Saturday, February 6, 2016

Kei + Colin LXIII: Ein dunkles Labyrinth


Sich die Lippen leckend, schulterte Akira seinen dicken Rucksack und ging zum Ausgang. Kei ging ihm nach, nach draußen an die frische Luft. Dort zündete er sich eine Zigarette an und behielt das Zippo gleich in der Hand. Akira ging weiter, über die Straße zu einer Grünfläche, die fast im Dunkeln lag. Auf einer niedrigen, lehnenlosen Bank lagen zwei Gestalten zum Schlafen oder Ausnüchtern oder beides.
Kei zündete den Geldbeutel an, nachdem er die Geldscheine herausgenommen hatte, und warf ihn brennend in den nächstbesten Mülleimer. Akira beobachtete das Ding eine kurze Weile beim Schwelen und Lodern, bis er sich sicher war, dass es noch lang weiterbrennen würde. Erst dann nahm er Kei beim Arm – oder machte Anstalten, das zu tun, ehe er verlegen wurde und seine Hand wieder zurückzog. Der Vampir bekam das nicht wirklich mit, er sah dem Ding beim Verbrennen zu und schlenderte dann weiter bevor ihn irgendwer bei dem Feuer sah.
Nach ein paar Schritten drehte er sich zu Akira um. Die Sonnenbrille hatte er abgenommen und in den Kragen seines Shirts gehängt. Akira war still hinter ihm hergestiefelt. Mit den Händen in der Bauchtasche. Neben Kei ging er aus zwei Gründen nicht. Erstens, weil er gerade gegenüber dem Adonisvampir vor sich etwas schüchtern war, und zweitens, und das sagte er sich war natürlich der einzig wahre Grund, weil er hier im Dunkeln den Untergrund und was auf ihm herumlag nicht gut genug sehen konnte um sicher herumzuspazieren. Als Kei sich plötzlich zu ihm umwandte, stutzte er also und sah ertappt auf.
„Lass uns die Räder holen. Hier zu bleiben gefällt mir nicht.“ Es ist zu laut und hier sind zu viele Menschen...
Akira nickte seine Zustimmung und sie gingen gemeinsam zu den Rädern zurück.
Wir sollten uns ein ruhiges Plätzchen am Stadtrand suchen, dachte er, aber fand seine Stimme nicht, um den Vorschlag laut auszusprechen. Sie waren sowieso immer noch ‚am Stadtrand‘, und dass sie sich an einem unbeobachteten Ort niederlassen würden, sah Akira als garantiert an. Also sprach er weiterhin kein Wort.
Kei hatte dieselbe Idee und fuhr mit Akira an einen ruhigeren Ort einige Straßen weiter. Dort war ein leerstehendes Gebäude, an dem er hielt.
„Ich glaube, hier kommt keiner vorbei,“ sagte er ruhig, als er auf das Gelände fuhr. Hier stört keiner...
Na hoffentlich, dachte der paranoide- nein, der vernünftige Teil von Akiras Gehirn. Der größte Teil allerdings war kurzgeschlossen und konnte nicht mehr denken.
Sie stellten ihre Räder in eine etwas sichtgeschützte Nische hinter dem Haus und fanden die Hintertür verschlossen, jedoch schön morsch vor, sodass sie schon verheißungsvoll wackelte und knirschte, als Akira sie vorsichtig zu öffnen probierte.
„Ich mach auf,“ sagte Kei und trat die Tür ein.
Drinnen war es natürlich staubig und voller Trümmer, aber glücklicherweise roch es nicht nach Pisse oder Verwesung. Die Vordertür war verrammelt, ebenso sämtliche Fenster auf der Vorderseite, also würde selbst bei Tag nicht viel Licht in die Räume fallen. Nun, in der Nacht, war es hier beinahe stockdunkel. Akira konnte schemenhaft ein paar Möbel ausmachen.
„Alter geht vor Schönheit,“ bot Akira an. Allerdings ohne besonders frech zu klingen.
„Wer von uns ist laut Pass älter?“ fragte Kei und trat trotzdem ein.
Drinnen standen einige alte Möbel. Sogar ein Sofa. Das war nicht einmal wirklich klein – im Gegenteil. Die Fenster waren dicht und es schien seit Langem niemand hier gewesen zu sein. Nicht einmal Flaschen lagen herum. Akira folgte ihm und ging an ihm vorbei, als sich seine Augen etwas an diese staubverschleierte Dunkelheit gewöhnt hatten.
„Ach, werden wir jetzt offiziell, ja?“ Er sah sich um und fand, dass das Haus einmal ziemlich hübsch gewesen sein musste. Es war überhaupt nicht ärmlich eingerichtet gewesen, als die Einrichtung noch vollständig und intakt gewesen war. Es gab sogar einen großen Kamin im geräumigen Wohnzimmer, das dieser Raum mit dem Sofa einmal gewesen sein musste. Ein paar Schritte vor dem schwarzen Kamin stellte Akira unter kleinen Staubwolken seinen Rucksack auf den nackten Bodendielen ab. Kei stellte seinen daneben und setzte sich dann auf das alte Sofa. Seine Augen hatten kein Problem mit den Lichtverhältnissen in dem alten Haus.
