gange war.

Verschwitzt, mit etwas zerwühlteren Haaren und feucht und klebrig an gewissen Stellen glänzend, wankte Akira wenige Stunden später zu der niedrigen Bank, die direkt unter das Fenster gemauert und mit einer bunten Flickendecke belegt war. Hier in Peru war alles bunt. Er kniete sich darauf und lehnte sich auf die Fensterbank, um draußen im Himmel die ungefähre Uhrzeit abzuschätzen. Und einfach, um nach draußen zu sehen und das Fenster für Kühle und Luft zu öffnen.
Kei lang zufrieden auf dem Bett. Er hatte sich auf den Bauch gedreht und nach seinen Kippen geangelt, die in seiner Hosentasche steckten. Dabei fiel sein Blick auf das Geldbündel auf dem Boden bei Akiras Pullover.
„Wo hast‘n du das Geld her?“ erkundigte Kei sich gelassen und steckte seine Zigarette zwischen die Lippen als er sie anzündete.
„Von dem alten Nordamerikaner in der Werkstatt. Dem habe ich im Laden ausgeholfen, während du Kisten geschleppt und Drogen vertickt hast,“ antwortete Akira, gelassen aus dem Fenster blickend. Es war nicht vollständig gelogen. Er hatte dem Mann im Laden ‚ausgeholfen‘, aber nicht mit Handwerksarbeit. Akira wusste so gut wie nichts über Fahrzeuge und ihre Mechanik. Jedenfalls fand er dennoch, dass er das Geld mit ehrlicher, wenn auch dreckiger Arbeit verdient hatte, und hoffte, dass seine teilweise Lüge so nicht so leicht herauszuhören war.
„Seit wann hast du Ahnung von Autos?“ fragte Kei weiter. Der Alte war ihm von Anfang an suspekt gewesen und die Art, wie er Akira angesehen hatte, erst Recht.
Akira wandte den Blick zu ihm. Das diffuse Licht der nächtlichen Stadt ließ seine Haare und Haut ein bisschen violett schimmern. Sein Gesichtsausdruck war ernster, fast kühl und reserviert.
Ich habe keine Ahnung von Autos. Ich habe nur aufgeräumt und saubergemacht,“ log er. „Schrauben und sowas...“ Scheiße, halt den Mund. Betont gelassen lehnte er sich neben dem Fenster an die Wand.
„Hm.“ Kei glaubte ihm irgendwie kein Wort. Dass Akira ihm nicht die Wahrheit sagte, konnte mehrere Dinge heißen und Kei ging nicht gerade von den harmlosen aus. „Und was hast du sonst noch gemacht?“ Sein Blick wurde dunkler. Er jagte Akira einen ziemlich erfrischenden Schauer durch den Körper, den man ihm ansehen konnte und der ihn vage daran denken ließ, dass er das Fenster auch gleich wieder schließen konnte, so frostig wie es gerade im Raum wurde. Seine Haut fühlte sich an als sei sie von Pelz oder Stacheln bedeckt, die sich nun allesamt in Abwehrhaltung aufstellten. Auf dem Bett vor ihm lag wieder das Raubtier, und er bekam zwar etwas Bammel, aber es machte ihn auch ziemlich an. Dieser Zustand machte es ihm schwer, sich noch mehr Lügen aus den Fingern zu saugen und so entschied er sich für rigide Verteidigung.
„Wie meinst du das?“ fragte er knapp und leise.
„Du bist ein schlechter Lügner, Akira. Also raus damit,“ forderte Kei knapp und kühl, während er an seiner Zigarette zog.
„Womit? Ich habe dir gesagt, wie ich das Geld verdient habe,“ entgegnete Akira trotzig. Er sah ein, dass er nicht lügen konnte und es deshalb vielleicht auch besser gar nicht mehr versuchen sollte, aber was hatte Keisuke überhaupt für ein Recht, ihn so zu verhören? Er drehte sich an der Wand so, dass er nun mit dem Rücken an ihr lehnte, und verschränkte die Arme hinter dem Rücken.
„Du hast mir einen Teil gesagt. Also raus mit dem Rest.“ Kei spürte, wie er langsam wütend wurde. Warum sagte er ihm nicht, was war? Der Vampir konnte sich denken, was sein Freund angestellt hatte, aber er wollte es von ihm hören, sollte sich der böse Gedanke als wahr herausstellen.
Akira sah an die gegenüberliegende Wand und blieb noch eine Weile ruhig. „... Es war nur ein Job.“ Er sah zu Kei. „Leicht verdientes Geld.“
Nun wurde Keis Blick ganz dunkel und kalt. Er stand auf, zog sich notdürftig wieder an und ging vor die Tür. Dabei sah ihm Akira wortlos zu. Wo gehst du hin, du Arsch, bleib hier! Sein Trotz hielt ihn davon ab, Kei aufzuhalten zu versuchen. Aber nicht sehr lang. Gleich nachdem sich die Tür hinter dem Vampir geschlossen hatte, stürzte er zu seinen Kleidern und zog sich hastig die Jeans an, bevor er hinausstürmte, ohne auch nur die Hose zu schließen.
„Warte! Kei!“
Der drehte sich um. Er stand einige Meter von der Tür entfernt. „Was?“ Seine Laune war alles andere als gut.
Akira blieb direkt vor der Tür stehen. Sein Herz und sein Atem rasten.
Ich habe nicht mit ihm geschlafen. Es war nicht sowas, das schwöre ich.“ Er legte sich die ausgestreckten Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand auf die Brust. Und das war wirklich nicht gelogen! Er wusste doch, dass sein Körper Kei gehörte. Er hatte dem Alten nur einen Blowjob gewährt, und das war ja wohl kaum der Rede wert!
Kei zog an seiner Zigarette während er dort stand und musterte seinen Freund mit eiskaltem Blick. Warum machst du sowas? Der Vampir hatte sich nur Stiefel und Hose wieder angezogen und die Straßenlaterne beleuchtete ihn ein bisschen. „Was war‘s dann?“ Er versuchte einen Moment noch ruhig zu bleiben und war irgendwie froh, dass der Kleinere an der Tür stehen geblieben war, denn sonst läge er jetzt wahrscheinlich zusammengeschlagen auf dem Boden.
„Es war nur ein Blowjob!“ sagte Akira mit ausgebreiteten Armen und den Ansätzen eines Lächelns. Er schien das wirklich für keine große Sache zu halten und kein schlechtes Gewissen zu haben.
Kei sagte dazu nichts. Er drehte sich um und sah in die Ferne.
„Warum?“
Das verwirrte Akira. Warum? Er ließ die Arme sinken.
