Tuesday, February 23, 2016

Kei + Colin LXVIII: Wir werden Piraten

| Luis Vieira - Froreggae | 
| Luis Vieira - Bahiáfrika |

In den folgenden Tagen bekamen die Medien ein reiches Angelbüffet, im Zuge dessen ein kleines Hotel in der Innenstadt an den Rand des Ruins gezogen wurde, nachdem zwei seiner Mitarbeiter wegen Mithilfe zur Entführung und Menschenhandels verhaftet wurden.
Angel blieb abgeschirmt in einem nicht spezifizierten privaten Krankenhaus, wurde aber ziemlich schnell wieder entlassen. Kei war nur dort gewesen um sich die Kugeln aus dem Körper popeln zu lassen und war dann verschwunden. Er kam allerdings oft bei Akira in der Klinik vorbei, nachdem er herausgefunden hatte, wo er lag.
„Sie gucken nur noch, ob ich jetzt plötzlich süchtig bin oder so,“ erklärte Akira Kei bei einem Besuch. „Aber es ist alles sofort verheilt.“ Er zuckte mit den Schultern.
Kei hatte ihm schon offenbart, dass alle Menschen, die sich dort befunden hatten, wohin er entführt worden war, tot waren. Er nahm seinen Freund in den Arm. Einige von den Männern hatte er grausam hingerichtet, aber Akira brauchte nicht jedes Detail zu wissen.
Langsam strichen Akiras Finger durch Keis Haare. Er war nicht bei vollem Bewusstsein gewesen, als Kei dazugekommen war, aber er wusste, dass Kei in seinem Blutrausch und seiner Geschwindigkeit einiges entgangen sein musste. Er hielt sich selten mit Einzelheiten auf. Und diese bewussten musste er Kei auch nicht erzählen.
Kei setzte sich aufs Bett. Inzwischen hatte er sich eine Wohnung organisiert, weil er ja irgendwo schlafen musste.
Er hielt Akira leicht fest. „Wann kommst du hier raus?“
„Ich glaube, schon morgen. Ich weiß aber noch nicht, wo ich dann hingehe. Ich soll nicht ins Wohnheim zurück.“
„Du kannst mit zu mir kommen. Ich hab ne Wohnung gefunden.“ sagte Kei ruhig.
Die Medien waren dominiert von dem, was auf der alten Ranch passiert war, und Keis Aktion mit den Medienmenschen vor dem Wohnheim. Und allem, was sonst mit Angel und seinem mysteriösen Asiatenfreund zu tun hatte.
„Ist die schön geheim?“ fragte Akira und seinem ernsten Gesichtsausdruck nach zu urteilen, hatte er diese Formulierung mit voller Absicht gewählt.
„Außer mir weiß keiner, dass ich da wohne.“ Kei musste seinen Wohnort zwar melden, tat das aber unter falschem Namen. Sodass wirklich keiner wusste, wo er wirklich wohnte. Allein schon all der Polizisten wegen, die ihn gerne verknacken wollten.
Akira sah auf seine Knie, die unter dem schicken Krankenhauskittel hervorschauten.
„Dann kann ich da bestimmt mit einziehen... solange sie auch geheim bleibt.“
„Ich geb mir die größte Mühe, das geheim zu halten,“ sagte Kei. Akira lächelte.
„Lass uns rausgehen.“ Er rutschte vom Bett und stieg in ein Paar Plastiksandalen.
„Ja, draußen regnet es.“ Kei nahm Akira mit nach draußen, wo es in Strömen regnete. Hinter dem großen Vordach über der Terrasse. Darunter war es trocken. Die Terrasse war von Pflanzen mit riesigen glänzenden Blättern und merkwürdig geformten roten Blüten gesäumt. Ein paar bunte Vögel saßen auf einem dünnen Balken direkt unter dem Dach und zuckten mit den Köpfen, wenn das Prasseln zwischendurch zu laut wurde.
„Hast du dich inzwischen um deinen Kunden gekümmert?“ Akira zog sein Haargummi heraus und band sich den Pferdeschwanz neu.