„Ich wollte nur wissen, ob du jetzt älter bist als ich.“ Akiras US-Amerikanischer Pass wies ‚Angel Everett Wallace‘ als neunzehn aus. Immerhin war der Pass echt, wenn auch gestohlen. Keis vollständig gefälschter Pass für ‚Kaito Kageyama‘ log ihn nur ein paar Monate älter und ließ ihn seine wahren achtzehn Jahre alt sein. Bei dem Gedanken schmunzelte der Vampir ein wenig.
Akira zog sich den Pullover aus und ließ ihn auf den Boden fallen. Das hatte für ihn keinen sexuellen Hintergrund. Er war einfach froh, dieses Ding, dass er jetzt tagelang am Stück auf der Straße, im Gras und beim Schlachten getragen hatte, endlich loszuwerden. Er streckte sich und kratzte sich irgendwo am Rücken.
„Bin ich. Um ungefähr ein Jahr. Wird kein Schwanz glauben, dass ich neunzehn sein soll, aber was solls.“ Er zuckte mit den Schultern. Das Foto auf dem Pass dieses unbekannten Amerikaners, den Akayas Yakuzakollegen ihm ausgehändigt hatten, zeigte das Gesicht eines Jungen mit verblüffender Ähnlichkeit mit Akira. Mit Colin. Colin Hammerer digitiert zu Akira digitiert zu Angel Everett Wallace. Was für ein Witz.
„Ich glaub's auch nicht,“ sagte Kei dazu und zog seine Jacke aus, um sie als Kissen zu nutzen. In der Dunkelheit beobachtete er Akira. Der ging gemächlich zum Sofa und wischte mit einer Hand über das Sitzpolster. Seine Handfläche war nun etwas grauer. Hoffentlich ohne eine Miene zu verziehen, hockte er sich vor seinen Rucksack und knotete seine Konstruktion aus Riemen und Schlaufen auseinander, um die dünne, weite Flugzeugdecke herauszuziehen, die er speziell für ihren Roadtrip besorgt hatte. Dass Keis Blick ihm aufmerksam folgte, versuchte er zu ignorieren. Gleichzeitig hoffte er aber auch, dass sein nackter Oberkörper den Vampir auf nette Ideen bringen würde.
Kei befand die Flugzeugdecke als erste nette Idee.
„Du kannst die Decke aufs Sofa legen, dann sterben wir nicht an Staubvergiftung,“ schlug er vor, während er seinen Freund aufmerksam beobachtete. Es war praktisch, auch im Dunkeln jede noch so kleine Bewegung sehen zu können. Und eine kleine Bewegung war nun zu sehen, nämlich im Zucken von Akiras Mundwinkeln.
„Das müsste schon extrem mörderischer Staub sein, der uns noch umbringen kann.“ Er stand auf und breitete die Decke dort auf dem Sofa aus, wo Kei sich nicht schon ausgebreitet hatte. „Gibt es Staubvergiftung überhaupt?“ Ihm kam noch ein dringlicherer Gedanke. „Wie ist es seitdem für dich? Fühlst du dich anders?“ fragte er ernst. Er blieb stehen, direkt neben Kei, sodass ihre Knie sich beinahe berührten. Kei stand kurz auf um die Decke unter sich und seiner Jacke auszubreiten.
„Es ist anders, ja. Ich fühle mich meistens tot. Keine Schmerzen, keine Kälte, Hitze... Alles weg,“ erklärte der Vampir leise. Nur, wenn Akira in seiner Nähe war und er am Leben spürte er all das. Das einzige, was er immer wahrnahm, war das dumpfe Verlangen nach Blut, egal ob tot oder lebendig.
Nun war Akiras Atem hörbar. Er sah Kei sehr ernst an und verschränkte langsam die Arme.
Das ist es, dachte er, genauso. Er selbst hätte mehr schicke Worte benutzt um dasselbe auszudrücken, aber wenn man zwischen Keisuke Sakais inhaltsangabenartig servierten Stichworten lesen konnte, verstand man, was alles für Bedeutungen hinter ihnen stecken konnten.
„Es ist vielleicht falsch, aber genau jetzt bin ich froh, dass du auch fast-gestorben bist,“ flüsterte er. Er klang ein bisschen überwältigt. „Warum?“ fragte Kei beinahe genauso leise. Das war sicher unnötig, weil niemand da war, der sie hören konnte, aber es war mitten in der Nacht und da flüsterte man nunmal.
Weil wir jetzt etwas gemeinsam haben. Jetzt gibt es eine Verbundenheit zwischen uns. Jetzt haben wir etwas, das – Sowas konnte er doch nicht aussprechen. Ach scheiß drauf. Das Bisschen Sentimentalität würde den Wahnsinnigen schon nicht umbringen. Pun intended.