„Es war nichts persönliches. Ich habe ihm nur einen runtergeholt. Und er hat richtig gut bezahlt.“ Das Geldbündel bestand nur aus 1-Dollarnoten, aber der wichtigste Teil der Bezahlung war die modifizierte Indian gewesen, die unter einer fleckigen Plastikplane im Hinterhof stand und auf Keis Geburtstag wartete. Kei hatte das Geldbündel nicht genau betrachtet, aber es war dick und sah dementsprechend nach viel aus. Er musterte den Kleineren, ohne einen bestimmten Gesichtsausdruck, und spürte seinen Körper abkühlen, als sein Herzschlag verschwand.
„Es gibt noch mehr Wege, an Geld zu kommen...“
Akira machte ein frustriertes, fast verzweifeltes Geräusch.
„Ich weiß, das weiß ich doch... Aber er hatte etwas, das ich haben musste, damit hat er mich bezahlt -“ Frustriert trat er barfuß gegen die Tür hinter sich.
Unter der Kälte seines Gesichts konnte man erahnen, dass Kei verletzt war, auch wenn er sich bemühte, Akira das nicht sehen zu lassen. Es gelang ihm nicht, seine Gefühle ganz abzustellen. Mit einem Schlag gegen die Laterne hatten sie keine Straßenlaterne mehr, dafür aber eine Straßensperre, die kein Licht mehr machte. Das Krachen und Kreischen des Mastes ließ Akira zusammenzucken und ehrlich bleich werden. Vermutlich hätte er das sein sollen. Zum Glück war hier auf dieser schäbigen Staubstraße sonst niemand zu sehen.
„Komm mit nach hinten, ich zeige es dir... Okay?“ versuchte er vorsichtig. Er flüsterte fast, aber quietschte dabei angsterfüllt.
Kei blieb stehen, wo er war. In seinem Kopf herrschte ein Durcheinander aus Gedanken, die auf einmal gedacht werden wollten und gleichzeitig war dort Leere.
In Akiras Kopf sah es anders aus. Seine Zweifel reihten sich fieberhaft zu soliden Ketten von möglichen Handlungsabläufen, die er vermeiden musste. Er konnte nicht nachvollziehen, warum Kei sich so aufregte. Aber er konnte es sich vorstellen. Vielleicht hatte er wieder einen grauenhaften Fehler begangen. Für ein Motorrad? Er fand nicht, dass er dieses Mal untreu gewesen war, aber Keisuke schien das anders zu sehen. Für ein Motorrad. Er wollte ihm ein fantastisches Geschenk machen! Er musste seine Worte mit Bedacht wählen.
„... Warum bist du so wütend?“ wagte er leise.
Das fragst du mich jetzt wirklich...?! Es schien tatsächlich Akiras Ernst zu sein. Für Kei völlig unverständlich. Er konnte und wollte dem anderen nicht erklären, was einfach offensichtlich war. Das nächste, was ihm zum Opfer fiel, war eine schiefe Bank am Wegrand. Er wollte es vermeiden, Akira wieder so zuzurichten wie zuhause in Tokyo. Die blauschwarzen Haare fielen ihm wirr ins Gesicht. „Das fragst du ernsthaft?!“ gab er zurück.
Wieder zuckte Akira zusammen. Die Arme schnappten ihm eng an den Körper und er starrte fassungslos auf Keis Wutausbruch.
„Ja! Ich habs für dich gemacht!“ sagte er verzweifelt. Das hatte er eigentlich mit Nachdruck rufen wollen, aber bei dem Anblick des Berserkers vor ihm wollte seine Stimme nicht so wie er.
Im Grunde war Kei gerade vollkommen egal, warum Akira getan hatte, was er getan hatte. Obwohl er es auch wissen wollte. „Das ist mir gerade scheißegal!“
Dieses beschissene Motorrad! Akira schossen Tränen in die Augen. Das hier sollte nicht passieren. Ich versteh‘s immer noch nicht. Ich habe dich nicht betrogen!
Ihm fiel nichts mehr ein, das er sagen konnte. Sich zu entschuldigen würde jetzt nichts bringen. Es würde unehrlich klingen. Er schluckte nur und wich wieder etwas zurück, damit Kei sich nicht gleich auf ihn stürzte, wenn er sonst nichts mehr zum Zerstören in greifbarer Nähe hatte. Doch anstatt sich auf ihn zu stürzen und ihn zusammenzuschlagen, musterte Kei den Jungen kurz, den er gut sehen konnte, trotz der Dunkelheit, und drehte sich dann um. Ging die Straße hinunter. Akira sah ihm nach. Sein Körper entspannte sich unwillkürlich, aber in seinem Kopf schrie etwas. Einen Teil davon ließ er auch nach außen dringen, während er frustriert gegen die Wand trat.
„Argh! Fuck!“ Mit mittlerweile herunterlaufenden Tränen ging er um das Haus herum, zum Motorrad neben dem Hühnerverschlag, und raufte sich dabei die Haare. „Stupid, stupid, STUPID!“


Tuesday, January 26, 2016

Kei + Colin LIX: Genugtuung

 

Akira ließ Geige und Bogen fallen und stürzte auf Ryuji zu, mit vor Verzweiflung und Hass verzerrtem Gesicht und zu Klauen verkrampften Händen. Ryuji wich aus und schlug Akira einmal in den Magen. „Das bringt nichts.“
Akira wurde etwas zurückgeworfen, schien den Schlag aber sonst nicht zu spüren und langte nach Ryujis Kehle. Der ging einen Schritt zurück, während sich Kei auf Kira stürzte.
Das ist falsch, das gewinnen wir nicht - Akira schaffte es, Ryujis Gesicht mit seinen Fingerspitzen zu streifen. Weiter zurückweichen konnte der Mann mit so vielen Leuten im Gang nicht. Kei schaffte es, sich einen hübschen Nahkampf mit Kira zu liefern, jetzt wo er wieder bei Kräften war. Ryuji schlug noch einmal zu und setzte einen Tritt nach. Akira nahm beides hin, als wäre er in Schaumstoff eingepackt. Er stolperte rückwärts aber schien nichts zu spüren. Mit unveränderter purer Aggression warf er sich wieder auf Ryuji und kam ihm diesmal auch nah genug, um sein Gesicht zu packen.
Derweil hatte Kei Kira das Messer abgeknöpft und ihn damit großflächig verletzt, den älteren Vampir störte das allerdings nur wenig.
Ryuji schaffte es gerade noch, Akira abzuwehren, auch wenn der sein Gesicht erreicht hatte und dort ein paar Kratzer hinterließ. Nachdem seine Hand heruntergeschlagen wurde, packte Akira sich dafür Ryujis Hemd und die Haut darunter und zog sich so an ihn heran, als ob er auf ihn klettern wollte, und schnappte nach seinem Gesicht. Nichts war ihm ein dringerendes Bedürfnis, als diesen Mann zu zerfleischen. Das war sein einziger Wunsch. Ryuji wehrte sich mit harten Schlägen in Akiras Gesicht und Magengegend.
