Tuesday, January 26, 2016

Kei + Colin LIX: Genugtuung

 

Akira ließ Geige und Bogen fallen und stürzte auf Ryuji zu, mit vor Verzweiflung und Hass verzerrtem Gesicht und zu Klauen verkrampften Händen. Ryuji wich aus und schlug Akira einmal in den Magen. „Das bringt nichts.“
Akira wurde etwas zurückgeworfen, schien den Schlag aber sonst nicht zu spüren und langte nach Ryujis Kehle. Der ging einen Schritt zurück, während sich Kei auf Kira stürzte.
Das ist falsch, das gewinnen wir nicht - Akira schaffte es, Ryujis Gesicht mit seinen Fingerspitzen zu streifen. Weiter zurückweichen konnte der Mann mit so vielen Leuten im Gang nicht. Kei schaffte es, sich einen hübschen Nahkampf mit Kira zu liefern, jetzt wo er wieder bei Kräften war. Ryuji schlug noch einmal zu und setzte einen Tritt nach. Akira nahm beides hin, als wäre er in Schaumstoff eingepackt. Er stolperte rückwärts aber schien nichts zu spüren. Mit unveränderter purer Aggression warf er sich wieder auf Ryuji und kam ihm diesmal auch nah genug, um sein Gesicht zu packen.
Derweil hatte Kei Kira das Messer abgeknöpft und ihn damit großflächig verletzt, den älteren Vampir störte das allerdings nur wenig.
Ryuji schaffte es gerade noch, Akira abzuwehren, auch wenn der sein Gesicht erreicht hatte und dort ein paar Kratzer hinterließ. Nachdem seine Hand heruntergeschlagen wurde, packte Akira sich dafür Ryujis Hemd und die Haut darunter und zog sich so an ihn heran, als ob er auf ihn klettern wollte, und schnappte nach seinem Gesicht. Nichts war ihm ein dringerendes Bedürfnis, als diesen Mann zu zerfleischen. Das war sein einziger Wunsch. Ryuji wehrte sich mit harten Schlägen in Akiras Gesicht und Magengegend.
Kei hatte in seiner Raserei Kiras Gesicht ziemlich demoliert. Er selbst sah auch nicht viel besser aus. In Akiras Gesicht knackte es verdächtig, doch auch diese Verletzungen schienen ihm nichts auszumachen. Sie riefen nicht einmal viel Blut hervor. Er hielt Ryuji weiter vorn fest und hatte sich so an ihm hochgezogen, dass er die Füße gegen die Wand hinter dem Vampir stemmen konnte, und biss wieder nach ihm, diesmal in Richtung Kehle. Ryuji antwortete darauf mit einem Faustschlag direkt in Akiras Gesicht, bevor dieser seine Kehle erreichen konnte.
Währenddessen lag Kei unter seinem Vater am Boden, der ihm bei seinem Versuch, das Messer zurückzubekommen, das Kei in der rechten Hand hielt, auf Hals und Gesicht schlug. Die Klinge kam dabei Kiras Kehle gefährlich nahe. Keis Messer traf, schnitt aber nur oberfächlich. Als Kira dem Angriff auszuweichen versuchte, ohne den Jungen loszulassen, platzierte der einen Schlag so in Kiras Schulter, dass es ihm gelang, sich unter ihm hervorzuwinden und aufzustehen.
Mit nun mindestens einmal gebrochener Nase, aus der endlich auch Blut floss, ließ Akira Ryuji mit einer Hand los, um damit nach dessen Kehle zu greifen. Der Griff der anderen schraubte sich dabei noch fester, um ihn weiter zu halten, und bohrte seine Fingernägel in Ryujis Haut, der daraufhin ein schmerzerfülltes Ächzen von sich gab. Gleichzeitig drosch er weiter auf Akira ein, um ihn irgendwie wieder loszuwerden. Doch der hing unbeeindruckt weiter an Ryuji und steckte dessen Schläge ein, als wären sie kaum mehr als freundschaftliches Tätscheln. Man konnte zwar Knochen knacken hören und sehen, wie sich allmählich leichte Blutergüsse bildeten, doch Schmerzen schien der Junge nicht zu spüren. Als seine Hand von Ryuji weggeschlagen wurde, kam er dafür mit dem Gesicht näher an den Hals des Vampirs und biss fest zwischen Halsbeuge und Kehle hinein. Mit aller Kraft biss und kaute er darauf herum, bis die Haut endlich nachgab und riss. Das Blut floss reichlich und Ryuji versuchte weiterhin, sich zu wehren, scheiterte allerdings an der Schmerzresistenz seines Angreifers, der sich einfach nicht ablenken ließ.
Kei stürzte sich unterdessen mit hasserfülltem Blick wieder auf den Mann, der ihm seine Familie genommen hatte. Es war ihm in dem Moment egal, welche Ereignisse dazu geführt hatten und wer Schuld an was war. Er hatte lange auf diesen Augenblick gewartet. Beim zweiten Mal traf er richtig. Kira versuchte noch auszuweichen, aber Kei war wieder zu schnell für ihn und versenkte das Messer bis zum Heft in Kiras Hals.
Akira ließ Ryujis Hals nicht los, sondern nagte sich geradezu hinein und bohrte auch noch mit seiner freien Hand, die wahrscheinlich gebrochen oder zumindest verstaucht war, darin herum und riss das Loch größer.