„Ja, das hatte ich erledigt, bevor ich wieder nach La Paz gekommen war.“
„... Machst du denselben Job weiter?“
„Ja und nein. Anonym bleiben wollende Menschen zahlen sehr gut.“ Kei sah sich etwas um und betrachtete die bunten Vögel. Er wurde von Akira gemustert, der mit verschränkten Armen dastand, obwohl er nicht fror. Das war mehr etwas, das er tat, weil man das bei Regen so machte.


VIEL SPÄTER

Akira lag bäuchlings auf dem fast waagerecht stehenden Stamm irgendeines Baumes mit sehr großen, dicken Blättern, und las. Die Nachmittagssonne brannte genau von links schräg durch die Blätter und ließ die Buchseiten so leuchten, dass er seine Sonnenbrille brauchte. Vor ihm, hinter dem schmalen Strand, lag der Atlantik. Das abgegriffene Taschenbuch hatte er am Vormittag für ein paar Real auf dem Markt erstanden von wo er auch seine neuen, gefälschten schwarzen RayBans hatte. Kei lag im Wasser. Halb im Sand und halb im Wasser in Boxershorts. Seine Kleider lagen unter dem Baum, auf dem Akira wie ein dösender Jaguar lag.
Es war viel Zeit vergangen, seit sie in Brasilien angekommen waren, aber dem Vampir kam sie vor wie ein paar Wochen. Er verdiente sich ab und zu mal ein bisschen Geld dazu, mit allem, was so anfiel. In Brasilien war das einfach. Aber er hinterließ keine Nummern oder Namen. Auch seine Handynummer war eine neue, aber das Gerät benutzte er kaum noch.
So semizufrieden mit dem Abschluss des vierten Kapitels blickte Akira auf, sah Kei da herumliegen und sah sich nach weiteren Strandbesuchern um. Diese Gegend war nicht mit Hotels, Restaurants und asphaltierten Promenaden zugebaut, aber das lag nur daran, dass die Grundstücke hier zum größten Teil Privatbesitz waren oder von sehr edlen Resorts genutzt wurden, die mit der Naturbelassenheit dieser Gegend warben. Dieser Strandabschnitt war einer, der zu einer Ferienvilla gehörte, in der aber jedes Jahr nur wenige Wochen lang jemand wohnte. Sie war dennoch ständig gut bewacht und instandgehalten, nur der Strand war frei zugänglich.
In diesem Moment waren ein paar Spaziergänger unterwegs, denen man an Haar- und Hautfarbe sowie ihrer Kleidung ansehen konnte, dass sie Touristen waren. Kei drehte sich so, dass er die Leute sehen konnte, die dort herumgingen. Es war ein schöner Strand, aber extra hierher einen Ausflug machen? Er drehte sich noch ein Stück. Touristen.
„Wir haben Besuch,“ tat Kei kund.
„Hm,“ erwiderte Akira, „benimm dich.“ Er griff in eine Seitentasche seiner Cargoshorts und kramte eine Erdnuss heraus, ebenfalls vom Markt. „Dann gibt es ein Leckerchen.“
„Was soll ich mit ner Erdnuss?“ fragte Kei verdutzt und dachte an eine blutige Mahlzeit.
„Ich weiß nicht, essen?“ schlug Akira vor und demonstrierte ebendas. Er selbst hatte sich schon in der Nacht zuvor an einem jungen Saisonarbeiter gütlich getan und hatte keinen besonderen Appetit.
„Pff Erdnüsse. Die werden überbewertet.“ Kei wollte Blut und keine Nüsse oder Hülsenfrüchte oder was auch immer Erdnüsse waren. Obst. Egal. Aber er wusste auch, dass Touristen umlegen keine besonders clevere Sache war, wenn man nicht entdeckt werden wollte.
Schmunzelnd stützte Akira das Kinn auf eine Faust.
„Du kannst dich bestimmt auch ohne Belohnung zurückhalten. Ich glaube fest an dich.“ Er schnippte die Erdnussschalenhälften irgendwohin. Es gab sicher noch nicht vermisst werdende Geschöpfe in der Nähe - Nähe war ein dehnbarer Begriff, wenn man verdammt schnell war.
„Können ja.“ Der Vampir schmunzelte im Wasser liegend.
Das schlendernde Paar war umgekehrt und flanierte wieder in die Richtung, aus der es gekommen war. Lächelnd las Akira weiter. Kei schälte sich aus dem kalten Wasser.