Kei hatte in seiner Raserei Kiras Gesicht ziemlich demoliert. Er selbst sah auch nicht viel besser aus. In Akiras Gesicht knackte es verdächtig, doch auch diese Verletzungen schienen ihm nichts auszumachen. Sie riefen nicht einmal viel Blut hervor. Er hielt Ryuji weiter vorn fest und hatte sich so an ihm hochgezogen, dass er die Füße gegen die Wand hinter dem Vampir stemmen konnte, und biss wieder nach ihm, diesmal in Richtung Kehle. Ryuji antwortete darauf mit einem Faustschlag direkt in Akiras Gesicht, bevor dieser seine Kehle erreichen konnte.
Währenddessen lag Kei unter seinem Vater am Boden, der ihm bei seinem Versuch, das Messer zurückzubekommen, das Kei in der rechten Hand hielt, auf Hals und Gesicht schlug. Die Klinge kam dabei Kiras Kehle gefährlich nahe. Keis Messer traf, schnitt aber nur oberfächlich. Als Kira dem Angriff auszuweichen versuchte, ohne den Jungen loszulassen, platzierte der einen Schlag so in Kiras Schulter, dass es ihm gelang, sich unter ihm hervorzuwinden und aufzustehen.
Mit nun mindestens einmal gebrochener Nase, aus der endlich auch Blut floss, ließ Akira Ryuji mit einer Hand los, um damit nach dessen Kehle zu greifen. Der Griff der anderen schraubte sich dabei noch fester, um ihn weiter zu halten, und bohrte seine Fingernägel in Ryujis Haut, der daraufhin ein schmerzerfülltes Ächzen von sich gab. Gleichzeitig drosch er weiter auf Akira ein, um ihn irgendwie wieder loszuwerden. Doch der hing unbeeindruckt weiter an Ryuji und steckte dessen Schläge ein, als wären sie kaum mehr als freundschaftliches Tätscheln. Man konnte zwar Knochen knacken hören und sehen, wie sich allmählich leichte Blutergüsse bildeten, doch Schmerzen schien der Junge nicht zu spüren. Als seine Hand von Ryuji weggeschlagen wurde, kam er dafür mit dem Gesicht näher an den Hals des Vampirs und biss fest zwischen Halsbeuge und Kehle hinein. Mit aller Kraft biss und kaute er darauf herum, bis die Haut endlich nachgab und riss. Das Blut floss reichlich und Ryuji versuchte weiterhin, sich zu wehren, scheiterte allerdings an der Schmerzresistenz seines Angreifers, der sich einfach nicht ablenken ließ.
Kei stürzte sich unterdessen mit hasserfülltem Blick wieder auf den Mann, der ihm seine Familie genommen hatte. Es war ihm in dem Moment egal, welche Ereignisse dazu geführt hatten und wer Schuld an was war. Er hatte lange auf diesen Augenblick gewartet. Beim zweiten Mal traf er richtig. Kira versuchte noch auszuweichen, aber Kei war wieder zu schnell für ihn und versenkte das Messer bis zum Heft in Kiras Hals.
Akira ließ Ryujis Hals nicht los, sondern nagte sich geradezu hinein und bohrte auch noch mit seiner freien Hand, die wahrscheinlich gebrochen oder zumindest verstaucht war, darin herum und riss das Loch größer.
Bis auf schmerzerfüllte Schreie war bald weder von Kira noch von Ryuji etwas zu hören, aber auch diese verstummten nach wenigen Sekunden.
Kei war das egal, er hörte nicht auf, den nun beinahe toten Körper seines Vaters regelrecht auseinanderzunehmen. Akira tat das gleiche mit Ryuji, mehr oder weniger bewusst. Er riss seinen Hals quer auf und vergrub sein Gesicht in Ryujis Kehle, um daraus zu essen, während er ihm das erschlaffende Gesicht zerkratzte und die Augen mit den Fingern eindrückte. Keis Gesicht und Hände waren bald fast vollständig von Blut bedeckt, selbiges galt für Kiras Körper, in den Kei die Zähne geschlagen hatte. Es dauerte lang, bis er den Blutrausch überwand.
Erst nach minutenlangem Graben und Wühlen in Ryujis Leiche, auf der er hockte, hörte Akira allmählich auf, während seine Verletzungen heilten. Mit blutverschmiertem Gesicht hob er seinen Blick, als würde er gerade aufwachen, und betrachtete das ausdruckslose, verunstaltete Gesicht vor sich, ehe er zu Kei sah. Der blickte ebenfalls langsam auf, jedoch nicht in eine spezifische Richtung, so als müsse er sich erst einmal orientieren, ehe ihm bewusst wurde, wo er war. Seine blauen Augen fanden nach einigen Sekunden die von Akira und er stand auf. Blut tropfte an ihm herunter. Es war eine Mischung aus seinem eigenen und dem seines Vaters. Er sah zufrieden aus.
Akira kniete sich mit einem sanften Lächeln hin und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. Mit der anderen winkte er Kei zu sich. Der Vampir ging das kurze Stück zu Akira hinüber ohne sich das Blut von Gesicht und Händen zu wischen. Das leichte Lächeln auf seinem Gesicht musste sehr verstörend wirken.
