Thursday, December 17, 2015

Kei + Colin LVI: Zwangsgeschenk



Akira versuchte noch ein bisschen mitzudösen, stellte aber fest, dass er dafür zu ausgeschlafen war. Es war ungewohnt und schön, so mit Kei herumzuliegen. Seine Unterhose spannte unangenehm. Sachte zog er seine Hand aus Keis und setzte sich auf. Vorsichtig kletterte er aus dem Bett und schlich aus dem Zimmer. Bevor er leise hinausging, stellte er seine Schuhe ordentlich neben die Tür.
Kei murmelte Protest, schlief danach aber weiter wie tot und rollte sich ganz unter Akiras Jacke zusammen.
Akira grüßte, wem wer begegnete und bat höflich um die Erlaubnis zu duschen, die er ohne Umschweife - „Aber natürlich!“ - bekam. Er nahm also seine Dusche in einem überwältigenden Raum aus Marmor, Glas und verdächtig goldglänzendem Metall und putzte sich die Zähne mit einer Zahnbürste, Zahnpasta und einem Glas, die sauber in einem kleinen Glaskasten an der Wand gestanden hatten, neben weiteren solchen Sets und anderen Dingen, die das Hotel scheinbar zur Verfügung stellte. Es gab auch Kämme und Bürsten, und die benutzte Akira auch gleich. Als er eigentlich schon fertig war und sogar seine Haare sehr sorgfältig getrocknet hatte, beseitigte er die Spuren seiner Badnutzung so gut er konnte, und sein Blick fiel auf eine kleine Sammlung teurer Duftwässerchen.
Ach, was solls.

Kei verschlief die nächsten zwei Stunden friedlich. Als er endlich wach wurde, sah er sich um und stellte fest, dass Akira gegangen war. Langsam stand er auf und betrat nur in auf der Hüfte hängender Hose den größeren Raum mit den Sofas. Seine Haare waren etwas zerzaust und sein Blick müde.
Es lief barocke Musik in (für Menschen) moderater Lautstärke und Akira tanzte mit Misato. Aus irgendeinem Grund trug er einen Frack. Kaede war nicht anwesend und Makoto saß scheinbar teilnahmslos auf dem Sofa herum. Entweder hatte er den beiden zugesehen oder stumpf ins Leere gestarrt, bevor Kei dazukam, den er stattdessen blöd angucken konnte. Kei hatte sich schnell angewöhnt, Makoto gar nicht wahrzunehmen, stattdessen schaute er den beiden anderen beim Tanzen zu und schlenderte bald darauf ins Bad, nachdem er etwas von sich gegeben hatte, das mal eine Begrüßung hatte werden sollen. Akira und Misato unterbrachen ihren Tanz für ihren Gruß, um sich vor Kei zu verbeugen respektive zu knicksen.
„What a splendid morning, Mylord!“
„Indeed, good Sir!“
Kei bedachte die beiden mit einem leichten Hauch von Lächeln, bevor er im Bad verschwand, um die Dusche in Beschlag zu nehmen.
Akira verbeugte sich vor Misato und forderte sie wieder zum Tanz auf.
Eine halbe Ewigkeit und viel Wasser vergingen, während Kei die Nacht und das Gespräch mit seiner Tante den Abfluss hinunterzuspülen versuchte.
Innerhalb dieser halben Ewigkeit gewann Makoto sein Zimmer zurück, in dem er sich zu verbarrikadieren schien, Misato und Akira schlossen ihren kleinen Privatball ab und Kaede kehrte zurück.
Als sie das große Wohnzimmer betrat, kam Kei gerade mit nassen Haaren aus dem Badezimmer. Er hatte eine frische Hose an, der Rest war in seinem Rucksack verstaut.
„Da bist du ja! Guten Morgen,“ grüßte Kaede strahlend, während sie sich von Misato den edlen Mantel abnehmen ließ und sich die engen Handschuhe abzog. Dass es schon lange nicht mehr Morgen war, schien sie nicht zu interessieren. Akira saß auf dem Sofa vor seinem geöffneten Geigenkasten, der immer noch auf dem niedrigen Kristalltisch lag, und hatte einen Bogen und einen bernsteinfarben glänzenden Würfel in der Hand. Er saß im T-shirt da. Sein Sweatshirt lag über der Sofalehne. Er lächelte Kei warm an.
Kei erwiderte kurz Akiras Lächeln und wendete sich zu seiner Tante.
„Ohayo,“ sagte er knapp und deutlich weniger strahlend.
Keis Stimmung schien Kaede nicht zu bemerken. Sie legte nur eine lederne Mappe auf einem Tisch ab und setzte sich an diesen, indem sie sich einen Aschenbecher heranzog und eine silberne Zigarettenschatulle aus einer Tasche ihres engen Blazers zog.
„Hammerer-kun erzählte mir, dass du eine Idee hast,“ begann sie.
Akira musterte sie und Kei und wachste dann seinen Bogen langsam weiter. Misato kümmerte sich derweil um Kaedes Mantel und Handschuhe.
Kei berichtete knapp von der Idee – die gar nicht seine war, was er aber nicht erwähnte – während er ein T-shirt aus seinem Rucksack zog. Kaede betrachtete die Tätowierung auf Keis Rücken und Misato begaffte seinen gesamten Oberkörper.
Kaede zündete sich ihre Zigarette an und lächelte.
„Bist du dazu bereit?“ fragte sie.
Akira musterte beide. Misato, die sich neben ihn gesetzt hatte, auch.
Kei hielt das dunkelgraue Stück Stoff in der Hand, er schien nachzudenken. Schließlich nickte er. Das war ein Kompromiss. Das Äußerste worauf er sich einlassen konnte, wollen tat er trotzdem nicht wirklich.
„Misato?“ Kaede klang ein wenig streng und kühl. Misato nickte, ohne zu zögern.
„Ja, Mutter.“
Kei zog sich langsam sein T-shirt an, die anderen dabei beobachtend. Im Gegenzug betrachteten sie alle ihn. Misato ernst, Akira musternd, und Kaede mit einem leisen, wissenden Lächeln.
„Wann?“ fragte sie nach einer kurzen Weile und atmete dünne Rauchschleifen aus.
Kei hätte das gern vom Tisch. Er mochte keine Probleme, schon gar nicht solche, die mit Erwartungen an ihn verknüpft waren. Die aufzuschieben endete nie gut.
„Is mir egal,“ sagte er leise und fügte ein „Ich geh mir die Beine vertreten, bis gleich,“ hinten an. Beine vertreten hieß in diesem Fall Frühstück und Flucht. Er wollte seine Tante gerade nicht ertragen, auch wenn sie noch nicht lang da war.
Kaede drückte ihre Zigarette aus und stand auf.
„Dann sei heute abend zurück,“ sagte sie und nahm ihre Ledermappe, bevor sie zur Tür zum Arbeitszimmer ging.
Akira legte seinen Bogen und den Stein hin und stand auch auf.
Du hast mir gar nichts zu sagen... dachte Kei bei sich und zog seine Schuhe an, die neben seiner Tasche standen. Beim Aufrichten sah er Akira an, mit leicht fragendem Gesicht. Akira erwiderte den Blick mit einem etwas ernsten Ausdruck in seinem, blieb aber neben dem Sofatisch stehen, während Kaede im Arbeitszimmer verschwand und Misato so tat, als wäre sie nicht da.
„Willst du mitkommen?“ fragte Kei nach einer gefühlten Minute.
Du darfst nicht rausgehen. Akira zögerte mit seiner Antwort.
„... Wo willst du hin?“ fragte er leise. Wenn Kei ihm eine wahre Antwort gab, wusste er wenigstens, wo er später nach Stücken von ihm suchen konnte.
„Nicht weit. Ein, zwei Straßen runter. Ich pass auf,“ erklärte Kei ruhig. Akira sah besorgt aus. Er ging auf Kei zu und küsste ihn. Kei erwiderte den Kuss. „Ich bin vorsichtig.“
Akiras Blick sagte ‚Wehe, wenn nicht.‘
Kei setzte ein ‚Wird schon schiefgehen‘-Gesicht auf und verschwand durch die Tür. Unsicher sah Akira ihm nach.

Kei blieb überwiegend abseits der Straße oder des Fußgängerwegs. Etwa drei Liter Blut und drei Tote Menschen sowie eine Stunde später kam er zurück. Es war niemand im Wohnzimmer. Akiras Geige lag auf dem Tisch herum, als habe er sie gerade noch benutzt. Kei sah sich um. Wo sind die alle?
Das war das zweite Mal, dass er hereinkam und die Suite leer zu sein schien. Er ging zum Geigenkasten und sah sich noch einmal um. Die Wände und Türen in dieser Suite dämpften Geräusche sehr gut ab, doch aus Makotos Zimmer ertönte nun ein kurzes triumphierendes Lachen, das nur von Akira stammen konnte. Makoto grunzte daraufhin.
Kei öffnete leise die Tür und betrat den Raum. „Bin zurück.“
„Willkommen zurück,“ sagte Akira in der üblichen Floskel und schmunzelte Kei kurz an, bevor er seinen Blick wieder auf den Fernsehbildschirm wandte, auf dem er anscheinend gerade gegen Makoto kämpfte, der seinen Controller alles andere als unter Kontrolle hatte. Er wischte nur brachial darauf herum und ließ damit seinen Charakter auf dem Schirm wild um sich schlagen. Sie saßen am Fußende auf dem Bett.
Kei sah dem Schauspiel stumm zu und setzte sich auf das Bett.
In den folgenden Sekunden hielt Akira sich unauffällig zurück und ließ Makoto damit allmählich gewinnen, der sich nach dem donnernden „YOU WIN!“ wie ein Idiot freute und jubelte. Akira stand auf und legte seinen Controller auf dem Fernsehtisch ab. Kei beschloss, Makoto in dem Glauben zu lassen, spielen zu können und betrachtete Akira.
„Draußen ist die Hölle los.“
Die Gelassenheit verschwand aus Akiras Gesicht, als er Kei ansah.
„Was hast du gesehen?“ Er war verdammt erleichtert, dass Kei so schnell und unversehrt zurückgekommen war.
Viele Tote, Panik, Verkehrschaos, überforderte Beamte... „Leichen.“
Akira zog verwirrt eine Augenbraue hoch. „Du siehst ständig Leichen.“
„Viele Tote. Auf der Straße, teilweise. Die Beamten haben nichts mehr im Griff. Explodierte Autos... Es sieht aus wie im Bürgerkrieg.“ Es ist nicht überall so. In den besseren Gegenden herrscht weniger Chaos... Kei war weiter gelaufen als er angesagt hatte, aber das musste Akira nicht wissen.
Akira setzte sich neben ihn auf die Bettkante.
„Hat Kobayashi-san dir etwas darüber gesagt, was die beiden vorhaben?“
Hinter ihnen suchte Makoto sich durch die Menüs des Spiels, scheinbar ohne bestimmtes Ziel.
„Nein.“
Es klopfte an der Tür, die sich kurz darauf öffnete. Als Misatos Blick auf Kei fiel, wurde sie verlegen.
„Mako... Kiba ist da.“
Makoto schaltete die Konsole aus und zog sich seine Turnschuhe an, die neben der Tür gestanden hatten.
