Saturday, November 14, 2015

Kei + Colin LIII: Das Neujahrskonzert


MITTWOCH, 4. JANUAR
Sobald es die Tageszeit zuließ, begann Akira mit Putzen. Er hatte den Bogen zwar immer noch nicht ganz raus, aber fand diese Arbeit irgendwie meditativ und empfand sie diesmal sogar als kathartisch. Er konnte sich einreden, sie als eine Art milde Buße zu verstehen, und darüber hinaus war sie ein Dienst an - egal, er kam sich beim Wasserhahnschrubben jedenfalls nützlich vor.
Während es noch sehr früh war, behielt er die Türen zu den Räumen geschlossen und arbeitete leise, um Kei nicht zu stören.
Kei wurde wach als sein Wecker anfing Geschrei von sich zu geben. Langsam schälte er sich aus seinem Bett, schaltete den Wecker aus und schlurfte ins Bad.
„Morgen,“ grüßte er Colin, als er seine Sachen auf den Boden fallen ließ und duschen ging. Der heutige Tag war unterrichtsfrei, da die ganze Schule an den Vorbereitungen für das Konzert beteiligt war. Kei und seine Band hatten sich erst um neun Uhr für die letzte Probe verabredet - genug Zeit also. Immerhin zeigte die Uhr gerade mal sechs.
Akira grüßte zurück und sah Kei beim Entkleiden zu. Erst nachdem er sich längst unter das rauschende Wasser gestellt hatte, fiel Akira auf, dass er gaffte, und riss sich von dem Anblick los. Dafür starrte er entschlossen auf den Putzschwamm, den er nun rabiat ausspülte.
Kei duschte eine halbe Ewigkeit, ehe er das Wasser wieder abstellte und sich abtrocknete. Mit dem Handtuch locker um die Hüfte gewickelt trottete er, mit den Schlafkleidern unter dem Arm, ins Schlafzimmer und suchte sich ein Outfit zusammen. Es bestand aus einer schwarzen Hose und einem dunkelgrauen T-shirt mit schwarzem 'Fuck you'-Aufdruck. Akiras Kette mit dem signierten Plektron, die blutige Münze, Armbänder, und schwarze Stiefel mit Schnallen komplettierten das. Angezogen ging er zu Akira.
„Warum machst du so früh sauber? Konntest du nicht schlafen?“
„Nein. Ich war nicht mehr müde.“ Er brachte seine Utensilien gerade in die Küche, um dort weiterzumachen. Er musterte Kei. „No rest for the wicked,“ erklärte er schulterzuckend.
Kei gab ein zustimmendes „Hmm“ von sich, als er seine Haare trocknete. Danach rückte er ihnen mit dem Glätteisen zu Leibe. Immerhin wollte er was hermachen, wenn er sich schon vor der gesamten Schule auf eine Bühne stellte.
Akira sortierte währenddessen den Inhalt des Kühlschranks. Da das nicht viel war, war er damit schnell fertig und ging selbst ins Badezimmer. Seine eigene Dusche fiel kurz und effizient aus und das Trocknen seiner Haare bestand aus einem gleichgültigen Handtuchrubbeln. Er sah Kei ein bisschen zu. Faszinierend, wie eitel der Wahnsinnige war.
Als er fertig und zufrieden war, drehte er sich in Richtung Akira. Seine Haare waren ein bisschen toupiert.
„Fertig,“ verkündete er.
Mit einem leichten Schmunzeln betrachtete Akira ihn von dem Badewannenrand aus, auf dem er saß. Dasselbe Handtuch, das Kei benutzt hatte, hatte er selbst zum Abtrocknen benutzt und sich um die Hüfte gewickelt.
„Tadellos,“ kommentierte er.
Kei betrachtete Akira ungeniert. „Ich weiß,“ sagte er grinsend.
„Wie bescheiden.“ Akira grinste. Er stand auf und streckte eine Hand nach Keis Haaren aus...
Kei schaute ihn skeptisch an. Als wollte er sagen: ‚Anfassen okay, zerstören nicht so.‘
Akira biss sich auf die Lippe, aber konnte sein dreckiges Grinsen nicht zurückhalten, als er auf Keis Kunstwerk herumpatschte.