Bis auf schmerzerfüllte Schreie war bald weder von Kira noch von Ryuji etwas zu hören, aber auch diese verstummten nach wenigen Sekunden.
Kei war das egal, er hörte nicht auf, den nun beinahe toten Körper seines Vaters regelrecht auseinanderzunehmen. Akira tat das gleiche mit Ryuji, mehr oder weniger bewusst. Er riss seinen Hals quer auf und vergrub sein Gesicht in Ryujis Kehle, um daraus zu essen, während er ihm das erschlaffende Gesicht zerkratzte und die Augen mit den Fingern eindrückte. Keis Gesicht und Hände waren bald fast vollständig von Blut bedeckt, selbiges galt für Kiras Körper, in den Kei die Zähne geschlagen hatte. Es dauerte lang, bis er den Blutrausch überwand.
Erst nach minutenlangem Graben und Wühlen in Ryujis Leiche, auf der er hockte, hörte Akira allmählich auf, während seine Verletzungen heilten. Mit blutverschmiertem Gesicht hob er seinen Blick, als würde er gerade aufwachen, und betrachtete das ausdruckslose, verunstaltete Gesicht vor sich, ehe er zu Kei sah. Der blickte ebenfalls langsam auf, jedoch nicht in eine spezifische Richtung, so als müsse er sich erst einmal orientieren, ehe ihm bewusst wurde, wo er war. Seine blauen Augen fanden nach einigen Sekunden die von Akira und er stand auf. Blut tropfte an ihm herunter. Es war eine Mischung aus seinem eigenen und dem seines Vaters. Er sah zufrieden aus.
Akira kniete sich mit einem sanften Lächeln hin und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. Mit der anderen winkte er Kei zu sich. Der Vampir ging das kurze Stück zu Akira hinüber ohne sich das Blut von Gesicht und Händen zu wischen. Das leichte Lächeln auf seinem Gesicht musste sehr verstörend wirken.
Mit leichtem Ziehen an Keis Hose versuchte Akira, ihm zu bedeuten, zu ihm herunterzukommen. Er dachte vage daran, dass Kei endlich seinen Vater bestraft hatte und dass seine eigene Familie nun zumindest teilweise gerächt war, aber diese Gedanken ließen sich nicht ausformulieren, sondern blieben wie eine tierische Ahnung als nebulöse Präsenz etwas außerhalb seines Bewusstseins. Ansatzweise bewusst waren ihm nur das Fleisch, der Blutgeruch, die Gewaltbefriedigung um ihn herum und das andere Bedürfnis, das bei Keis Anblick wieder wuchs. Der ließ sich einfach fallen, sodass er neben Akira und zwischen den Leichen auf dem Boden landete. In seinem Kopf waren keine klaren Gedanken, nur eine seltsame Zufriedenheit und Akira. Alles roch nach Blut um ihn herum, auch er selbst. Er nahm Akiras Hand, die eben noch an seiner Hose gezogen hatte und zog den Jungen zu sich. Der küsste ihn, langsam aber tief, und drückte sich gleich ganz, soweit es ging, an Kei. Er begann zu atmen und der abebbende Blutrausch der letzten Minuten machte einer anderen Hormonflut Platz. Der Vampir erwiderte den Kuss umgehend und vertiefte ihn noch weiter. Dabei drückte er den Kleineren an die nächstbeste Wand, die in diesem schmalen Flur nicht weit weg war. Akira seufzte auf und griff Kei beim Nacken, den Schultern, am Rücken, wo immer er etwas zu fassen bekam, um ihn dicht bei sich zu behalten. Gierig saugte und leckte er das Blut von Keis Lippen und rieb die wachsende Wölbung in seiner Hose an ihm. Er rupfte an Keis Kleidern herum, allerdings ohne dabei einen koordinierten Versuch zu unternehmen, sie ihm auszuziehen. Dafür lag ihm zuviel daran, den Vampir anzufassen, wo auch immer, ihn zu kratzen und zu umklammern und zu küssen. Nichts war dringender. Kei strich über seinen Körper und riss ihm ohne Gegenwehr die Hose herunter. Sich an der Wand abzustützen hatte er aufgegeben. Mit einer Hand sortierte er Akiras Beine so, dass er sich bequem dazwischen platzieren konnte, was den ohnehin schon nicht großen Abstand zwischen ihnen noch weiter verringerte. Ohne darüber nachzudenken half Akira mit und umklammerte mit den Beinen Keis Hüfte. Mit den Händen ließ er ihn kurz los, um sich eilig das Hemd aufzuknöpfen, damit Kei sich damit nicht weiter aufhalten musste. Da es stellenweise klamm von Blut war, klebte es hier und da etwas und mindestens ein Knopf fiel beim ungeduldigen Aufreißen ab. Keis T-shirt war nicht nur blutgetränkt, sondern auch teilweise zerrissen. Akira öffnete es ganz und nahm es Kei hastig ab. Es landete auf dem Boden und auch Akiras Hemd leistete ihm schnell Gesellschaft. Nachdem das lästige Ablegen von Kleidung dann beendet war, widmete der Vampir sich dem wirklich wichtigen: Akira. Er küsste ihn wieder und nahm