Weil ich mich dir damit verbunden fühle. Wir sind immer so fremdartig gewesen... Ich verstehe dich und du verstehst mich jetzt auch... besser,“ murmelte Akira. Dass er dabei rot wurde, spürte er zwar, doch er hoffte, dass Kei das in dieser Finsternis nicht sehen konnte.
Unangemessenerweise, aber merkwürdig passend begann nun die Kelly Family in seinem Kopf Musik zu machen. Fell in love with an alien, fell in love with her eyes, I'm in love with an alien, I'm tellin' you no disguise.
Umbringen tat sie Kei nicht, nein, aber er wusste deshalb noch lange nicht, wie man damit umgehen sollte. Was erwiderte man darauf? Er vermutete, dass sie einander nie ganz verstehen würden. Das würde wahrscheinlich nie der Fall sein. Dafür müsste man reden und das war etwas, das Kei nur sehr, sehr ungern tat. Der Vampir murmelte eine leise, unverständliche Zustimmung und zog sich das dreckige Tanktop über den Kopf.
Träumst du anders seit du tot bist? Haben sich deine Gefühle verändert? Erinnerst du dich an alles? Akira brachte es nun nicht mehr fertig, diese ihm wirklich unter den Nägeln brennenden Fragen zu stellen, denn er hatte keine besondere Lust, halbherzige Antworten darauf zu hören, von einem Kei, der sich nun halb auszog. Es gab drängendere Sachen zu erledigen, erinnerte ihn sein sehr zielstrebiger Blutfluss. Er kaute auf seiner Lippe herum. Kei saß gemütlich auf dem Sofa herum – er lag halbwegs auf seiner Jacke und hatte das dreckige Shirt zu den Taschen geworfen. Er nahm Akira bei einer Hand und zog ihn zu sich aufs Sofa. Mit seinen Knien aus Pudding und Limonade blieb Akira auch nichts anderes übrig, als sich zu ihm auf das Polster zu knien. Wenigstens schaffte er es, den Atem, den er vor lauter Kribbeligkeit ausstieß, nicht zu einem ausgewachsenen Seufzer werden zu lassen.
I'm acting like such a fanboy.
I'm your number one fan,“ raunte er plötzlich, obwohl er das nur hatte denken wollen. Ganz selbstironisch. Gut gemacht. Gar nicht merkwürdig oder peinlich.
Kei grinste süffisant und ein bisschen versaut, was Akira aber kaum sehen konnte. „I know.“ Bevor sein Freund noch irgendetwas erwidern konnte, küsste er ihn.
Etwas beschämt erwiderte Akira den Kuss, der von Kei nicht allzu lange aufrecht erhalten aber dazu ausgenutzt wurde, ihm die Hose auszuziehen. Akira stockte der Atem und er begann plötzlich, sich für alle möglichen Dinge zu schämen, die er sich bisher und mittlerweile ganz verwegen einfach geleistet hatte. Dass er vor Kei gekniet und seine Beine umschlungen hatte, nachdem der ihn niedergeschlagen hatte, dass er freiwillig ohne jede Bedenken einem alten Mann den Schwanz gelutscht hatte, um dafür ein altes Motorrad zu bekommen, dass er überhaupt mit den Männern in die Schwulenbar in Shinjuku mitgegangen war und was er danach dort mitgemacht hatte, die Umstände und Zustände, in denen Kei ihn immer wieder erlebte... trotzdem war er längst hart und reagierte auf jede Berührung wie auf eine statische Entladung. Er selbst hielt gerade nur die Sofalehne fest, auf die er sich stützte. Mit einer winzigen Bewegung hätte er sein Gesicht in Keis Schopf vergraben können, aber das traute er sich nicht.
Dem Vampir blieb nicht ganz verborgen, dass sein Freund alles war, aber nicht ganz bei dem, wo er ihn gern hätte.
„Was ist los?“ erkundigte er sich ruhig, hielt ihn aber da fest, wo er war.
„Was?“ Akira klang, als würde er gerade vom Träumen im Klassenzimmer aufschrecken. Nur ein bisschen atemloser.
„Du bist irgendwo anders mit den Gedanken... wo?“ Draußen war eine Verfolgung zu hören. Schüsse, Blaulichtsirenen.
Aus dem Augenwinkel sah Akira die starke Wölbung seiner Unterhose über den geöffneten Reißverschluss seiner Jeans schauen. Das machte es ihm nicht leicht, überhaupt etwas zu sagen, geschweige denn zu gestehen, für was er sich in diesem Moment gesammelt schämte. Er sah Kei an und schien wieder gedanklich abzuschweifen, denn sein Blick wurde glasig. In der langen Parade all der Momente, die er bedauerte, die ihm immer noch ohne sein Zutun durch den Kopf zog, war er nun endlich an dem Abend angekommen, an dem er, meinte er, bestimmt wahnsinnig geworden war. Heiligabend.
Er kniff die Lippen zusammen und bewegte den Kiefer, während seine Augen rot und nass wurden. Während es draußen weiter ballerte und sich auch noch Rufe und Schreie unter die Geräusche mischten, nahm Kei Akira in den Arm – hauptsächlich, weil er nicht damit umzugehen wusste. Er selbst schaute an die Decke und wartete einfach.