Mit leichtem Ziehen an Keis Hose versuchte Akira, ihm zu bedeuten, zu ihm herunterzukommen. Er dachte vage daran, dass Kei endlich seinen Vater bestraft hatte und dass seine eigene Familie nun zumindest teilweise gerächt war, aber diese Gedanken ließen sich nicht ausformulieren, sondern blieben wie eine tierische Ahnung als nebulöse Präsenz etwas außerhalb seines Bewusstseins. Ansatzweise bewusst waren ihm nur das Fleisch, der Blutgeruch, die Gewaltbefriedigung um ihn herum und das andere Bedürfnis, das bei Keis Anblick wieder wuchs. Der ließ sich einfach fallen, sodass er neben Akira und zwischen den Leichen auf dem Boden landete. In seinem Kopf waren keine klaren Gedanken, nur eine seltsame Zufriedenheit und Akira. Alles roch nach Blut um ihn herum, auch er selbst. Er nahm Akiras Hand, die eben noch an seiner Hose gezogen hatte und zog den Jungen zu sich. Der küsste ihn, langsam aber tief, und drückte sich gleich ganz, soweit es ging, an Kei. Er begann zu atmen und der abebbende Blutrausch der letzten Minuten machte einer anderen Hormonflut Platz. Der Vampir erwiderte den Kuss umgehend und vertiefte ihn noch weiter. Dabei drückte er den Kleineren an die nächstbeste Wand, die in diesem schmalen Flur nicht weit weg war. Akira seufzte auf und griff Kei beim Nacken, den Schultern, am Rücken, wo immer er etwas zu fassen bekam, um ihn dicht bei sich zu behalten. Gierig saugte und leckte er das Blut von Keis Lippen und rieb die wachsende Wölbung in seiner Hose an ihm. Er rupfte an Keis Kleidern herum, allerdings ohne dabei einen koordinierten Versuch zu unternehmen, sie ihm auszuziehen. Dafür lag ihm zuviel daran, den Vampir anzufassen, wo auch immer, ihn zu kratzen und zu umklammern und zu küssen. Nichts war dringender. Kei strich über seinen Körper und riss ihm ohne Gegenwehr die Hose herunter. Sich an der Wand abzustützen hatte er aufgegeben. Mit einer Hand sortierte er Akiras Beine so, dass er sich bequem dazwischen platzieren konnte, was den ohnehin schon nicht großen Abstand zwischen ihnen noch weiter verringerte. Ohne darüber nachzudenken half Akira mit und umklammerte mit den Beinen Keis Hüfte. Mit den Händen ließ er ihn kurz los, um sich eilig das Hemd aufzuknöpfen, damit Kei sich damit nicht weiter aufhalten musste. Da es stellenweise klamm von Blut war, klebte es hier und da etwas und mindestens ein Knopf fiel beim ungeduldigen Aufreißen ab. Keis T-shirt war nicht nur blutgetränkt, sondern auch teilweise zerrissen. Akira öffnete es ganz und nahm es Kei hastig ab. Es landete auf dem Boden und auch Akiras Hemd leistete ihm schnell Gesellschaft. Nachdem das lästige Ablegen von Kleidung dann beendet war, widmete der Vampir sich dem wirklich wichtigen: Akira. Er küsste ihn wieder und nahm ihn in eine Hand, während er ihn mit der anderen im Nacken festhielt. Dem Druck versuchte Akira zu widerstehen, ohne bestimmten Grund, und er stemmte sich mit den Schultern gegen die Wand, während sein Becken in die andere Richtung wollte. Er legte die Arme um Keis Schultern und vergrub die Hände in den feuchten Haaren. Kei machte sich nicht viel daraus, dass Akira sich ihm entgegenzusetzen versuchte, er war stärker und nutzte das auch schamlos aus, indem er ihn einfach weiterhin gegen die Wand drückte. Auf dem Schlüsselbein seines Freundes hinterließ er eine Reihe zärtlich-brutal zugefügter Bissspuren. Diese kleinen Schmerzen spürte Akira nun, dieses fantastische Stechen und Reißen, und er revanchierte sich genüsslich stöhnend mit seinen Fingernägeln in Keis Rücken, Nacken, Hinterkopf, und schob sein Becken weiter verzweifelt seinem Freund entgegen. Der Vampir kam der nonverbalen Aufforderung mit großer Freude nach und versenkte sich rücksichtslos in Akiras Körper. Was der Kleinere nicht sehen konnte, war Keis benebeltes, völlig abwesendes Grinsen. In Keis Halsbeuge zog sich Akiras Gesicht zusammen, genau wie sein ganzer Körper sich verkrampfte und den Schmerz nur noch zu vervielfachen schien. Er stöhnte laut auf und biss danach in Keis Schulter. Irgendetwas trieb ihm auch Tränen in die Augen und seine Wangen hinunter, aber das bemerkte er gar nicht. Kei dachte nicht daran, darauf Rücksicht zu nehmen, dass Akira eventuell Schmerzen haben könnte. Er bewegte sich nur deshalb erst nicht allzu schnell, weil es einfach nicht ging. Aber das änderte sich sehr bald.
Akira stemmte sich nur mit den Schultern gegen die Wand und konzentrierte sich allein auf das brennende Pulsieren, das von seiner Körpermitte in den kalten Rest seines Körpers ausstrahlte. Sein Stöhnen wurde zu unterdrücktem Schluchzen und es fiel ihm schwerer, Kei festzuhalten. Der Vampir wurde noch ein kleines bisschen schneller, die Stöße härter und rücksichtsloser.
Akira ließ ihn mit einer Hand los um irgendwoanders Halt zu suchen, und fand nach ziellosem Tasten in der Luft und entlang der Wand neben sich Ryujis schmieriges Gesicht. Erschrocken sog er etwas Luft ein, die ihm Kei sofort wieder austrieb. Er ließ sich hier von Kei ficken, auf den zerfetzten Leichen dieser Männer, einer davon Keis Vater...
„Scheiße,“ keuchte Akira und drückte gegen Keis Brust, in der lächerlichen Hoffnung, er könne ihn damit aufhalten.
Diese Hoffnung wurde jedoch enttäuscht. Kei dachte gar nicht daran, mit dem aufzuhören, was er gerade tat. Dass Akira gewahr wurde, was gerade eigentlich passierte, bekam er gar nicht mit.
„Hör auf,“ brachte der Junge noch heraus, aber Kei weiter schubsen konnte er nicht effektiv. Was machst du... Er mochte das hier, oder wenigstens sein Körper tat das, und er empfand auch eine perverse – nein, eine gerechte – Genugtuung dabei, aber es war...
schmerzhaft.
Er sah Kei finster in die Augen und stemmte sich gegen ihn. Kei hörte ihn zwar, nahm aber nicht richtig wahr, was er gesagt hatte.
Warum...? Er wusste, dass Akira gefiel, was er tat, dafür sprach sein Körper eine zu eindeutige Sprache. Hinzu kam, dass er nicht aufhören wollte.
Es tut weh! Frustriert stöhnend stieß Akira mit dem Kopf an die Wand. Er kratzte auf Keis Schlüsselbein herum aber konnte nicht umhin, sich eifrig gegen Kei zu bewegen. Sein Stöhnen konnte er auch nicht hinunterschlucken. Wenn er die Augen öffnete, sah er Kei vor Schmerz und Lust berauscht an.
„Keisuke,“ flüsterte er zwischen zerbissenen Lippen.
Mit noch immer leichtem Grinsen auf den Lippen küsste der Angesprochene ihn, ohne innezuhalten oder langsamer zu werden, und flüsterte ein leises „Hm?“
Akira kam der Kuss gelegen, weil er außer Keis Namen sowieso nichts hatte sagen wollen. Gierig erwiderte er ihn. Mithilfe von Zunge und Zähnen versuchte er, dem Vampir einen Teil von dem wiederzugeben, was er ihm gerade antat. Ich liebe dich.