ihn in eine Hand, während er ihn mit der anderen im Nacken festhielt. Dem Druck versuchte Akira zu widerstehen, ohne bestimmten Grund, und er stemmte sich mit den Schultern gegen die Wand, während sein Becken in die andere Richtung wollte. Er legte die Arme um Keis Schultern und vergrub die Hände in den feuchten Haaren. Kei machte sich nicht viel daraus, dass Akira sich ihm entgegenzusetzen versuchte, er war stärker und nutzte das auch schamlos aus, indem er ihn einfach weiterhin gegen die Wand drückte. Auf dem Schlüsselbein seines Freundes hinterließ er eine Reihe zärtlich-brutal zugefügter Bissspuren. Diese kleinen Schmerzen spürte Akira nun, dieses fantastische Stechen und Reißen, und er revanchierte sich genüsslich stöhnend mit seinen Fingernägeln in Keis Rücken, Nacken, Hinterkopf, und schob sein Becken weiter verzweifelt seinem Freund entgegen. Der Vampir kam der nonverbalen Aufforderung mit großer Freude nach und versenkte sich rücksichtslos in Akiras Körper. Was der Kleinere nicht sehen konnte, war Keis benebeltes, völlig abwesendes Grinsen. In Keis Halsbeuge zog sich Akiras Gesicht zusammen, genau wie sein ganzer Körper sich verkrampfte und den Schmerz nur noch zu vervielfachen schien. Er stöhnte laut auf und biss danach in Keis Schulter. Irgendetwas trieb ihm auch Tränen in die Augen und seine Wangen hinunter, aber das bemerkte er gar nicht. Kei dachte nicht daran, darauf Rücksicht zu nehmen, dass Akira eventuell Schmerzen haben könnte. Er bewegte sich nur deshalb erst nicht allzu schnell, weil es einfach nicht ging. Aber das änderte sich sehr bald.
Akira stemmte sich nur mit den Schultern gegen die Wand und konzentrierte sich allein auf das brennende Pulsieren, das von seiner Körpermitte in den kalten Rest seines Körpers ausstrahlte. Sein Stöhnen wurde zu unterdrücktem Schluchzen und es fiel ihm schwerer, Kei festzuhalten. Der Vampir wurde noch ein kleines bisschen schneller, die Stöße härter und rücksichtsloser.
Akira ließ ihn mit einer Hand los um irgendwoanders Halt zu suchen, und fand nach ziellosem Tasten in der Luft und entlang der Wand neben sich Ryujis schmieriges Gesicht. Erschrocken sog er etwas Luft ein, die ihm Kei sofort wieder austrieb. Er ließ sich hier von Kei ficken, auf den zerfetzten Leichen dieser Männer, einer davon Keis Vater...
„Scheiße,“ keuchte Akira und drückte gegen Keis Brust, in der lächerlichen Hoffnung, er könne ihn damit aufhalten.
Diese Hoffnung wurde jedoch enttäuscht. Kei dachte gar nicht daran, mit dem aufzuhören, was er gerade tat. Dass Akira gewahr wurde, was gerade eigentlich passierte, bekam er gar nicht mit.
„Hör auf,“ brachte der Junge noch heraus, aber Kei weiter schubsen konnte er nicht effektiv. Was machst du... Er mochte das hier, oder wenigstens sein Körper tat das, und er empfand auch eine perverse – nein, eine gerechte – Genugtuung dabei, aber es war...
schmerzhaft.
Er sah Kei finster in die Augen und stemmte sich gegen ihn. Kei hörte ihn zwar, nahm aber nicht richtig wahr, was er gesagt hatte.
Warum...? Er wusste, dass Akira gefiel, was er tat, dafür sprach sein Körper eine zu eindeutige Sprache. Hinzu kam, dass er nicht aufhören wollte.
Es tut weh! Frustriert stöhnend stieß Akira mit dem Kopf an die Wand. Er kratzte auf Keis Schlüsselbein herum aber konnte nicht umhin, sich eifrig gegen Kei zu bewegen. Sein Stöhnen konnte er auch nicht hinunterschlucken. Wenn er die Augen öffnete, sah er Kei vor Schmerz und Lust berauscht an.
„Keisuke,“ flüsterte er zwischen zerbissenen Lippen.
Mit noch immer leichtem Grinsen auf den Lippen küsste der Angesprochene ihn, ohne innezuhalten oder langsamer zu werden, und flüsterte ein leises „Hm?“
Akira kam der Kuss gelegen, weil er außer Keis Namen sowieso nichts hatte sagen wollen. Gierig erwiderte er ihn. Mithilfe von Zunge und Zähnen versuchte er, dem Vampir einen Teil von dem wiederzugeben, was er ihm gerade antat. Ich liebe dich.
Das leichte Grinsen auf Keis Gesicht verschwand nur, weil sein Mund nun anderweitig beschäftigt war.
Als Akira mit so etwas wie einem schluchzenden Schrei kam, krallte er sich in Keis Nacken und Ryujis zerstörtem Gesicht fest. Kei kam beinahe zeitgleich mit Akira. Etwas weniger laut stöhnend krallte er sich in dessen Rücken und erfolglos mit der anderen Hand an der Wand fest. Der Ausdruck auf seinem Gesicht und in den blauen Augen wandelte sich zu glücklich-benebelt, auf eine leicht verstörende Weise.