Schaudernd atmete Akira durch, dann wischte er sich die ersten Tränen ab. Die Umarmung war schön, aber kaum tröstend. Er wartete ein paar Sekunden, bevor er das Kinn von Keis Schulter hob und sich aufrichtete. Er machte Anstalten, aufzustehen.
Der Vampir ließ ihn nicht wirklich los, aber er lockerte seine Umarmung und sah ihn ruhig an. Akira wich seinem Blick aus und versuchte, seine Arme hinunterzuschieben, damit er aufstehen konnte. Kei ließ ihn aufstehen.
Kaum auf den Beinen, schloss Akira seine Hose wieder, wischte sich im Umdrehen noch einmal über eine Wange und ging zu dem verrottenden Türrahmen zum Flur, durch den sie gekommen waren. Kei ging ihm langsam nach, blieb aber einen guten Meter hinter ihm stehen und beobachtete ihn indirekt. Er wartete noch immer.
Akira versuchte zu ignorieren, dass Kei ihm nachging. Er wollte ihn zurückschicken, traute aber seiner Stimme nicht, diesen Wunsch deutlich genug zu äußern, ohne noch mehr preiszugeben, das Kei nur auf die Nerven gehen würde. Er hatte sich schon lange gefragt, warum er so wenig zu trauern schien. Seit er sich im Schlaf erinnert hatte, hatte er nicht mehr um seine Familie geweint. Jetzt kamen ihm die Tränen und die Schuldgefühle und er wollte sie nicht unterdrücken, nur um Kei nicht lästig zu werden. Er weinte geräuschlos weiter und ging finster dreinblickend zur Hintertür zurück.
Kei ging ihm in einigem Abstand nach, hatte aber den Blick auf den Boden gerichtet. Seine Gedanken waren an vielen Orten zur selben Zeit. Bei allem, was bisher passiert war und bei vielem von dem Akira nichts wusste und am besten auch nichts wissen sollte.
Irgendwann muss ich ihm alles erzählen... Das verwarf der junge Vampir allerdings gleich wieder. Trotz der Tatsache, dass er seine eigenen Leichen im Keller behalten wollte, wollte er die von Akira ausgraben.
Dem wurde dabei noch etwas unwohler, dass Kei ihm weiter folgte. Er konnte sich auch nicht vorstellen, warum. Der Vampir ging gewöhnlich den einfachsten und direktesten Weg zu allem, das er erreichen wollte und interessierte sich nur sehr bedingt für die Befürfnisse anderer, selbst wenn ein solcher Anderer Akira war.
Keis Nähe heizte wie ein gegensätzlicher Pol seinen Körper an und das konnte er nun nicht gebrauchen. Er hatte den starken Eindruck gewonnen, dass er ohne sie nicht nur nicht lebte, sondern quasi nicht einmal richtig existierte. Dann war er nicht nur kühl und still sondern dachte auch kaum noch. Wenn sie sich körperlich näherkamen, kamen Akiras Stimmungen und impulsiven Emotionen zurück, und zwar mit wehenden Fahnen und einem erdrückenden Bewusstsein für seine Versäumnisse.
Wie er sich am Ausweiden des freundlichen Peruaners geweidet hatte. Wie er die meiste Zeit an seine Eltern dachte, nämlich ohne besonders erschüttert zu sein.
Er trat auf die Terrasse hinter dem Haus, vor der sie die Räder abgestellt hatten, und ließ die klapprige Tür hinter sich zufallen. Beim Hinuntergehen in das trockene, hohe Gras horchte er darauf, ob sie sich wieder öffnen würde.

Kei blieb hinter der Tür stehen und spürte langsam seinen Körper abkühlen, während er lauschte. Ohne sich zu bewegen oder sonst etwas zu machen stand er einfach nur so da. Er hob den Blick auf die Tür.
Glaub ja nicht, dass ich dir nachlaufe, wenn du gehst...
Kei konnte sich nicht erklären, wo dieser Gedanke herkam, aber er war da.

Ein wenig erleichterter stellte Akira fest, dass Kei die stumme, langsame Vefolgung anscheinend aufgegeben hatte und erlaubte es sich endlich, noch einmal durchzuatmen, diesmal ohne sein Schluchzen zu unterdrücken, das endlich richtig herauswollte. Er ging noch ein paar Schritte weiter, bis er durch die Dunkelheit dieser kaum beleuchteten Nachbarschaft und seine Tränen so gut wie nichts mehr sehen konnte, und sich an Ort und Stelle hinkniete. Die Gräser ragten ihm nun zum Teil über den Kopf. Nicht, dass er das bewusst wahrnahm. Er sah nur wieder seine Mutter und die Hunde und Hiroki an Heiligabend im Wohnzimmer liegen. Er nahm auch die Polizeigeräusche, die Rufe und all das, was da aus einer Nachbarstraße herüberschwoll, nicht wahr. Vielleicht auch deswegen, weil er sich die Hände über die Ohren legte und einen kurzen, frustrierten Vezweiflungsschrei ausstieß, bevor er sich vorbeugte und die Stirn auf den staubigen, harten Untergrund legte. Dort schrie er noch einmal.

