Monday, April 18, 2016

Kei + Colin LXXV: Aus der Hölle


Sie fuhren langsam, und ziemlich offensichtlich einige weite Umwege, auf denen sie erst Delilah und dann Jane verloren. Es dauerte wieder Stunden, bis sie nach Camden kamen. Erst um kurz vor elf fuhr Dennis auf den Parkplatz eines pakistanischen Supermarktes und parkte dort.
Kei sah auf. "Sind wir da?"
"Fast. Der Club ist auf der anderen Seite." Dennis stieg aus und schloss die Tür, dann ging er zum Kofferraum. "Wir können da hinten über die Mauer, wo die Europaletten und die Getränkekisten stehen."
"Dieser Aufzug für die Hintertür?" Kei steig ebenfalls aus und folgte zum Kofferraum, wo er sich zwei Waffen aus der Reisetasche nahm. Dennis zog sich das Jackett aus. Er nahm sich auch ein paar Pistolen samt Gurt und ein paar Magazine.
"Drinnen müssen wir immer noch einen passenden Eindruck machen. Wir können das Auto nur nicht vor der Tür stehen lassen, wenn wir hier auch wegwollen." Er schnallte sich den Gurt um, lud die beiden Glocks und steckte sich vier Ersatzmagazine ein. "Nenn mich Suzuki."
"Was für ein Allerweltsname. Aber gut, du bist der Boss." Kei war sich ziemlich sicher, dass die Typen mittlerweile wussten, unter welchem Namen er unterwegs war. "Matsumoto. Dein Untergebener für die nächste Stunde."
"Für die nächste Stunde?" Dennis zog sich wieder das Jackett über und schloss mit einem süffisanten Lächeln den Kofferraum. "Das bist du schon seit einer Woche."
"Nein, ihr lasst mich nicht tun, was ich will. Das ist ein Unterschied zu freiwilliger Bereitschaft das zu tun, was du willst." Die letzten Tage war Kei dazu gezwungen worden, sich zu benehmen.
"Untergebene erklären sich nicht jedesmal dazu bereit, eine Anweisung auszuführen." Gemächlich schlenderte Dennis auf den Seitenhof zu, auf dem Müllcontainer und besagte Europaletten zwischen vermülltem Gestrüpp untergebracht waren. "Sie müssen nicht immer neu überzeugt werden. Sie führen ihre Anweisungen aus und vertrauen darauf, dass ihr Boss weiß was er tut."
Kei sparte sich die Antwort und ging neben ihm her. Ich vertraue nicht darauf, dass du weißt, was du tust, aber ich hoffe für dich, dass du weißt worauf ihr euch eingelassen habt.
Als sie außer Sicht jeglicher Passanten und Einkäufer waren, sprang Dennis bequem über die etwa zwei Meter hohe Ziegelmauer, von der bereits der weiße Putz abbröckelte. Auf der anderen Seite sah er sich nonchalant um und schob sich die schwarze Brille höher auf die Nase. Hier war noch mehr trockenes Gesträuch mit Papierfetzen und Bierdosen, und in einer Ecke des Hofes stand ein Haufen Sperrmüll herum. Auf eine Tür in der dünnen Holzwand hinter diesem steuerte Dennis gelassen zu.
Kei tat es ihm gleich und sah sich um. Das war der marodeste Hinterhof, den er je gesehen hatte. Hier mit Colin und Verfolgern durchzukommen könnte schwierig werden, wenn das der einzige Ausgang war, wirklich groß war die Tür nicht gerade. Er folgte Dennis in kleinem Abstand.
Im nächsten Hinterhof, der etwas größer und frei von Abfall war, nickte Dennis zu einer Kellertreppe mit grünlackiertem Eisengeländer.