Das leichte Grinsen auf Keis Gesicht verschwand nur, weil sein Mund nun anderweitig beschäftigt war.
Als Akira mit so etwas wie einem schluchzenden Schrei kam, krallte er sich in Keis Nacken und Ryujis zerstörtem Gesicht fest. Kei kam beinahe zeitgleich mit Akira. Etwas weniger laut stöhnend krallte er sich in dessen Rücken und erfolglos mit der anderen Hand an der Wand fest. Der Ausdruck auf seinem Gesicht und in den blauen Augen wandelte sich zu glücklich-benebelt, auf eine leicht verstörende Weise.
Akira hatte aufgehört, ihn zu küssen, lehnte aber immer noch an Keis Lippen und keuchte dagegen. Seine verschmierten Finger glitschten aus Ryujis Augenhöhlen und fuhren sanft zitternd über Keis Wange, wo sie frische hellrote Spuren hinterließen, und er behielt die Augen geschlossen, während er Kei einatmete und seine Orgasmuswelle zuende ritt. Der Vampir tat es ihm gleich und kehrte langsam wieder in die Gegenwart und Realität zurück. Mit geschlossenen Augen spielte er mit Akiras Haaren herum.
„Warum hast du mich leben lassen?“ murmelte Akira plötzlich atemlos.
„Ich will nicht, dass du draufgehst,“ antwortete Kei leise. Akira öffnete die Augen und lehnte den Kopf zurück an die Wand. Mit seinen zitternden Beinen hielt er Kei weiter fest.
„Bei der Schule meine ich, als ich dich gesehen habe...“
„Ich weiß nicht, warum,“ gestand Kei. Er wusste es wirklich nicht. Er hatte ihn einfach leben lassen.
Akira wusste auch nicht, warum er nicht weggelaufen war. Oder doch, vielleicht ein bisschen. Kei hatte ihn zu sehr fasziniert.
„Warum hast du mich danach...“ Angegraben? Belästigt? Dich an mich rangemacht? Dich mir aufgedrängt?
„Einfach so. Ich hatte keinen wirklichen Grund.“
„Gib mir eine Antwort,“ drängte Akira mit einem schwachen aggressiven Unterton und drückte gegen Keis Wange, als würde er ihn in Zeitlupe ohrfeigen.
„Das ist ‘ne Antwort. Erwartest du wirklich einen rational nachvollziehbaren Grund, dir angetrunken und rattig auf‘s Klo nachzulaufen?“ Kei sprach ruhig und grinste ein minimal kleines bisschen. Das brachte ihm einen giftigen Blick von Akira ein.
„Ja. Ich war auch angetrunken und scharf und ich bin dafür allein aufs Klo gegangen. Warum musstest du mich belästigen? Hör auf, so bescheuert zu grinsen!“ Er zog seine beschmierte Hand schnell zurück, so als ob er Kei eine richtige Ohrfeige geben wollte. Kei zwang sein Gesicht dazu, das Grinsen sein zu lassen und schaute dem anderen in die Augen.
„Warum nicht? Du warst interessant und bist es immer noch. Dann bin ich dir halt nachgegangen. Geht‘s dir wirklich um den Tag?“
Akira hielt inne und errötete leicht. Es ging ihm um jeden Tag.
„Ich war interessant? Wann?“ Es war ihm unerklärlich, was der Vampir an ihm interessant gefunden haben mochte. Skeptisch musterte er ihn.
„Du bist interessant,“ stellte Kei klar, immer noch ruhig. Erklären konnte Kei sich schwer. Es war einfach so, wie erklärte man sowas? Akira schien sich damit nicht zufriedenzugeben. Er sah Kei weiter fordernd an. Mit möglichst stechendem Blick. Er wusste nicht, ob der ihm gelang. Kei kümmerte nicht großartig, wie der Kleinere ihn ansah, da es nichts daran änderte, dass er nicht erklären konnte, warum er an Akira interessiert war. Was will er hören? Kei mochte es nicht besonders, wenn irgendwer, selbst Akira, Erwartungen an ihn hatte, die er nicht erfüllen konnte oder wollte, aber er ließ sich nichts anmerken.
Akira kitzelte es im Hinterkopf, Kei zu provozieren. Vielleicht, weil es ihn gerade so nervte, dass Kei bei dieser Sache hier nicht so aus der Fassung geraten war wie er selbst. Dabei kümmerte es ihn auch nicht, dass er immer noch in ihm steckte und er ihm ausgeliefert war.
„Du bist ein bisschen dumm, oder?“ Das unterstrich er mit einem herausfordernden Nicken.
„Nein... ich hab nur keine Ahnung von Menschen.“ Kei hatte nicht vor, sich großartig provozieren zu lassen. Er wusste, wo das enden konnte.
Akira musterte ihn. Dabei wurde sein Gesichtsausdruck weicher. Er weinte auch wieder, aber nur ein bisschen. Ich muss den Anfang machen.
„Du bist interessant, weil du selbstständig und stark bist.“ Er sprach leise. „Du bist seltsam, weil für dich die Menschen Beute sind, aber du mich nicht immer so ansiehst. Ich kann sehen, wie du mich beobachtest. Und ich will wissen, warum. Ich will verstehen, warum ich wertvoller bin als andere.“
Kei dachte nach. Er wusste wirklich nicht, warum ausgerechnet Akira für ihn wertvoller war als alle anderen. Tatsache allerdings war, dass es so war. „Du bist nicht wie die anderen. Du warst schon immer anders. Du hast keine Angst vor mir. Du erwartest nichts von mir und bist trotzdem da.“ Kei dachte hörbar, wenn auch nicht gerade laut. Du faszinierst mich... Seit diesem Tag.
„Das ist falsch,“ flüsterte Akira. „Ich hatte eine Scheißangst vor dir. Und ich habe von dir erwartet, dass du mich in Stücke reißt und austrinkst. Und jetzt erwarte ich von dir... jetzt habe ich auch Erwartungen.“ Er hatte auch immer noch Angst vor ihm. Er legte die Arme um Keis Schultern.
„Ich bin nicht gut darin, zu machen, was man von mir erwartet, vielleicht lebst du deshalb noch.“ Kei ließ den Rest unkommentiert. Was er am wenigsten konnte, war, sich so auszudrücken, dass man ihn verstand oder es gar einen wirklichen Sinn ergab. Das lag einfach daran, dass er nicht gut darin war, mit Menschen umzugehen. Wenn er sich jemals näher mit Menschen beschäftigte, starben diese Leute meist schnell.