„Arschloch,“ gab Kei trocken von sich und zupfte einfach ein paar mal an seinen Haaren und sie saßen wieder. Akira markierte ein mitleidiges Gesicht und streichelte Kei über die Wange. Seine eigenen Haare hingen ihm in wilden feuchten Locken auf den Schultern.
Kei machte ein „Pfff“-Geräusch und küsste den Kleineren. Grinsend erwiderte der den Kuss, wobei er Kei zärtlich und leicht auf die Unterlippe biss. Der Vampir hatten ebenso ein Grinsen auf den Lippen, ein leichtes, als er einen Arm um Akira legte.
„Warum machst du dir die Mühe? Du wärst auch mit Fettsträhnen sexy.“ Das letzte Wort zog er lang, indem er die Brauen hochzog und mit einer Handgeste der ultimativen Geschmeidigkeit abwinkte.
Kei lachte ein bisschen. „Ne,“ erwiderte er knapp.
Akira blinzelte. „Wetten?“ Er tippte Kei auf die Brust. „Ich werde das beurteilen, und mein Urteil daran messen, wie scharf ich auf dich bin. Einverstanden?“
„Okay, aber dafür musst du mich erst mit fettigen Haaren erwischen, ein äußerst schweres Unterfangen.“
„Ach, kein Problem, ich hole eben das Öl aus der Küche-“ Er ging los.
„Nein, heb dir das für nen anderen Tag auf.“
„Na gut, aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben.“
„Einverstanden.“
Akira verließ trotzdem das Badezimmer. Kei ging ihm nach, da er da drin fertig war. Er zog sich selbst an, in simplen schwarzen Jeans und Sweatshirt, und fuhr sich mit den Fingern durch die feuchten Haare.
„Musst du jetzt gehen?“
„Noch nicht, in ner Stunde.“
„Ich kann mich heute abend vor dem Konzert beim Fahrradschuppen verstecken,“ schlug Akira vor. Von dort könnte Kei ihn abholen, falls er einen Weg gefunden haben sollte, ihn ins Gebäude zu schmuggeln. Oder ihn nur treffen um ihm zu sagen, dass es nicht ging.
„Das ist ne gute Idee. Ich hol dich dann da ab.“
Er nickte. Dann fiel ihm etwas ein.
„Kommt der Rest von Rood damit klar, dass du so lange weg warst?“
„Ja, ich hab ihnen was von privaten Problemen erzählt und dann waren sie alle einverstanden mich nur selten oder gar nicht zu sehen.“
„Wie war das eigentlich...“ begann Akira, „in der Schule, als ich ... tot war?“
„Ich war nicht oft da, aber deine Freunde waren sehr traurig und einige haben spekuliert wie du wohl zu Tode kamst. In einer Theorie hatte ich dich auf dem Gewissen.“
Das brachte Akira zum Schmunzeln. Das Gegenteil war der Fall. Womöglich bin ich nur deinetwegen zurückgekommen.
„Was diesen Ryuji und seine Leute angeht. Warten wir jetzt einfach nur?“
„Erstmal ja. Das wird aber nicht lange dauern, bis er Chaos stiftet und dann lern besser auch schießen. Es wird nützlich.“
Ich will nicht. „Und Yukio. Soll ich wieder hin?“
„Jetzt könnte das interessant sein, meinst du nicht? Eine Herausforderung, für ihn. Er kann dir vieles an Technik beibringen, wissen musst du das letztendlich selbst.“
„Ist er damit einverstanden?“ Akira wollte den Meister nicht uneingeladen in Anspruch nehmen, und bezahlen konnte er ihn nicht.
„Ja. er findet immer Zeit. Für ihn ist das Trainieren von anderen mehr ein Hobby. Er trainiert die meiste Zeit allein.“ Yukio hatte Kei mal gesteckt, dass er oder Bekannte immer mal bei ihm anklopfen konnten. Ausrauben lassen würde er sich immerhin nicht.
„Dann wäre es in Ordnung, wenn ich heute unangemeldet zu ihm ginge?“
„Ja, das kannst du machen. Es kann aber sein, dass du ihn suchen musst. Irgendwo auf dem verwinkelten Grundstück wirst du ihn aber finden.“
Akira lächelte. Kei erwiderte das Lächeln leicht.
