Wednesday, December 16, 2015

Kei + Colin LV: Tante Kaede


Irgendwann, sie saßen eine Weile so herum, klingelte es.
Akira hob kurz den Kopf.
Dann legte er ihn wieder auf Keis Schulter.
Kei wollte nicht öffnen gehen. Als es nochmal klingelte, seufzte er genervt. „Ich bin nicht da,“ verkündete er, als könnte das jemand außer ihnen hören.
Sein Handy machte ebenfalls Anstalten zu nerven.
Akira bekam eine Gänsehaut. Das lag nicht an Kälte oder Furcht, sondern an Keis Reaktion.
„Können die ihre Probleme nicht allein lösen?“ Er drückte Akira ein bisschen.
„Niemand kann seine Probleme allein lösen. Außer dir natürlich.“
„Kann ich das? Sie lösen, mein ich. Ich bring meine Probleme eher um.“ Kei grinste ein bisschen. Nun musste Akira selbst schmunzeln.
„Dann muss ich mich korrigieren. Du hast keine Probleme.“
„Noch ja, aber wenn die sich jetzt alle gegenseitig töten, nicht mehr.“
„Das könntest du aussitzen,“ schlug Akira flüsternd vor.
„Würde ich, wenn ich kein Teil davon wäre,“ erwiderte er leise.
„Bist du nicht, wenn du nicht willst.“
„Dafür müssen erst die Leute sterben, die mich entweder tot sehen oder auf ihre Seite ziehen wollen.“
„Lass sie verrecken. Lass sie sich gegenseitig umbringen,“ bat Akira.
„Es wäre gut, wenn sie mir die Arbeit abnehmen würden...“
Akira ließ Kei los und stieg von ihm herunter, nahm das Handy vom Sofatisch und ging damit zum Fenster.
„Du kannst auch auf Rot drücken,“ schlug Kei vor.
Akira hielt an und sah ihn erst an, dann auf das Telefon. Daran hatte er nicht gedacht. Er drückte den Anrufer weg.
Kei hätte es nicht so sonderlich schlimm gefunden, wenn Akira sein Handy weggeworfen hätte, wirklich gut wäre das aber auch nicht gewesen. „Ich schau mal, wer da klingelt.“ Er stand auf und schlenderte zur Tür. Davor stand sein verhasster Nachbar. „Wie kann ich helfen?“ fragte er, wie die Unschauld vom Lande. Der Mann pampte ihn an, was denn all die Bekloppten in den Straßen sollten. Kei schlug ihm die Tür vor der Nase zu.
Derweil stand Akira weiter nackt beim Wohnzimmerfenster herum und sah immer wieder auf das Telefon in seiner Hand, als würde es das daran hindern, wieder störende Geräusche von sich zu geben.
Kei kehrte zu ihm zurück. „Wusstest du, dass ich schuld an den Straßenschlachten unten bin, die von wem auch immer angezettelt wurden?“ Er schlenderte zu Akira und nahm ihn in den Arm.
„Natürlich. Du bist an Allem schuld.“
„Das muss an mir vorübergegangen sein,“ sagte Kei schmunzelnd. Akira erwiderte das amüsierte Lächeln, als er sich aus Keis Umarmung wand.
„Ich sollte mich wieder anziehen. Ich will der Apokalypse nicht nackt entgegentreten.“
„Nicht?“ Kei machte ein entsetztes Gesicht. „Schade.“ Er grinste leicht.
Das meint der sogar ernst, dachte Akira bei sich, als er sich schmunzelnd seine Hosen wieder anzog. Sie war in kürzester Zeit zugeknöpft und sein T-shirt eilig über den Kopf gekrempelt. Dann setzte Akira sich auf die Sofakante, um sich die Socken wieder anzuziehen. Kei zog sich ebenfalls sein T-shirt wieder an und betrachtete den Kleineren beim Anziehen. Aus seiner Hosentasche zog er ein Zigarettenpäckchen.
Als er wieder komplett angezogen war, nahm der Junge sich die Whiskyflasche vom Tisch, ohne Kei noch einmal angesehen zu haben. Der Vampir zündete sich eine Zigarette an, setzte sich auf den Boden und beobachtete den Kleinen wortlos nachdenkend weiter. Akira nahm einen großzügigen Schluck aus der Flasche, schraubte sie wieder zu und hielt sie auf seinen Oberschenkel gestellt weiter fest, während er sich zurücklehnte und Kei endlich wieder ansah. Er war weiß und sah ziemlich gelassen aus. Mit einer Hand fuhr er sich durch die Haare.
„Du bist wieder tot,“ merkte Kei gelassen an. Lebendig gefällst du mir besser, aber ich kann damit leben. Während er mit einer Hand nach den Whiskyflasche griff, fingerte er mit der anderen an seinen Ketten herum. Er dachte nach. Bringt euch ruhig gegenseitig um... Lasst mir nur einen über...
Akira reichte ihm die Flasche. Er spürte es kaum, wenn sein Körper aufhörte zu arbeiten. Es fiel ihm nur jedesmal auf, wenn er wieder damit anfing. Aber er gewöhnte sich an diesen kalten Zustand. Wenn er tot war, war er so ruhig und selbstbewusst.
Er reagierte nicht auf Keis Kommentar, sondern stand auf und ging auf den Flur, um sich seine Schuhe und Keis Stiefel zu holen.
Kei nahm einen großzügigen Schluck aus der Flasche und sah Akira kurz nach. „Was machst du?“
Akira kam mit den Schuhen zurück und stellte Keis Stiefel neben ihn auf den Boden. Kei zog sie sich wortlos an. Erst als er sie halbwegs verschnürt hatte, schaute er auf. „Wo gehen wir hin?“
„Wir warten. Wenn wir raus müssen, ist es gut, vorbereitet zu sein, nicht?“ Akira saß wieder auf dem Sofa und hatte sich seine Schuhe angezogen.
„Ja.“ Er machte eine lange Pause. „Wir nehmen das wichtigste mit... und das Motorrad.“
Das Haustelefon klingelte.
Kei nahm ab, wenn auch widerwillig, wobei Akira ihn mit einem strafenden Blick bedachte. „Ja?“
Eine sanfte Frauenstimme meldete sich.
„Kei-chan?“
Fassungslos starrte Kei sein Telefon an. „Wer is da?“
„Ich fürchte, wir haben uns nicht mehr gesehen, seit deine Mutter... gestorben ist. Hier ist Kae-chan. Erinnerst du dich an mich?“ sagte die gütige Frauenstimme geduldig.