Kei hatte sich nicht einmal umgedreht um zu sehen, wer an der Tür war. Er wusste es auch so.
Makoto stapfte aus dem Raum und winkte unterwegs noch Akira fröhlich zu, der zurückwinkte. Misato blieb unschlüssig in der Tür stehen und schob sich die Haare hinter ein Ohr, wie Akira das tat, wenn er nervös war.
„Meine Mutter möchte mit euch sprechen. ... Im Arbeitszimmer.“
Kei stand auf, sein Gesichtsausdruck nichtssagend. Akira erhob sich auch und folgte Misato hinaus.
Bei der Tür zum Arbeitszimmer, die einen großen Spalt weit offenstand, hielt sie nicht an, sondern ging zu einem weiteren Raum weiter. Akira wartete, um Kei den Vortritt zu lassen.
Der ging langsam an ihm vorbei und sah sich etwas um. Kaede saß mit überschlagenen Beinen auf dem Lederstuhl vor dem Schreibtisch und rauchte wieder. Auf dem Tisch, nahe der Kante, standen tatsächlich zwei leere, mit roten Deckeln zugeschraubte Plastikbecher. Akira biss sich auf die Zunge, als er die sah. Kaede bedeutete ihnen mit einer Handbewegung, sich auf das Sofa zu setzen.
„Ich habe alles vorbereitet,“ sagte sie schlicht, aber sanft. „Misa-chan ist bereit.“ Sie zog an ihrer Zigarette und sah Kei an.
Nach ein paar Sekunden stand sie auf.
Keis Gesichtsausdruck veränderte sich nicht, seine Gedanken fragten sich, wo er sich da hineinmanövriert hatte und jedes bisschen Familiengefühl, das der vor seinem achten Lebensjahr empfunden und aufbewahrt hatte, verschwand, je mehr er mit Kaede zu tun hatte.
Akira hatte sich noch nicht hingesetzt und sein Gesicht drückte das aus, was er dachte. Er fragte sich, was er hier zu suchen hatte.
„Kei-chan hat sehr betont, dass ihr beide ein Paar seid. Ich dachte, du könntest ihm etwas helfen.“ Sie strich Akira etwas über die Wange und wandte sich zur Tür. „Viel Erfolg.“
Kei zeigte seinem Lieblingstantchen den Mittelfinger, was soviel bedeutete wie ‚Erstens bin ich kein Kind mehr, zweitens kann ich das auch alleine und drittens fick dich.‘
Das sah sie nicht mehr, da sie gerade die Tür hinter sich schloss. Akira sah ihr hilflos nach und dann zu Kei. Er nahm seine Hand.
Kei ließ seine Gefühle der Situation gegenüber kein bisschen nach außen dringen, wenn man davon absah, dass er offensichtlich seine Tante verdammte.
Leicht drückte er Akiras Hand. Er saß im Schneidersitz auf dem Sofa. Akira wandte sich ihm zu, im Stehen, und sah ihn ernst an. Kei erwiderte seinen Blick. Er wollte nicht daran denken, dass das Ganze trotz der ziemlich beschissenen Umstände doch Spaß machen konnte. Immerhin waren er und Akira allein und hatten den Raum eine ganze Weile für sich.
„Was ist los?“ fragte Akira leise. Er wusste, dass sie in einer merkwürdigen und gefährlichen Lage waren, aber was Kei gerade so beschäftigte, musste etwas anderes sein, glaubte er. Denn merkwürdig und gefährlich kannte der Vampir.
Kei ließ sich nach hinten fallen, sodass er an der Rückenlehne lehnte.
„Ich hab mich grad gefragt, ob diese Situation trotz der gegebenen Umstände Spaß machen könnte,“ antwortete er ehrlich, ließ die Erläuterung aber weg.
„Könnte sie,“ stimmte Akira zu, „aber nicht -“ Er brach ab, um nachzudenken. Aber nicht mit dieser Laune? Nicht wenn du traurig bist? Nicht auf Kommando? Er setzte sich neben Kei, mit einem angezogenen Bein vor sich, sodass er ihn direkt ansehen konnte. „Du bist enttäuscht,“ schloss er und musterte Kei.
„Davon, dass meine einzige lebende Verwandtschaft nach zehn Jahren auftaucht und nichts besseres zu tun hat, als mich zu bitten für meine Halbschwester Samenspender zu spielen? - Ja,“ meinte Kei dazu ruhig. Und mir ist eher nach Leute töten... Ich wüsste auch schon wen...
Akiras Gesicht wurde trauriger. Er beugte sich vor und umarmte Kei. Aber nur so halb, denn der saß ja angelehnt vor ihm. Kei erwiderte die Umarmung so halb, da er nicht einsah, sich zu bewegen, damit Akira ihn vernünftig umarmen konnte. Mittlerweile sah man ihm seine Laune an. Er war nicht traurig oder so etwas, sondern sah vielmehr verletzt aus. Zumindest ein bisschen. Mit geschlossenen Augen saß er da, nachdenklich, und hielt weiterhin Akiras Hand.
Wehe sie wagt es, mir danach noch unter die Augen zu treten...
„Du musst das nicht machen, weißt du?“ Akira wusste natürlich nicht, was Frau Kobayashi dann tun würde, aber er wusste, dass er selbst nicht dazu in der Lage wäre, jetzt diese merkwürdige Aufgabe auszuführen. Er stand auf und sah sich die Sachen auf dem Tisch an. Neben den beiden Bechern lagen dort noch eine Schachtel mit Kosmetiktüchern, eine Tube Vaseline und ein Magazin. Mit einem halb ungläubigen Grinsen blätterte er interessiert darin.
„Oh. ... Tachibana-kun und Fujimori-kun entspannen sich in der Schwimmbaddusche, aha...“
Kei sah ihm dabei zu, wie er das, was da herumlag unter die Lupe nahm. Sein Blick sagte sowas wie ‚Und mich ewig damit herumschlagen? Bloß nicht...‘ Aber verbessern tat das seine Laune auch nicht. Mit seinem amüsierten Blick auf das Heft geklebt setzte Akira sich auf den Stuhl hinter dem Schreibtisch und blätterte weiter.
„Was hast du gefunden?“ fragte Kei, der immer noch auf dem Sofa saß und nicht vorhatte das zu ändern.
„Meine neue Bettlektüre.“ Akira begutachtete die Fotos und lachte ein bisschen. Kei studierte sein Gesicht.
„So wie du guckst, ist die nicht gerade spannend.“
Akira grinste ihn fröhlich an. Er hob das Heft hoch und zeigte ihm ein seitengroßes Foto von einem debil schmunzelnden Muskelmann im Tanga, der in vorgeblich entspannter Pose, die in Wirklichkeit eher unrealistisch und unbequem aussah, auf einem Holzstapel lag. Kei lachte ein bisschen.
„Da hab ich schon bessere Bilder gesehen und die waren real.“
Akira hob eine Augenbraue. „Real?“
Innerlich schlug Kei sich selbst dafür, laut gedacht zu haben. „Ja.“
„Erzähl,“ befahl Akira, indem er Kei das Heft an den Kopf warf. Es landete aber nur auf seinem Schoß.
„Schon mal zwischen lauter berauschten Menschen auf ner Privatparty gewesen?“ fragte Kei ruhig. Akira musste tatsächlich kurz überlegen, bis er schnell zu dem Schluss kam, dass sein blöder Ausrutscher in der Neujahrsnacht keine Privatparty gewesen war.
„Nein,“ sagte er und lehnte sich im Schreibtischstuhl zurück.
„Ich war elf oder so und um mich herum lauter Menschen unter harten Drogen.“ Mehr erklärte er nicht.
Colin/Akira war auch eines der besseren Bilder, vor allem, wenn er sich an den Abend seines Geburtstags zurückerinnerte. Ein kaum merkliches Schmunzeln machte sich auf seinem Gesicht breit, als er an den Tag zurückdachte und den Rest kurz beiseite schob.
„Elf?!“
Kei nickte, schaute Akira an.
„Oh mann...“ Akira musste wieder ungläubig lächeln. Er stand auf, kniete sich dafür vor Kei und stützte die Arme auf Keis Knie. „Du hast nichts mit dir machen lassen, oder?“ Er sah neugierig aus.
„Ich weiß nicht mehr alles von dem Tag.“ Oder vielen anderen.
„Also, ich kann mit Sicherheit sagen, dass du mein Erster warst!“ verkündete Akira und patschte sich theatralisch auf die Brust.
Das kann ich von dir nicht behaupten, auch wenn ich wollte. Kei lächelte leicht. Er wusste nicht genau wann oder wo er entjungfert wurde, aber das behielt er für sich. Akira lächelte zurück und zog sich an Kei hoch um ihn sachte zu küssen. Der erwiderte den Kuss, wie er begonnen wurde und schob die Vergangenheitsgedanken wieder gekonnt zur Seite. Als Akira den Kopf etwas zurückzog, hielt er immer noch Keis Beine fest und lächelte ihn warm an.
„Du musst mir trotzdem von den ‚Bildern‘ erzählen.“
„Menschen, die Sex hatten, beinahe in jedem Raum. Der Unterschied zur Zeitschrift war, dass das echt war und auch so aussah - und einige von denen sahen wirklich gut aus,“ erklärte er. Akira nahm sich das Heft und suchte die Seite mit dem blonden Pseudoholzfäller.
„So gut?“
Kei schmunzelte. „Nein, mehr so abgewrackt gut. So als haben sie eine ganze Nacht durchgemacht und sahen immernoch gut aus.“
„So wie du jeden Morgen in der Schule aussiehst,“ bot Akira an.
„Nein, eher so wie auf dem Dach nach dem Konzert.“ Er schmunzelte ein bisschen.
„Hm, da habe ich nicht so gut hingeguckt...“
„Gelegenheiten dazu gibt es noch genug,“ kommentierte Kei.
„Du bist eingebildet,“ entschied Akira ungerührt und kniete sich wieder hin, um gelassen in dem Heft zu blättern.
„Einbildung ist auch Bildung, vergiss das nicht.“
Kei lehnte noch immer an der Rückenlehne und hing bald darauf wieder seinen Gedanken nach. Akira drehte sich halb um, um sich zwischen Keis Beinen an das Sofa zu lehnen und sah sich weiter ernsthaft interessiert die Fotos an. Kei hatte die Augen geschlossen und den Kopf nach hinten gelegt. Sein Gesicht hatte einen ‚Das-alles-hier-interessiert-mich-kein-Stück‘-Ausdruck angenommen. Akira war auf einer Mangaseite angekommen und las das Ding tatsächlich langsam durch. Viel zu lesen gab es auf diesen Seiten zwar eigentlich nicht, aber die Bilder waren sehr detailliert. Kei blickte durch den Raum. Immer wieder blieb sein Blick an Akira hängen.
„Was is so interessant an dem Heft?“ fragte er nach einer Weile. Kei war der Meinung, dass die Realität deutlich besser war als Bilder - nicht immer, aber meistens.
„Der Mann hier scheint eine Affäre mit einer männlichen Pseudo-Geisha zu haben. Oder sowas ähnliches,“ erläuterte Akira abwesend, während er sich anguckte, wie der jüngere gezeichnete Mann sich seinen Kimono wieder anzog und der ältere in eine Kutsche stieg.