„Ich erwarte von dir, dass du dich unsterblich in mich verliebst.“ Es war Akira offensichtlich peinlich, das zu sagen, aber was war sein mickriger Stolz noch wert, nachdem er tagelang in einem finsteren Keller festgehalten worden war, mit Kei diese Männer getötet hatte und sich dann auf ihren Leichen so von ihm hatte nehmen lassen?
Kei sah das nicht wirklich als Erwartung an. Und es war etwas, was er tatsächlich erfüllen wollte und schon längst hatte. Aber nicht, weil Akira behauptete, es zu erwarten. Für Kei waren Erwartungen mit Druck und deren Nichterfüllung meist mit negativen Konsequenzen verbunden.
„Das ist keine Erwartung...“ sagte der Vampir ruhig. „Und wenn ich das nicht längst hätte, wäre ich wahrscheinlich noch tot... und du vielleicht auch.“
Akiras Mundwinkel zuckte amüsiert. „Du kannst dich besser ausdrücken, als du glaubst. Jetzt lass mich los.“
„Ich hab‘ mich noch nicht entschieden, ob ich dich loslassen will oder nicht.“ Kei schmunzelte ein kleines bisschen.
„Ich erwarte von dir, dass du mich bis in alle Ewigkeit festhältst. Wenn du mich jetzt loslässt, wird das schreckliche Folgen haben.“ Mit diesen sardonischen Worten drückte er etwas gegen Keis Brust.
Kei ließ ihn los. Schmunzelte leicht in sich hinein. Er machte ein mhm – Geräusch, das eindeutig klarmachte, dass er den Kleineren nicht ernst nahm. Er schaute sich um. „Bevor die Bullen da sind, sollten wir hier weg sein,“ merkte er an.
„Genau meine Rede... Blitzbirne.“ Bevor Kei etwas entgegnen konnte, küsste er ihn und machte sich daran, aufzustehen.
Der Vampir erhob sich seinerseits als er den Kuss kurz erwiderte. Schnell zog er Jeans, Stiefel und Jacke wieder an. Sein Rucksack war nun so gut wie leer. „Wir sollten einkaufen,“ schlug er vor. Akira hatte sich ebenfalls wieder angezogen und dabei wie zuvor seine Unterwäsche und das T-shirt ausgelassen. Er trug nur seine Jeans und das kurzärmelige Knöpfhemd, das sich nun nicht mehr ganz schließen ließ. Seine Jacke war scheinbar irgendwann während der Entführung abhanden gekommen oder von den Männern entfernt worden, wahrscheinlich damit er vernünftig gefesselt werden konnte. Eilig hatte er sich die Stoffturnschuhe, in denen er mit nackten Füßen steckte, zugeschnürt und packte nun die Geige wieder ein, die beim Aufprall auf den Boden glücklicherweise keinen Schaden davongetragen hatte.
Als er damit fertig war, war auch sein Körper bereits verheilt und es blieben keine Spuren des Kampfes mehr zurück, als er sich das Blut und den Schweiß abgewaschen hatte. Auch der Schmerz und die mutmaßlichen Verletzungen, die ihm Kei gerade eben zugefügt hatte, hatten sich in Wohlgefallen aufgelöst.
Seinem Beispiel folgend wusch Kei sich das Blut ab und stellte dabei fest, dass auch er keine Verletzungen mehr hatte. Schließlich schulterte er seine Tasche mit dem Schwert, das Kira in Besitz gehabt hatte, und machte sich daran, den Gang hinunterzugehen. „Hier geht‘s raus, glaub ich.“
Akira schulterte seinen Geigenkasten, während er ihm nachging. Während Kei sein Schwert gefunden hatte, hatte er noch die Taschen des jungen Mannes in ihrem Zimmer untersucht und nun auf dem Flur machte er kurz Halt, um Ryujis und Kiras Leichen nach Brieftaschen oder anderem nützlichem zu durchsuchen.
Ryuji hatte tatsächlich eine Brieftasche mit gar nicht mal wenig Bargeld dabei. Kira zu filzen brachte keinen solchen Erfolg. Kei wartete auf ihn.
„Was gefunden?“
„Geld.“ Akira nahm die Scheine aus dem Portemonnaie und steckte sie in eine Hosentasche, während er wieder losging.

Einige Stunden später war der Einkauf erledigt und Kei hatte den Weg zu seinem Boss Masahiro eingeschlagen. In seinem neuen Rucksack befanden sich ein paar neue Kleider, ein Feuerzeug, drei Schachteln Kippen und neue Schusswaffen – nur für den Fall. Er selbst hatte auch neue Kleidung besorgt, nur seine Jacke hatte er behalten. Auch Akira war nun mit neuer Garderobe ausgestattet. Die lange getragenen Kleider hatte er in eine der Plastiktüten aus den Geschäften, die sie aufgesucht hatten, eingepackt und in seinen neuen Rucksack gestopft. Seine Schuhe trug er noch, alles andere war neu und schön einheitlich schwarz. Für die Anonymität trug er nun noch eine Mütze und eine Sonnenbrille.
„Soll ich mitkommen oder lieber irgendwo warten?“ fragte er. Er war sich nicht sicher, was Kei mit seinem Boss besprechen wollte.
„Du kannst mitkommen,“ entschied Kei spontan, als er das unauffällige Bürogebäude betrat. Als sie nach einer Weile des Umhergehens am Büro des Yakuzabosses angekommen und zu seiner Tür vorgelassen worden waren, klopfte der Vampir an und wartete, bis sie hereingebeten wurden. Akira stand stumm und relativ ausdruckslos neben ihm und sah sich um. Er hatte Mütze und Sonnenbrille nicht abgenommen.
Als von hinter der Tür eine Stimme dazu einlud, einzutreten, sah er auf die Klinke. Kei drückte diese und betrat mit knapper aber höflicher Verbeugung den Raum.
„Wir haben ein Problem,“ verkündete er und trug kurz die Misere vor, in der er und Akira gerade steckten. Der Mann namens Masahiro hörte geduldig zu. Die anderen Anwesenden verhielten sich so ruhig wie Statuen.