Kei dachte nach. Das war lange her, aber er hatte sie nicht vergessen. „Ja...Warum rufst du an?“ erkundigte er sich.
„Weil du in Gefahr bist und ich den Sohn meiner Schwester nicht im Stich lassen möchte. Ich bin gerade auf dem Weg zu dir. Mit etwas Glück komme ich vor Ryuji an.“
„Er ist auf dem Weg hierher? Akira, wir haben ein Problem. Ich warte, lass dich nicht umbringen, hier herrscht Chaos.“
„Ich weiß. Wir sind in fünf Minuten vor deinem Haus.“ Sie legte auf.
Kei legte ebenfalls auf und schaute Akira an. „Pack ein bisschen Zeug zusammen.“ Er selbst ging schon einmal ins Schlafzimmer, um die wichtigsten Sachen zusammenzupacken.
Akira packte seine Geige ein, zog sich Jacke und Mütze an und hängte sich den Geigenkasten um. „Wer war das?“
„Meine Tante. Sie ist gleich hier.“ Er packte eine Hose, ein T-shirt und eine Jacke, sowie Zigaretten, Feuerzeug und Motorradschlüssel ein, gefolgt von seinen Ketten, die er nicht missen wollte. An seiner Hose hingen bereits drei Stück. Gern hätte er auch die Gitarre mitgenommen, aber er würde sich irgendwo eine neue besorgen können.
Er hatte keine Ahnung, wie viel seine Tante überhaupt wusste. Als er sie zum letzen Mal gesehen hatte, war er keine sieben Jahre alt gewesen.
„Du hast eine Tante?!“ Als er sah, was Kei alles einpackte, stopfte Akira noch seine Zahnbürste und seine paar neugekauften Kleider in Keis Rucksack.
„Ja, aber ich hab sie seit Jahren nicht gesehen. Sie kennt mich als kleines Kind.“
„Was -“ Was will sie jetzt von dir und woher weiß sie wo du wohnst-
Es erschien ihm unpassend, gerade jetzt diese Fragen zu stellen, also ließ er es. Das Telefon hätte ihn sowieso unterbrochen, als es wieder klingelte.
„Was zum -?“ Kei ging dran. „Ja?“
Es war Kaede. „Beeil dich. Der silberne Toyota,“ drängte sie.
„Bin auf dem Weg.“ Er legte wieder auf und nahm den Motorradhelm. „Unten steht ein silberner Toyota, steig ein, ich fahr euch nach.“
Akira nickte und ging hinaus.

Unten vor der Tür öffnete sich die Hintertür der Limousine, als Akira aus der Tür kam.
„Du nimmst Akira mit, ich fahre euch nach!“ rief Kei und packte seinen Rucksack in den Wagen, bevor er sich auf den Weg zur Garage machte.
Akira rutschte neben den Rucksack auf die Rückbank und schloss die Tür. Die Frau neben ihm blinzelte ihn überrascht an.
„Los, fahr,“ kommandierte sie den Mann am Steuer. Der Fahrer wendete auf der Straße und fuhr scheinbar den Weg zurück, den sie gekommen waren. Dieses Manöver hatte Kei genug Zeit gelassen, sich auf der Straße zu ihnen zu gesellen.
Sie verließen rasch den Stadtteil und nahmen die erste Schnellstraße, die sie erreichten. Die verließen sie auch bald wieder, nur um bei der nächsten Gelegenheit wieder irgendwo abzubiegen. Scheinbar wollte der Fahrer verhindern, dass man ihren Weg nachvollziehen konnte. Er achtete jedoch darauf, dass Kei immer hinter ihnen blieb.
Akira prüfte das mit häufigen Blicken aus dem Fenster nach. Die Frau neben ihm tat dasselbe.
„Wer bist du?“ fragte sie ihn. Ihre Augen sahen aus wie Keis. Nein, nicht ganz. Sie waren hellbraun. Aber sie schienen auch etwas zu leuchten. Akira war fasziniert.
„Akira.“
„Akira... und weiter?“ fragte sie freundlich.
„... Fujita.“
Sie nickte. Offenbar musste sie noch Fragen haben, schien dies aber nicht für den richtigen Moment zu halten, um sie zu klären.
„Ich bin Kaede Kobayashi. Keisukes Tante.“
„... Sind Sie Kiras Schwester?"
Sie lachte. „Nein, Süßer.“
Kei blieb immer dicht hinter ihnen, das Visier des Helms nicht ganz geschlossen. Er dachte darüber nach, was die beiden jetzt wohl gerade besprachen. Sein Fahrstil war etwas ordnungswidrig, aber keinen Beamten interessierte das. Das Schwert war sowieso im Auto. Genau wie ein paar andere brauchbare Waffen.
Akira hielt sich an seinem Geigenkasten fest, den er auf den Knien stehen hatte. Er hatte selbst einige Fragen, die aber ziemlich privater Natur und auch kein guter Gesprächsstoff für eine Flucht waren, also biss er sich auf die Zunge.
Irgendwann, nach vielen komplizierten Umwegen, fuhren sie beim Hotel Miwa vor. Entgeistert starrte Akira auf den beleuchteten goldenen Schriftzug mit den fünf Sternen. Alles klar, ausgerechnet hier. Hier hatte ungefähr jetzt die Hochzeitsfeier von Hiroki und seiner Mutter stattfinden sollen.
Kei schaute etwas verwirrt, als er neben dem Wagen hielt. „Musstest du hier hinfahren?“ fragte er.
„Was soll diese Frage? Ich wohne immer hier, wenn ich in Tokyo bin,“ informierte die Dame ihn, als sie graziös aus dem Wagen stieg. Akira tat es ihr gleich, wenn auch nicht so elegant. Er schulterte Keis schweren Rucksack, auf den das Schwert gebunden war und in dem es ominös klapperte. Als er die Tür geschlossen hatte, fuhr der Fahrer langsam weiter, zur Tiefgarage des Hotels. Der bullige junge Mann, der stumm auf dem Beifahrersitz saß, blieb ebenfalls im Auto.
„Meinst du nicht, dass man uns dann sehr leicht hier finden könnte?“ fragte er ruhig. Er nahm Akira den Rucksack ab.