Kei hörte ihm zu.
Von dort, wo er stand, und lehnte sich nach ein paar Minuten an die dreckige Wand neben sich, wobei er sich den Arm an einem Stück rostigem Stahlträger aufriss. Er spürte es nicht, hörte aber das Geräusch, das verriet, dass seine Haut gerissen war und spürte Blut an seinem Arm herunterlaufen. Ganz langsam. Draußen war noch immer die Polizeischlacht im Gange.

Und es wurde ein wenig windiger. Das Rascheln um ihn herum ließ Akira verstummen, soweit sein zuckendes Zwerchfell das zuließ, und er wippte nur ein kleines bisschen vor und zurück. Seine Augen brannten und sein Puls pochte langsam und unregelmäßig, aber stark durch seinen Körper. Es war beides unangenehm, wie das verkrampfte Übelkeitsgefühl, das nicht in Akiras Magengegend, sondern in seiner Brust saß. Daran hielt er sich fest, weil es seine Erinnerung und das, was er für seine Menschlichkeit hielt, in seinem Bewusstsein verankerte, ohne dass er sich berauscht und verzweifelt vor Geilheit an Kei klammern musste.

Kei ging zum Sofa zurück und legte sich darauf. Er rollte sich zusammen und benutzte seine Jacke als Decke. Er fror nicht, aber das fühlte sich trotzdem gut an. Ich bin tot... Was soll der Scheiß mit den Erinnerungen?

Ungefähr analog zu der sich allmählich beruhigenden Situation auf der Straße ließ auch Akiras Aufgewühltheit nach. Dumpf kam ihm der Gedanke, dass er nichts beschlossen, geklärt oder verarbeitet hatte, und einfach nur gleichgültiger wurde, während seine Körperfunktionen wieder nach und nach einschliefen. Sein Herz machte am längsten weiter und ließ ihn noch still weiter weinen.
Schließlich wischte er sich die Nässe aus dem Gesicht, so wie es mit den nackten Handrücken und Unterarmen möglich war, und ging langsam in das Haus zurück.
Dort lag Kei geistesabwesend unter seiner Jacke und hing toten Erinnerungen nach, die irgendwann mal schlimm gewesen waren.
Akira blieb kurz in der Tür stehen und betrachtete die schwarze Form im dunkelgrauen Raum für ganze fünf Sekunden. Seine Augen waren vor Anstrengung etwas zusammengekniffen, aber davon abgesehen war sein Gesicht nicht besonders emotionsgeladen. Er ging leise zu den Rucksäcken und zog das Gras aus der Bauchtasche seines Pullovers.
Kei beachtete den Kleineren kaum. Er nahm lediglich wahr, dass er wieder da war. Seine Augen waren geschlossen und in seinem Kopf lief ein alter Film...
Mit seinem aus Blättchen, Marijuanatüte und Feuerzeug bestehenden Bausatz setzte Akira sich vor das Sofa und lehnte sich mit dem Rücken daran. Er hatte im Drehen keine Erfahrung und wusste auch nicht, dass ein Filter eine kluge Idee wäre. Er kam noch nicht einmal dazu, es überhaupt richtig zu versuchen, denn er konnte kaum etwas sehen. Also stellte er sein Rascheln und Knistern ein, um zu Kei zu schauen und sein Gesicht zu mustern. Er schien zu schlafen.
Das versetzte Akira einen dumpfen Schlag irgendwo in der Brust. Es überraschte ihn nicht, dass Kei sich gelassen schlafen legen konnte, nachdem er Akiras Zustand miterlebt hatte. Aber scheinbar hatte er noch irgendeine alberne, romantische Hoffnung gehegt.
Er warf seine nutzlosen Drogenspielsachen neben seine Füße und betrachte weiter Keis Gesicht. Oder zumindest das, was er davon erkennen konnte. Das war nicht viel. Der Vampir sah etwas mehr gestorben aus als schlafend, aber immerhin war er tot. Sein Gesicht war absolut frei von jeglichem Ausdruck. Mit einer kleinen Bewegung zog er seine Jacke ein Stückchen höher, sodass sein Gesicht kaum noch zu sehen war.
Wieder schossen Akira Tränen in die Augen, vor Beleidigung brennende diesmal. Fine. Be like that! Fucker.
Er stand auf, mit voller Absicht schön geräuschvoll, versetzte dem Sofa dabei noch einen dezenten Tritt mit der Sohle, und kramte Keis Zigaretten aus dessen Rucksack.
Kei ignorierte das einfach. Auch dass Akira seine Zigaretten nahm, war ihm egal. Zum ersten Mal fühlte er sich richtig tot.
Noch auf dem Weg aus dem Raum zündete Akira sich die erste Zigarette an. Die Packung steckte er daraufhin in eine Hosentasche, ehe er sich daran machte, das Haus zu erkunden.
Kei drehte sich irgendwann um und starrte an die Decke.