Als sie darauf zugingen, öffnete sich eine schwarze Erdgeschosstür neben dem Treppenaufgang und ein bulliger, glatzköpfiger Schwarzer trat heraus. Er musterte die beiden mit strengem Blick und trat dann stumm zur Seite, um für seine Begleiter Platz zu machen. Es waren zwei Frauen in mittlerem Alter, mit scheinbar sehr teuren, edlen Kostümen und Schmuckstücken am Leib. Dennis blieb stehen, lächelte freundlich und verbeugte sich. Die Damen nickten und gingen geziert die Treppe hinunter. Der Leibwächter behielt alle vier wachsam im Blick und ließ Dennis und Kei scheinbar den Vortritt.
Kei spielte den anständigen Japaner und verbeugte sich ebenfalls zur Begrüßung, ehe er hineinging. Lächeln tat er jedoch nicht.
Im sehr dunklen Vorraum, der wie die Miniaturversion eines alten Kinofoyers aussah, galt alle Aufmerksamkeit den beiden Damen und der Leibwächter beobachtete nun mehr die Kassiererin und die jungen Frauen, die den Damen ihre Jacken abnahmen, als die beiden Japaner. Ein Mädchen in roter Bluse und schwarzer Weste kam auch zu ihnen und grüßte sie lächelnd. Sie streckte ihre Hände aus, um Dennis aus dem Jackett zu helfen, doch er schüttelte nur den Kopf und winkte lächelnd ab. Kei wollte sein Jackett auch lieber anbehalten und sah sich im Raum um.
Dennis ging zur Kassiererin und zählte ihr umständlich einige Pfundnoten auf die Theke. Es sah sehr überzeugend aus, wie er die Zahlen auf den Scheinen studierte und die Frau scheinbar ahnungslos anlachte. Sie lächelte freundlich zurück und sortierte die Scheine weg. Dann gab sie ihm ein paar goldgemusterte blaue Plastikchips und zeigte nickend auf die große Doppeltür neben ihrer Theke.
Kei wartete bis Dennis wieder da war, sich fragend, wozu diese Plastikchips bestimmt waren. Sein werter Herr Verwandter würde ihm das sicher gleich berichten. In der Tat zeigte Dennis sie ihm, sobald er zu Kei zurückgekehrt war. Seine Maske aus freudiger Erregung aufrechterhaltend, erklärte er: "Die hier sind zum Wetten. Du kannst auf die Kämpfer setzen. Muss man nicht, aber die ersten zwei Chips sind im Eintrittspreis inbegriffen." Er hielt Kei zwei der vier Chips hin und lachte die beiden Damen an, die nun etwas freundlicher lächelnd an ihnen vorbeistolzierten und mit ihrem Leibwächter durch die edle Doppeltür schritten.
"Meinen Wetteinsatz behalte ich lieber für mich." Er nahm die Chips trotzdem an sich und steckte sie weg. "Du wirst mir sicher nicht erzählen, was wir genau vorhaben, oder?"
Dennis ging auf die Doppeltür zu und winkte Kei hinter sich her. "Wir warten, bis er rausgeschickt wird. Vorher bekommen wir ihn nicht zu Gesicht. Dann müssen wir sehen, wie viele Zuschauer es bei dem Kampf gibt und ob wir ihn unterbrechen können. Vielleicht können wir einen Zwischenfall verursachen, um ihn aus der Grube zu holen. Vielleicht können wir beobachten, wohin er hinterher weggesperrt wird und so herausfinden, wo sie ihn halten..." Dennis sah skeptisch aus. "Allerdings ist das... unwahrscheinlich. Er soll ja angeblich gegen das Konstrukt antreten."
Dass dabei die Wahrscheinlichkeit eines Hinterher-weggesperrtwerdens ziemlich gering ausfallen würde, musste er nicht aussprechen.
"Wir stellen wir das an? Reinspringen und um uns ballern ist wohl keine Option."