„Wenn die beiden Versager auch nur ein bisschen über mich wüssten, dann ja. Aber glücklicherweise tun sie das nicht. Sie werden jetzt noch etwas Spaß haben und sich dann beruhigen. Kommt erstmal mit rein.“ Kaede hatte Kei gründlich gemustert und legte nun eine Hand auf Akiras Schulter. „Das Motorrad kannst du zum Auto in die Tiefgarage stellen. Kiba und Makoto werden dich dann zur Suite bringen.“
„Okay.“ Er sah Akira mit einem ruhigen Blick an. „Bis gleich.“ Schnell verschwand er mit dem Motorrad in der Tiefgarage.
Akira folgte der Dame durch das riesige Foyer, in den Fahrstuhl, und durch den breiten Gang im obersten Stockwerk zu ihrer Suite. Nummer 3001. Es war das einzige ‚Zimmer‘ für Gäste hier oben, stellte er fest.
Diese Suite war extrem edel eingerichtet. Die Zimmer wechselten im Stil, mal japanisch, mal europäisch... im Wohnzimmer auf einem der riesigen Sofas lag ein außergewöhnlich hübsches Mädchen, das sich aufsetzte und den großen Fernseher, der an der Wand hing, stummsschaltete, als sie hereinkamen. Ihre Augen waren so blau wie Keis und sahen Akira verwundert an. Sie musterte Akira neugierig, bis Kei mit Kiba und Makoto hereinkam, und sah dann ihn fasziniert an. Er sah sich erst einmal um.
Der bullige junge Makoto, der ziemlich stumpfsinnig wirkte, stapfte sofort zu einem Sessel, auf den er sich schnaufend fallenließ und nahm sich die Fernbedienung.
Mit dem Chauffeur Kiba wechselte Kaede an der Tür ein paar leise Worte, woraufhin er nickte, sich ein bisschen verbeugte und sie allein ließ.
„Also!“ verkündete sie in den Raum.
Kei, der das ihm bis dato unbekannte Mädchen musterte, horchte auf, ging in den Raum zu Akira und drehte sich um.
„Mako-chan, Misa-chan, das ist euer Cousin Keisuke!“
Akira musterte die beiden sehr unähnlichen Geschwister. Er hat also doch eine Familie, eh...
Das Mädchen stand auf, so graziös und schön wie ihre Mutter, und lächelte Kei warm an. ‚Mako-chan‘ grunzte nur und starrte auf den Fernseher.
Kei schaute leicht verwirrt drein. Er hatte nicht gewusst, dass er lebende Verwandtschaft hatte. Mit einem Seitenblick in Richtung Akira ließ er den Kleineren wissen, dass er keine Ahnung gehabt hatte.
Er verbeugte sich knapp. Das Mädchen verbeugte sich auch mit einem begeisterten Lächeln.
„Misato. Schön, euch kennenzulernen.“
Verspätet fiel Akira ein, sich auch zu verbeugen.
„Akira Fujita,“ sagte er und erwiderte das Lächeln unsicher. Nun sah der junge Mann auch zu ihnen herüber und brummte „Makoto.“ Er musterte beide noch kurz, ehe er seine Aufmerksamkeit wieder dem Bildschirm zuwandte.
Kaede strahlte begeistert und ließ sich auf einem anderen Sessel nieder. Wie man das mit solcher Eleganz machen konnte, war Akira ein Rätsel. Außerdem sah ihr Rock dafür etwas zu eng aus, aber das schien ihr nichts auszumachen. Er sah Kei auch kurz von der Seite an.
Der setzte sich weit weniger grazil auf den Boden und fuhr sich durch die Haare. „Was genau machen wir jetzt?“
Leicht verwundert nahmen alle anderen, einschließlich Akira, Keis Sitzplatzwahl zur Kenntnis, angesichts der zwei großen Sofas und der zwei freien Sessel. Misato setzte sich wieder auf das Sofa und Akira folgte ihr zaghaft und nahm mit höflich großem Abstand neben ihr Platz.
„Nun, Kei-chan, Akira-kun... wie wäre es mit Tee und ein paar Antworten?“ fragte Kaede lächelnd. Sie warf Makoto einen Blick zu, der nicht erwidert wurde, aber irgendwie schien er ihn dennoch wahrzunehmen, denn er griff zum Telefon, das neben ihm auf einem kleinen Tisch stand, und rief den Zimmerservice an.
Kei bedachte seine Tante mit einem Todesblick, nickte aber leicht. Er saß nicht weit von Akira entfernt. „Was willst du wissen?“
Der Blick perlte an ihr ab wie Wasser an Teflon, als sie ihren eigenen freundlichen Akira zuwandte, der den Geigenkasten auf seinem Schoß unwillkürlich etwas fester griff.
„Beginnen wir mit deinem Namen. Er kommt mir etwas arg japanisch vor, für einen jungen Briten.“ Sie lächelte sanft.
Akira sah unsicher zu Kei.
Der sah ihn warm an. „Man kann ihr nichts vormachen,“ sagte er ruhig. Als Kind hab ich das gehasst...
Akira sah auf seine weißen Hände.
„...“
„Nun? Habt ihr geglaubt, dass du dich für immer bei ihm verstecken kannst?“ Sie sah Akira weiter freundlich an.
„Naja...“
Misato sah ihn stumm und neugierig an.
„... Ich bin tot. Dachte ich.“
Kei schaute ihn an, dann seine Tante, dann wieder Akira. Sein Blick blieb dort. Nein... Du bist nicht tot. Nicht nur.
„Das ist richtig,“ sagte Kaede geduldig.
„Du hast keinen Puls!“ flüsterte Misato erschrocken. Sie sah zu ihrer Mutter, als hätte sie eine Antwort darauf, aber die wandte den Blick nur zu Kei.
„Der Junge scheint sehr an dir zu hängen. Ich hoffe, du weißt das.“
Makoto hatte nur Augen für die Gameshow.
Kei nickte. „Woher wusstest du, dass wir in... ehm, Schwierigkeiten stecken?“
Sie seufzte. „Ich fürchte, ich habe einen Fehler gemacht. Bis vor Kurzem glaubten die beiden Wahnsinnigen noch, du seist tot. Das musste sein, damit sie dich in Ruhe lassen. Leider muss ich mich irgendwie verraten haben,“ sagte sie mit bedauerndem Blick auf den Kristalltisch.
Kei seufzte. „Und als sie erfahren haben, dass ich lebe, haben sie beschlossen, mich auch noch umzubringen. Ich frage mich, warum er mich damals nicht getötet hat.“ Er war ruhig. Er wirkte, als mache ihm all das nicht viel aus.