„Ah.“ Kei dachte an ein paar Manga, die er gelesen hatte und einige Szenen, die er erlebt oder miterlebt hatte. Nach einer langen Pause hob er den Oberkörper aus der beinahe liegenden Position.
„Unsere Teezeremonie war spannender,“ schloss Akira unbeeindruckt und schloss das Heft. „Das sollte mal jemand zeichnen. Wir würden so verkauft werden.“
Kei schmunzelte, nickend. „Die hat Wiederholungsbedarf.“
„Ah, aber wo kriegen wir dafür Yakuza her, die du zwischendurch niederstrecken kannst?“
„Laufen genug herum,“ stellte Kei fest.
„... Ich habe die Patrone nicht mehr.“
„Hm.“ Er dachte nach. „Ich werde bestimmt noch öfter angeschossen.“
Akira legte das Heft stumm zur Seite. Niemals würde Kei dem Kleineren sagen, dass er den Verlust des kleinen Souvenirs schade fand. Er betrachtete ihn. Der Junge wirkte gelassen bis gelangweilt, wie er so blass mit seinen blutroten Locken durch den Raum blickte.
Beim weiteren Umsehen im Raum fiel Akira auf, dass auch hier ein Fernseher an der Wand hing. Er stand auf und ging zu der Anlage. Kei sah ihm dabei zu. Wo is meine Gitarre, wenn ich sie haben will?
Akira hockte sich vor die Anlage und spielte daran herum. Beim Fernsehradio schaltete er durch die Kanäle, bis er einen namens Industrial Metal gefunden hatte. Dann vergewaltigte er den Lautstärkeknopf der Fernbedienung und stand wieder auf. Kei lehnte sich wieder zurück, lächelte Akira dankbar an. Akira erwiderte das Lächeln. Er knöpfte sein kurzärmeliges Hemd auf, unter dem er noch ein T-shirt trug und gesellte sich wieder zu Kei vor das Sofa. Kei trug nichts weiter als Hose und T-shirt. Er kaute auf dem Ring in seiner Unterlippe und betrachtete Akira. Seine Beine waren immer noch verknotet. Akira setzte sich wieder vor Keis Knie und schob sich mit einem versauten Lächeln die Haare hinter die Ohren.
„Meinst du, es kommt gut, wenn ich jetzt zu Misato gehe und sie um ein Haargummi bitte? Damit ich dir einen vernünftigen Blowjob geben kann? Das wäre ja in ihrem Interesse.“
Der Gedanke gefiel Kei tatsächlich, böse schmunzelnd stand er auf. „Okay.“
Akira lachte.
„Was?“ Keis Laune besserte sich zunehmend. Akira folgte Kei und stellte sich an die Tür.
„Ich lausche,“ kündigte Akira an.
„Gut.“
Kei ging zu Misato, die er schnell in ihrem Schlafzimmer gefunden hatte. „Kann ich mir'n Haargummi ausleihen?“ fragte er und wartete auf die Reaktion seiner Schwester und seiner Tante, die daneben saß.
„Äh, natürlich,“ sagte Misato verwirrt und stand von ihrem Bett auf, um ein dünnes Haarband aus einer kleinen Schachtel auf der Kommode zu holen. Kaede, die auf einem gepolsterten Stuhl vor dem kleinen Schreibtisch neben dem Bett saß, hob fragend eine Augenbraue.
„Wozu?“ fragte sie neugierig.
„Das willst du nicht wissen, Tantchen,“ sagte Kei mit einem Blick, der alles mögliche bedeuten könnte, als er Misatos Haargummi an sich nahm und im Begriff war, wieder zu Akira zu gehen. Eilig hatte er es nicht. Kaede sagte nichts weiter und Misato setzte sich einfach wieder.
„Willst dus dir um den Sack klemmen?“ rutschte ihr heraus, was ihr einen schockierten Blick seitens ihrer Mutter einbrachte. Kei schmunzelte, beinahe unsichtbar.
„Keine schlechte Idee,“ sagte er, als hätte seine Schwester ihn auf eben eine solche gebracht. Den Blick seiner Tante feierte er innerlich. „Aber nein, Akira fragte danach. Er findet, seine Haare könnten ihm in die Quere kommen.“ Er schaute seine Schwester mit vielsagendem Grinsen an, ehe er den Raum verließ.
Akira wartete in der Arbeitszimmertür auf ihn und hielt sich eine Hand vor den Mund. Nachdem Kei die Tür hinter sich geschlossen hatte, präsentierte er Akira das Zopfgummi.
„Hast du Kaedes Blick gesehen?“ Misato hat mehr von Kira als seine Augen, so viel is schon mal klar...
„Nein, aber ich habe gehört, was Misato gesagt hat.“ Lachend nahm er das Haargummi und zog es sich über das Handgelenk.
„Wir müssen tatsächlich verwandt sein... gruselig.“
„Was, machst du sowas?" fragte Akira mit einem dreckigen Lächeln und widerstand im letzten Moment dem Drang, Kei in den Schritt zu greifen. Stattdessen kratzte er sich nur halbverlegen an der Wange. Kei lachte.
„Ne. Egal.“ Misato vor allem für diesen Tag für unwichtig erklärend, warf er sich auf das nicht weit entfernt stehende Sofa. Im TV-Radio lief ein Song, den er sehr gut kannte. Akira nahm sich einen der Plastikbecher vom Tisch und ließ ihn neben Kei auf das Sofa fallen, ehe er sich selbst darauf kniete und über Kei beugte.
Der zog Akira ein Stück nach oben und küsste ihn. Er stützte sich auf der Sofalehne ab und erwiderte den Kuss. Kei unterbrach den Kuss nur kurz um Akira Hemd und T-shirt auszuziehen und küsste ihn dann wieder. Akira zog an seinem Piercing und biss ihm zärtlich auf die Lippe, während er Keis T-shirt hochschob und auf ihn kletterte. Kei machte an Akiras Hose herum, während er den Kuss weiter vertiefte. Er setzte sich kurz auf, zog sein Shirt aus und warf es irgendwohin. Den Moment nutzte Akira, um Keis Hose zu öffnen. Gerade wurde ihm schmerzlich bewusst, dass ihre letzten Begegnungen dieser Art unhöflich unterbrochen worden waren, denn trotz ihrer seltsamen Situation spannte es in seiner Hose. Er küsste die Narbe auf Keis Brust. Kei lächelte ein bisschen und hoffte, dass sie nicht wieder unterbrochen würden, von wem auch immer. Diese Person hätte die längste Zeit ein Leben gehabt. Seine rechte Hand schob Akiras Hose ein Stück nach unten, soweit er kam in seiner Position. Sie war nicht besonders eng, auch die Boxershorts darunter nicht. Akira hatte mit Keis Hosen dagegen mehr Schwierigkeiten, auch weil er darauf saß, doch er begnügte sich damit, die Hand hineinzuschieben und ihn so zu bearbeiten. Mit seinen Lippen wanderte er von der Narbe hinauf zu Keis Hals und zu seinem Mund zurück. Kei biss ihm spielend auf die Lippe und erwiderte den Kuss, während ihm seine Hose bald ein wenig eng wurde. Akiras Hand wanderte mitsamt Boxershorts ein weiteres Stückchen nach unten. Der Vampir massierte ihn erst absichtlich langsam, und wurde dann schneller. Akira stöhnte leise in den Kuss und stieß unwillkürlich gegen Keis Hand. Beinahe vergaß er, was er eigentlich tun wollte. Er packte Keis Arm um ihn stillzuhalten und rutschte etwas an ihm herunter. Kei grinste ein bisschen, ließ seinen Arm festhalten. Mit der anderen Hand spielte er mit Akiras roten Haaren herum. Weshalb sie eigentlich hier waren, blendete er einfach aus. Akira kroch weiter an Kei herunter, bis er zwischen seinen Beinen kniete, und zog ihm die Hosen weiter herunter. Ernst und ohne Kei ins Gesicht zu sehen, machte er sich mit Händen, Lippen und Zunge an seiner Erektion zu schaffen. Der Vampir gab ziemlich kurz darauf eindeutig Gefallen bekundende Geräusche von sich. Seine linke Hand hielt Akira da fest, wo er war.
Dass der Vampir ihn bei den Haaren festhielt, nahm Akira mit einem leisen Lächeln zu Kenntnis, und ermutigt fuhr er damit fort, ihn der Länge nach zu küssen und zu lecken. Nach einer kurzen Weile schloss er die Lippen um die Eichel und begann mit langsamen Pumpbewegungen mit der Hand. Kei behielt seine Hand in Akiras Haaren. Seine Atmung ging schnell und er fing an sich gegen den Kleineren zu bewegen. Die Geräusche, die er von sich gab, wurden etwas lauter.
Die Musik übertönte ihn jedoch ziemlich gut.
Akira hatte nicht mehr viel Bewegungsfreiheit und versuchte auch nicht, Kei festzuhalten. Er behielt nur seinen Griff um ihn und seine Lippen und Zunge um ihn gelegt und konnte nicht anders, als etwas Keis Bauch zu kratzen, um sich davon abzuhalten, sich selbst anzufassen, denn das war jetzt nicht wichtig.
Kei wurde ein bisschen schneller. Außer Musik und Akira nahm er nicht mehr wirklich etwas wahr. Sein Griff in dessen Haare verfestigte sich ein wenig, mit der anderen Hand kratzte er mehr unbewusst ein Muster in Akiras Haut. Das ließ Akira seine Fingernägel tiefer in Keis Haut graben, da er sich nicht verbal beschweren konnte. Er versuchte es natürlich trotzdem, aber außer einem gedämpften „Hm!“ drang nichts nach außen. Er hoffte, dass Kei ihn rechtzeitig loslassen würde.
Der dachte nicht wirklich daran Akira loszulassen, ließ aber das Verzieren seiner Haut, als er ein bisschen Blut auf seinen Fingern spürte. Er selbst fing ebenfalls ein wenig zu bluten an, aber darum kümmerte er sich nicht. Akira ließ sich das noch eine Weile gefallen, bis er fürchtete, dass es gleich zu spät sein würde, und versuchte, den Kopf zu heben. Mit den Händen machte er jedoch weiter. Mit leichtem Grinsen ließ Kei den Kleineren tatsächlich los, als ihm wieder einfiel, dass er seiner Schwester ja ein Zwangsgeschenk machen musste. Trotzdem protestierte er mit einem Seufzer, dem man seine Meinung dazu deutlich anhören konnte. Akira achtete darauf nicht, sondern nahm nur den Becher und schraubte ihn auf. Er vermied es, Kei anzusehen, weil ihm diese Prozedur etwas zu klinisch und zu peinlich war. Mit dem Becher in der Hand beugte er sich wieder hinunter und machte weiter, und hoffte dabei, dass Kei ihn nicht wieder festhalten würde. Kei hielt ihn tatsächlich nicht wieder fest und versuchte den unliebsamen Umstand einfach zu ignorieren. Das gelang ihm auch ganz gut.
Lange dauerte es nicht bis er kam. Seinen rechten Arm hatte er der Bequemlichkeit wegen über die geschlossenen Augen gelegt. Akira zog seinen Kopf rechtzeitig zurück und nahm dafür den Becher dazu, während er mit der Hand weiterpumpte. Sowas machen wir nie wieder, schwor er grimmig.