„Ich lass die Touris leben,“ sagte er als er die nassen Boxershorts aus- und seine Hose anzog, gefolgt vom T-shirt und den Schuhen. Akira atmete enttäuscht aus. Kei schaute zu ihm hoch.
„Was?“
„... Du musstest dich doch nicht gleich anziehen.“
Darauf begann Kei leicht zu grinsen. „Ich zieh mich nachher wieder aus,“ versprach er.
Ein halbherziges Schulterzucken drückte gekonnt gelangweilte Gleichgültigkeit aus, die Akira noch unterstrich, indem er wieder ins Buch guckte. Dem Vampir entwich ein leises Lachen und er machte sich auf in die Richtung aus der die Passanten gekommen waren. Friedlich las Akira weiter.

Kei ging eine Weile durch die Gegend auf der Suche nach einer Nachmittagsmahlzeit und blieb daher eine Weile verschwunden.
Solange es noch genug Licht gab - was noch einige Stunden lang der Fall sein würde - blieb Akira auf seinem Baum liegen und las weiter in seinem Mysteryroman. Wenn Kei nicht hierher zurückkäme, würde er sich irgendwann nach Hause begeben.
Mit Zuhause war dieser Tage ein windschiefer Verschlag gemeint, den sie vor einer Weile gemietet hatten. Eigentlich war der geräumige Schuppen zum sicheren Unterstellen von Booten, Surfbrettern und ähnlichem gedacht, doch was tatsächlich damit gemacht wurde, war dem Eigentümer egal, solange das Ding stehenblieb und er sein Geld bekam. Also wohnten sie darin. Eine Küche brauchten sie nicht, als Badezimmer dienten ihnen Strandduschen, Eimer, das Meer und der Rest der Landschaft, und zum Kleiderwaschen gab es im Ort einen Waschsalon, der hauptsächlich von den Saisonarbeitern genutzt wurde. Eigentlich brauchten sie auch diesen Verschlag nicht, jedenfalls nicht für sich selbst. Sie brauchten im Grunde nur einen Ort, an dem sie ihre Gitarre, Geige und Keis Waffen und Motorrad einschließen konnten. Und natürlich gelegentlich Privatsphäre.
Als die Sonne unterzugehen begann, schob Akira sich die schwarze Plastiksonnenbrille über die Stirn und betrachtete die Finsternis am Horizont, die unter den wenigen, orange angestrahlten Wolken langsam immer weiter am Himmel hochkroch.
Als die Sonne untergegangen war, kam Kei von seinem kleinen Ausflug zurück. Langsam schlenderte er in Richtung Strand, leise. Man hörte ihn selten, wenn er sich nicht absichtlich bemerkbar machte.
„Im Ort wird ein Fest gefeiert!“ rief er Akira zu.
„Was für eins?“ entgegnete Akira in normaler Redelautstärke. Er vertraute darauf, dass der Vampir ihn hören konnte.
„Keine Ahnung. Ich kann kein Brasilianisch,“ sagte Kei im Näherkommen und ließ sich unter dem Baum nieder. „Aber dort ist Musik und es sind viele Menschen da.“
Akira benutzte das zugeklappte Taschenbuch als Kissen. Er lächelte. „Willst du zurück?“
„Wir können es uns ja mal ansehen und dann entscheiden, ob wir da bleiben oder woanders hingehen.“
Akira atmete laut aus und ließ eine Erdnuss auf Kei fallen. „Überlass das Plänemachen mir.“
„Und wie sieht dein Plan aus, Meister des Planens?“ Der Vampir fing die Erdnuss auf, nahm die Schale ab und steckte sich die Kerne in den Mund.
„Wir gehen es uns ansehen.“
Mühselig richtete Akira sich auf und streckte sich. Stundenlang in derselben Position auf einem harten Baumstamm zu liegen, war nicht gerade eine Wohltat für die Muskeln. Er schob das Buch in die Seitentasche seiner Hose, in der nicht die Erdnusstüte steckte und guckte nach unten, um zu schauen, wo er landen konnte. Kei stand fast direkt unter ihm und schaute nach oben, halb zu Akira und halb in den Himmel darüber. Akira zog die Füße hoch und hockte sich auf den Stamm, richtete sich langsam auf und balancierte dahin, wo es schmaler wurde. Kei beobachtete das, in der ganz leisen Hoffnung, dass jetzt was dummes passieren würde. So wollte es die Schadenfreude, die unglaublich laut schreien konnte.