„Gib mir dein Handy, Sakai-kun,“ forderte Masahiro, nachdem er erfahren hatte, dass Kei es noch besaß. Ohne zu murren händigte er es ihm aus und musste mit ansehen, wie es einfach auseinandergebaut und zerstört wurde. Akira zuckte unwillkürlich zusammen, als ein Anzugmann, der stumm neben dem Schreibtisch gestanden hatte, das Telefon auf dem Boden mit einem schweren Aschenbecher zertrümmerte. Gleich darauf verzog er das Gesicht vor Enttäuschung von sich selbst. Das hier war nur die Yakuza. Er hatte furchterregenderes hinter sich. Und es war Keis Yakuza. No reason to be jumpy, sagte er sich selbst. Er musterte den Boss genau. Der unterhielt sich noch eine Weile mit Kei, nachdem der sich beschwert hatte, warum man sein Telefon denn bitte hatte zertrümmern müssen. Akira hörte irgendwann auf, zuzuhören und musterte stattdessen die drei weiteren Männer, die die ganze Zeit nichts sagten und sich kaum bewegten. Der Telefonzertrümmerer stand wie ein Leibwächter neben dem Schreibtisch, während die anderen beiden auf einem Sofa saßen. Der eine, der statt Anzug und Krawatte ein Hawaiihemd mit Cargohose trug, saß bequem zurückgelehnt mit ausgebreiteten Armen da und rauchte gemächlich. Der andere hatte verschiedene Mappen und einen Taschenrechner vor sich auf dem niedrigen Kaffeetisch liegen und schien damit zu arbeiten. Ab und zu nickte er, nachdem der Boss etwas gesagt hatte, ohne dafür jedesmal von seinen Papieren aufzublicken.
Irgendwann wandte Kei sich zu Akiras um und erklärte ihm, dass sie in drei Stunden noch einmal wiederkommen sollten, um sich neue Ausweise und Flugtickets abzuholen. Akira sah ihn an und hoffte, dass er dabei nicht zu doof guckte. Ausweise und Flugtickets, klar. Sie mussten ja abhauen. Und am besten ins Ausland, das war auch klar. Das ging nur mit Pässen und einen Flugzeug. Er verstand nur nicht, was das mit diesen Leuten hier zu tun hatte.
„Warum helfen Sie uns?“ richtete er das Wort an Masahiro.
„Sakai-kun hat noch einen gut bei mir,“ erwiderte dieser und musterte Akira nun. Der blasse Junge, dessen blutrote Locken etwas unter der dünnen Wollmütze hervorschauten, begegnete seinem Blick ernst. Ihm wurde bewusst, dass es unhöflich war, die beinahe schwarze Sonnenbrille aufzubehalten, aber er entschied sich dagegen, sie jetzt abzunehmen. Das wäre ihm wie eine Geste der Unterwerfung vorgekommen, so als wäre er ein Wolf und würde auf diese Weise dem Alpha seine Kehle anbieten. Kei mochte diesen Mann zwar und schien ihm zu vertrauen, aber Akira behielt sich vor, sich seine Freunde selbst auszusuchen. Vage fiel ihm auch ein, dass er sich beim Eintreten nicht verbeugt hatte. Das war allerdings keine Absicht gewesen.
„Danke,“ sagte er.
Kei bedankte sich ebenfalls und verließ den Raum dann wieder zusammen mit Akira. Draußen sagte er: „Wir gehen weit weg. Südamerika.“
„Südamerika?“ wiederholte Akira blöde. „Warum?“
„Dort fallen wir nicht weiter auf und man sucht uns dort nicht. Es ist kein Ort, wo vermutet wird, dass wir hingehen,“ erklärte Kei. Dass gewisse Geschäftsbeziehungen von Masahiro auch ein wenig damit zu tun hatten, hielt er nicht für erwähnenswert. Akira runzelte sachte die Stirn.
„Das trifft auch auf den Rest der Welt zu. Ich kann kein Spanisch.“
„Wir müssen dort ja nicht lange bleiben. Sieh es als Start für eine Weltreise.“
Weltreise? Akira blieb stehen.
Er würde jetzt ewig auf der Flucht mit seinem Wahnsinnigen durch obskure Karibikstaaten reisen, vielleicht? Nicht übel. Er blickte leicht schmunzelnd zu Boden. Kei legte den Kopf in den Nacken und schmunzelte leicht. „Wir können hingehen, wo wir wollen. Und Spanisch lernen wir sicher schnell.“
Bei dir wäre ich mir da nicht so sicher. Your English is still pretty terrible, love.“ Akira ging weiter. Die drei zu wartenden Stunden mussten sie nicht hier im Flur verbringen. Es war zwar nicht sehr klug, das Gebäude wieder zu verlassen, aber es musste doch hier irgendwo einen Kopierraum oder ein Lager oder sowas geben.
Kei ließ das unkommentiert und folgte dem Kleineren. „Wo willst du hin?“ fragte er und steckte die Hände in die Hosentaschen. Das Gebäude war riesig.
Somewhere more private,“ antwortete Akira schlicht und ging weiter die Türen ab. Die meisten waren geschlossen. Sie kamen an einer Teeküche vorbei und an einer Nische mit Getränke- und Imbissautomaten, einem Wasserspender und einem Tisch mit Stühlen. Zu öffentlich, befand Akira und ging weiter, bis sie wieder bei den Fahrstühlen ankamen. Als hätte er es geplant, drückte er auf den Aufwärtsknopf. Kei folgte ihm einfach.
„Wie wär‘s mit dem Dach?“ schlug der Vampir vor. Es war zwar nicht vorgesehen, aber es gab einen Weg auf das Dach, der meistens auch offen war... und wenn nicht, war das für ihn auch kein Hindernis.
Akira nickte und vertraute darauf, das Kei das sah. Der Fahrstuhl schien in der Nähe gewartet zu haben, denn er kam sehr schnell an und war leer, als er sich für sie öffnete. Akira rauschte hinein, drückte den Knopf für das oberste Stockwerk und nahm dabei endlich seine Brille ab.
Oben angekommen schlenderte Kei in Richtung Treppenhaus, in dem es einen Aufgang für das Dach gab. Es war eine Feuertreppe, über die im Notfall das Dach erreicht werden konnte. Akira ging ungeduldig hinter ihm her. Ohne zu wissen, warum, hatte er es im Fahrstuhl versäumt, über Kei herzufallen, und nun musste er sich bewusst davon abhalten, Kei zu schubsen, damit es schneller ging. Nachdem er die Tür zur Feuertreppe geöffnet hatte, kletterte Kei auf das hohe Dach des Bürogebäudes. Man konnte sehr weit sehen. Überall turmhohe Gebäude und viele kleine Ameisenjapaner, die über die Straßen liefen und einem geregelten, geordneten Leben nachgingen.