„Wenn irgendwer mich nochmal sowas fragt, erinner mich daran, ihn zu töten,“ murmelte Kei nach einer kleinen Weile des Herumliegens. Akira hatte den Becher etwas abgewischt und zugeschraubt und war gerade dabei, sich die Hose wieder richtig anzuziehen.
„Werde ich,“ sagte er schlicht. Er band sich die Haare zu einem hohen Pferdeschwanz zusammen und zog sich das Knöpfhemd über. Kei zog sich ebenfalls wieder an.
„Gut.“ Er würde nicht viel Erinnerung daran brauchen, aber sicher war sicher. Mit offenem Hemd und dem Becher in der Hand ging Akira aus dem Raum. Kei blieb noch da sitzen und richtete in aller Ruhe seine Kleider.
Auf sein Klopfen an Misatos Tür hin wurde ihm geheißen, einzutreten, und Akira ging hinein. Frau Kobayashi ließ ihn bis zu sich gehen, wo sie noch immer auf dem Stuhl saß und nahm den halbgefüllten kleinen Becher entgegen. Akira gab ihn ihr mit lässig ausgestrecktem Arm und wischte sich mit der Zunge und der freien Hand langsam den Mund ab, während er sie ansah.
Kei kam langsam aus dem Raum und ging bis zur Tür von Misato, beobachtete die Situation. Kaede bedachte Akira mit einem sehr leisen, finster-amüsierten Lächeln, bevor sie sich den Inhalt des Bechers ansah und der Junge sich damit als entlassen betrachten konnte. Er sah noch kurz zu Misato, die ihm vom Bett aus, auf dem sie saß, ein wenig zunickte, und ging dann zurück zur Tür. Als er Kei erblickte, sah er ertappt zu ihm auf.
Kei schaute mehr oder minder neutral drein. Seine Verwandtschaft ignorierte er gekonnt und ging in den großen Raum zurück, wo er sich auf das Sofa setzte.
Akira holte sich sein T-shirt zurück und schaltete den Fernseher im Arbeitszimmer aus, wo er sich auch wieder beide Hemden richtig anzog, bevor zu Kei ins Wohnzimmer ging.
Kei war noch immer nach Erschlagen seiner Verwandtschaft, aber er war ruhig und schien nachzudenken. Akira blieb auf der anderen Seite des niedrigen Glastisches stehen.
„Keisuke.“
Der sah auf. „Ja?“
„Wenn das klappt, läuft hier bald ein kleiner Sakai rum.“
„Ich werd mich nicht drum kümmern. Das ist deren Sache.“
Akira musste etwas grinsen. „Schon klar. Es ist nicht so schlimm, weißt du?“
„Dass ich ungewollt Vater werden könnte?“
Akira sah nachdenklich zur Seite. Das hatte er nicht gemeint. Der Gedanke ließ ihn ein bisschen erröten.
Kei schaute ihn fragend an.
Verlegen fummelte er sich mit der Zungenspitze auf den Zähnen herum, ehe er sich zusammennahm und zu Kei ging, um sich neben ihn zu setzen. Kei machte sich etwas kleiner, dass Akira auch genug Platz zum Sitzen hatte. Er wartete immer noch auf die Erklärung. Akira entschied sich dagegen, auszusprechen, was er eigentlich hatte sagen wollen, denn sein Sperma zu spenden schien verglichen mit Keis Gedanken viel zu klein und unwichtig zu sein. Also hielt er nur seine Knie fest und sah sie sich an.
„Wir sollten wahrscheinlich nicht mit denen hierbleiben, oder?“
„Hm, ich will wissen, wer eigentlich was vorhat. Laut Kaede ist alles anders aber trotzdem scheiße. Ich wüsste gern, was sie noch hier wollen.“
„Ich nicht. Ich würde gern in Ruhe gelassen werden.“ In Wirklichkeit wusste Akira nicht, was er wollte. Nur, dass es nichts von dem hier war.
Kei seufzte. „Das ist das einzige, das ich dir nicht geben kann, aber wir können gehen. Ich bin fertig mit meiner lieben Verwandtschaft.“
Akira sah ihn ein wenig besorgt an. Kei erwiderte den Blick. Er sagte nichts.
You used to grin so much, fuhr Akira durch den Kopf.
„Lass uns abhauen,“ beschloss Kei. Akira nickte entschlossen und schnürte den vor ihm liegenden Geigenkasten zu.
Kei packte ebenfalls das bisschen Ausgepackte zusammen und zog seine Schuhe an. Aus Makotos Zimmer holte Akira sich Jacke und Mütze, dann zog er sich auch die Schuhe an. Der Vampir zog seine Jacke über und öffnete die Tür. Seinen Helm nahm er auch noch mit, schließlich waren sie mit dem Motorrad schneller. Den anderen warf er Akira zu. „Fang.“
Akira fing ihn auf und folgte Kei. Er nahm ihn mit in die Tiefgarage und startete dort das Motorrad. Dass Ryuji und Kira ihnen dichter an den Fersen klebten, als ihnen lieb war, wusste er nicht. 


Wednesday, December 16, 2015

Kei + Colin LV: Tante Kaede


Irgendwann, sie saßen eine Weile so herum, klingelte es.
Akira hob kurz den Kopf.
Dann legte er ihn wieder auf Keis Schulter.
Kei wollte nicht öffnen gehen. Als es nochmal klingelte, seufzte er genervt. „Ich bin nicht da,“ verkündete er, als könnte das jemand außer ihnen hören.
Sein Handy machte ebenfalls Anstalten zu nerven.
Akira bekam eine Gänsehaut. Das lag nicht an Kälte oder Furcht, sondern an Keis Reaktion.
„Können die ihre Probleme nicht allein lösen?“ Er drückte Akira ein bisschen.
„Niemand kann seine Probleme allein lösen. Außer dir natürlich.“
„Kann ich das? Sie lösen, mein ich. Ich bring meine Probleme eher um.“ Kei grinste ein bisschen. Nun musste Akira selbst schmunzeln.
„Dann muss ich mich korrigieren. Du hast keine Probleme.“
„Noch ja, aber wenn die sich jetzt alle gegenseitig töten, nicht mehr.“
„Das könntest du aussitzen,“ schlug Akira flüsternd vor.
„Würde ich, wenn ich kein Teil davon wäre,“ erwiderte er leise.
„Bist du nicht, wenn du nicht willst.“
„Dafür müssen erst die Leute sterben, die mich entweder tot sehen oder auf ihre Seite ziehen wollen.“
„Lass sie verrecken. Lass sie sich gegenseitig umbringen,“ bat Akira.
„Es wäre gut, wenn sie mir die Arbeit abnehmen würden...“
Akira ließ Kei los und stieg von ihm herunter, nahm das Handy vom Sofatisch und ging damit zum Fenster.
„Du kannst auch auf Rot drücken,“ schlug Kei vor.
Akira hielt an und sah ihn erst an, dann auf das Telefon. Daran hatte er nicht gedacht. Er drückte den Anrufer weg.
Kei hätte es nicht so sonderlich schlimm gefunden, wenn Akira sein Handy weggeworfen hätte, wirklich gut wäre das aber auch nicht gewesen. „Ich schau mal, wer da klingelt.“ Er stand auf und schlenderte zur Tür. Davor stand sein verhasster Nachbar. „Wie kann ich helfen?“ fragte er, wie die Unschauld vom Lande. Der Mann pampte ihn an, was denn all die Bekloppten in den Straßen sollten. Kei schlug ihm die Tür vor der Nase zu.
Derweil stand Akira weiter nackt beim Wohnzimmerfenster herum und sah immer wieder auf das Telefon in seiner Hand, als würde es das daran hindern, wieder störende Geräusche von sich zu geben.
Kei kehrte zu ihm zurück. „Wusstest du, dass ich schuld an den Straßenschlachten unten bin, die von wem auch immer angezettelt wurden?“ Er schlenderte zu Akira und nahm ihn in den Arm.
„Natürlich. Du bist an Allem schuld.“
„Das muss an mir vorübergegangen sein,“ sagte Kei schmunzelnd. Akira erwiderte das amüsierte Lächeln, als er sich aus Keis Umarmung wand.
„Ich sollte mich wieder anziehen. Ich will der Apokalypse nicht nackt entgegentreten.“
„Nicht?“ Kei machte ein entsetztes Gesicht. „Schade.“ Er grinste leicht.
Das meint der sogar ernst, dachte Akira bei sich, als er sich schmunzelnd seine Hosen wieder anzog. Sie war in kürzester Zeit zugeknöpft und sein T-shirt eilig über den Kopf gekrempelt. Dann setzte Akira sich auf die Sofakante, um sich die Socken wieder anzuziehen. Kei zog sich ebenfalls sein T-shirt wieder an und betrachtete den Kleineren beim Anziehen. Aus seiner Hosentasche zog er ein Zigarettenpäckchen.
Als er wieder komplett angezogen war, nahm der Junge sich die Whiskyflasche vom Tisch, ohne Kei noch einmal angesehen zu haben. Der Vampir zündete sich eine Zigarette an, setzte sich auf den Boden und beobachtete den Kleinen wortlos nachdenkend weiter. Akira nahm einen großzügigen Schluck aus der Flasche, schraubte sie wieder zu und hielt sie auf seinen Oberschenkel gestellt weiter fest, während er sich zurücklehnte und Kei endlich wieder ansah. Er war weiß und sah ziemlich gelassen aus. Mit einer Hand fuhr er sich durch die Haare.
„Du bist wieder tot,“ merkte Kei gelassen an. Lebendig gefällst du mir besser, aber ich kann damit leben. Während er mit einer Hand nach den Whiskyflasche griff, fingerte er mit der anderen an seinen Ketten herum. Er dachte nach. Bringt euch ruhig gegenseitig um... Lasst mir nur einen über...
Akira reichte ihm die Flasche. Er spürte es kaum, wenn sein Körper aufhörte zu arbeiten. Es fiel ihm nur jedesmal auf, wenn er wieder damit anfing. Aber er gewöhnte sich an diesen kalten Zustand. Wenn er tot war, war er so ruhig und selbstbewusst.
Er reagierte nicht auf Keis Kommentar, sondern stand auf und ging auf den Flur, um sich seine Schuhe und Keis Stiefel zu holen.
Kei nahm einen großzügigen Schluck aus der Flasche und sah Akira kurz nach. „Was machst du?“
Akira kam mit den Schuhen zurück und stellte Keis Stiefel neben ihn auf den Boden. Kei zog sie sich wortlos an. Erst als er sie halbwegs verschnürt hatte, schaute er auf. „Wo gehen wir hin?“
„Wir warten. Wenn wir raus müssen, ist es gut, vorbereitet zu sein, nicht?“ Akira saß wieder auf dem Sofa und hatte sich seine Schuhe angezogen.
„Ja.“ Er machte eine lange Pause. „Wir nehmen das wichtigste mit... und das Motorrad.“
Das Haustelefon klingelte.
Kei nahm ab, wenn auch widerwillig, wobei Akira ihn mit einem strafenden Blick bedachte. „Ja?“
Eine sanfte Frauenstimme meldete sich.