Akira hatte aufgehört, ihn zu küssen, lehnte aber immer noch an Keis Lippen und keuchte dagegen. Seine verschmierten Finger glitschten aus Ryujis Augenhöhlen und fuhren sanft zitternd über Keis Wange, wo sie frische hellrote Spuren hinterließen, und er behielt die Augen geschlossen, während er Kei einatmete und seine Orgasmuswelle zuende ritt. Der Vampir tat es ihm gleich und kehrte langsam wieder in die Gegenwart und Realität zurück. Mit geschlossenen Augen spielte er mit Akiras Haaren herum.
„Warum hast du mich leben lassen?“ murmelte Akira plötzlich atemlos.
„Ich will nicht, dass du draufgehst,“ antwortete Kei leise. Akira öffnete die Augen und lehnte den Kopf zurück an die Wand. Mit seinen zitternden Beinen hielt er Kei weiter fest.
„Bei der Schule meine ich, als ich dich gesehen habe...“
„Ich weiß nicht, warum,“ gestand Kei. Er wusste es wirklich nicht. Er hatte ihn einfach leben lassen.
Akira wusste auch nicht, warum er nicht weggelaufen war. Oder doch, vielleicht ein bisschen. Kei hatte ihn zu sehr fasziniert.
„Warum hast du mich danach...“ Angegraben? Belästigt? Dich an mich rangemacht? Dich mir aufgedrängt?
„Einfach so. Ich hatte keinen wirklichen Grund.“
„Gib mir eine Antwort,“ drängte Akira mit einem schwachen aggressiven Unterton und drückte gegen Keis Wange, als würde er ihn in Zeitlupe ohrfeigen.
„Das ist ‘ne Antwort. Erwartest du wirklich einen rational nachvollziehbaren Grund, dir angetrunken und rattig auf‘s Klo nachzulaufen?“ Kei sprach ruhig und grinste ein minimal kleines bisschen. Das brachte ihm einen giftigen Blick von Akira ein.
„Ja. Ich war auch angetrunken und scharf und ich bin dafür allein aufs Klo gegangen. Warum musstest du mich belästigen? Hör auf, so bescheuert zu grinsen!“ Er zog seine beschmierte Hand schnell zurück, so als ob er Kei eine richtige Ohrfeige geben wollte. Kei zwang sein Gesicht dazu, das Grinsen sein zu lassen und schaute dem anderen in die Augen.
„Warum nicht? Du warst interessant und bist es immer noch. Dann bin ich dir halt nachgegangen. Geht‘s dir wirklich um den Tag?“
Akira hielt inne und errötete leicht. Es ging ihm um jeden Tag.
„Ich war interessant? Wann?“ Es war ihm unerklärlich, was der Vampir an ihm interessant gefunden haben mochte. Skeptisch musterte er ihn.
„Du bist interessant,“ stellte Kei klar, immer noch ruhig. Erklären konnte Kei sich schwer. Es war einfach so, wie erklärte man sowas? Akira schien sich damit nicht zufriedenzugeben. Er sah Kei weiter fordernd an. Mit möglichst stechendem Blick. Er wusste nicht, ob der ihm gelang. Kei kümmerte nicht großartig, wie der Kleinere ihn ansah, da es nichts daran änderte, dass er nicht erklären konnte, warum er an Akira interessiert war. Was will er hören? Kei mochte es nicht besonders, wenn irgendwer, selbst Akira, Erwartungen an ihn hatte, die er nicht erfüllen konnte oder wollte, aber er ließ sich nichts anmerken.
Akira kitzelte es im Hinterkopf, Kei zu provozieren. Vielleicht, weil es ihn gerade so nervte, dass Kei bei dieser Sache hier nicht so aus der Fassung geraten war wie er selbst. Dabei kümmerte es ihn auch nicht, dass er immer noch in ihm steckte und er ihm ausgeliefert war.
„Du bist ein bisschen dumm, oder?“ Das unterstrich er mit einem herausfordernden Nicken.
„Nein... ich hab nur keine Ahnung von Menschen.“ Kei hatte nicht vor, sich großartig provozieren zu lassen. Er wusste, wo das enden konnte.
Akira musterte ihn. Dabei wurde sein Gesichtsausdruck weicher. Er weinte auch wieder, aber nur ein bisschen. Ich muss den Anfang machen.
„Du bist interessant, weil du selbstständig und stark bist.“ Er sprach leise. „Du bist seltsam, weil für dich die Menschen Beute sind, aber du mich nicht immer so ansiehst. Ich kann sehen, wie du mich beobachtest. Und ich will wissen, warum. Ich will verstehen, warum ich wertvoller bin als andere.“
Kei dachte nach. Er wusste wirklich nicht, warum ausgerechnet Akira für ihn wertvoller war als alle anderen. Tatsache allerdings war, dass es so war. „Du bist nicht wie die anderen. Du warst schon immer anders. Du hast keine Angst vor mir. Du erwartest nichts von mir und bist trotzdem da.“ Kei dachte hörbar, wenn auch nicht gerade laut. Du faszinierst mich... Seit diesem Tag.