Langsam neigte sich der Tag seinem Ende. Der Himmel war wolkig und es war nicht sonderlich warm. In dem Moment, in dem Kei das Dach betrat, begann ein leichter Schneefall. Die kalte Luft und das Rauschen von so tief unten ließen Akira still werden. Er hatte zwar sowieso nichts gesagt, aber beim Anblick der ersten Schneeflocken wollte er das auch nicht mehr. Langsam und um Einiges gelassener ging er zur sehr niedrigen Brüstung des Daches und legte seine beiden Taschen davor ab. Friedlich atmete er durch und sah über die Stadt. Mit der Hand fing er ein paar Schneeflocken auf, die nicht gleich schmolzen. Kei leistete ihm Gesellschaft und legte seinen großen, vollgestopften Rucksack daneben. Er setzte die Kapuze der Sweatshirtjacke auf, die er unter der Lederjacke trug. Für seine Verhältnisse war er sehr warm angezogen. Lederjacke, Sweatshirtjacke, Tanktop, Jeans und Stiefel. Dafür, dass er nicht fror, war das sehr viel Stoff. Der Vampir legte einen Arm um Akira und zog ihn an sich. Akiras Herz hüpfte und der Schnee auf seiner Hand und seinem Gesicht wurde sofort zu Wasser. Sein kleines geheimes Lächeln, das ein wenig Farbe in sein Gesicht brachte, wandte er Kei zu. Der sah dem Schnee ein Weilchen beim Schmelzen zu, ehe er Akira küsste. Der erwiderte den Kuss sanft. Beinahe zögerlich, denn irgendetwas kribbelte in seinem Gesicht und seinen Händen, die Keis neue Lederjacke festhielten, und zerrte ungeduldig an den Organen hinter seinen Rippen. Darum war er froh um die vielen Kleiderschichten zwischen ihnen. Wenn der Vampir seinen Herzschlag jetzt wahrnehmen konnte, würde er wieder so eingebildet grinsen. Und er würde auch ums Verrecken nicht aussprechen, was er gerade dachte. No, sir. Kei hielt den Kuss lächelnd aufrecht, zumindest für eine Weile. Sein Körper wurde allmählich wärmer.
Ich liebe dich. Hey, denken durfte Akira, was immer er wollte. Er öffnete die Augen und sah Kei an, immer noch an seinen Lippen hängend. Er hatte das wachsende Bedürfnis, diesen Jungen zu verschlingen. Keis Gesicht war ruhig und friedlich. Seinen Arm, den er um den Kleineren gelegt hatte, schob er unter Akiras Jacke. Er küsste ihn wieder.

Wenn man Akira hinterher gefragt hätte, wie lange sie so dort gestanden hatten, hätte er selbstbewusst auf fünf bis fünfzig Minuten getippt. Nach Ablauf dieser schrecklich kurzen Ewigkeit jedenfalls fiel der Schnee immer noch, weiterhin so dünn wie zu Beginn, aber mittlerweile war davon eine feine Schicht auf dem Dach und auf ihren Mützen und Schultern liegengeblieben.
Kei kümmerte nicht, wie viel Schnee gefallen oder dass es mittlerweile sehr kalt geworden war. Irgendwann unterbrach er den Kuss und nahm den Kleineren in den Arm, so hielt er ihn einfach fest. Der Schneefall wurde ein wenig dichter und es dauerte nicht lang, bis sie beide und ihre Taschen dünn eingeschneit waren. Von irgendwoher kam Kei der Gedanke, dass er gern im Winter Geburtstag hatte. Mit ganz viel Schnee. Er mochte den Winter sehr, aber in diesem Jahr würde sein Geburtstag irgendwoanders stattfinden. Nicht, dass er ihn gern feierte. Der Vampir schob den Gedanken wieder beiseite und vergrub den Kopf in Akiras Jacke. Um sie herum schien es stiller geworden zu sein. Der Himmel war noch dunkler geworden und die Wolken hatten sich verformt, hingen aber immer noch dick und schwer über ihnen.
Es raschelte etwas, und Akiras schöne neue Wolljacke öffnete sich. Darauf folgten die Knöpfe seines schwarzen Hemdes darunter. Kei trug seine beiden Jacken offen. Er nutzte das nun offene Hemd des Kleineren aus, um seine Hand darunter zu schieben. Er war warm darunter. Akiras warmer Atem drang durch den Stoff des Tanktops, und den schien der Junge auch zu ignorieren, als er die Lippen darauf setzte. Mit leichtem Lächeln nahm Kei die Wärme des Kleineren zur Kenntnis und strich leicht über dessen Haut. Er selbst war nie richtig warm, aber mit pumpendem Herzen etwas wärmer als als wenn er tot war. Mit der freien Hand, die bis eben noch im Freien um Akira gelegt war, schob er dessen Hemdkragen leicht zur Seite und küsste ihn dort.
Kalt. Akira schauderte leicht. Er lehnte den Kopf unter Keis Kinn und sah sich den Himmel und die Dächer an. Die Sonne ging auf der anderen Seite des Gebäudes unter, sodass der Horizont schwarz war und die Wolkenberge orange und rosa leuchteten und die Fassaden in den gleichen Farben glänzten.
Ich war noch nicht einmal fünf Jahre lang hier.
Mit leicht traurigem Blick betrachtete Kei nun seinerseits die Umgebung. Ich werde Tokyo vermissen... Irgendwann komme ich wieder hierher zurück. Er drückte Akira leicht.
Vielleicht kommen wir auch gar nicht erst weg, stichelte ein gemeiner Zwerg in Akiras Hinterkopf. Er hatte auch gar nichts gegen das Sterben. Solange er das mit Kei tun konnte. Nimm das, gemeiner Zwerg. Er blickte zu Kei auf und wischte ihm Schnee von den Schultern.
„Ist es Zeit, wieder runterzugehen?“
Nein, die drei Stunden sind bestimmt noch nicht um.“ Kei hatte keine Uhr mehr und auch nicht daran gedacht, sich eine zuzulegen aber er war sich sicher, dass sie noch keine ganze Stunde auf dem Dachen waren.
„Gut.“ Akira wusste nicht, wie gut das war. Er hatte es eilig, zu verschwinden, aber andererseits wollte er überhaupt nicht weg. Der gemeine Zwerg lachte gehässig, während er in seinem Kopf eine unmögliche Fantasiezukunft mit Kei und seiner Familie hier in Tokyo abspulte, mit privaten Teezeremonien im Garten und Weihnachten, wie Humphrey Keis grimmiges Gesicht ableckte und wie Akira und Shingo RooD beitraten und... er legte seine Stirn auf Keis mittlerweile feuchtgeschmolzenes Hemd und schloss die Augen.
Kei schweifte mit den Gedanken ebenfalls ab, aber nicht in eine solche harmonische Richtung, die hatte es in seinem Leben nur zu kurz gegeben, als dass er sich nun so etwas vorstellen konnte. Er dachte eher daran, wo sie nun hingehen würden. Überall mal hin... beschloss er dann einfach und hielt Akira fest, während er in die Ferne sah. Beim Nachdenken fiel ihm auf, dass es ihm fast egal war, wo er hingehen würde. Schließlich hatte er nie ein Leben mit Konstanten gehabt. Das einzige von dem er wollte, dass es niemals verschwinden würde, war der Junge, den er gerade festhielt.