„Kei-chan?“
Fassungslos starrte Kei sein Telefon an. „Wer is da?“
„Ich fürchte, wir haben uns nicht mehr gesehen, seit deine Mutter... gestorben ist. Hier ist Kae-chan. Erinnerst du dich an mich?“ sagte die gütige Frauenstimme geduldig.
Kei dachte nach. Das war lange her, aber er hatte sie nicht vergessen. „Ja...Warum rufst du an?“ erkundigte er sich.
„Weil du in Gefahr bist und ich den Sohn meiner Schwester nicht im Stich lassen möchte. Ich bin gerade auf dem Weg zu dir. Mit etwas Glück komme ich vor Ryuji an.“
„Er ist auf dem Weg hierher? Akira, wir haben ein Problem. Ich warte, lass dich nicht umbringen, hier herrscht Chaos.“
„Ich weiß. Wir sind in fünf Minuten vor deinem Haus.“ Sie legte auf.
Kei legte ebenfalls auf und schaute Akira an. „Pack ein bisschen Zeug zusammen.“ Er selbst ging schon einmal ins Schlafzimmer, um die wichtigsten Sachen zusammenzupacken.
Akira packte seine Geige ein, zog sich Jacke und Mütze an und hängte sich den Geigenkasten um. „Wer war das?“
„Meine Tante. Sie ist gleich hier.“ Er packte eine Hose, ein T-shirt und eine Jacke, sowie Zigaretten, Feuerzeug und Motorradschlüssel ein, gefolgt von seinen Ketten, die er nicht missen wollte. An seiner Hose hingen bereits drei Stück. Gern hätte er auch die Gitarre mitgenommen, aber er würde sich irgendwo eine neue besorgen können.
Er hatte keine Ahnung, wie viel seine Tante überhaupt wusste. Als er sie zum letzen Mal gesehen hatte, war er keine sieben Jahre alt gewesen.
„Du hast eine Tante?!“ Als er sah, was Kei alles einpackte, stopfte Akira noch seine Zahnbürste und seine paar neugekauften Kleider in Keis Rucksack.
„Ja, aber ich hab sie seit Jahren nicht gesehen. Sie kennt mich als kleines Kind.“
„Was -“ Was will sie jetzt von dir und woher weiß sie wo du wohnst-
Es erschien ihm unpassend, gerade jetzt diese Fragen zu stellen, also ließ er es. Das Telefon hätte ihn sowieso unterbrochen, als es wieder klingelte.
„Was zum -?“ Kei ging dran. „Ja?“
Es war Kaede. „Beeil dich. Der silberne Toyota,“ drängte sie.
„Bin auf dem Weg.“ Er legte wieder auf und nahm den Motorradhelm. „Unten steht ein silberner Toyota, steig ein, ich fahr euch nach.“
Akira nickte und ging hinaus.

Unten vor der Tür öffnete sich die Hintertür der Limousine, als Akira aus der Tür kam.
„Du nimmst Akira mit, ich fahre euch nach!“ rief Kei und packte seinen Rucksack in den Wagen, bevor er sich auf den Weg zur Garage machte.
Akira rutschte neben den Rucksack auf die Rückbank und schloss die Tür. Die Frau neben ihm blinzelte ihn überrascht an.
„Los, fahr,“ kommandierte sie den Mann am Steuer. Der Fahrer wendete auf der Straße und fuhr scheinbar den Weg zurück, den sie gekommen waren. Dieses Manöver hatte Kei genug Zeit gelassen, sich auf der Straße zu ihnen zu gesellen.
Sie verließen rasch den Stadtteil und nahmen die erste Schnellstraße, die sie erreichten. Die verließen sie auch bald wieder, nur um bei der nächsten Gelegenheit wieder irgendwo abzubiegen. Scheinbar wollte der Fahrer verhindern, dass man ihren Weg nachvollziehen konnte. Er achtete jedoch darauf, dass Kei immer hinter ihnen blieb.
Akira prüfte das mit häufigen Blicken aus dem Fenster nach. Die Frau neben ihm tat dasselbe.
„Wer bist du?“ fragte sie ihn. Ihre Augen sahen aus wie Keis. Nein, nicht ganz. Sie waren hellbraun. Aber sie schienen auch etwas zu leuchten. Akira war fasziniert.
„Akira.“
„Akira... und weiter?“ fragte sie freundlich.
„... Fujita.“
Sie nickte. Offenbar musste sie noch Fragen haben, schien dies aber nicht für den richtigen Moment zu halten, um sie zu klären.
„Ich bin Kaede Kobayashi. Keisukes Tante.“
„... Sind Sie Kiras Schwester?"
Sie lachte. „Nein, Süßer.“
Kei blieb immer dicht hinter ihnen, das Visier des Helms nicht ganz geschlossen. Er dachte darüber nach, was die beiden jetzt wohl gerade besprachen. Sein Fahrstil war etwas ordnungswidrig, aber keinen Beamten interessierte das. Das Schwert war sowieso im Auto. Genau wie ein paar andere brauchbare Waffen.
Akira hielt sich an seinem Geigenkasten fest, den er auf den Knien stehen hatte. Er hatte selbst einige Fragen, die aber ziemlich privater Natur und auch kein guter Gesprächsstoff für eine Flucht waren, also biss er sich auf die Zunge.
Irgendwann, nach vielen komplizierten Umwegen, fuhren sie beim Hotel Miwa vor. Entgeistert starrte Akira auf den beleuchteten goldenen Schriftzug mit den fünf Sternen. Alles klar, ausgerechnet hier. Hier hatte ungefähr jetzt die Hochzeitsfeier von Hiroki und seiner Mutter stattfinden sollen.
Kei schaute etwas verwirrt, als er neben dem Wagen hielt. „Musstest du hier hinfahren?“ fragte er.
„Was soll diese Frage? Ich wohne immer hier, wenn ich in Tokyo bin,“ informierte die Dame ihn, als sie graziös aus dem Wagen stieg. Akira tat es ihr gleich, wenn auch nicht so elegant. Er schulterte Keis schweren Rucksack, auf den das Schwert gebunden war und in dem es ominös klapperte. Als er die Tür geschlossen hatte, fuhr der Fahrer langsam weiter, zur Tiefgarage des Hotels. Der bullige junge Mann, der stumm auf dem Beifahrersitz saß, blieb ebenfalls im Auto.
„Meinst du nicht, dass man uns dann sehr leicht hier finden könnte?“ fragte er ruhig. Er nahm Akira den Rucksack ab.
„Wenn die beiden Versager auch nur ein bisschen über mich wüssten, dann ja. Aber glücklicherweise tun sie das nicht. Sie werden jetzt noch etwas Spaß haben und sich dann beruhigen. Kommt erstmal mit rein.“ Kaede hatte Kei gründlich gemustert und legte nun eine Hand auf Akiras Schulter. „Das Motorrad kannst du zum Auto in die Tiefgarage stellen. Kiba und Makoto werden dich dann zur Suite bringen.“
„Okay.“ Er sah Akira mit einem ruhigen Blick an. „Bis gleich.“ Schnell verschwand er mit dem Motorrad in der Tiefgarage.
Akira folgte der Dame durch das riesige Foyer, in den Fahrstuhl, und durch den breiten Gang im obersten Stockwerk zu ihrer Suite. Nummer 3001. Es war das einzige ‚Zimmer‘ für Gäste hier oben, stellte er fest.
Diese Suite war extrem edel eingerichtet. Die Zimmer wechselten im Stil, mal japanisch, mal europäisch... im Wohnzimmer auf einem der riesigen Sofas lag ein außergewöhnlich hübsches Mädchen, das sich aufsetzte und den großen Fernseher, der an der Wand hing, stummsschaltete, als sie hereinkamen. Ihre Augen waren so blau wie Keis und sahen Akira verwundert an. Sie musterte Akira neugierig, bis Kei mit Kiba und Makoto hereinkam, und sah dann ihn fasziniert an. Er sah sich erst einmal um.
Der bullige junge Makoto, der ziemlich stumpfsinnig wirkte, stapfte sofort zu einem Sessel, auf den er sich schnaufend fallenließ und nahm sich die Fernbedienung.
Mit dem Chauffeur Kiba wechselte Kaede an der Tür ein paar leise Worte, woraufhin er nickte, sich ein bisschen verbeugte und sie allein ließ.
„Also!“ verkündete sie in den Raum.
Kei, der das ihm bis dato unbekannte Mädchen musterte, horchte auf, ging in den Raum zu Akira und drehte sich um.
„Mako-chan, Misa-chan, das ist euer Cousin Keisuke!“
Akira musterte die beiden sehr unähnlichen Geschwister. Er hat also doch eine Familie, eh...
Das Mädchen stand auf, so graziös und schön wie ihre Mutter, und lächelte Kei warm an. ‚Mako-chan‘ grunzte nur und starrte auf den Fernseher.
Kei schaute leicht verwirrt drein. Er hatte nicht gewusst, dass er lebende Verwandtschaft hatte. Mit einem Seitenblick in Richtung Akira ließ er den Kleineren wissen, dass er keine Ahnung gehabt hatte.
Er verbeugte sich knapp. Das Mädchen verbeugte sich auch mit einem begeisterten Lächeln.
„Misato. Schön, euch kennenzulernen.“
Verspätet fiel Akira ein, sich auch zu verbeugen.
„Akira Fujita,“ sagte er und erwiderte das Lächeln unsicher. Nun sah der junge Mann auch zu ihnen herüber und brummte „Makoto.“ Er musterte beide noch kurz, ehe er seine Aufmerksamkeit wieder dem Bildschirm zuwandte.
Kaede strahlte begeistert und ließ sich auf einem anderen Sessel nieder. Wie man das mit solcher Eleganz machen konnte, war Akira ein Rätsel. Außerdem sah ihr Rock dafür etwas zu eng aus, aber das schien ihr nichts auszumachen. Er sah Kei auch kurz von der Seite an.
Der setzte sich weit weniger grazil auf den Boden und fuhr sich durch die Haare. „Was genau machen wir jetzt?“
Leicht verwundert nahmen alle anderen, einschließlich Akira, Keis Sitzplatzwahl zur Kenntnis, angesichts der zwei großen Sofas und der zwei freien Sessel. Misato setzte sich wieder auf das Sofa und Akira folgte ihr zaghaft und nahm mit höflich großem Abstand neben ihr Platz.
„Nun, Kei-chan, Akira-kun... wie wäre es mit Tee und ein paar Antworten?“ fragte Kaede lächelnd. Sie warf Makoto einen Blick zu, der nicht erwidert wurde, aber irgendwie schien er ihn dennoch wahrzunehmen, denn er griff zum Telefon, das neben ihm auf einem kleinen Tisch stand, und rief den Zimmerservice an.
Kei bedachte seine Tante mit einem Todesblick, nickte aber leicht. Er saß nicht weit von Akira entfernt. „Was willst du wissen?“
Der Blick perlte an ihr ab wie Wasser an Teflon, als sie ihren eigenen freundlichen Akira zuwandte, der den Geigenkasten auf seinem Schoß unwillkürlich etwas fester griff.