„Das ist falsch,“ flüsterte Akira. „Ich hatte eine Scheißangst vor dir. Und ich habe von dir erwartet, dass du mich in Stücke reißt und austrinkst. Und jetzt erwarte ich von dir... jetzt habe ich auch Erwartungen.“ Er hatte auch immer noch Angst vor ihm. Er legte die Arme um Keis Schultern.
„Ich bin nicht gut darin, zu machen, was man von mir erwartet, vielleicht lebst du deshalb noch.“ Kei ließ den Rest unkommentiert. Was er am wenigsten konnte, war, sich so auszudrücken, dass man ihn verstand oder es gar einen wirklichen Sinn ergab. Das lag einfach daran, dass er nicht gut darin war, mit Menschen umzugehen. Wenn er sich jemals näher mit Menschen beschäftigte, starben diese Leute meist schnell.
„Ich erwarte von dir, dass du dich unsterblich in mich verliebst.“ Es war Akira offensichtlich peinlich, das zu sagen, aber was war sein mickriger Stolz noch wert, nachdem er tagelang in einem finsteren Keller festgehalten worden war, mit Kei diese Männer getötet hatte und sich dann auf ihren Leichen so von ihm hatte nehmen lassen?
Kei sah das nicht wirklich als Erwartung an. Und es war etwas, was er tatsächlich erfüllen wollte und schon längst hatte. Aber nicht, weil Akira behauptete, es zu erwarten. Für Kei waren Erwartungen mit Druck und deren Nichterfüllung meist mit negativen Konsequenzen verbunden.
„Das ist keine Erwartung...“ sagte der Vampir ruhig. „Und wenn ich das nicht längst hätte, wäre ich wahrscheinlich noch tot... und du vielleicht auch.“
Akiras Mundwinkel zuckte amüsiert. „Du kannst dich besser ausdrücken, als du glaubst. Jetzt lass mich los.“
„Ich hab‘ mich noch nicht entschieden, ob ich dich loslassen will oder nicht.“ Kei schmunzelte ein kleines bisschen.
„Ich erwarte von dir, dass du mich bis in alle Ewigkeit festhältst. Wenn du mich jetzt loslässt, wird das schreckliche Folgen haben.“ Mit diesen sardonischen Worten drückte er etwas gegen Keis Brust.
Kei ließ ihn los. Schmunzelte leicht in sich hinein. Er machte ein mhm – Geräusch, das eindeutig klarmachte, dass er den Kleineren nicht ernst nahm. Er schaute sich um. „Bevor die Bullen da sind, sollten wir hier weg sein,“ merkte er an.
„Genau meine Rede... Blitzbirne.“ Bevor Kei etwas entgegnen konnte, küsste er ihn und machte sich daran, aufzustehen.
Der Vampir erhob sich seinerseits als er den Kuss kurz erwiderte. Schnell zog er Jeans, Stiefel und Jacke wieder an. Sein Rucksack war nun so gut wie leer. „Wir sollten einkaufen,“ schlug er vor. Akira hatte sich ebenfalls wieder angezogen und dabei wie zuvor seine Unterwäsche und das T-shirt ausgelassen. Er trug nur seine Jeans und das kurzärmelige Knöpfhemd, das sich nun nicht mehr ganz schließen ließ. Seine Jacke war scheinbar irgendwann während der Entführung abhanden gekommen oder von den Männern entfernt worden, wahrscheinlich damit er vernünftig gefesselt werden konnte. Eilig hatte er sich die Stoffturnschuhe, in denen er mit nackten Füßen steckte, zugeschnürt und packte nun die Geige wieder ein, die beim Aufprall auf den Boden glücklicherweise keinen Schaden davongetragen hatte.
Als er damit fertig war, war auch sein Körper bereits verheilt und es blieben keine Spuren des Kampfes mehr zurück, als er sich das Blut und den Schweiß abgewaschen hatte. Auch der Schmerz und die mutmaßlichen Verletzungen, die ihm Kei gerade eben zugefügt hatte, hatten sich in Wohlgefallen aufgelöst.
Seinem Beispiel folgend wusch Kei sich das Blut ab und stellte dabei fest, dass auch er keine Verletzungen mehr hatte. Schließlich schulterte er seine Tasche mit dem Schwert, das Kira in Besitz gehabt hatte, und machte sich daran, den Gang hinunterzugehen. „Hier geht‘s raus, glaub ich.“
Akira schulterte seinen Geigenkasten, während er ihm nachging. Während Kei sein Schwert gefunden hatte, hatte er noch die Taschen des jungen Mannes in ihrem Zimmer untersucht und nun auf dem Flur machte er kurz Halt, um Ryujis und Kiras Leichen nach Brieftaschen oder anderem nützlichem zu durchsuchen.
Ryuji hatte tatsächlich eine Brieftasche mit gar nicht mal wenig Bargeld dabei. Kira zu filzen brachte keinen solchen Erfolg. Kei wartete auf ihn.
„Was gefunden?“
„Geld.“ Akira nahm die Scheine aus dem Portemonnaie und steckte sie in eine Hosentasche, während er wieder losging.