„Oh, das wollte er nicht.“ Kaede wirkte überrascht. Besorgt musterte sie Kei zum dutzendsten Mal. „Masako hat er auch nicht mit Absicht umgebracht.“
Akira und Misato verfolgten das Gespräch gebannt.
„Hast du unsere Wohnung gesehen? Das sah nicht nach einem Versehen aus... ihre Leiche auch nicht.“
Sie stand auf und warf den drei anderen Jugendlichen einen Blick zu. „Lass uns dieses Gespräch nebenan weiterführen. Der Tee muss gleich kommen. Fangt ihr schon ohne uns an.“ Mit diesen Worten ging sie zu einer schwarzlackierten Tür und öffnete sie.
Akira sah Kei besorgt an. Misato auch. Makoto blickte ernst auf den Fernseher. Es war ein knapper Punkteabstand. Sehr spannend.
Kei stand auf und folgte ihr langsam.
Akira sah ihm nach und legte seinen Geigenkasten auf den Tisch.
Kaede sah Kei sanft an und schloss die Tür hinter ihm. Dieser Raum war ein Arbeitszimmer. Hier stand auch ein kleines Sofa, auf das Kaede sich gleich setzte. Sie bedeutete Kei, auch Platz zu nehmen.
Kei setzte sich. „Was weißt du, das ich nicht weiß?“
Sie lächelte sanft. „Weißt du, wie viele Vampire es auf der Welt gibt, Keisuke?“
„Mehr als ein Paar, soviel ist sicher.“
„Mehr als ein Paar.“ Sie schmunzelte. „Sehr wenige.“
„Das erklärt rein gar nichts...“ Kei war davon ausgegangen, dass es viele gäbe. Es wäre schließlich unsinnig, mit drei starken Leuten zu versuchen, Tokyo zu zerstören...
Kaede hob etwas die Hand.
„Kira weiß, wie wenige wir sind. Darum hätte er, selbst er, Masako nicht getötet... Er musste sich gegen sie verteidigen.“
Kei sah sie verwirrt an. „Weshalb?“ Es war nie irgendetwas vorgefallen, bis zu dem Tag.
„Masako hatte erfahren, dass er mit mir geschlafen hat. Misato ist deine Halbschwester.“ Kaede sah Kei sehr ernst an und nahm seine Hand. „Sie hat ihn sehr geliebt, und hat nicht verstanden, warum das nötig war. Die Konfrontation ist... hässlich geworden.“
Kei sortierte seine Gedanken. „Ich verstehe das auch nicht.“
Nebenan wurde der Ton des Fernsehers wieder eingeschaltet.
„Wenn unsere Generation sich nicht stärker fortpflanzt, sterben wir bald aus. Es muss immer weniger von uns geben als von unserem Vieh. Und da wir sehr lange leben, herrscht mit dem Kinderzeugen keine große Eile. Aber wir werden nicht nur von Menschen getötet, sondern bringen uns auch gegenseitig um. Und du weißt selbst, dass das sehr leicht ist. Familien wie unsere sind sehr selten. Masako wurde Kira zugeteilt, und ich Ryuji.“
„Hm. Und was sollte Ryujis Aktion auf dem Schuldach vor einigen Stunden?“ Kei war verwirrt.
Kaede stutzte und sah Kei vorsichtig an.
„Sie haben dich schon gefunden?“
„Ja. Aber er ist wieder gegangen.“
Sie runzelte die Stirn. Sogar das sah elegant aus. „Hat er irgendetwas gesagt?“
„Nichts relevantes, nein.“
Sie blinzelte. „Nun. Er ist dir doch nicht gefolgt?“
„Ich denke nicht.“
„Natürlich nicht. Wenn dem so wäre, hätte ich dich nicht mehr erreicht. Kei-chan.“ Sie sah ihn weiter so ernst an und drückte seine Hand etwas. „Es gibt noch einen Grund, weshalb ich hier bin.“
„Welchen?“ Kei hasste es, wenn man -chan an seinen Namen hängte.
„Die beiden wissen nun, dass du noch lebst, also ist es noch dringender geworden - Du musst unsere Familie retten.“ Sie ließ Keis Hand los und stand plötzlich auf.
„Inwiefern?“ Kei ahnte, was seine Tante jetzt sagen könnte. Sie ging zur Tür, öffnete sie und winkte jemanden herein.
Als Misato eintrat, zog sie die Tür hinter sich zu und setzte sich auf den stummen Geheiß ihrer Mutter neben Kei. Kaede lehnte sich vor ihnen an den großen Holzschreibtisch.
Kei sah sie neutral verwirrt an.
„Was genau meinst du?“ fragte er seine Tante, während sich ein Fragezeichen in sein Gehirn malte.
„Ich kann keine Kinder mehr bekommen -“ erklärte sie sanft. Sie nickte zu Misato, die Kei nur einen kurzen Blick zuwarf und dann entschlossen auf ein Bild an der Wand starrte. „Darum brauchen wir dich und Misa-chan.“
„Nein,“ sagte er knapp. Kira ist darin gut, sag dem bescheid...
Kaede lächelte traurig. „Nein? Misato und ich sind in ganz Kanto die einzigen weiblichen Vampire. Männer gibt es auch nur eine Handvoll. Was bei Ryuji herauskommt... Makoto ist das einzige seiner Kinder, das überlebt hat, und er ist ein wahnsinniger Idiot, genau wie sein Vater. Schlägst du vor, dass ich von Misato verlange, mit ihrem eigenen Vater zu schlafen?"
„Hast dus schon mal im Ausland versucht? Du sagst, ich bin ihr Bruder.“ Mal ganz davon abgesehen hab ich Akira...
„Halbbruder.“ Kaede nickte müde lächelnd.
„Keisuke,“ Misato wandte sich ihm zu. „Es ist wirklich wichtig. Und es wäre auch nur einmal.“
Kei stand auf und ging ins Wohnzimmer zurück.
Kaede seufzte und Misato sah ihm enttäuscht nach.
„Akira.“ Er nahm eine Zigarette aus der Schachtel aus der Hosentasche. Der Fernseher lief noch und der Geigenkasten lag noch auf dem Tisch, hinter einem edlen Teeservice, aber Akira und Makoto waren fort. Kei trat gegen das Sofa. „Verdammt!“ Er schaute seine Tante durch die offene Tür an. „Ich muss mit ihm reden.“
Eine andere Tür öffnete sich einen Spalt und Akira steckte den Kopf in den Raum.