„So, ich muss bald los. Es ist gleich halb acht.“
„Das war noch keine Stunde,“ meldete Akira stirnrunzelnd an. Er ging auf Kei zu und zog sich dabei einen Ärmel hoch.
„Ich sagte ja auch nicht ‚jetzt‘,“ kommentierte der gut gelaunt. Akira nickte entschlossen.
„Genau, denn jetzt gibt es erstmal Frühstück.“ Er zeigte Kei seinen Unterarm. Kei grinste und griff nach Akiras Handgelenk. Mit Leichtigkeit biss er ihm in die Venen unter der Haut. Akira ballte die Faust und zeigte außer einer leichten Veränderung seines Gesichtsausdrucks keine Reaktion auf den Schmerz. Der wich ohnehin nach wenigen Sekunden allmählich einem wohligen, weichen Kribbeln. Er seufzte leise.
Kei hatte ein leichtes, für Akira nicht zu sehendes Lächeln im Gesicht und erleichterte seinen Freund gemächlich um ein großes Glas Blut. Akiras Hand entspannte sich, wie der Rest seines Körpers, und ein glückseliges Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. Als Kei wieder von ihm abließ hatte er einen ähnlichen Gesichtsausdruck wie Akira. Zufrieden lächelnd sah er ihn an, als er sich mit einem Finger das Blut aus dem Gesicht zu wischen gedachte. Benebelt sah Akira dabei zu und leckte sich die Lippen, ohne es zu merken. Kei küsste den Kleineren, noch immer klebte ihm ein bisschen Blut am Mund. Akira leckte es ihm sachte ab und legte ihm den blutenden Arm auf die Schulter.
„Wenn du eins deiner Opfer am Leben ließest, würde es sich bei dir bedanken. Nicht für das Leben, sondern für das hier,“ flüsterte er.
„Es liegt mir leider fern, so vielen einen Gefallen zu tun,“ erwiderte Kei lächelnd. Colins Blut versaute sein Shirt aber er befand das für in Ordnung. Verspätet hob Akira seinen Arm und hielt ihn auf dessen Schulter etwas hinter Kei hoch, als Vorwand dafür, noch dichter an ihn heranzutreten.
„Die Menschen würden danach süchtig werden,“ murmelte er.
Kei grinste. „Das würden sie aber auch nicht überleben.“
„Warum nicht? Soweit ich das beurteilen kann, könnte es unsterblich machen.“ Er schmunzelte verträumt.
„Ich würd sie vorher umbringen.“

Nachdem Kei in der Schule und dem kleinen Musikraum im Keller des Gebäudes angekommen war - seine Gitarre hatte er mitgenommen - fingen sie zügig mit den Proben an. Es gab doch mehr durchzugehen als gedacht. Die Setlist für den Abend entstand sehr spontan. Jeder warf zwei Songs in den Raum und die kamen darauf, fertig. Gegen ein Uhr am Nachmittag machten sie Mittagspause. Kei ging nach draußen und sah sich die Aula an, die schon für alles vorbereitet war. Ein paar Schüler hielten dort ihre Generalprobe ab, Keis Lieblingslehrerin beaufsichtigte die Meute. Frau Hasegawa.
Shingo entdeckte Kei und wandte sich etwas nachdenklicher wieder seiner Arbeit zu - dem Bekleben von Stoffbahnen mit Klettstreifen am Bühnenrand - ehe er wieder zu ihm hinsah, als er zufällig näher gekommen war, und ihm grüßend zunickte. Kei grüßte nonverbal zurück. Frau Hasegawa warf ihm einen missbilligenden Blick zu, da er dort gerade nichts zu suchen hatte, und sie wusste, dass er nicht im Sinn hatte ihr zur Hand zu gehen (oder einem der anderen). Der Vampir ignorierte die Lehrkraft gekonnt. Sie wurde bald von ihm abgelenkt, indem eine junge Lehrerin und zwei Schüler sie auf irgendetwas organisatorisches ansprachen. Genervt ließ sie sich darauf ein. Shingo fuhr damit fort, die kurzen Vorhänge zu bekleben und den ersten an dem Ende der Bühnenkante zu befestigen, vor dem er stand.
„Sakai,“ sagte er.