„Beginnen wir mit deinem Namen. Er kommt mir etwas arg japanisch vor, für einen jungen Briten.“ Sie lächelte sanft.
Akira sah unsicher zu Kei.
Der sah ihn warm an. „Man kann ihr nichts vormachen,“ sagte er ruhig. Als Kind hab ich das gehasst...
Akira sah auf seine weißen Hände.
„...“
„Nun? Habt ihr geglaubt, dass du dich für immer bei ihm verstecken kannst?“ Sie sah Akira weiter freundlich an.
„Naja...“
Misato sah ihn stumm und neugierig an.
„... Ich bin tot. Dachte ich.“
Kei schaute ihn an, dann seine Tante, dann wieder Akira. Sein Blick blieb dort. Nein... Du bist nicht tot. Nicht nur.
„Das ist richtig,“ sagte Kaede geduldig.
„Du hast keinen Puls!“ flüsterte Misato erschrocken. Sie sah zu ihrer Mutter, als hätte sie eine Antwort darauf, aber die wandte den Blick nur zu Kei.
„Der Junge scheint sehr an dir zu hängen. Ich hoffe, du weißt das.“
Makoto hatte nur Augen für die Gameshow.
Kei nickte. „Woher wusstest du, dass wir in... ehm, Schwierigkeiten stecken?“
Sie seufzte. „Ich fürchte, ich habe einen Fehler gemacht. Bis vor Kurzem glaubten die beiden Wahnsinnigen noch, du seist tot. Das musste sein, damit sie dich in Ruhe lassen. Leider muss ich mich irgendwie verraten haben,“ sagte sie mit bedauerndem Blick auf den Kristalltisch.
Kei seufzte. „Und als sie erfahren haben, dass ich lebe, haben sie beschlossen, mich auch noch umzubringen. Ich frage mich, warum er mich damals nicht getötet hat.“ Er war ruhig. Er wirkte, als mache ihm all das nicht viel aus.
„Oh, das wollte er nicht.“ Kaede wirkte überrascht. Besorgt musterte sie Kei zum dutzendsten Mal. „Masako hat er auch nicht mit Absicht umgebracht.“
Akira und Misato verfolgten das Gespräch gebannt.
„Hast du unsere Wohnung gesehen? Das sah nicht nach einem Versehen aus... ihre Leiche auch nicht.“
Sie stand auf und warf den drei anderen Jugendlichen einen Blick zu. „Lass uns dieses Gespräch nebenan weiterführen. Der Tee muss gleich kommen. Fangt ihr schon ohne uns an.“ Mit diesen Worten ging sie zu einer schwarzlackierten Tür und öffnete sie.
Akira sah Kei besorgt an. Misato auch. Makoto blickte ernst auf den Fernseher. Es war ein knapper Punkteabstand. Sehr spannend.
Kei stand auf und folgte ihr langsam.
Akira sah ihm nach und legte seinen Geigenkasten auf den Tisch.
Kaede sah Kei sanft an und schloss die Tür hinter ihm. Dieser Raum war ein Arbeitszimmer. Hier stand auch ein kleines Sofa, auf das Kaede sich gleich setzte. Sie bedeutete Kei, auch Platz zu nehmen.
Kei setzte sich. „Was weißt du, das ich nicht weiß?“
Sie lächelte sanft. „Weißt du, wie viele Vampire es auf der Welt gibt, Keisuke?“
„Mehr als ein Paar, soviel ist sicher.“
„Mehr als ein Paar.“ Sie schmunzelte. „Sehr wenige.“
„Das erklärt rein gar nichts...“ Kei war davon ausgegangen, dass es viele gäbe. Es wäre schließlich unsinnig, mit drei starken Leuten zu versuchen, Tokyo zu zerstören...
Kaede hob etwas die Hand.
„Kira weiß, wie wenige wir sind. Darum hätte er, selbst er, Masako nicht getötet... Er musste sich gegen sie verteidigen.“
Kei sah sie verwirrt an. „Weshalb?“ Es war nie irgendetwas vorgefallen, bis zu dem Tag.
„Masako hatte erfahren, dass er mit mir geschlafen hat. Misato ist deine Halbschwester.“ Kaede sah Kei sehr ernst an und nahm seine Hand. „Sie hat ihn sehr geliebt, und hat nicht verstanden, warum das nötig war. Die Konfrontation ist... hässlich geworden.“
Kei sortierte seine Gedanken. „Ich verstehe das auch nicht.“
Nebenan wurde der Ton des Fernsehers wieder eingeschaltet.
„Wenn unsere Generation sich nicht stärker fortpflanzt, sterben wir bald aus. Es muss immer weniger von uns geben als von unserem Vieh. Und da wir sehr lange leben, herrscht mit dem Kinderzeugen keine große Eile. Aber wir werden nicht nur von Menschen getötet, sondern bringen uns auch gegenseitig um. Und du weißt selbst, dass das sehr leicht ist. Familien wie unsere sind sehr selten. Masako wurde Kira zugeteilt, und ich Ryuji.“
„Hm. Und was sollte Ryujis Aktion auf dem Schuldach vor einigen Stunden?“ Kei war verwirrt.
Kaede stutzte und sah Kei vorsichtig an.
„Sie haben dich schon gefunden?“
„Ja. Aber er ist wieder gegangen.“
Sie runzelte die Stirn. Sogar das sah elegant aus. „Hat er irgendetwas gesagt?“
„Nichts relevantes, nein.“
Sie blinzelte. „Nun. Er ist dir doch nicht gefolgt?“
„Ich denke nicht.“
„Natürlich nicht. Wenn dem so wäre, hätte ich dich nicht mehr erreicht. Kei-chan.“ Sie sah ihn weiter so ernst an und drückte seine Hand etwas. „Es gibt noch einen Grund, weshalb ich hier bin.“
„Welchen?“ Kei hasste es, wenn man -chan an seinen Namen hängte.
„Die beiden wissen nun, dass du noch lebst, also ist es noch dringender geworden - Du musst unsere Familie retten.“ Sie ließ Keis Hand los und stand plötzlich auf.
„Inwiefern?“ Kei ahnte, was seine Tante jetzt sagen könnte. Sie ging zur Tür, öffnete sie und winkte jemanden herein.
Als Misato eintrat, zog sie die Tür hinter sich zu und setzte sich auf den stummen Geheiß ihrer Mutter neben Kei. Kaede lehnte sich vor ihnen an den großen Holzschreibtisch.
Kei sah sie neutral verwirrt an.
„Was genau meinst du?“ fragte er seine Tante, während sich ein Fragezeichen in sein Gehirn malte.
„Ich kann keine Kinder mehr bekommen -“ erklärte sie sanft. Sie nickte zu Misato, die Kei nur einen kurzen Blick zuwarf und dann entschlossen auf ein Bild an der Wand starrte. „Darum brauchen wir dich und Misa-chan.“
„Nein,“ sagte er knapp. Kira ist darin gut, sag dem bescheid...
Kaede lächelte traurig. „Nein? Misato und ich sind in ganz Kanto die einzigen weiblichen Vampire. Männer gibt es auch nur eine Handvoll. Was bei Ryuji herauskommt... Makoto ist das einzige seiner Kinder, das überlebt hat, und er ist ein wahnsinniger Idiot, genau wie sein Vater. Schlägst du vor, dass ich von Misato verlange, mit ihrem eigenen Vater zu schlafen?"
„Hast dus schon mal im Ausland versucht? Du sagst, ich bin ihr Bruder.“ Mal ganz davon abgesehen hab ich Akira...
„Halbbruder.“ Kaede nickte müde lächelnd.
„Keisuke,“ Misato wandte sich ihm zu. „Es ist wirklich wichtig. Und es wäre auch nur einmal.“
Kei stand auf und ging ins Wohnzimmer zurück.
Kaede seufzte und Misato sah ihm enttäuscht nach.
„Akira.“ Er nahm eine Zigarette aus der Schachtel aus der Hosentasche. Der Fernseher lief noch und der Geigenkasten lag noch auf dem Tisch, hinter einem edlen Teeservice, aber Akira und Makoto waren fort. Kei trat gegen das Sofa. „Verdammt!“ Er schaute seine Tante durch die offene Tür an. „Ich muss mit ihm reden.“
Eine andere Tür öffnete sich einen Spalt und Akira steckte den Kopf in den Raum.
„Habe ich deine süße Stimme vernommen?“ fragte er halbernst. Makotos Kopf kam über seinem durch den Türspalt.
„Ich muss mit dir reden,“ sagte Kei ernst aber ruhig.
„Gut,“ sagte Akira, lächelte Makoto kurz an und kam ins Wohnzimmer zurück. Er winkte den dumpf grinsenden Jungen in sein Zimmer zurück, der tatsächlich ohne zu Zögern die Tür schloss. Auch Kaede schloss die Arbeitszimmertür wieder, um die beiden in Ruhe zu lassen.
„Spielst du Kindergärtner?“ fragte Kei unernst. „Ich machs kurz. Mein Tantchen will, dass ich mit Misato ein Kind in die Welt setze.“
Akira lachte.
„Ich verarsch dich nicht. Ich hab Nein gesagt.“
Wieder lachte Akira, etwas ungläubiger. „Warum?“
„Ich will nicht. Ich hab dich. Ich will dich nicht mit meiner Schwester bescheißen.“
Akira kniff verwirrt die Augen zusammen und hob die Hände.
„Wa wa mo- moment. Warum sollst du deine Schwest- Misato ist deine Schwester?“
„Halbschwester. Ich weiß das auch erst seit eben.“
„Ihr sollt zusammen ein Kind machen? Wa-?“ Er war nicht mehr belustigt.
„Sie begründet das damit, dass es nicht viele männliche Vampire gibt, und sie sie nicht zu Kira schicken will. Sie ist übrigens auch seine Tochter.“ Er machte eine Pause. „... Ich habe nicht vor, meine Meinung zu ändern.“
Akira blinzelte ein bisschen und setzte sich mit verschränkten Armen auf eine Armlehne des nächstbesten Sessels. Er schien nachzudenken.
„Dein Vater muss ja der schönste Mann der Welt sein,“ merkte er an. Äh, ja, genau, das irrelevanteste muss laut ausgesprochen werden. „Ich meine - Misato muss unbedingt ein Kind kriegen?“
„Anscheinend. Soll sie, meinetwegen, aber nicht von mir. Es gibt noch mehr Vampire als mich, Ryuji und Kira. Soll sie im Ausland suchen.“
Plötzlich ging die Tür zum Arbeitszimmer auf.
„Haben wir doch! Wir waren in Vietnam, in Korea, Australien, USA, Brasilien...!“ rief Misato. Kaede legte eine Hand auf ihre Schulter und kam zurück ins Wohnzimmer.
„Es gab wirklich genug Kandidaten, aber keinen, den ich an meine Tochter lassen würde.“ Sie sah Akira ernst an. „Akira-kun. Für euch beide bedeutet es nichts. Es sichert nur das Überleben von Keisukes Familie.“
Kei sah seine Tante mit unveränderter Miene an. Akira sah zu ihm, dann zurück zu Kaede.
„Warum brauchst du unbedingt ein Kind?“ fragte er Misato.
„Damit wir nicht aussterben,“ sagte Misato niedergeschlagen, aber nachdrücklich.