„Habe ich deine süße Stimme vernommen?“ fragte er halbernst. Makotos Kopf kam über seinem durch den Türspalt.
„Ich muss mit dir reden,“ sagte Kei ernst aber ruhig.
„Gut,“ sagte Akira, lächelte Makoto kurz an und kam ins Wohnzimmer zurück. Er winkte den dumpf grinsenden Jungen in sein Zimmer zurück, der tatsächlich ohne zu Zögern die Tür schloss. Auch Kaede schloss die Arbeitszimmertür wieder, um die beiden in Ruhe zu lassen.
„Spielst du Kindergärtner?“ fragte Kei unernst. „Ich machs kurz. Mein Tantchen will, dass ich mit Misato ein Kind in die Welt setze.“
Akira lachte.
„Ich verarsch dich nicht. Ich hab Nein gesagt.“
Wieder lachte Akira, etwas ungläubiger. „Warum?“
„Ich will nicht. Ich hab dich. Ich will dich nicht mit meiner Schwester bescheißen.“
Akira kniff verwirrt die Augen zusammen und hob die Hände.
„Wa wa mo- moment. Warum sollst du deine Schwest- Misato ist deine Schwester?“
„Halbschwester. Ich weiß das auch erst seit eben.“
„Ihr sollt zusammen ein Kind machen? Wa-?“ Er war nicht mehr belustigt.
„Sie begründet das damit, dass es nicht viele männliche Vampire gibt, und sie sie nicht zu Kira schicken will. Sie ist übrigens auch seine Tochter.“ Er machte eine Pause. „... Ich habe nicht vor, meine Meinung zu ändern.“
Akira blinzelte ein bisschen und setzte sich mit verschränkten Armen auf eine Armlehne des nächstbesten Sessels. Er schien nachzudenken.
„Dein Vater muss ja der schönste Mann der Welt sein,“ merkte er an. Äh, ja, genau, das irrelevanteste muss laut ausgesprochen werden. „Ich meine - Misato muss unbedingt ein Kind kriegen?“
„Anscheinend. Soll sie, meinetwegen, aber nicht von mir. Es gibt noch mehr Vampire als mich, Ryuji und Kira. Soll sie im Ausland suchen.“
Plötzlich ging die Tür zum Arbeitszimmer auf.
„Haben wir doch! Wir waren in Vietnam, in Korea, Australien, USA, Brasilien...!“ rief Misato. Kaede legte eine Hand auf ihre Schulter und kam zurück ins Wohnzimmer.
„Es gab wirklich genug Kandidaten, aber keinen, den ich an meine Tochter lassen würde.“ Sie sah Akira ernst an. „Akira-kun. Für euch beide bedeutet es nichts. Es sichert nur das Überleben von Keisukes Familie.“
Kei sah seine Tante mit unveränderter Miene an. Akira sah zu ihm, dann zurück zu Kaede.
„Warum brauchst du unbedingt ein Kind?“ fragte er Misato.
„Damit wir nicht aussterben,“ sagte Misato niedergeschlagen, aber nachdrücklich.
Kei sah sie an. „Du lebst ziemlich lange, weißt du. Da findet sich wer zum Kinder zeugen.“
Wieder seufzte Kaede. „Ich kann dich nicht zwingen...“ sagte sie leise, während sie zu ihrem Sessel zurückging. Sie goss sich eine Tasse Tee ein und setzte sich. „Ich hoffe nur, dass du es dir bald anders überlegst. Ehe es zu spät ist.“
Kei seufzte und ließ sich auf das Sofa fallen. Er zog die Beine an den Körper und stützte den Kopf auf die Knie. „Du weißt, dass ich das nicht werde.“
Misato machte ein frustriertes Geräusch.
„Du bist der erste, den ich nehmen würde, und du willst mich nicht!“ rief sie dramatisch und drehte sich wieder ins Arbeitszimmer, dessen Tür sie zuknallte. Akira, der sich auch wieder auf das Sofa gesetzt hatte, zuckte zusammen.
Makoto steckte wieder den Kopf in den Raum. Als ihn niemand zu bemerken schien, verzog er sich aber wieder.
„Was wäre daran so schlimm? Sie ist hübsch, es dürfte also kaum schwerfallen...“ überlegte Kaede mit der Teetasse vor dem Gesicht.
Akira nahm sich einen Keks. „Ja, was wäre daran so schlimm? Ich würds machen,“ sagte er salopp.
Kei war genervt, zeigte das aber nicht. Akiras Kommentar ignorierte er einfach. „Nein. Ich bin mit Akira zusammen. Ich bescheiße meinen Freund nicht. Auch nicht mit meiner Halbschwester, aus welchem Grund auch immer.“ Er stand auf und ging zum Fenster.
„Betrügt er dich, wenn du es weißt?“ fragte Kaede hypothetisch. Akira überlegte.
„Nein. Vorausgesetzt, er weiß auch, dass ich es weiß, und ich bin einverstanden. Ist eine dieser Voraussetzungen nicht gegeben, handelt es sich um Betrug,“ beschloss Akira. Sie tranken beide einen Schluck.
„Wärst du einverstanden?“ fragte Kaede lächelnd.
„Das kommt darauf an,“ sagte Akira gelassen.
„Auf was?“ Sie tranken wieder gleichzeitig.
Kei schaute abwesend aus dem Fenster, hörte den beiden aber zu.
„Auf die Konditionen. Für einen guten Zuchthengst gibt es immer eine Prämie.“ Akira sah Kaede fest an, die lachen musste.
Kei bedachte Akira mit einem Blick der sagte: ‚Genau jetzt würde ich dich gerne töten, aber du weißt, dass das nicht geht.‘
Akira begegnete seinem Blick, und sein amüsiertes Lächeln wurde etwas ernster. Er stellte die Teetasse hin. „Setzen Sie uns vor die Tür, wenn ers nicht macht?“ fragte er leise, aber bestimmt.
Kei hatte sich die Kippe angezündet. Er schaute seine Tante an. „Jetzt mal vom Fortbestand meiner Familie abgesehen, warum? Warum jetzt? Was denkst du dir dabei?“
„Wie Misa-chan schon sagte, wir waren fast überall. Du bist die letzte Adresse.“ Auf Akiras Frage hin schüttelte sie sachte den Kopf.
Kei hatte vieles im Kopf, das er hätte sagen wollen, ließ es aber. Sein Gesicht verriet, dass er seine Meinung nicht ändern würde.