Dennis schüttelte den Kopf. Hinter der Doppeltür gab es noch einen Vorraum, weniger edel und ohne Teppichboden, aber größer und mit einer dunklen Spiegelbar, Sofas, Sesseln und Tischen, und mit einer großen Tafel auf der einen Wand und großen Flachbildschirmen an den drei anderen. Auf ihnen waren zwei verschiedene kleine Hallen zu sehen, die beide tiefe runde Becken in der Mitte des Fußbodens hatten. Um sie herum gab es metallene Geländer und viel Platz zum Gehen, dann tribünenartig an den hohen Wänden hochgebaute Zuschauerbänke, sogar mit Balkons, auf denen Sessel standen.
Eine der Gruben war wie ein Schwimmbecken gekachelt und braungefleckt, die andere sah einfach nur schwarz aus. Sie waren beide mit Kuppeln aus Eurodraht überzogen, der allerdings so grobmaschig darübergenetzt war, dass er die Sicht auf das Geschehen darunter nicht behinderte und ein normal großer Mensch mit angelegten Armen bequem hindurchpassen würde.
Auf den Monitoren war auch zu sehen, dass bereits einige Zuschauer auf den Bänken um die dunkle Grube herum platzgenommen hatten. Scheinbar wurden dort gerade verschiedene Scheinwerfer ausprobiert, und ab und zu drangen metallene Geräusche in diesen Barraum, wo sich die Gäste laut unterhielten und diskutierten. Vor der Tafel standen zwei Männer, die sie beschrifteten. In einer Zeile stand:
'Construct VS Ghoul'
Was haben sie mit dir angestellt? Kei sah sich um und verbarg seine Verachtung hinter einem Gesicht aus toter Gleichgültigkeit. Seit Colin gefangengenommen worden war, hatte er kein Bisschen Farbe mehr im Gesicht. Mit der dunklen Sonnenbrille und den schwarzen Haaren sah er aus, als wäre er entweder tot oder seit fünf Jahren nicht mehr in der Sonne gewesen.
Dennis' fröhliche Touristenmaske erstarrte für ein paar Sekunden, als er sah, wie die Einsätze auf das Konstrukt notiert wurden, und ging gemächlich auf eine Tür zu, in der eine Art Bullauge saß. Sie führte in die Halle mit der dunklen Grube.
Just in den Moment drang die Ansage durch alle Räume, dass es nun halb zwölf sei und die Kämpfe bald beginnen würden. Hinter Kei und Dennis drängten sich nun relativ gesittet mehr Gäste und strömten in die Bankreihen.
"Lass dir was einfallen, Meister der Pläne. Lange warte ich nicht." Kei ließ sich in der vorderen Bankreihe auf einen Sitzplatz fallen. Dennis setzte sich neben ihn und rieb sich angespannt über die Knie, während er sich umsah.
"Ich bin für jeden Vorschlag dankbar."
"Kriegen wir die Leute hier raus? Mit 'nem Feueralarm oder so? Ich schlag derweil Colin und den Gegner K.O. und bring ihn raus."
Das Licht wechselte und klassische Musik begann zu spielen. Unter der Decke über der Kuppel strahlten zwei Beamer zwei gegenüberliegende Wände über den Tribünen an, die beiden, über denen keine Catwalks mit Balkons angebracht waren.
"Welcome, Ladies and Gentlemen, welcome! The match will begin in a short while, but until then, let us reprise and enjoy the previous fights of today's esteemed contestants!" tönte es aus Lautsprechern, während Bilder von einer riesigen, metallbewehrten Figur, die unter Kreischen und Knacken irgendwelche armen Teufel in ebendieser Grube zerfetzte, über die beiden Wände flackerten.
"Gute Idee... das mit dem K.O.-Schlagen kannst du vergessen. Die Ablenkung ist aber gut..." sagte Dennis.
"Wenn mir jemand das Konstrukt vom Hals hält, kann ich auch versuchen ihn zu überreden..." Denken tat Kei an etwas anderes.
"The Construct, undisputed champion for almost a year now, an immortal tank, it would seem, with sixty-four wins and only two losses under its steely belt -"
"Ich weiß nicht, ob sich das da -" Dennis nickte zu den Bildern an der Wand, die nun zeigten, wie unmenschlich riesige Pranken einen Mann in der Mitte durchrissen - "ablenken lässt. Aber ich kanns versuchen."