Einige Stunden später war der Einkauf erledigt und Kei hatte den Weg zu seinem Boss Masahiro eingeschlagen. In seinem neuen Rucksack befanden sich ein paar neue Kleider, ein Feuerzeug, drei Schachteln Kippen und neue Schusswaffen – nur für den Fall. Er selbst hatte auch neue Kleidung besorgt, nur seine Jacke hatte er behalten. Auch Akira war nun mit neuer Garderobe ausgestattet. Die lange getragenen Kleider hatte er in eine der Plastiktüten aus den Geschäften, die sie aufgesucht hatten, eingepackt und in seinen neuen Rucksack gestopft. Seine Schuhe trug er noch, alles andere war neu und schön einheitlich schwarz. Für die Anonymität trug er nun noch eine Mütze und eine Sonnenbrille.
„Soll ich mitkommen oder lieber irgendwo warten?“ fragte er. Er war sich nicht sicher, was Kei mit seinem Boss besprechen wollte.
„Du kannst mitkommen,“ entschied Kei spontan, als er das unauffällige Bürogebäude betrat. Als sie nach einer Weile des Umhergehens am Büro des Yakuzabosses angekommen und zu seiner Tür vorgelassen worden waren, klopfte der Vampir an und wartete, bis sie hereingebeten wurden. Akira stand stumm und relativ ausdruckslos neben ihm und sah sich um. Er hatte Mütze und Sonnenbrille nicht abgenommen.
Als von hinter der Tür eine Stimme dazu einlud, einzutreten, sah er auf die Klinke. Kei drückte diese und betrat mit knapper aber höflicher Verbeugung den Raum.
„Wir haben ein Problem,“ verkündete er und trug kurz die Misere vor, in der er und Akira gerade steckten. Der Mann namens Masahiro hörte geduldig zu. Die anderen Anwesenden verhielten sich so ruhig wie Statuen.
„Gib mir dein Handy, Sakai-kun,“ forderte Masahiro, nachdem er erfahren hatte, dass Kei es noch besaß. Ohne zu murren händigte er es ihm aus und musste mit ansehen, wie es einfach auseinandergebaut und zerstört wurde. Akira zuckte unwillkürlich zusammen, als ein Anzugmann, der stumm neben dem Schreibtisch gestanden hatte, das Telefon auf dem Boden mit einem schweren Aschenbecher zertrümmerte. Gleich darauf verzog er das Gesicht vor Enttäuschung von sich selbst. Das hier war nur die Yakuza. Er hatte furchterregenderes hinter sich. Und es war Keis Yakuza. No reason to be jumpy, sagte er sich selbst. Er musterte den Boss genau. Der unterhielt sich noch eine Weile mit Kei, nachdem der sich beschwert hatte, warum man sein Telefon denn bitte hatte zertrümmern müssen. Akira hörte irgendwann auf, zuzuhören und musterte stattdessen die drei weiteren Männer, die die ganze Zeit nichts sagten und sich kaum bewegten. Der Telefonzertrümmerer stand wie ein Leibwächter neben dem Schreibtisch, während die anderen beiden auf einem Sofa saßen. Der eine, der statt Anzug und Krawatte ein Hawaiihemd mit Cargohose trug, saß bequem zurückgelehnt mit ausgebreiteten Armen da und rauchte gemächlich. Der andere hatte verschiedene Mappen und einen Taschenrechner vor sich auf dem niedrigen Kaffeetisch liegen und schien damit zu arbeiten. Ab und zu nickte er, nachdem der Boss etwas gesagt hatte, ohne dafür jedesmal von seinen Papieren aufzublicken.
Irgendwann wandte Kei sich zu Akiras um und erklärte ihm, dass sie in drei Stunden noch einmal wiederkommen sollten, um sich neue Ausweise und Flugtickets abzuholen. Akira sah ihn an und hoffte, dass er dabei nicht zu doof guckte. Ausweise und Flugtickets, klar. Sie mussten ja abhauen. Und am besten ins Ausland, das war auch klar. Das ging nur mit Pässen und einen Flugzeug. Er verstand nur nicht, was das mit diesen Leuten hier zu tun hatte.
„Warum helfen Sie uns?“ richtete er das Wort an Masahiro.
„Sakai-kun hat noch einen gut bei mir,“ erwiderte dieser und musterte Akira nun. Der blasse Junge, dessen blutrote Locken etwas unter der dünnen Wollmütze hervorschauten, begegnete seinem Blick ernst. Ihm wurde bewusst, dass es unhöflich war, die beinahe schwarze Sonnenbrille aufzubehalten, aber er entschied sich dagegen, sie jetzt abzunehmen. Das wäre ihm wie eine Geste der Unterwerfung vorgekommen, so als wäre er ein Wolf und würde auf diese Weise dem Alpha seine Kehle anbieten. Kei mochte diesen Mann zwar und schien ihm zu vertrauen, aber Akira behielt sich vor, sich seine Freunde selbst auszusuchen. Vage fiel ihm auch ein, dass er sich beim Eintreten nicht verbeugt hatte. Das war allerdings keine Absicht gewesen.
„Danke,“ sagte er.
Kei bedankte sich ebenfalls und verließ den Raum dann wieder zusammen mit Akira. Draußen sagte er: „Wir gehen weit weg. Südamerika.“
„Südamerika?“ wiederholte Akira blöde. „Warum?“
„Dort fallen wir nicht weiter auf und man sucht uns dort nicht. Es ist kein Ort, wo vermutet wird, dass wir hingehen,“ erklärte Kei. Dass gewisse Geschäftsbeziehungen von Masahiro auch ein wenig damit zu tun hatten, hielt er nicht für erwähnenswert. Akira runzelte sachte die Stirn.