Über der nächsten freien Stelle hüpfte Akira hinunter in den Sand.
Auf dem Weg zu seinen Schuhen rempelte er Kei beinahe an, aber nur, um mit der Hand auffällig unauffällig dessen Bauch streifen zu können. Kei griff nach Akiras Handgelenk. Der blieb nach noch einem weiteren Schritt stehen. Der Vampir ging den letzten Schritt zu ihm und küsste ihn. Aber nur kurz.
Schmunzelnd erwiderte der Junge den Kuss, und mit einem leisen „Hm“ beschwerte er sich ein bisschen, als es vorbei war. Dann drehte er sich um und hob mit einem Räuspern seine Schuhe auf. Kei stand hinter ihm und wartete.
Mit den Turnschuhen per Schnürsenkel über die Schulter gehängt ging Akira los. Der Vampir folgte ihm und sah sich dabei um. Er konnte das Fest riechen. Rauch von den Feuern, all die Menschen und Tiere. Und die Musik war leise zu vernehmen, lag der kleine Ort doch nicht weit entfernt. Akira blickte während des sanften Stapfens vor sich auf den Boden. Er ließ Kei aufholen und streckte nach ein paar Minuten die ihm zugewandte Hand ein fast unmerkliches bisschen offen aus. Ohne ihn anzusehen.
Kei nahm Akiras Hand in seine und ging neben ihm her, den schmalen Weg entlang. Akira lächelte und errötete leicht. Was man in diesem Halbdunkel auch mit Keis Augen bestimmt nicht deutlich sehen konnte, wenn man nicht gerade darauf achtete. Wir halten Händchen... zum ersten Mal.
Kei achtete nicht auf Akiras Gesicht, er schaute sich im Dunkel des relativ unbeleuchteten Weges und des Grüns daneben um. Die Geräusche des Festes wurden immer lauter. Als sie sich den ersten im Boden steckenden Fackeln näherten, ließ Akira Keis Hand los, aber nicht gern. Er wollte nur keine unnötige Aufmerksamkeit erregen.
Auf dem Gelände, das nicht so sonderlich groß aber auch nicht wirklich klein war, tummelten sich viele Menschen und in einer Ecke stand eine kleine Bühne auf der Livemusik gespielt wurde. Es wurden Essen und Getränke verkauft, die Stimmung war ausgelassen und fröhlich. Der Vampir sah sich um. Das schien ein lokales kleines Fest zu sein. Alles war auf Brasilianisch und es gab nichts, aber auch gar nichts, das er verstand.
Obwohl seine letzte vernünftige Mahlzeit noch nicht lang zurücklag, führte Akiras Nase seinen Blick sofort zu einem der Stände mit Bastdach, in dem unter bunten Glühlampen über offenem Feuer Fleisch geröstet wurde. Ihm war nicht bewusst, dass er stehengeblieben war und wie sehr er starrte, während ihm das Wasser im Mund zusammenlief. Die vielen heißen, atmenden und schwitzenden Menschen, die eine Menge nackter Haut zeigten, taten ihr Übriges dazu, seinen Appetit zu wetzen.
Kei blieb in seiner Nähe, während er sich weiter umsah.
„Vielleicht kannst du dir‘n rohes Stück holen,“ schlug er vor.
„Wäre das nicht ein bisschen zu auffällig? Ich fülle besser nur meinen Magen und betrinke mich. Dann... später... Willst du auch was?“ Er zog seinen unordentlichen Pferdeschwanz fest.
„Auch ‘ne gute Idee.“ Kei teilte seinem Freund mit, dass er gern etwas Alkohol hätte.
Sein Blick fiel aus dem Augenwinkel auf einen Asiaten, der einige Meter entfernt herumstand und sich mit jemandem unterhielt.
Akira nickte.
„Ich bin gleich zurück.“ Er ergriff Keis Handgelenk.
„Wo willst du hin?“ fragte Kei etwas perplex und drehte sich zu Akira um. Akira küsste ihn. Es war so gut, das einfach so, wann auch immer und wo auch immer tun zu können!