„Nun. Es gibt hier nur drei Schlafzimmer. Makoto wird es aber nichts ausmachen, sein Zimmer mit euch zu teilen. Falls ihr Schlaf braucht.“

Kei ließ das Schlafen bleiben. Ihm war nicht nach Entspannug. Stattdessen setzte er sich auf die Fensterbank des Schlafzimmers, neben sich die erstbeste Flasche harten Alkohols, die er im Raum gefunden hatte und ein Päckchen Kippen. Am Vortag war seine Welt noch größtenteils in Ordnung gewesen und jetzt lag fast alles in Trümmern, woraus sie bestanden hatte. Er blickte abwechselnd zum Fenster und zu Akira.
„I cannot do this. You are all that's left,“ murmelte er mehr zu sich selbst und mehr gedacht als alles andere.
Akira lag auf einer Seite des großen Bettes und war eingeschlafen, sobald er sich hingelegt hatte. Er hatte sich nicht ausgezogen oder zugedeckt, selbst die Jacke hatte er noch an und seine Mütze lag neben ihm auf der Decke. Nur seine Schuhe hatte er ausgezogen und irgendwo bei der Tür fallenlassen.
Makoto schien an Schlaf kein Interesse zu haben und hatte sein Zimmer den beiden überlassen, indem er im Wohnzimmer weiter das Fernsehprogramm verfolgte.
Kei leerte die Flasche mit fortschreitender Zeit. Das Fenster hatte er geöffnet, weil er den Raum nicht verqualmen wollte. Als er feststellte, dass seine Flasche leer war, warf er sie einfach nach draußen, genau wie die Zigarettenstummel. So saß er die ganze Nacht da.

5. JANUAR
Akira blieb die meiste Zeit reglos und tot, doch gegen Morgen begann er sanft zu atmen und sich zwischendurch leicht zu drehen.
Makoto ließ sie in Ruhe und kam im Laufe der Nacht nicht in sein Zimmer zurück. Die Fernsehgeräusche, die kontinuierlich durch die Tür hereindrangen, ließen vermuten, dass er sich vor dem Bildschirm aufhalten würde, bis ihn jemand woandershin beorderte.
Erst als der Himmel grauer wurde, wurden gedämpft Stimmen hörbar, die nicht aus den Lautsprechern kamen.
Kei stand irgendwann auf und setzte sich auf das Bett neben Akira, hörte seinem Lebendigsein zu und lauschte den Stimmen aus dem Nebenraum. Scheinbar führten Misato und Kaede kurze Alltagsgespräche, zu denen Makoto nur wenig beitrug, und bewegten sich dabei durch die Räume der Suite. Viel war dabei nicht zu hören.
Irgendwann wurde die Tür zur Suite geöffnet und Kaede sprach kurz höflich mit einer Fremden, daraufhin war Geschirrklappern zu hören.
Kei konzentrierte sich auf Akira und nahm vorsichtig dessen Hand. Der zog sie leicht zusammen, atmete leise aus und öffnete langsam die Augen. Kei sah ihn an und behielt die Hand in seiner. Er lächelte leicht. Man sah ihm nicht an, dass er nicht geschlafen hatte. Akira erwiderte das Lächeln benebelt. Als er kurz darauf zu sich kam, drehte er den Kopf und drückte sein Gesicht verlegen etwas gegen das Kissen.
„Gut geschlafen?“
„Ja.“ Akira schien keine Stimme zu haben und flüsterte bloß. „Willst dus hören?“
Kei nickte leicht.
Das konnte Akira nur aus dem Augenwinkel sehen, weil er zu verlegen war, um Kei direkt anzusehen. Als keine verbale Antwort kam und er immer noch seine Hand hielt, nahm er das also als ein Ja.
„Ich habe in einem Fischerdorf bei meinem Großvater gelebt. Wir waren arm, aber das war in Ordnung, weil sich alle umeinander kümmern. Es muss irgendwann früher gewesen sein, weil es keine Autos gab... und so. Es gab aber Touristen. Also Leute, die Ferien bei uns machen,“ erzählte er leise in die Tagesdecke, auf der er lag. „Und diesmal kam ein ziemlich wichtiger Adliger aus Japan. Keiner wusste genau, was Japan eigentlich ist. Irgendein Fantasieland, sehr exotisch und völlig unbekannt. Niemand schien besonders neugierig zu sein, oder sie hatten alle Angst, weil du so wichtig warst und immer Leibwächter dabeihattest. Ich bin euch auf der Straße bis zum Strand hinterhergeschlichen.“
„Und was ist danach passiert?“
Akira ignorierte die Frage und fuhr einfach fort.
„Du hattest einen dunkelblauen Kimono mit kleinen weißen Abzeichen darauf an und hast deine Hände immer in den großen Ärmeln versteckt gehalten. Deine Leibwächter hatten sogar Schwerter. Du hast so wie... wie... Japan ausgesehen. Einfach schön. Und sehr ernst.
Ich bin dir also am Strand hinterhergegangen und ging etwas im Wasser. Dann lag vor mir eine tote Qualle im Sand und...“
„Ja?“ Kei wollte den Rest hören.
„... Damit habe ich dich beworfen.“ Er schmunzelte Kei von der Seite an.
Der Vampir musste schmunzeln, als er sich die Szene vorstellte.
„Aufmerksamkeit,“ erklärte Akira. „Deine Leibwächter wollten mich sofort umbringen. Oder festnehmen oder sowas. Egal, es ist nämlich nicht passiert. Du hast dich nur umgedreht und sie mit einer winzigen Handbewegung aufgehalten. Du hast immer noch ernst ausgesehen. Aber wenigstens hast du mich angesehen. Ich bilde mir ein, dass du neugierig warst.“ Er lächelte. „Wenn ich in einer gefährlichen Situation bin, werde ich trotzig. Also wollte ich mir die Schuhe ausziehen, aber ich hatte gar keine an. Also zeigte ich nur auf meine nackten nassen Füße und dann auf deine in den weißen Socken mit den Sandalen. Und mit meinem Gesicht habe ich dich irgendwie herausgefordert. Du brauchtest für deine Entscheidung sehr lange, also habe ich mich einfach ganz ausgezogen und bin schreiend ins Wasser gerannt. Du gucktest mir verdutzt nach und als ich mich zu dir umdrehte, warst du plötzlich auch nackt im Wasser und deine Leibwächter waren weg.“
Kei lachte ein bisschen.