Die Fenster, die nach vorn zur Straße hinausblickten, waren allesamt mit Brettern vernagelt. Nur nach hinten hinaus fand Akira in der zweiten, der obersten Etage unter dem Dachboden, freie Fenster. Die waren allerdings auch schon vor Ewigkeiten eingeschmissen worden. Die Treppe zum Dachboden war schmal, steil und ziemlich morsch, hielt sein Gewicht aber aus. Beim Austreten der Zigarettenstummel achtete er darauf, dass er nichts in Brand steckte, obwohl er die platten Stummel ohne weitere Bedenken liegenließ. Bei der dritten Zigarette hatte er die Dienstbotenkammern unter dem Dach grob durchstöbert und dabei Überreste von Tieren gefunden. Und lebende Tiere. Er fand eine Dachluke, die sich noch öffnen ließ und kletterte mit Hilfe einer halben Holzkiste hindurch auf das Dach. Es war kein Spitzdach, sondern nur zu einer Seite hin abschüssig. Er kletterte um die Löcher und offensichtlich losen Ziegel herum zur höchsten Kante des Daches. Dort krabbelte er zum Kamin und setzte sich.

Kei machte weiter damit, an die Decke zu starren und spielte mit seiner Münze herum.

Oben auf dem Dach rauchte Akira mit den Ellenbogen auf die Knie gestützt noch ein bisschen weiter und betrachtete den Himmel. Hier konnte man trotz all der Schwerindustrie mehr Sterne sehen als jemals in Tokyo.
Akiras Stimmung besserte sich nur marginal, beruhigte sich aber deutlich, während er friedlich nach oben blinzelte. Nach einer Weile schloss er die Augen.
Kei ging nach draußen und setzte sich vor die Tür, welche er offen ließ, und zündete sich eine Zigarette an. Er hatte noch ein volles Päckchen in der Hosentasche gehabt.
Nach wenigen Minuten löste sich ein zerbrochener Dachziegel und rutschte mit einem schabenden Geräusch auf der Straßenseite hinunter, bis er mit einem dumpfen Klirren auf dem festgetreten Staubboden vor dem Haus zerbrach.
Akira stand unsicher auf dem First, knappe zwei Meter vom Ende entfernt, und zog langsam und ruckelig seine viel zu glatten Gummisohlen über die runden Ziegel. Sein Blick war starr geradeaus gerichtet.
Der Vampir horchte auf und sah nach oben, nachdem er das Klirren des Ziegel gehört hatte. Er blieb jedoch wo er war.
Da bist du...
Langsam aber sicher pirschte sich Akira, der vor Anspannung zu zittern schien und dessen Augen ernst starrten, zur Kante des Daches vor. Dort blieb er mit einem kleinen Ruck stehen. Einer seiner Füße rutschte weiter vor und zuckte dann wieder zurück, er wankte, zuckte wieder vorwärts, rückwärts... das ging noch ein paarmal so.
Kei schaute nach oben, während er an seiner Zigarette zog und wartete, was passieren würde. Beinahe rutschte Akira aus, während er scheinbar versuchte, die Balance zu halten - oder vielmehr, er rutschte aus, fing sich wieder, wonach sich seine Muskeln sichtbar entspannten. Aber nur für zwei oder drei Sekunden, denn dann sprang er plötzlich vom Dach und fiel mit angespannten, ausgebreiteten Armen die vier Stockwerke hinunter auf einen in Beton gegossenen Stahlzaun zu.
Kei sah aus dem Augenwinkel seinen Freund vom Dach fallen, oder springen? Blitzschnell stand er unter dem Zaun und fing ihn kurz vor dem Zaun auf.
„Was machst du?!“ rief er und schaute Akira verständnislos an.
Akira starrte ihn erschrocken an und schlang zitternd die Arme um Keis Nacken. Sein Herz raste.
„Das war ich nicht!“ flüsterte er.
„Wer war's denn dann? Du warst alleine da oben,“ erwiderte der Vampir.
Akira sah ihn ungläubig an. Glaubst du, ich verarsche dich?!
„Ich war das nicht!“ Er flüsterte immer noch, mit einer Ahnung von einem furchterfüllten Quietschen dahinter. Wenn Kei obenrum irgendetwas angehabt hätte, hätte Akira ihn dafür am Kragen gepackt. Und wenn er sich nicht gerade mit den Armen an ihm festhielte.
„Dein Körper springt von allein vom Dach?! Unwahrscheinlich.“
Kei fiel ein, dass Akira sich am See bei der Plantage ähnlich benommen hatte und es auch dafür keine Erklärung gab. Irgendetwas war da.
Akira wollte Kei nicht loslassen, er traute sich nicht. Aber er konnte es auch nicht ertragen, ihn weiter festzuhalten. Wieso fing er ihn auf und beschuldigte ihn daraufhin sofort? Arschloch.
Akira weinte wieder, aber diesmal aus Wut und Enttäuschung darüber, dass Kei ihm nicht glaubte. Er ignorierte die Tränen aber und er hielt Kei auch weiterhin fest.