„Alkohol holen,“ entgegnete er schmunzelnd.
Kei erwiderte den Kuss und grinste ein bisschen.
„Mach das.“ Kei behielt den Typen im Auge, der ihn und Akira zwischendurch zu beobachten schien.
Schwungvoll drehte Akira sich zu dem Stand um, den er gerade gierig begafft hatte, und schlenderte mit den Händen in den Hosentaschen zwischen den stehenden und tanzenden Menschen hindurch.
Kei wartete auf ihn, wo er war und sah sich weiter ein wenig um.
Wenig später spazierte Akira mit zwei Tequila-Bier-Mischflaschen und einem Pappteller mit einem außen fast verkohlten Batzen Fleisch zurück.
„Der hat mich recht doof angeguckt, als ich nur das Fleisch haben wollte.“
„Es soll Leute geben, die keine Beilagen mögen,“ entgegnete Kei grinsend. „Der Typ da hinten beobachtet uns seit ‘ner Weile,“ sagte er leise. Akira gab ihm eine der Flaschen und nahm einen Zug aus der anderen, während er um Kei herumlinste.
„Weil du auch Asiate bist? Und scharf?“ bot er an.
„Vielleicht, aber ich glaube er hat andere Gründe,“ mutmaßte Kei. „Wenn er was will, soll er ankommen.“
Akira zuckte mit den Schultern und trug seinen Pappteller zum nächstgelegenen Tisch, an dem ein paar Stühle frei waren. Der war nur ein paar Schritte entfernt. Dort stellte er seinen Krempel ab und setzte sich. Den unbenutzen Aschenbecher, den er daraufhin entdeckte, schob er vor den ihm gegenüberstehenden freien Stuhl. Auf diesen ließ sich Kei fallen und sah sich weiter um, während er sich eine Kippe anzündete.
Vor der niedrigen Bühne standen keine Tische oder Bänke, doch der Platz wurde gut ausgefüllt, indem dort viele Brasilianer und Touristen tanzten. Das Paar, das vorhin am Strand spazierengegangen war, war darunter. In der Band war ein stereotyp Jamaikanisch aussehender Trommler. Akira betrachtete diese Ecke des Platzes, nachdem er die krossen schwarzen Stellen von seiner Haxe abgepopelt und zu essen begonnen hatte.
Kei rauchte gemütlich, spürte aber förmlich die Blicke von mehreren Leuten an sich haften. Er sah Akira beim Essen zu und sich selbst ab und zu um. Der Asiate beobachtete ihn immer noch.
Akira schienen die Blicke kein bisschen zu stören, obwohl er sie wahrnahm. Er war ziemlich daran gewöhnt, seit er Angel gewesen war. Sie brachten ihn bloß dazu, möglichst langsam und vorsichtig zu essen, in kleinen Stückchen, gesittet, zivilisiert... und das fiel ihm schwer.
Kei widmete sich der Betrachtung seines Freundes und dessen, was der da gerade tat. Zivilisiert essen. Das hatte der Vampir lange nicht mehr gesehen. Schmunzelnd zog er an seiner Zigarette. Das brachte ihm einen strafenden Blick ein.
„Diva,“ grinste Kei und sah woanders hin.
„Hm. See if you get any tonight,“ gab Akira zurück und blickte demonstrativ zurück zur Bühne.
Daraufhin grinste Kei etwas breiter und sah kurz zu dem Fremden, der ihn immer noch ungeniert ansah und nicht zu wissen schien, was zu tun war oder ob er überhaupt etwas tun sollte.
Etwas in Richtung der Bühne und der Tanzenden schien Akira zum Lachen zu bringen.
„Kei, da.“ Mit seiner Tequila-Bierflasche deutete er auf eine Frau, die offensichtlich sehr betrunken war und ihre Hinterseite eifrig an einem Mann rubbelte, der sich dafür sehr zu schämen schien und immer wieder versuchte, ihre Arme zu fassen zu bekommen um ihr Einhalt zu gebieten.
Kei schaute auf und in ihm gedeutete Richtung... und begann zu lachen. „Was zum-?“
„Was haben wir heute Spaß,“ kommentierte Akira die Szene, die noch mehr amüsierte Zuschauer gefunden hatte. Der Mann lachte nun peinlich berührt und die Frau lachte mit, obwohl sie offenbar nicht genau wusste, was los war. Akira nahm einen großzügigen Schluck aus seiner Flasche.