Kei wollte gerade wieder verschwinden. „Ja?“
„Hast du ein Foto von Colin?“
Kei dachte kurz an die ihm zugeschickten vom misshandelten, halbtoten Colin. „Nein.“
„Er war noch nicht lange bei uns, darum gibt es keine Schulfotos mit ihm. Und wir wollen heute eins hier aufstellen,“ erklärte Shingo, während er den Vorhang der Länge nach mit dem Klettverschluss festdrückte. „Kannst du an eins kommen?“
„Ich kann mal schauen, ja.“ sagte er und dachte nach. Akira anrufen...
Shingo nickte trübsinnig.
Kei ging mal eben nach draußen und machte einen Satz aufs Dach, wo er sich setzte und Akira anrief, wozu er, hoffend dass der zuhause war, einfach seine eigene, selten genutzte Festnetznummer wählte.
Als das Telefon klingelte, sah Akira erschrocken vom Wäschekorb auf. Es war ihm völlig entgangen, dass es existierte. Er horchte erst auf das Klingeln und ging ihm nach, bis er unschlüssig vor dem Apparat stand und ihn ansah. Es war am klügsten, nicht dranzugehen. Also ließ er es bleiben. Er faltete weiter Wäsche zusammen.
Kei legte auf und versuchte es noch einmal.
Was, wenn es Kei war? Das Telefon hatte bisher nicht geklingelt, und Kei wurde immer auf seiner Mobilnummer angerufen. Unsicher ging Akira zum Telefon zurück und nahm den Hörer ab.
„...“
„Ich bin's,“ sagte Kei und fügte hinzu: „Wir haben, also eher ich, habe ein kleines Problem.“
Akira räusperte sich. „... Ein kleines Problem,“ wiederholte er intelligent.
„Ja, Shingo hätte gern ein Bild von Colin. Zum Aufstellen in der Schule für's Konzert.“
„... Und was ist das Problem?“ Akira sah keines.
„Ich hab keins. Das ist das Problem, hast du eins?“
„Hat denn keiner von euch Zugang zum Internet?“ Akira konnte nicht umhin, genervt die Augen zu rollen. „Da sucht ihr einfach nach ‚Colin Hammerer‘ und sucht euch was aus.“ Wenn ich bedenke, dass ich Angst davor hatte, ans Telefon zu gehen...
Kei musste lachen. „Ich werd's Shingo ausrichten.“
Akira grinste selbst. „Zwischen euch Intelligenzbestien kann es einem schwerfallen, die Nerven zu behalten.“
„Ich dich auch. Idiot,“ sagte Kei dazu und legte auf, hüpfte vom Dach und ging wieder durch die Aula. Als er an Shingo vorbeikam, sagte er: „Murata, versuchs mit googlen,“ und ging weiter. Shingo blickte ertappt drein und fuhr mit seiner Arbeit fort. Kei ging zu seinen Jungs zurück, wo weiter geprobt wurde.

Am Nachmittag machte Akira sich auf Umwegen auf den Weg zur Schule und schlich sich hinter den Fahrradschuppen, wo er sich mit einem Buch hinsetzte und wartete.
Gegen fünf Uhr kam Kei nach draußen und hatte Akira schnell gefunden.
„Hey. Also, die Aula hat einen Nebeneingang mit guter Sicht zur Bühne, der wird aber nur genutzt um dort Technik hinzustellen. Da die gesamte Aufmerksamkeit nach vorn gerichtet ist, ist man da quasi unsichtbar,“ erklärte Kei. Akira steckte sich das dünne Buch in eine hintere Hosentasche und nahm seine Kapuze ab.
„Wenn da Technikkrempel herumsteht, kommen dann nicht immer wieder Leute dahin um nach dem Rechten zu sehen?“ gab er zu Bedenken.
„Nein, da stehen Kabelrollen und ein großer Ersatzverstärker, nichts, was überprüft werden müsste.“
„Gut.“ Akira nickte. Dann lächelte er selbstgefällig. „Habt ihr das mit dem Foto hingekriegt?“
„Ich hab nicht nachgeschaut, ich trau‘s Shingo aber zu.“ Solange er nicht auch noch ne Rede hält...