Kei sah sie an. „Du lebst ziemlich lange, weißt du. Da findet sich wer zum Kinder zeugen.“
Wieder seufzte Kaede. „Ich kann dich nicht zwingen...“ sagte sie leise, während sie zu ihrem Sessel zurückging. Sie goss sich eine Tasse Tee ein und setzte sich. „Ich hoffe nur, dass du es dir bald anders überlegst. Ehe es zu spät ist.“
Kei seufzte und ließ sich auf das Sofa fallen. Er zog die Beine an den Körper und stützte den Kopf auf die Knie. „Du weißt, dass ich das nicht werde.“
Misato machte ein frustriertes Geräusch.
„Du bist der erste, den ich nehmen würde, und du willst mich nicht!“ rief sie dramatisch und drehte sich wieder ins Arbeitszimmer, dessen Tür sie zuknallte. Akira, der sich auch wieder auf das Sofa gesetzt hatte, zuckte zusammen.
Makoto steckte wieder den Kopf in den Raum. Als ihn niemand zu bemerken schien, verzog er sich aber wieder.
„Was wäre daran so schlimm? Sie ist hübsch, es dürfte also kaum schwerfallen...“ überlegte Kaede mit der Teetasse vor dem Gesicht.
Akira nahm sich einen Keks. „Ja, was wäre daran so schlimm? Ich würds machen,“ sagte er salopp.
Kei war genervt, zeigte das aber nicht. Akiras Kommentar ignorierte er einfach. „Nein. Ich bin mit Akira zusammen. Ich bescheiße meinen Freund nicht. Auch nicht mit meiner Halbschwester, aus welchem Grund auch immer.“ Er stand auf und ging zum Fenster.
„Betrügt er dich, wenn du es weißt?“ fragte Kaede hypothetisch. Akira überlegte.
„Nein. Vorausgesetzt, er weiß auch, dass ich es weiß, und ich bin einverstanden. Ist eine dieser Voraussetzungen nicht gegeben, handelt es sich um Betrug,“ beschloss Akira. Sie tranken beide einen Schluck.
„Wärst du einverstanden?“ fragte Kaede lächelnd.
„Das kommt darauf an,“ sagte Akira gelassen.
„Auf was?“ Sie tranken wieder gleichzeitig.
Kei schaute abwesend aus dem Fenster, hörte den beiden aber zu.
„Auf die Konditionen. Für einen guten Zuchthengst gibt es immer eine Prämie.“ Akira sah Kaede fest an, die lachen musste.
Kei bedachte Akira mit einem Blick der sagte: ‚Genau jetzt würde ich dich gerne töten, aber du weißt, dass das nicht geht.‘
Akira begegnete seinem Blick, und sein amüsiertes Lächeln wurde etwas ernster. Er stellte die Teetasse hin. „Setzen Sie uns vor die Tür, wenn ers nicht macht?“ fragte er leise, aber bestimmt.
Kei hatte sich die Kippe angezündet. Er schaute seine Tante an. „Jetzt mal vom Fortbestand meiner Familie abgesehen, warum? Warum jetzt? Was denkst du dir dabei?“
„Wie Misa-chan schon sagte, wir waren fast überall. Du bist die letzte Adresse.“ Auf Akiras Frage hin schüttelte sie sachte den Kopf.
Kei hatte vieles im Kopf, das er hätte sagen wollen, ließ es aber. Sein Gesicht verriet, dass er seine Meinung nicht ändern würde.
„Nun. Es gibt hier nur drei Schlafzimmer. Makoto wird es aber nichts ausmachen, sein Zimmer mit euch zu teilen. Falls ihr Schlaf braucht.“

Kei ließ das Schlafen bleiben. Ihm war nicht nach Entspannug. Stattdessen setzte er sich auf die Fensterbank des Schlafzimmers, neben sich die erstbeste Flasche harten Alkohols, die er im Raum gefunden hatte und ein Päckchen Kippen. Am Vortag war seine Welt noch größtenteils in Ordnung gewesen und jetzt lag fast alles in Trümmern, woraus sie bestanden hatte. Er blickte abwechselnd zum Fenster und zu Akira.
„I cannot do this. You are all that's left,“ murmelte er mehr zu sich selbst und mehr gedacht als alles andere.
Akira lag auf einer Seite des großen Bettes und war eingeschlafen, sobald er sich hingelegt hatte. Er hatte sich nicht ausgezogen oder zugedeckt, selbst die Jacke hatte er noch an und seine Mütze lag neben ihm auf der Decke. Nur seine Schuhe hatte er ausgezogen und irgendwo bei der Tür fallenlassen.
Makoto schien an Schlaf kein Interesse zu haben und hatte sein Zimmer den beiden überlassen, indem er im Wohnzimmer weiter das Fernsehprogramm verfolgte.
Kei leerte die Flasche mit fortschreitender Zeit. Das Fenster hatte er geöffnet, weil er den Raum nicht verqualmen wollte. Als er feststellte, dass seine Flasche leer war, warf er sie einfach nach draußen, genau wie die Zigarettenstummel. So saß er die ganze Nacht da.

5. JANUAR
Akira blieb die meiste Zeit reglos und tot, doch gegen Morgen begann er sanft zu atmen und sich zwischendurch leicht zu drehen.
Makoto ließ sie in Ruhe und kam im Laufe der Nacht nicht in sein Zimmer zurück. Die Fernsehgeräusche, die kontinuierlich durch die Tür hereindrangen, ließen vermuten, dass er sich vor dem Bildschirm aufhalten würde, bis ihn jemand woandershin beorderte.
Erst als der Himmel grauer wurde, wurden gedämpft Stimmen hörbar, die nicht aus den Lautsprechern kamen.
Kei stand irgendwann auf und setzte sich auf das Bett neben Akira, hörte seinem Lebendigsein zu und lauschte den Stimmen aus dem Nebenraum. Scheinbar führten Misato und Kaede kurze Alltagsgespräche, zu denen Makoto nur wenig beitrug, und bewegten sich dabei durch die Räume der Suite. Viel war dabei nicht zu hören.
Irgendwann wurde die Tür zur Suite geöffnet und Kaede sprach kurz höflich mit einer Fremden, daraufhin war Geschirrklappern zu hören.
Kei konzentrierte sich auf Akira und nahm vorsichtig dessen Hand. Der zog sie leicht zusammen, atmete leise aus und öffnete langsam die Augen. Kei sah ihn an und behielt die Hand in seiner. Er lächelte leicht. Man sah ihm nicht an, dass er nicht geschlafen hatte. Akira erwiderte das Lächeln benebelt. Als er kurz darauf zu sich kam, drehte er den Kopf und drückte sein Gesicht verlegen etwas gegen das Kissen.
„Gut geschlafen?“
„Ja.“ Akira schien keine Stimme zu haben und flüsterte bloß. „Willst dus hören?“
Kei nickte leicht.
Das konnte Akira nur aus dem Augenwinkel sehen, weil er zu verlegen war, um Kei direkt anzusehen. Als keine verbale Antwort kam und er immer noch seine Hand hielt, nahm er das also als ein Ja.
„Ich habe in einem Fischerdorf bei meinem Großvater gelebt. Wir waren arm, aber das war in Ordnung, weil sich alle umeinander kümmern. Es muss irgendwann früher gewesen sein, weil es keine Autos gab... und so. Es gab aber Touristen. Also Leute, die Ferien bei uns machen,“ erzählte er leise in die Tagesdecke, auf der er lag. „Und diesmal kam ein ziemlich wichtiger Adliger aus Japan. Keiner wusste genau, was Japan eigentlich ist. Irgendein Fantasieland, sehr exotisch und völlig unbekannt. Niemand schien besonders neugierig zu sein, oder sie hatten alle Angst, weil du so wichtig warst und immer Leibwächter dabeihattest. Ich bin euch auf der Straße bis zum Strand hinterhergeschlichen.“
„Und was ist danach passiert?“
Akira ignorierte die Frage und fuhr einfach fort.
„Du hattest einen dunkelblauen Kimono mit kleinen weißen Abzeichen darauf an und hast deine Hände immer in den großen Ärmeln versteckt gehalten. Deine Leibwächter hatten sogar Schwerter. Du hast so wie... wie... Japan ausgesehen. Einfach schön. Und sehr ernst.
Ich bin dir also am Strand hinterhergegangen und ging etwas im Wasser. Dann lag vor mir eine tote Qualle im Sand und...“
„Ja?“ Kei wollte den Rest hören.
„... Damit habe ich dich beworfen.“ Er schmunzelte Kei von der Seite an.
Der Vampir musste schmunzeln, als er sich die Szene vorstellte.
„Aufmerksamkeit,“ erklärte Akira. „Deine Leibwächter wollten mich sofort umbringen. Oder festnehmen oder sowas. Egal, es ist nämlich nicht passiert. Du hast dich nur umgedreht und sie mit einer winzigen Handbewegung aufgehalten. Du hast immer noch ernst ausgesehen. Aber wenigstens hast du mich angesehen. Ich bilde mir ein, dass du neugierig warst.“ Er lächelte. „Wenn ich in einer gefährlichen Situation bin, werde ich trotzig. Also wollte ich mir die Schuhe ausziehen, aber ich hatte gar keine an. Also zeigte ich nur auf meine nackten nassen Füße und dann auf deine in den weißen Socken mit den Sandalen. Und mit meinem Gesicht habe ich dich irgendwie herausgefordert. Du brauchtest für deine Entscheidung sehr lange, also habe ich mich einfach ganz ausgezogen und bin schreiend ins Wasser gerannt. Du gucktest mir verdutzt nach und als ich mich zu dir umdrehte, warst du plötzlich auch nackt im Wasser und deine Leibwächter waren weg.“
Kei lachte ein bisschen.
„Du hast dir einen Arm voll Tang aus dem Wasser gefischt und auf deinem Kopf drapiert und sagtest: ‚Ich bin ein Kelpie.‘ Und ich war fasziniert. ‚So you will drag me under and eat me.‘ Und du sagtest: ‚There is a way out. If you can ride me.‘
Und das wars.“ Akira errötete verspätet, als ihm bewusst wurde, wie der letzte Satz geklungen haben mochte.
Kei schmunzelte zweideutig. „Interessante Träume hast du.“
Mit verschämt geschlossenen Augen nahm Akira seine Hand zurück und drehte sich ganz auf die Seite. „Wie hast du geschlafen?“ fragte er leise, mit Stimme.
„Gar nicht,“ sagte Kei leise.
„Was hast du stattdessen gemacht?“ flüsterte Akira.
„Geraucht, getrunken und herumgesessen.“
Akira drehte wieder den Kopf, um ihn anzusehen. „Mir ist etwas eingefallen.“
„Was?“
„Ein Weg, wie du deine Tante glücklich und Misato ein Sakaikind machen kannst, ohne mit ihr zu schlafen.“
„Schieß los,“ sagte er ruhig.
„Ein Becher.“
Kei hatte an sowas gar nicht gedacht. Er überlegte eine kurze Weile. „Die Idee ist gut...“ Es wäre so oder so ein Sakaikind...