Der Asiate, der sie beobachtet hatte, legte den Kopf etwas schief und runzelte leicht die Stirn.
Kei schaute ihn einmal direkt an.
„Der Typ da...“ Er deutete auf ihn. „... Ich komm gleich wieder.“
Akira nickte und widmete sich wieder seinem Snack und der Unterhaltung.
Der Asiate nahm zur Kenntnis, dass Kei ihn ausgemacht hatte und entfernte sich gemächlich in das Zwielicht der Büsche und Bäume, etwas abseits des Trampelpfades, auf dem Strandfackeln den Weg zum Meer beleuchteten.
Kei folgte ihm dahin.
„Was willst du?“
Der junge Mann in lässigen Bermudas und Hawaiihemd hatte die Hände in den Hosentaschen und musterte Kei ruhig.
„Ich gar nichts. Aber ihr seid vielleicht ein bisschen zu auffällig.“
„Und deshalb starrst du die ganze Zeit? Is klar, was willst du?!“ Kei war kein Meister der Geduld, im Gegenteil. Schon jetzt sah er den Mann alles andere als freundlich an, musternd.
„Wie gesagt, ich will gar nichts von euch.“ Beschwichtigend hob er ein bisschen die Arme. „Ich habe euch jetzt zum ersten Mal gesehen und schon weiß ich viel zu viel über euch. Du bist Keisuke Sakai und der blonde Junge ist Colin Hammerer.“
„Gratulation, du Genie.“ Kei verschränkte die Arme vor der Brust. Ihn zu erkennen war keine große Kunst, wenn man ihn kannte. „Woher weißt du das?“ Er dachte unweigerlich an die Drahtzieher hinter seiner und Akiras Entführung.
„Ihr seid berühmt.“ Der Mann schmunzelte etwas und zuckte die Schultern. „Für Informationen über dich gibt es ein beachtliches Taschengeld, scheinbar hat deine Familie Sehnsucht nach dir. Ich habe kein Interesse daran,“ fügte er schnell hinzu, „Ich bin gerade selbst dabei, die Füße stillzuhalten. Aber du solltest dich vielleicht nicht bei deinem echten Namen nennen lassen. Wenn ihr euch schon schon nicht trennen könnt - der Japaner mit dem Europäer, das ist wirklich ziemlich auffällig...“
„Ich fühle mich geehrt,“ sagte Kei mit ausladender Geste auf das Kopfgeld bezogen und fügte hinzu, dass er keine Familie mehr habe. „Falls du die Leute wieder treffen solltest, die Geld für meinen Kopf wollen, dann sag ihnen, ich fühle mich geehrt und sie können mich mal.“
Der Mann lachte. Kei guckte immer noch genervt.
Der Japaner zog eine silberne Schachtel aus einer Hosentasche und nahm einen Zigarillo heraus.
„Sie wollen dich unversehrt, wenn ich mir das richtig gemerkt habe. Darum habe ich von ‚Sehnsucht‘ gesprochen,“ erklärte er, während er sich den Zigarillo anzündete. Dabei wanderte sein Blick hinüber zu dem befackelten Weg, wo drei junge Frauen gibbelnd an ihnen vorbeigingen.
„Unversehrt? Beim letzten Familientreffen haben sie mich umgebracht...“ Kei grinste, es war kein fröhliches Grinsen, sondern eins, das Ungläubigkeit signalisierte. „Weshalb bist du hier?“
„Na, offensichtlich hat das nicht funktioniert. Ich bin aus dem gleichen Grund hier wie du. Unentdeckt bleiben. Das klappt aber wohl nicht so ganz. Ich sollte meinen Standort wechseln.“ Er blies Rauch in die Luft.
„Vielleicht solltest du das. Du bist übrigens auch nicht wirklich unauffällig, wenn du alle Leute so anstarrst, von denen du schon mal gehört hast...“
Der Mann schmunzelte amüsiert.
„Du bist wirklich hitzköpfig. Nicht alle, von denen ich mal gehört habe, haben ihre eigenen Väter ermordet und sind dann von der Bildfläche verschwunden. Ich werd‘ dann mal.“ Er hob eine Hand zum Gruß und begann, zum Weg zurückzuschlendern.