„Da lehnst du dich aber weit aus dem Fenster,“ mahnte Akira, „In punkto Hirnschmalz macht er dir nämlich ernsthafte Konkurrenz.“
„Und ich dachte, das wäre unmöglich, so'n Mist.“
Akira stützte sein Kinn nachdenklich auf eine Hand und betrachtete Kei. „Dass man auf Blödheit stolz sein kann...“
„Pff.“
Akira schmunzelte.
„Lass uns reingehen. Drinnen herscht das totale Chaos bis dann mal alle ihren Platz gefunden haben.“
„Gut.“ Akira stand auf und küsste Kei sanft. Kei erwiderte den Kuss kurz und grinste leicht. Aus seiner Tasche zog er eine Flasche Whiskey.
„Auf einen gelungenen Abend.“
„Der hat doch noch nicht mal angefangen.“
„Nein, aber wenn er es tut haben wir keine Gelegenheit mehr drauf anzustoßen.“
Akira grinste. Kei kramte aus seiner Tasche noch zwei Gläser, und es waren tatsächlich Gläser, hervor, die er von den Vorbereitungen hatte mitgehen lassen und hielt Akira eines davon hin. Der nahm es beeindruckt entgegen.
„Hast du da drin noch eine Eismaschine versteckt?“
„Nein. So groß ist meine Tasche nicht.“ Er grinste bei der Vorstellung mit einer Eismaschine in der Tasche herumzulaufen.
„Macht nichts. Es ist kalt genug.“
Daraufhin grinste Kei ein wenig. „Vielleicht wäre ein vermeintlich wärmendes Getränk jetzt das Richtige.“
„‚Vermeintlich‘ wärmend trifft auf harten Alkohol zu, also her damit.“
Kei füllte behutsam Akiras Glas und danach sein eigenes.
„Wirst du eigentlich noch betrunken?“
Akira zog sein Glas leicht zitternd zu sich, als er unwillkürlich an die Neujahrsnacht mit seiner zweiten Menschenmahlzeit dachte.
„... Ja.“ Es war nicht nur Alkohol gewesen, aber der hatte auch eine Rolle gespielt.
Kei fand das interesant, untot konnte er also nicht sein. Schließlich brauchte er Nahrung und Alkohol machte ihn betrunken. Er nickte. „Damit scheidet untot aus,“ sagte er beiläufug.
„Das wäre außerdem, wissenschaftlich gesehen, ein Ding der Unmöglichkeit.“ Er hob das Glas. „Auf dass der Abend und so weiter. May you rock all their bloomers off.“
„Auf dass der Abend und so weiter,“ wiederholte Kei und prostete dem Kleineren zu, ehe er sein Glas halb leerte. Akira trank nur ein paar kleine Schlucke, nach denen er jedesmal ein bisschen das Gesicht verzog. Hauptsächlich sah er Kei an. Es würde ihn nicht wundern, wenn er in ein paar Jahren als Rockstar durch die Welt tourte - die Haltung und Ausstrahlung dafür hatte er schon drauf. Kei musterte ihn schmunzelnd, als er sein Glas ganz leer trank.
„So, lass uns reingehen. Sonst verpassen wir den besten Teil.“
Akira machte ein erschrockenes Gesicht. „Du hast nicht vor dich auszuziehen, oder?!“
Jetzt lachte Kei. „Eh nein. Tut mir Leid wenn ich deine Hoffnungen entäuschen muss.“
Akira gab Kei das endlich leere Glas zurück. „Hoffnungen? Nein, ich bin erleichtert. Die Erwähnung eines ‚besten Teils‘ hat mich nur auf eine falsche Fährte gelockt.“
Kei lachte ein bisschen als er das Gebäude ansteuerte. Akira ging mit ihm und setzte sich dabei wieder die Kapuze auf, die er sich tief ins Gesicht zog. Bei dem Seiteneingang spinxte er vorsichtig durch den Türspalt. Kei folgte ihm unauffällig und navigierte ihn zum sicheren Platz am Nebeneigang (einem von vielen). Akira fand eine Plastikkiste hinter einer praktischen Wand von größeren schwarzen Kisten, nahm eine Kabelrolle von ihr herunter und setzte sich drauf. Kei küsste ihn kurz ehe er hinter die Bühne verschwand. RooD waren nicht als erste dran, weshalb Kei noch ein bisschen Zeit hatte. Die Schulleitung hatte darauf bestanden mit etwas besinnlicherer Musik anzufangen.