„Du hast dir einen Arm voll Tang aus dem Wasser gefischt und auf deinem Kopf drapiert und sagtest: ‚Ich bin ein Kelpie.‘ Und ich war fasziniert. ‚So you will drag me under and eat me.‘ Und du sagtest: ‚There is a way out. If you can ride me.‘
Und das wars.“ Akira errötete verspätet, als ihm bewusst wurde, wie der letzte Satz geklungen haben mochte.
Kei schmunzelte zweideutig. „Interessante Träume hast du.“
Mit verschämt geschlossenen Augen nahm Akira seine Hand zurück und drehte sich ganz auf die Seite. „Wie hast du geschlafen?“ fragte er leise, mit Stimme.
„Gar nicht,“ sagte Kei leise.
„Was hast du stattdessen gemacht?“ flüsterte Akira.
„Geraucht, getrunken und herumgesessen.“
Akira drehte wieder den Kopf, um ihn anzusehen. „Mir ist etwas eingefallen.“
„Was?“
„Ein Weg, wie du deine Tante glücklich und Misato ein Sakaikind machen kannst, ohne mit ihr zu schlafen.“
„Schieß los,“ sagte er ruhig.
„Ein Becher.“
Kei hatte an sowas gar nicht gedacht. Er überlegte eine kurze Weile. „Die Idee ist gut...“ Es wäre so oder so ein Sakaikind...
„Ist ja auch meine,“ sagte Akira trocken und richtete sich ein wenig auf, indem er sich auf den Rücken drehte und sich auf die Ellenbogen stützte. Kei saß im Schneidersitz auf dem Bett. In seinem engen T-shirt fiel auf, wie schmal er eigentlich war. Hätte er keine Muskeln, ginge er glatt als magersüchtig durch.
„Ob irgendwer den Inhalt der Minibar vermisst?“
Akira zuckte mit den Schultern. „Warum, war er teuer? Edelwodka?“
„Yo.“ Kei war in der Nacht enttäuscht gewesen, dass die Minibar nicht gefüllter gewesen war.
„Klar, du musst für jeden Schluck persönlich aufkommen, und für die Flasche. Yen für Yen.“
„Nee.“
„So wie du rauchst und trinkst, gefährdest du deine Potenz.“ Akira schmunzelte gehässig.
„Pff.“ Kei schenkte ihm einen giftigen Blick. Akiras Schmunzeln wurde unsicherer und er sah weg. Er hedderte seine Beine um Keis herum zur Bettkante, damit er sich aufsetzen und aufstehen konnte.
Kei hielt ihn fest. Er hielt es für eine sehr ungute Idee, Akira jetzt aufstehen zu lassen. Mit wieder verlegen geröteten Ohren hielt der Junge inne und blieb auf dem Bett sitzen, oder eher knien. Er sah auf Keis Hand an seinem Arm. Kei hielt ihn nicht sehr fest, zog ihn leicht wieder zurück.
Er setzte sich zurück auf seine Füße und sah Kei an.
„Lass uns noch ne Weile hier bleiben,“ sagte der leise.
Akira runzelte leicht die Stirn, während er sich zuerst fragte, ob er seine Tante und dieses Hotel oder dieses Bett in just diesem Moment meinte. Er entschied sich für letzteres und lächelte leise, wobei er wegsehen musste.
In der Tat meinte Kei das Bett. Er ließ sich darauf fallen und zog Akira mit sich in eine mehr oder weniger liegende Position. Der rollte sich neben Kei auf die Seite, um ihn direkt anzusehen, nachdem er sich ein paar störende Haarsträhnen hinter das Ohr gesteckt hatte, damit sie ihn nicht kitzelten.
Kei wollte die Ruhe vor dem Sturm genießen, der vor der Tür sicher nur darauf wartete, dass Akira und er den Raum verlassen würden. Daran aber dachte der Vampir kein Stück, stattdessen nahm er den Kleineren in den Arm und schaute ihm ins Gesicht - leicht lächelnd. Akira erwiderte den Blick mit warmem Lächeln und blinzelte dabei ein bisschen. Er strich Kei sachte mit ein paar Fingerspitzen über die Wange und ließ die Hand dann wieder fallen.
„Will you drag me under and feed on me?“ flüsterte er schmunzelnd. Kei schmunzelte ebenfalls. Seine Hand spielte mit einer von Akiras roten Haarsträhnen als er ihn küsste.
„Hm, du kennst mich zu gut - später.“
Mit wohligem Kribbeln in den Fingern und auf den Lippen erwiderte Akira den Kuss sanft. Er war froh, dass Kei nicht dicht genug bei ihm lag, um festzustellen, welche Wirkung er jetzt und aus dem Traum heraus auf Akiras Körper hatte.
Kei erhielt den Kuss eine ganze Weile aufrecht. Akira hatte auch keine Eile, ihn zu unterbrechen und spielte ein bisschen mit Keis Lippenring herum. Der bittere Geschmack auf seinen Lippen war ein Genuss, weil er aus einer schlaflosen Nacht kam. Irgendwie erschien ihm das bedeutungsvoll.
Irgendwann klopfte es an der Tür.
Das ließ Akira zurückfahren. Kei erschrak nicht, drehte sich aber in Richtung Tür.
„Was?“ rief er, mit dem Drang, seiner Tante den Kopf abzureißen.
„Frühstück,“ brummte es stumpf hinter der Tür. Es war Makoto.
Kei atmete hörbar aus. Frühstück... Ich hab schon welches...
Akira betrachtete nur Keis Kettenanhänger, die auf der Decke lagen, und hoffte, dass sich alles um Kei und ihn herum nun in Wohlgefallen auflösen würde. Vielleicht passierte das ja, wenn er ihre Umwelt nur noch ein bisschen länger leugnete. Was für interessante Anhänger.
„Frühstück,“ wiederholte Makoto, genauso tumb wie zuvor, als keine Antwort kam. Dann allerdings stapfte er von der Tür fort.
„Er is weg,“ verkündete Kei leise und tat es Akira gleich so zu tun, als wäre alles um sie herum einfach nicht da. Zufrieden rückte Akira dichter heran. Er hatte das Bedürfnis dazu. Er roch an Keis T-shirt, in dem auf der einen Schulter noch etwas von seinem Blut hing. Dabei achtete er darauf, dass seine Wölbung vorn in der Hose Keis Körper nicht berührte. Kei legte einen Arm um Akira und vergrub sein Gesicht in seiner Halsbeuge, ohne großartig noch dichter an ihn heranzurücken.