„Oh, ich war ihm was schuldig,“ sagte Kei dazu, als wäre er Kira ein Mittagessen schuldig gewesen. „Man sieht sich.“ Immer zweimal im Leben.
Der junge Mann ging gemächlich zum Strand und folgte - zumindest für Kei offensichtlich - den drei betrunkenen Frauen.
Ich und auffällig? Die drei wird sicher jemand vermissen...
Kei ging zu Akira zurück.

Der befand sich mittlerweile inmitten der tanzenden Menschen, wo er mit seiner Flasche herumstand und fröhlich zur Musik nickte. Der Vampir umarmte ihn von hinten und küsste ihn. Grinsend drehte Akira sich in seinen Armen um und erwiderte den Kuss vernünftig.
Kei erhielt den eine ganze Weile aufrecht, bis Akira schließlich den Kopf zurückzog und sich wieder etwas drehte, damit er noch einen Schluck trinken konnte.
„Der Typ kennt uns, wir werden gesucht.“
„Bwah,“ sagte Akira weise, als er fast wieder ausspuckte, was er gerade im Mund hatte. „Der Asiate?“
„Ja.“
„Wo ist er? Ist er allein?“ Akira sah sich um.
„Er ist drei betrunkenen Frauen in diese Richtung -“ er deutete in eben jene - „nachgelaufen.“
„Äh... gut, dann... können wir ja vielleicht unbeobachtet verduften.“
Das wunderte Kei etwas. Damit hatte er nicht gerechnet. „Wo willst du hingehen?“
Akira stellte die leere Flasche auf den Tisch hinter sich.
„Na, weg. Hier können wir doch jetzt nicht mehr bleiben.“
„Lass uns nach Europa gehen. Irgendwann in der nächsten Zeit,“ warf Kei in den Raum, der keiner war.
Nun superernst und stirnrunzelnd ging Akira los.
„Gut, aber wie? Ich weiß nicht, ob unsere Visa das zulassen.“
„Falls nicht, kommen wir da schon irgendwie hin. Ausreisen können wir.“
„Das kann man immer. Aber an Häfen und Flughäfen lassen sie nicht jeden einreisen.“ Akira knirschte mit den Zähnen. Er war immer noch hungrig. Wenigstens waren sie jetzt allein und nicht mehr inmitten von appetitlichen Menschenkörpern.
„Um uns festzuhalten, müssen sie uns aber erstmal fangen, und ohne Visum einzureisen ist vielleicht sogar sinnvoller, weil man dann nicht weiß, wo wir gerade sind.“
„Dann musst du mir das mit der übermenschlichen Vampirgeschwindigkeit mal beibringen,“ schloss Akira schmunzelnd.
In der Nähe ihres kleinen Bootsschuppens schien außer ihnen niemand zu sein. Aus seiner Hosentasche pulte er den Schlüssel für das Vorhängeschloss.
„Ich denke nicht, dass wir die wirklich brauchen,“ mutmaßte Kei. Wie ein Irrer durch den Flughafen zu rennen würde nur im Notfall wirklich Sinn machen.
Nachdem er das Schloss in der Hütte an einen Nagel in der Tür gehängt hatte, schob Akira einen Riegel vor und betrachtete mit ruhigem, leicht bedauerndem Blick den Raum, in dem außer etwas abgedecktem Gerümpel nur eine Matratze und eine Hängematte mit Decken, ein kleiner Kühlschrank und ihre Rucksäcke, das Schwert und ihre Instrumente herumstanden, -lagen und -hingen. Und hier und da ein T-shirt und eine leere Bierflasche. Er sah zu Kei und seufzte.
„Schade,“ sagte er leise.
„Ja,“ entgegnete Kei, der die Zeit hier wirklich genossen hatte. Er befürchtete, diese Freiheit aufgeben und zurück in ein geordnetes Leben kehren zu müssen. Sofern es das für ihn jemals gegeben hatte.
Er wollte das nicht. Weiterfahren war schon in Ordnung, aber es sollte so wie jetzt bleiben.
„Müssen wir uns beeilen?“ fragte Akira nach einem weiteren Rundumblick.