„Ist ja auch meine,“ sagte Akira trocken und richtete sich ein wenig auf, indem er sich auf den Rücken drehte und sich auf die Ellenbogen stützte. Kei saß im Schneidersitz auf dem Bett. In seinem engen T-shirt fiel auf, wie schmal er eigentlich war. Hätte er keine Muskeln, ginge er glatt als magersüchtig durch.
„Ob irgendwer den Inhalt der Minibar vermisst?“
Akira zuckte mit den Schultern. „Warum, war er teuer? Edelwodka?“
„Yo.“ Kei war in der Nacht enttäuscht gewesen, dass die Minibar nicht gefüllter gewesen war.
„Klar, du musst für jeden Schluck persönlich aufkommen, und für die Flasche. Yen für Yen.“
„Nee.“
„So wie du rauchst und trinkst, gefährdest du deine Potenz.“ Akira schmunzelte gehässig.
„Pff.“ Kei schenkte ihm einen giftigen Blick. Akiras Schmunzeln wurde unsicherer und er sah weg. Er hedderte seine Beine um Keis herum zur Bettkante, damit er sich aufsetzen und aufstehen konnte.
Kei hielt ihn fest. Er hielt es für eine sehr ungute Idee, Akira jetzt aufstehen zu lassen. Mit wieder verlegen geröteten Ohren hielt der Junge inne und blieb auf dem Bett sitzen, oder eher knien. Er sah auf Keis Hand an seinem Arm. Kei hielt ihn nicht sehr fest, zog ihn leicht wieder zurück.
Er setzte sich zurück auf seine Füße und sah Kei an.
„Lass uns noch ne Weile hier bleiben,“ sagte der leise.
Akira runzelte leicht die Stirn, während er sich zuerst fragte, ob er seine Tante und dieses Hotel oder dieses Bett in just diesem Moment meinte. Er entschied sich für letzteres und lächelte leise, wobei er wegsehen musste.
In der Tat meinte Kei das Bett. Er ließ sich darauf fallen und zog Akira mit sich in eine mehr oder weniger liegende Position. Der rollte sich neben Kei auf die Seite, um ihn direkt anzusehen, nachdem er sich ein paar störende Haarsträhnen hinter das Ohr gesteckt hatte, damit sie ihn nicht kitzelten.
Kei wollte die Ruhe vor dem Sturm genießen, der vor der Tür sicher nur darauf wartete, dass Akira und er den Raum verlassen würden. Daran aber dachte der Vampir kein Stück, stattdessen nahm er den Kleineren in den Arm und schaute ihm ins Gesicht - leicht lächelnd. Akira erwiderte den Blick mit warmem Lächeln und blinzelte dabei ein bisschen. Er strich Kei sachte mit ein paar Fingerspitzen über die Wange und ließ die Hand dann wieder fallen.
„Will you drag me under and feed on me?“ flüsterte er schmunzelnd. Kei schmunzelte ebenfalls. Seine Hand spielte mit einer von Akiras roten Haarsträhnen als er ihn küsste.
„Hm, du kennst mich zu gut - später.“
Mit wohligem Kribbeln in den Fingern und auf den Lippen erwiderte Akira den Kuss sanft. Er war froh, dass Kei nicht dicht genug bei ihm lag, um festzustellen, welche Wirkung er jetzt und aus dem Traum heraus auf Akiras Körper hatte.
Kei erhielt den Kuss eine ganze Weile aufrecht. Akira hatte auch keine Eile, ihn zu unterbrechen und spielte ein bisschen mit Keis Lippenring herum. Der bittere Geschmack auf seinen Lippen war ein Genuss, weil er aus einer schlaflosen Nacht kam. Irgendwie erschien ihm das bedeutungsvoll.
Irgendwann klopfte es an der Tür.
Das ließ Akira zurückfahren. Kei erschrak nicht, drehte sich aber in Richtung Tür.
„Was?“ rief er, mit dem Drang, seiner Tante den Kopf abzureißen.
„Frühstück,“ brummte es stumpf hinter der Tür. Es war Makoto.
Kei atmete hörbar aus. Frühstück... Ich hab schon welches...
Akira betrachtete nur Keis Kettenanhänger, die auf der Decke lagen, und hoffte, dass sich alles um Kei und ihn herum nun in Wohlgefallen auflösen würde. Vielleicht passierte das ja, wenn er ihre Umwelt nur noch ein bisschen länger leugnete. Was für interessante Anhänger.
„Frühstück,“ wiederholte Makoto, genauso tumb wie zuvor, als keine Antwort kam. Dann allerdings stapfte er von der Tür fort.
„Er is weg,“ verkündete Kei leise und tat es Akira gleich so zu tun, als wäre alles um sie herum einfach nicht da. Zufrieden rückte Akira dichter heran. Er hatte das Bedürfnis dazu. Er roch an Keis T-shirt, in dem auf der einen Schulter noch etwas von seinem Blut hing. Dabei achtete er darauf, dass seine Wölbung vorn in der Hose Keis Körper nicht berührte. Kei legte einen Arm um Akira und vergrub sein Gesicht in seiner Halsbeuge, ohne großartig noch dichter an ihn heranzurücken.
„Durch den Traum weiß ich jetzt,“ raunte Akira Keis Kehle leise und langsam zu, „warum ich immer den Drang habe, dich zu provozieren.“
„Dieses Wissen musst du mit mir teilen.“
Akira antwortete nicht. Er musste nachdenken.
Kei wartete einfach ab.
„... Aufmerksamkeit,“ sagte Akira schließlich. „Weil du darauf reagierst. Ich mache das aber nicht mit Absicht. Du provozierst mich auch,“ erklärte er leise.
„Vielleicht ein bisschen mit Absicht,“ gab Kei zu. Er mochte es, den Kleineren etwas aufzureiben.
Das überraschte Akira. Er stutzte. Er hatte dem Vampir zugetraut, überhaupt nicht wahrzunehmen, was er bei ihm für Reaktionen hervorrief. Und das hatte er auf seine wörtlich zu nehmende Unmenschlichkeit und seine soziale Isolation geschoben. To think that he said some of those things on purpose... Er ließ eine Hand über Kei auf dessen Rücken wandern.
„... Mit Absicht?“
„Ja, manchmal.“ Kei schmunzelte ein kleines bisschen.
„... Warum?“
Darauf wusste Kei wirklich keine sinnvolle Antwort. „Ich hab keine Ahnung davon, wie man vernünftig mit Menschen umgeht,“ wäre eine gewesen, aber die sprach er nicht aus, das wüsste Akira mittlerweile ohnehin.
Als er keine Antwort bekam, zog Akira langsam den Kopf wieder zurück, um Kei anzusehen. Sein Blick war ernst, aber nicht streng, sondern wirkte eher etwas müde oder verträumt.
„Ich sollte dich ohrfeigen,“ erklärte er.
„Wieso?“ wollte Kei wissen und musterte den anderen.
„Weil dus verdient hast,“ flüsterte Akira, der den Kopf wieder hingelegt hatte. „Das meiste, das du sagst, klingt so lapidar. Und manches sagst du darum, weil du weißt, wie ich darauf reagieren werde.“ Er nahm Keis Kinn in die Hand und starrte ihn streng an. „Magst du mich wütend?“
Kei grinste. „Ich hab dich noch nie wirklich wütend erlebt. Einen Versuch wärs wert.“ Akira wirklich wütend zu erleben war tatsächlich etwas, das Kei interessierte. Irritiert blinzelnd ließ Akira ihn los.
„Natürlich hast du das.“
„Sauer unter Drogen, ja. Aber richtig ausgerastst bist du sonst nicht.“ Kei war ruhig, er dachte nach. Akira überlegte auch kurz.
„Stimmt. Du warst beide Male nicht dabei.“
Kei nickte. Er wäre auch nicht gern dabei gewesen.
„Du warst aber dabei, als - Wenn ich wütend bin, mache ich anscheinend Dummheiten. Ich lasse mich öffentlich ziemlich räudig entjungfern, begehe Selbstmord und gehe fremd,“ zählte er nüchtern auf. „Ich mag es nicht, wütend zu sein. Ich mag mich wütend nicht.“
„Ich mag nicht, was du wütend anstellst.“
„Ich auch nicht,“ gab Akira zu.
Kei vergrub sein Gesicht in einem der Kopfkissen. Er wusste nicht, wie er darauf antworten sollte.
„Zeig mir die Frau nochmal.“
„Welche?“
„Die auf deinem Rücken.“
Kei zog sein Shirt etwas umständlich aus und drehte sich um. Akira strich über ihre Konturen und fragte sich, was nun aus Keis Yakuzakarriere werden würde. Kei selbst versuchte, nicht über alles nachzudenken, sein Leben würde noch genug merkwürdige Wendungen nehmen, da war er sich sicher.
Akira küsste seinen Rücken. Kei hatte den Kopf auf seinen Arm gestützt und sah mit geschlossenen Augen in Richtung Wand, wobei er sich auf die Berührung des Kleineren konzentrierte. „Ich befürchte fast, dass es noch lange dauern wird, bis sie mal fertig ist...“
Akira hob etwas den Kopf. „Wird sie überhaupt fertig?“
„Weiß ich nicht. Wenn ich so lange lebe, vielleicht.“
„Wenn du und deine... Bande... die Apokalypse überleben, die Ryuji wahrscheinlich gerade auslöst, meinst du?“
„Ja.“
„So unfertig ist sie auch schön. Sie erfüllt schon ihren Zweck,“ beschloss Akira und küsste und streichelte langsam weiter Keis Rücken. Kei entspannte sich und verabscheidete sich ein Weilchen von seinem Nachdenken der ganzen Nacht, das er versucht hatte zu ertränken - es war nur nicht genug Alkohol dagewesen. Er schmunzelte ein bisschen.
„Kommt drauf an, wem ich über den Weg laufe.“
Akira grinste mit dem Gesicht zwischen Keis Schulterblättern.
„Eins nach dem anderen. Sie ist unvollständig, also funktioniert sie nur da, wos unbedingt nötig ist. Guck uns an. Wir liegen im Bett und führen ein friedliches Gespräch. Du wendest mir den Rücken zu und ich bin noch angezogen. Sie scheint ihren Dienst zu tun.“ Sein Schmunzeln war hörbar.
„Ach, so funktioniert das.“ Er tat überrascht. „Das kann ich ganz schnell ändern.“ Kei grinste. Eigentlich hatte er das gar nicht vor, aber die Idee war gut.
„Ich weiß,“ sagte Akira schlicht und küsste ihn sachte weiter. „Vielleicht solltest du auch ein bisschen schlafen. Ich glaube nicht, dass hier etwas dramatisches passiert.“
„Vielleicht, ja.“ Kei war nicht müde, aber der Gedanke an Schlaf reizte ihn dennoch. Schlafen war friedlich, da passierte gar nichts. Akira setzte sich auf, um sich die Jacke auszuziehen und sie auf Kei auszubreiten. Sie war innen etwas warm. Kei lächelte sanft, als er die Jacke an sich nahm und feststellte, dass sie warm war. Bleibst du hier? Er wollte nicht fragen, wollte aber auch nicht, dass Akira woanders hinging. Akira legte sich wieder hinter Kei und einen Arm um ihn, über der Jacke. Sein Gesicht vergrub er in Keis Haaren. Kei nahm Akiras Hand, bevor er einschlief.