„Das trifft auch auf den Rest der Welt zu. Ich kann kein Spanisch.“
„Wir müssen dort ja nicht lange bleiben. Sieh es als Start für eine Weltreise.“
Weltreise? Akira blieb stehen.
Er würde jetzt ewig auf der Flucht mit seinem Wahnsinnigen durch obskure Karibikstaaten reisen, vielleicht? Nicht übel. Er blickte leicht schmunzelnd zu Boden. Kei legte den Kopf in den Nacken und schmunzelte leicht. „Wir können hingehen, wo wir wollen. Und Spanisch lernen wir sicher schnell.“
Bei dir wäre ich mir da nicht so sicher. Your English is still pretty terrible, love.“ Akira ging weiter. Die drei zu wartenden Stunden mussten sie nicht hier im Flur verbringen. Es war zwar nicht sehr klug, das Gebäude wieder zu verlassen, aber es musste doch hier irgendwo einen Kopierraum oder ein Lager oder sowas geben.
Kei ließ das unkommentiert und folgte dem Kleineren. „Wo willst du hin?“ fragte er und steckte die Hände in die Hosentaschen. Das Gebäude war riesig.
Somewhere more private,“ antwortete Akira schlicht und ging weiter die Türen ab. Die meisten waren geschlossen. Sie kamen an einer Teeküche vorbei und an einer Nische mit Getränke- und Imbissautomaten, einem Wasserspender und einem Tisch mit Stühlen. Zu öffentlich, befand Akira und ging weiter, bis sie wieder bei den Fahrstühlen ankamen. Als hätte er es geplant, drückte er auf den Aufwärtsknopf. Kei folgte ihm einfach.
„Wie wär‘s mit dem Dach?“ schlug der Vampir vor. Es war zwar nicht vorgesehen, aber es gab einen Weg auf das Dach, der meistens auch offen war... und wenn nicht, war das für ihn auch kein Hindernis.
Akira nickte und vertraute darauf, das Kei das sah. Der Fahrstuhl schien in der Nähe gewartet zu haben, denn er kam sehr schnell an und war leer, als er sich für sie öffnete. Akira rauschte hinein, drückte den Knopf für das oberste Stockwerk und nahm dabei endlich seine Brille ab.
Oben angekommen schlenderte Kei in Richtung Treppenhaus, in dem es einen Aufgang für das Dach gab. Es war eine Feuertreppe, über die im Notfall das Dach erreicht werden konnte. Akira ging ungeduldig hinter ihm her. Ohne zu wissen, warum, hatte er es im Fahrstuhl versäumt, über Kei herzufallen, und nun musste er sich bewusst davon abhalten, Kei zu schubsen, damit es schneller ging. Nachdem er die Tür zur Feuertreppe geöffnet hatte, kletterte Kei auf das hohe Dach des Bürogebäudes. Man konnte sehr weit sehen. Überall turmhohe Gebäude und viele kleine Ameisenjapaner, die über die Straßen liefen und einem geregelten, geordneten Leben nachgingen.
Langsam neigte sich der Tag seinem Ende. Der Himmel war wolkig und es war nicht sonderlich warm. In dem Moment, in dem Kei das Dach betrat, begann ein leichter Schneefall. Die kalte Luft und das Rauschen von so tief unten ließen Akira still werden. Er hatte zwar sowieso nichts gesagt, aber beim Anblick der ersten Schneeflocken wollte er das auch nicht mehr. Langsam und um Einiges gelassener ging er zur sehr niedrigen Brüstung des Daches und legte seine beiden Taschen davor ab. Friedlich atmete er durch und sah über die Stadt. Mit der Hand fing er ein paar Schneeflocken auf, die nicht gleich schmolzen. Kei leistete ihm Gesellschaft und legte seinen großen, vollgestopften Rucksack daneben. Er setzte die Kapuze der Sweatshirtjacke auf, die er unter der Lederjacke trug. Für seine Verhältnisse war er sehr warm angezogen. Lederjacke, Sweatshirtjacke, Tanktop, Jeans und Stiefel. Dafür, dass er nicht fror, war das sehr viel Stoff. Der Vampir legte einen Arm um Akira und zog ihn an sich. Akiras Herz hüpfte und der Schnee auf seiner Hand und seinem Gesicht wurde sofort zu Wasser. Sein kleines geheimes Lächeln, das ein wenig Farbe in sein Gesicht brachte, wandte er Kei zu. Der sah dem Schnee ein Weilchen beim Schmelzen zu, ehe er Akira küsste. Der erwiderte den Kuss sanft. Beinahe zögerlich, denn irgendetwas kribbelte in seinem Gesicht und seinen Händen, die Keis neue Lederjacke festhielten, und zerrte ungeduldig an den Organen hinter seinen Rippen. Darum war er froh um die vielen Kleiderschichten zwischen ihnen. Wenn der Vampir seinen Herzschlag jetzt wahrnehmen konnte, würde er wieder so eingebildet grinsen. Und er würde auch ums Verrecken nicht aussprechen, was er gerade dachte. No, sir. Kei hielt den Kuss lächelnd aufrecht, zumindest für eine Weile. Sein Körper wurde allmählich wärmer.