„ICH WOLLTE NICHT SPRINGEN!“
Das glaubte Kei ihm sogar, sonst würde der Junge sich nicht so anstellen. Er schaute ihn ruhig aber ernst an. „Irgendwas stimmt mit dir nicht. Das ist das zweite Mal, dass du sowas machst.“
„Ich mache das nicht, ich versuche, es zu verhindern!“
„Sehr erfolgreich bist du dabei nicht,“ merkte Kei an.
Akira biss die Zähne zusammen und ließ Kei los, um ihm eine Ohrfeige zu geben. Glaub mir, du Wichser!
Kei hielt seine Hand fest und schaute ihn an, direkt in die Augen. „Was ist das mit dem Zombieding, das dich suizidal werden lässt?“
Akira sah ihn wieder wild und ungläubig an. Werden? Das war ich doch schon immer!
„Hast du vergessen, wie ich gestorben bin?“
„Nein, aber das war Absicht. Das hier nicht. Deine Worte.“
Akira musste Luft holen.
„Ich will jetzt nicht mehr sterben,“ gab er in vernünftiger Lautstärke zu. „Jetzt habe ich keinen Grund mehr dazu. Ich habe nur noch Gründe, um weiterzu- ... leben.“ Er erwiderte Keis Blick standhaft. Seine Hand, die von Keis festgehalten wurde, entspannte sich.
„Das ist gut.“ Sagte Kei leise. Das bestätigte seine Vermutung, dass da irgendwas nicht stimmen konnte.
„Ja,“ stimmte Akira zu. „Und leben kann ich nur mit dir.“ Das hätte er nicht sagen müssen, aber irgendwie war ihm das überhaupt nicht peinlich, obwohl er Kei immer noch direkt ansah. Wenigstens weinte er nicht mehr.
Kei erwiderte den Blick. Er wusste nichts zu sagen, aber das war egal bis gut so, denn sonst hätte er irgendwas dummes gesagt oder etwas, das er nicht sagen wollte.
„Ich kann nicht mehr denken. Wenn du weg bist, schaltet sich mein Gehirn einfach ab, und wenn du da bist... kann ich auch nicht denken,“ schloss Akira lahm.
„Dafür denkst du ganz schön viel.“
„Und du zu wenig!“ warf Akira automatisch zurück.
„Fresse!“
Akira sah ihn an, als habe er ihn gerade geohrfeigt. Irgendwie finde ich, du solltest in so einem Moment netter zu mir sein.
„Arschloch!“
„Erzähl mir was neues,“ sagte Kei schmunzelnd.
„Was neues...“ Akira hatte den trotzigen Einfall, Kei beim Wort zu nehmen und ihn mit irgendeiner Aussage zu verblüffen. Nach wenigen Sekunden scharfen Nachdenkens beschloss er, nicht etwas zu sagen, das Kei noch nicht wusste - da gab es nicht viel, das ihn überraschen würde - sondern einfach etwas deutlich auszusprechen, das er nie gesagt hatte und unter normaleren Umständen auch nie sagen würde.
„Es - Dass du so ein sadistisches Arschloch bist, macht mi-“ Nein, vergiss es. Sowas konnte man nicht aussprechen. Und das nur für ein patziges Comeback. Akira schüttelte den Kopf und zog seine Hand zurück, die Kei noch immer am Handgelenk hielt. Kei ließ ihn aber nicht los, sondern hielt Akiras Handgelenk noch etwas stärker fest.
„Ich weiß.“ Das war nichts neues. Das wusste er schon seit dem Konzert auf dem sie sich zufällig begegnet waren. Er hatte den Kleineren noch nicht auf dem Boden abgesetzt. Mit einem Arm hielt er seinen Freund so, wie er ihn aufgefangen hatte.
Akira wurde rot. Fick dich, fuhr ihm durch den Kopf. Er musste die Lippen zusammenkneifen, um das nicht laut auszusprechen. Kei würde daraus machen, was er wollte, und er würde es genauso verstehen, wie Akira es eigentlich meinte. Er kniff die Augen zusammen. Manchmal taten ihm seine eigenen verqueren Gedanken vor Lächerlichkeit fast weh. Und Kei starrte ihn an.
Ich werfe mich dir jetzt nicht an den Hals.
Dass er ihm zufällig schon am Hals hing, fiel ihm dabei nicht auf.
Keis Grinsen wurde angesichts der Tatsache, dass Akira rot wurde etwas sichtbarer. Sein Blick lag auch noch immer auf seinem Freund.
Der provoziert mich nur. So leicht kann ich nicht zu durchschauen sein. Mutig entschlossen traf er Keis Blick wieder.
„Gut, du bist dran. ‚Erzähl mir was neues.‘“
Kei dachte nach. All das, was Akira von ihm nicht wusste, sollte ungewusst bleiben. Das wäre besser so. „Etwas neues, ja?“
Akira nickte langsam. „And it better be something relevant,“ warnte er finster, wobei er das Wort ‚relevant‘ so langsam und deutlich aussprach, dass Kei es verstehen musste.