„Nein, ich denke nicht. Er wird uns kaum hinterherlaufen.“ Dessen war sich Kei sicher. Trotzdem wollte er nicht zu viel Zeit verschwenden.
„Aber er weiß, wer und wo wir sind,“ sagte Akira ruhig. Er ging zur Hängematte und schaltete das kleine Taschenradio ein, das von einer der Kordeln herunterhing.
„Er hat aber auch gesagt, dass er selber gerade untergetaucht ist und kein Interesse an dem Kopfgeld hat, das man auf uns ausgesetzt hat.“ Und Kei glaubte ihm das sogar.
Akira nicht. Das machte sein Schmunzeln offensichtlich.
„Kein Interesse am Kopfgeld, uh huh.“
„Vorausgesetzt, er ist wirklich in einer Lage wie wir, dann kann man ihm glauben,“ sagte Kei ruhig. Sollte dem nicht so sein... tja... dann hatten sie ein Problem.
Akira schien sich trotzdem nicht sonderlich zu sorgen. Er trat die zerknüllte Decke zur Seite und ließ sich im Schneidersitz auf die Matratze fallen, um sich nach kurzem Suchen eine Zigarette aus Keis Schachtel irgendwo zwischen einer Socke und dem Geigenkasten zu nehmen. Kei packte erst sein Zeug zusammen, ehe er sich daneben setzte.
„Wie lange waren wir jetzt hier?“
Akira zuckte mit den Schultern und reichte die Zigarette weiter.
Nachdem sein erster Vertrag bei der Plattenfirma in Bolivien ausgelaufen war, hatte er einen neuen abgelehnt. Er hatte den Job geliebt und die Berühmtheit hatte ihm auch gefallen, doch sie hatte bald gefährlich weit über die Landesgrenzen hinausgereicht. Außerdem war Kei nach ein paar Monaten des anonymen Festsitzens in La Paz etwas nervös geworden. Also hatten sie sich nach Osten aufgemacht und die letzten Monate in Brasilien verbracht.
„Es war jedenfalls gut.“ Plötzlich blickte er auf. „Hey, wo liegt Jamaika?“
Kei nahm sie an sich und zog einmal daran, ehe er sie zurückgab. „Ostküste der USA meine ich.“
„Da lässt sich bestimmt leicht einreisen,“ hoffte Akira. Er hatte eine ziemlich romantisierte Vorstellung von dem Land und war im Laufe des letzten Jahres auf den Geschmack von Sonne, Gras und lässiger Musik gekommen.
„Lass es uns versuchen.“
Akira grinste ihn an.
„Müsste einfach sein. Allerdings ist das Land nicht so groß.“ Kei grinste. „Den Flughafen auseinadernehmen und dann untertauchen dürfte also schwer werden.“
Akira lachte.
„Und wenn wir mit einem Boot fahren...“ schlug er vor, „Vielleicht können wir... irgendwie trampen oder so. Es gibt bestimmt viele Bonzen, die mit ihren Privatyachten hier unterwegs sind.“
„Ja, aber wie kommen wir an Bord?“
Akiras nachdenklicher Blick blieb an Keis Ellenbogen hängen.
„Wir... verdingen uns als Matrosen.“ Das meinte er nicht ganz ernst. Er kannte sich mit Seefahrt kein bisschen aus und jeder, der zwei Gestalten wie sie ohne Visa, ohne Arbeitserlaubnis und ohne Fragen zu stellen anstellen würde, konnte selbst nicht ganz legal unterwegs sein. Aber das musste ja nicht schrecklich sein. Illegale Geschäfte mit Jamaika mussten nicht gleich mit Heroin und Menschenhandel zu tun haben. Und außerdem gab es nun nicht mehr viel, vor dem sie Angst haben mussten.
Während er Keis Arme betrachtete, brannte die Kippe zwischen seinen Fingern unbeachtet herunter.
Kei grinste. „Wir werden Piraten!“
„Uh huh.“ Akira grinste. „Au.“ Er ließ den glimmenden Stummel fallen. Kei lachte ein bisschen.
„Das kommt davon, wenn man starrt.“
„Ich habe nicht gestarrt.“ Akira hob den rauchenden Filter auf und warf ihn in den Plastikbecher, der ihnen zuletzt als Aschenbecher gedient hatte.


No comments:

Post a Comment