Tatsächlich begann der Schulchor, von Frau Hasegawa dirigiert, mit zwei klassischen japanischen Liedern. Als er ein paar Zuschauer im Publikum gähnen sah, schmunzelte Akira. Ich habs doch gesagt.
Kei stimmte hinter der Bühne seine schwarze Gitarre, die keinerlei Musterung aufwies und hörte dem Chor zu. Soll das ne Trauerveranstaltung werden?
Als der Chor fertig war, wurde brav geklatscht, die Sänger verbeugten sich und Frau Hasegawa scheuchte sie von der Bühne, die nun der Schulleiter betrat, um eine kurze Willkommensansprache zu halten. Dabei erwähnte er Colin und deutete auf das gerahmte Foto, das besagten Jungen salutierend, mit Geige in der Hand und im traditionellen Kilt zeigte, welches Shingo zuverlässig ausgedruckt und mit einer Blumenschale auf den Konzertflügel auf einer Seite der Bühne gestellt hatte.
Danach sagte er ‚Raised out of dirt‘ an, was er so miserabel undeutlich aussprach, dass ein Junge im Publikum „Rood!“ rief.
Der Ruf wurde von den um ihn herum sitzenden Schülern aufgenommen und wiederholt.
„Rood!“
„Sag einfach Rood!“
Verlegen nickte der Schulleiter und sagte lächelnd ins Mikrofon:
„Rood,“ und ging von der Bühne.
Kei grinste, er und Saki stürmten die nicht allzu große Bühne als erste. Kei spielte ein kleines improvisiertes Intro während die anderen ihre Plätz einnahmen.
Sie begannen mit einem schnellen spaßigen Song und Saki animierte die Schüler zum Mitspringen. Von Ordnung war in der Aula nach zwei Minuten keine Spur mehr. Akira hielt sich vom Aufspringen und Pfeifen zurück und legte nur die Arme und das Kinn grinsend auf die große Kiste vor ihm und sah begeistert zu.
Um den nächsten Song anzuspielen, hatten sich alle um Tamas Drumset versammelt. Die Lichter gingen aus bis Aoi und Kei anfingen abwechselnd ein paar Akkorde zu spielen. Saki wurde beleuchtet, der so langsam, dass er fast nur sprach, die Zeilen von sich gab. Im nächsten Moment gaben Tama und Kenji noch was dazu und das Ganze wurde wieder schnell.
Haa... die können was! dachte Akira glücklich. Schade, dass ich nicht unterwegs noch bei einem Unterwäscheautomaten war.
Er entdeckte zwischen den Schülern, die sich zwischen den Stühlen und vor der Bühne drängten, auch ein paar Lehrer und Eltern und grinste.
Saki liebte Abwechslung und so kam es, dass der dritte Song ein sehr ruhiger war, angestrahlt wurden nur er und die beiden Gitarristen abwechselnd. Sie hatten geschlossen abgelehnt, etwas trauerfeieriges zu spielen, aber etwas ruhiges war drin. Während dieses Liedes setzten sich einige Zuschauer wieder hin, wenn auch nicht alle auf ihre angestammten Plätze, und die junge Lehrerin, die am Nachmittag mit ihrem Klemmbrett unterwegs gewesen war, hatte die Arme um einen Schüler und eine Schülerin gelegt. Sie wankten lächelnd hin und her und Akira musste fast laut lachen, als er das sah. Frau Hasegawa entdeckte er nicht. Die stand wahrscheinlich irgendwo hinter der Bühne.
Gegen Ende des Liedes nahm Kei seinem Sänger das Mikro weg und ließ ein tiefes Growlen hören, als Aoi und Tama den nächsten Song anstimmten. Saki schrie in das ihm zurückgegebene Mikro und die beiden Gitarristen quälten ihre Instrumente.
Die Schüler vor der Bühne sprangen wieder los und einige schlugen mit den flachen Händen vorn auf die Bühne, was dazu führte, dass sich Shingos sorgfältig angeklebter Vorhang löste und teilweise herunterrutschte. Einige Zuschauer guckten erschrocken, hielten sich die Ohren zu und ein paar der Eltern verließen unauffällig die Aula. Akira kam aus dem Grinsen nicht heraus.