Kei dachte nach. Was kann ich ihm erzählen? Es kam wirklich nicht viel infrage, das tatsächlich relevant und gleichzeitig erzählbar war. Er wollte nicht. Da gab es zu viel. Vergangenheit sollte besser tot bleiben... „...What do you want to know?“ fragte er stattdessen ruhig.
Als er sah, dass Kei offenbar tatsächlich ernsthaft darüber nachgedacht hatte und nun scheinbar bereit war, offen! mit ihm zu reden! lächelte Akira ein bisschen.
„Lass mich runter,“ bat er ruhig.
Kei setzte Akira ab und sah ihn an.
„Danke fürs Auffangen.“ Akira blieb so dicht bei Kei an diesem alten Eisenzaun stehen, wie er ihn hingestellt hatte. Er wischte sich kurz mit den Händen über das Gesicht und sah seinen Vampir dann wieder an, nicht mehr verzweifelt aber etwas erschöpft, und lächelte leise.
„Ich kann dich nicht einfach so sterben lassen. Wenn dann richtig,“ erwiderte der Vampir und lächelte fast unmerklich. Er stand an den Zaun gelehnt und zündete sich eine Zigarette an. Den Rauch blies er nach oben.
„Wenn, dann durch deine Hand, meinst du.“ Akira winkelte ein Bein an und legte das Knie auf die niedrige Betonmauer am Fuß des Zauns.
„Ja.“ Niemand außer ihm selbst durfte ihm Akira wegnehmen.
Akira gab dem plötzlichen Drang nach, seinen Kopf an Kei zu lehnen. Seine Schultern waren dafür ein bisschen zu hoch, aber er war über der Gürtellinie nackt, also war es Akira gleich, ob sein Gesicht für ein paar Sekunden auf dessen Arm oder Brust lag - das genehmigte er sich auch wirklich nur ein paar Sekunden lang.
Kei schaute zwischen Akira und seiner Umwelt hin und her, bis er mit dem Blick an der Kante des Daches von dem sein Freund sich hinuntergestürzt hatte - wenn auch unabsichtlich, hängenblieb. Fast unmerklich strich Keis Hand, die einfach seitlich herunterhing, über Akiras Arm, bevor er sie in die Hosentasche steckte.
„Es gibt nichts neues, das ich dir gern erzählen würde,“ beantwortete er die Frage, die Akira ihm zuvor gestellt hatte.
„Warum nicht,“ fragte Akira leise. Er drehte sich etwas, sodass er dicht neben Kei stand, und setzte sich auf die Mauer.
„Aus Gründen, aus denen man nicht gern über Vergangenes spricht...“ begann Kei leise, führte das aber nicht weiter aus.
Akira musterte ihn von unten.
„Musst du auch nicht. Aber wenn du mal das unerwartete Bedürfnis haben solltest...“ Er kratzte sich verlegen am Hinterkopf. „Manche Leute haben nicht gern Geheimnisse vor denen, die sie...“ Er räusperte sich und schob sich die Hände in die Hosentaschen.
Das war wohl ein Bedürfnis, das Kei niemals verspüren würde, aber man wusste bekanntlich nie. Der Vampir am wenigsten. Trotzdem blieben manche Geheimnisse und manche Ereignisse besser unerwähnt. Auch wenn sie wichtig zu wissen wären, um ihn zu verstehen.
Er nickte leicht. Er mochte seine Geheimnisse nicht.
„Stört es dich übrigens, dass ich mitteilungsfreudiger bin als du?“ Akira brachte es fertig, dieses ehrliche Anliegen in einen leichtherzigen Ton zu verpacken.
„Nein. Das heißt immerhin nicht, dass ich's auch sein muss,“ entgegnete Kei ruhig. Den Blick vom Dach auf Akira gerichtet.
„Richtig...“ Akira hatte zu ihm hinaufgesehen und fand sich nun nicht mutig genug, diesem ernsten, leuchtend blauen Blick zu begegnen, und sah unwillkürlich auf die fleckigen und mittlerweile fransigen Knie seiner Jeans. „Diese Blödheiten... ich mache diese merkwürdigen Sachen nicht mit Absicht. Ich will sie nicht machen. Weißt du das?“
Vielleicht konnte Kei ja ein bisschen hellsehen und damit erraten, dass Akira damit alles von seinen unfreiwilligen Selbstmordversuchen über das Schwanzlutschen bis hin zu seinen Gefühlsausbrüchen meinte.
„Ich gehe einfach mal davon aus, dass du das sonst nicht als Dummheiten betiteln würdest,“ mutmaßte Kei. Er wusste, dass Akira diese Dinge nicht absichtlich tat. Jedenfalls nicht böswillig. Das glaubte er ihm auch.
Er nickte. Beging er seine eigenen Dummheiten doch auch nicht alle absichtlich.
Akira blickte auf die Zigarette. „Kannst du Tüten drehen?“
„Ja, wieso?“
Akira musste ein bisschen lachen. „Wieso? Weil wir Gras haben.“ Er stand auf.
Das hatte Kei beinahe verdrängt. Kaum zu glauben, aber wahr. „Haben wir Tabak und Blättchen?“


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