Ich liebe dich. Hey, denken durfte Akira, was immer er wollte. Er öffnete die Augen und sah Kei an, immer noch an seinen Lippen hängend. Er hatte das wachsende Bedürfnis, diesen Jungen zu verschlingen. Keis Gesicht war ruhig und friedlich. Seinen Arm, den er um den Kleineren gelegt hatte, schob er unter Akiras Jacke. Er küsste ihn wieder.

Wenn man Akira hinterher gefragt hätte, wie lange sie so dort gestanden hatten, hätte er selbstbewusst auf fünf bis fünfzig Minuten getippt. Nach Ablauf dieser schrecklich kurzen Ewigkeit jedenfalls fiel der Schnee immer noch, weiterhin so dünn wie zu Beginn, aber mittlerweile war davon eine feine Schicht auf dem Dach und auf ihren Mützen und Schultern liegengeblieben.
Kei kümmerte nicht, wie viel Schnee gefallen oder dass es mittlerweile sehr kalt geworden war. Irgendwann unterbrach er den Kuss und nahm den Kleineren in den Arm, so hielt er ihn einfach fest. Der Schneefall wurde ein wenig dichter und es dauerte nicht lang, bis sie beide und ihre Taschen dünn eingeschneit waren. Von irgendwoher kam Kei der Gedanke, dass er gern im Winter Geburtstag hatte. Mit ganz viel Schnee. Er mochte den Winter sehr, aber in diesem Jahr würde sein Geburtstag irgendwoanders stattfinden. Nicht, dass er ihn gern feierte. Der Vampir schob den Gedanken wieder beiseite und vergrub den Kopf in Akiras Jacke. Um sie herum schien es stiller geworden zu sein. Der Himmel war noch dunkler geworden und die Wolken hatten sich verformt, hingen aber immer noch dick und schwer über ihnen.
Es raschelte etwas, und Akiras schöne neue Wolljacke öffnete sich. Darauf folgten die Knöpfe seines schwarzen Hemdes darunter. Kei trug seine beiden Jacken offen. Er nutzte das nun offene Hemd des Kleineren aus, um seine Hand darunter zu schieben. Er war warm darunter. Akiras warmer Atem drang durch den Stoff des Tanktops, und den schien der Junge auch zu ignorieren, als er die Lippen darauf setzte. Mit leichtem Lächeln nahm Kei die Wärme des Kleineren zur Kenntnis und strich leicht über dessen Haut. Er selbst war nie richtig warm, aber mit pumpendem Herzen etwas wärmer als als wenn er tot war. Mit der freien Hand, die bis eben noch im Freien um Akira gelegt war, schob er dessen Hemdkragen leicht zur Seite und küsste ihn dort.
Kalt. Akira schauderte leicht. Er lehnte den Kopf unter Keis Kinn und sah sich den Himmel und die Dächer an. Die Sonne ging auf der anderen Seite des Gebäudes unter, sodass der Horizont schwarz war und die Wolkenberge orange und rosa leuchteten und die Fassaden in den gleichen Farben glänzten.
Ich war noch nicht einmal fünf Jahre lang hier.
Mit leicht traurigem Blick betrachtete Kei nun seinerseits die Umgebung. Ich werde Tokyo vermissen... Irgendwann komme ich wieder hierher zurück. Er drückte Akira leicht.
Vielleicht kommen wir auch gar nicht erst weg, stichelte ein gemeiner Zwerg in Akiras Hinterkopf. Er hatte auch gar nichts gegen das Sterben. Solange er das mit Kei tun konnte. Nimm das, gemeiner Zwerg. Er blickte zu Kei auf und wischte ihm Schnee von den Schultern.
„Ist es Zeit, wieder runterzugehen?“
Nein, die drei Stunden sind bestimmt noch nicht um.“ Kei hatte keine Uhr mehr und auch nicht daran gedacht, sich eine zuzulegen aber er war sich sicher, dass sie noch keine ganze Stunde auf dem Dachen waren.
„Gut.“ Akira wusste nicht, wie gut das war. Er hatte es eilig, zu verschwinden, aber andererseits wollte er überhaupt nicht weg. Der gemeine Zwerg lachte gehässig, während er in seinem Kopf eine unmögliche Fantasiezukunft mit Kei und seiner Familie hier in Tokyo abspulte, mit privaten Teezeremonien im Garten und Weihnachten, wie Humphrey Keis grimmiges Gesicht ableckte und wie Akira und Shingo RooD beitraten und... er legte seine Stirn auf Keis mittlerweile feuchtgeschmolzenes Hemd und schloss die Augen.
Kei schweifte mit den Gedanken ebenfalls ab, aber nicht in eine solche harmonische Richtung, die hatte es in seinem Leben nur zu kurz gegeben, als dass er sich nun so etwas vorstellen konnte. Er dachte eher daran, wo sie nun hingehen würden. Überall mal hin... beschloss er dann einfach und hielt Akira fest, während er in die Ferne sah. Beim Nachdenken fiel ihm auf, dass es ihm fast egal war, wo er hingehen würde. Schließlich hatte er nie ein Leben mit Konstanten gehabt. Das einzige von dem er wollte, dass es niemals verschwinden würde, war der Junge, den er gerade festhielt. 

 

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