Saki, Kei und co. gaben ihr dunkles Werk zum besten, das da hieß ‚The End Of Everything‘. Der semiverständliche Text handelte von einem psychisch getörten Kind, das mit Freude seine Familie massakriert. Diesen Song zu spielen war Keis Idee gewesen. Während Akira zuhörte, gefror sein Grinsen allmählich.
Was als nächstes kam, war etwas positiv gespieltes, auch wenn der Text, der keinen Titel hatte, ein Rückblick auf Keis Vergangenheit war. Der Song bestand aus viel Herumspringerei, was den Text abmilderte, der in erster Linie eine Botschaft war, eine Rachebotschaft, die aber so geschrieben war, dass sie auch als Aufruf zur Anarchie verstanden werden konnte. Akira fühlte sich nun alles andere als glücklich, hörte dafür aber weiter aufmerksam auf den Text.
Irgendwann waren sie beim letzen Song für diesen einen Abend angekommen. „Als Letztes möchten wir einen Song spielen, den wir dem traurigen Ereignis gewidmet haben, das dieser Feier vorangegangen ist,“ begann Saki und gab Kei das Mikro.
„Es ist nichts Trauriges...“ führte er fort, „Es hat nicht mal einen Titel, aber ich hoffe du magst es trotzdem.“
Er gab Saki das Mikro zurück und sie spielten einen lauten spaßigen Song voller Leben. Die Lichter waren bunt und genauso wild wie die Gitarren, denen sie folgen sollten. Akira wurde ein bisschen rot, als er wieder die Arme und den Kopf auf die Kiste legte, um richtig zuzusehen. Es war sowas ähnliches wie ein Liebeslied, Saki und Kei teilten sich die Vocals. Währenddessen vergewaltigte Kei artig seine Gitarre weiter und alberte ein bisschen mit Aoi und Kenji herum.
Sein Grinsen kehrte nicht zurück, dafür biss Akira sich großzügig auf die Zunge, während er zusah. Was musste der da oben so auf Tuchfühlung gehen?
Kei beließ es beim spielerischen Anfassen seiner Kollegen, immerhin hattte er noch eine Gitarre zu spielen. Die anderen ließen ihn auch bald wieder in Ruhe und zusammen ließen sie den Song ruhig ausklingen.
Am Ende wurde geklatscht und ein bisschen gepfiffen und gejubelt. Einige Gesichter drückten Verständnislosigkeit darüber aus, was dieses Stück mit dem Tod eines Mitschülers zu tun haben sollte, aber sie lächelten trotzdem.
Akira selbst klatschte zwar nicht laut, um nicht auf sich aufmerksam zu machen, deutete aber Applaus in Gebärdensprache an und hoffte, dass höchstens Kei ihn dabei sehen konnte, wenn er in seine Richtung sah.
Schüchtern kam der Schulleiter auf die Bühne zurück.
Kei schaute tatsächlich kurz in Akiras Richtung und lächelte leicht, was da hieß ‚Ich seh dich.‘
Saki grinste den Schulleiter an.
In sein Mikrofon sagte der Direktor seinen Dank an „... Rood,“ ehe er auf seinen kleinen Zettel blickte und den nächsten Auftritt ansagte: Eine Musicalnummer.
Kei verschwand mit seinen Kollegen, nachdem sie sich alle brav bedankt hatten, hinter der Bühne und kam kurz darauf ohne Gitarre zu Akira, unauffällig versteht sich.
Akira drehte sich zu ihm um, während sie da auf der Bühne in Glitzerkostümen herumhüpften.
„Ja,“ sagte er und lächelte.
„Ja, was?“ fragte Kei grinsend.
„Ja, ich mags.“
Kei grinste noch immer. „Willst du dir die Glitzershow noch ansehen oder wollen wir den Abend ausnutzen?“
„Ausnutzen,“ bestimmte Akira und stand auf.
„Hinterausgang. Es ist grad kein Lehrer hinter der Bühne.“
„Ich folge dir.“ Ich kleb mich einfach an deinen Hintern.
Kei ging vor und führte Akira durch die Gänge hinter der Bühne zu einem anderen Hintereingang als den, den sie hereingekommen waren. Seine Gitarre sammelte er dabei noch ein.


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