„Durch den Traum weiß ich jetzt,“ raunte Akira Keis Kehle leise und langsam zu, „warum ich immer den Drang habe, dich zu provozieren.“
„Dieses Wissen musst du mit mir teilen.“
Akira antwortete nicht. Er musste nachdenken.
Kei wartete einfach ab.
„... Aufmerksamkeit,“ sagte Akira schließlich. „Weil du darauf reagierst. Ich mache das aber nicht mit Absicht. Du provozierst mich auch,“ erklärte er leise.
„Vielleicht ein bisschen mit Absicht,“ gab Kei zu. Er mochte es, den Kleineren etwas aufzureiben.
Das überraschte Akira. Er stutzte. Er hatte dem Vampir zugetraut, überhaupt nicht wahrzunehmen, was er bei ihm für Reaktionen hervorrief. Und das hatte er auf seine wörtlich zu nehmende Unmenschlichkeit und seine soziale Isolation geschoben. To think that he said some of those things on purpose... Er ließ eine Hand über Kei auf dessen Rücken wandern.
„... Mit Absicht?“
„Ja, manchmal.“ Kei schmunzelte ein kleines bisschen.
„... Warum?“
Darauf wusste Kei wirklich keine sinnvolle Antwort. „Ich hab keine Ahnung davon, wie man vernünftig mit Menschen umgeht,“ wäre eine gewesen, aber die sprach er nicht aus, das wüsste Akira mittlerweile ohnehin.
Als er keine Antwort bekam, zog Akira langsam den Kopf wieder zurück, um Kei anzusehen. Sein Blick war ernst, aber nicht streng, sondern wirkte eher etwas müde oder verträumt.
„Ich sollte dich ohrfeigen,“ erklärte er.
„Wieso?“ wollte Kei wissen und musterte den anderen.
„Weil dus verdient hast,“ flüsterte Akira, der den Kopf wieder hingelegt hatte. „Das meiste, das du sagst, klingt so lapidar. Und manches sagst du darum, weil du weißt, wie ich darauf reagieren werde.“ Er nahm Keis Kinn in die Hand und starrte ihn streng an. „Magst du mich wütend?“
Kei grinste. „Ich hab dich noch nie wirklich wütend erlebt. Einen Versuch wärs wert.“ Akira wirklich wütend zu erleben war tatsächlich etwas, das Kei interessierte. Irritiert blinzelnd ließ Akira ihn los.
„Natürlich hast du das.“
„Sauer unter Drogen, ja. Aber richtig ausgerastst bist du sonst nicht.“ Kei war ruhig, er dachte nach. Akira überlegte auch kurz.
„Stimmt. Du warst beide Male nicht dabei.“
Kei nickte. Er wäre auch nicht gern dabei gewesen.
„Du warst aber dabei, als - Wenn ich wütend bin, mache ich anscheinend Dummheiten. Ich lasse mich öffentlich ziemlich räudig entjungfern, begehe Selbstmord und gehe fremd,“ zählte er nüchtern auf. „Ich mag es nicht, wütend zu sein. Ich mag mich wütend nicht.“
„Ich mag nicht, was du wütend anstellst.“
„Ich auch nicht,“ gab Akira zu.
Kei vergrub sein Gesicht in einem der Kopfkissen. Er wusste nicht, wie er darauf antworten sollte.
„Zeig mir die Frau nochmal.“
„Welche?“
„Die auf deinem Rücken.“
Kei zog sein Shirt etwas umständlich aus und drehte sich um. Akira strich über ihre Konturen und fragte sich, was nun aus Keis Yakuzakarriere werden würde. Kei selbst versuchte, nicht über alles nachzudenken, sein Leben würde noch genug merkwürdige Wendungen nehmen, da war er sich sicher.
Akira küsste seinen Rücken. Kei hatte den Kopf auf seinen Arm gestützt und sah mit geschlossenen Augen in Richtung Wand, wobei er sich auf die Berührung des Kleineren konzentrierte. „Ich befürchte fast, dass es noch lange dauern wird, bis sie mal fertig ist...“
Akira hob etwas den Kopf. „Wird sie überhaupt fertig?“
„Weiß ich nicht. Wenn ich so lange lebe, vielleicht.“
„Wenn du und deine... Bande... die Apokalypse überleben, die Ryuji wahrscheinlich gerade auslöst, meinst du?“
„Ja.“
„So unfertig ist sie auch schön. Sie erfüllt schon ihren Zweck,“ beschloss Akira und küsste und streichelte langsam weiter Keis Rücken. Kei entspannte sich und verabscheidete sich ein Weilchen von seinem Nachdenken der ganzen Nacht, das er versucht hatte zu ertränken - es war nur nicht genug Alkohol dagewesen. Er schmunzelte ein bisschen.
„Kommt drauf an, wem ich über den Weg laufe.“
Akira grinste mit dem Gesicht zwischen Keis Schulterblättern.
„Eins nach dem anderen. Sie ist unvollständig, also funktioniert sie nur da, wos unbedingt nötig ist. Guck uns an. Wir liegen im Bett und führen ein friedliches Gespräch. Du wendest mir den Rücken zu und ich bin noch angezogen. Sie scheint ihren Dienst zu tun.“ Sein Schmunzeln war hörbar.
„Ach, so funktioniert das.“ Er tat überrascht. „Das kann ich ganz schnell ändern.“ Kei grinste. Eigentlich hatte er das gar nicht vor, aber die Idee war gut.
„Ich weiß,“ sagte Akira schlicht und küsste ihn sachte weiter. „Vielleicht solltest du auch ein bisschen schlafen. Ich glaube nicht, dass hier etwas dramatisches passiert.“
„Vielleicht, ja.“ Kei war nicht müde, aber der Gedanke an Schlaf reizte ihn dennoch. Schlafen war friedlich, da passierte gar nichts. Akira setzte sich auf, um sich die Jacke auszuziehen und sie auf Kei auszubreiten. Sie war innen etwas warm. Kei lächelte sanft, als er die Jacke an sich nahm und feststellte, dass sie warm war. Bleibst du hier? Er wollte nicht fragen, wollte aber auch nicht, dass Akira woanders hinging. Akira legte sich wieder hinter Kei und einen Arm um ihn, über der Jacke. Sein Gesicht vergrub er in Keis Haaren. Kei nahm Akiras Hand, bevor er einschlief.


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