"Umbringen geht auch."
"Today facing a surprising newcomer, a human -" Nun war die gekachelte Grube zu sehen, in der sich zwei menschlich aussehende Kontrahenten gegenüberstanden. Ein sehr muskulöser Mann in Arbeitsstiefeln und Overall schwang eine dicke Kette, die sich um das Bein eines blassen blonden Jungen wickelte. Er war von Blutergüssen in Form der Kettenglieder bedeckt, was dadurch gut zu sehen war, dass er außer einer zerrissenen Jeans überhaupt keine Kleider trug.
"Das haben schon viele versucht. Ich weiß nicht, ob man das Konstrukt töten kann."
Von Colins Anblick auf dem Bildschirm war Kei entsetzt und auf eine merkwürdige Weise fasziniert, was vor allem der relativ kleiderlosen Brutalität geschuldet war. "Okay, irgendwie kampfunfähig für ein paar Minuten."
Der Mann riss den Jungen zu Boden und zog ihn zu sich. Als er vor ihm lag, schnappte etwas, das um die rechte Hand des Jungen geschnallt war, hervor und wurde unter das Kinn des Mannes gestoßen. Colin zog seine Klingen wieder herunter und blieb liegen, während der Mann über ihm wankte und einen Blutregen losließ.
"Das kriege ich hin. Einen Feueralarm gibt es sogar. Ich werde unseren Leuten draußen bescheid sagen. Die kümmern sich darum. Ich um das Konstrukt, und du schaffst ihn raus."
"Alles klar." Ein blutiger Colin. Welch herrlicher Anblick. Amok laufen konnte er danach. Würde er auch. Wenn auch nicht an diesem Tag. Colin war wichtiger. Er sah wieder kurz auf den Bildschirm mit dieser Mischung aus Verachtung und Faszination.
"Three wins and no losses so far, and this boy has bested even our seasoned favourite, James Phelps' Big Brother."
Nun zeigten die Bilder, wie Colin auf dem zusammengesackten Fleischberg kniete und ihm mit seiner Messerhand eilig den Rücken aufriss, um mit seiner freien Hand Rippenstücke herauszunehmen und dann einen großen Lungenfetzen hervorzuholen, den er sofort gierig zu fressen begann.
"You can see why we think it's time he met the Construct - we have only so many other opponents, after all." Einige Zuschauer lachten.
Kei wartete. "Gib mir ein Zeichen, wenn's losgeht." sagte er ruhig.
Dennis nickte und sah sich weiter die Montage an. Es wurden noch mehr Szenen gezeigt und dabei Musik gespielt, die nun vom klassischen Orchester abgerückt und zu finsterem Industrial übergegangen war.
Es kamen noch mehr Zuschauer dazu, bis es fast zwölf Uhr war. Die Musik schwoll weiter an und der Film hörte auf. Nun wurden dafür Scheinwerfer auf die Grube gerichtet.
Keis Gesicht war versteinert auf die Grube gerichtet. Er wartete. Die blauen Augen hinter der Sonnenbrille verborgen.
In der schwarzen Wand der Grube öffnete sich knarrend eine schwere Stahltür. Der Gang oder Raum hinter ihr war finster.
"The challenger, the human! Who devours his opponents - but will he choke on the hard steel of the Construct? I give you - The Ghoul!"
Die Zuschauer jubelten und klatschten, während aus der Schwärze hinter der geöffneten Tür Colin hevortrat - oder mehr, geschubst wurde. Seine Arme waren mit dicken Eisenriegeln hinter seinen Rücken gefesselt, seine Fußknöchel mit einer kurzen Kette, und um den Kopf trug er ein Eisengestell, das etwas an ein mittelalterliches Folterinstrument erinnerte.
Kei blieb sitzen, ließ sich nichts anmerken. Wäre er ein Mensch mit funktionierenden Emotionen hätte er sich jetzt übergeben. Aber er war kein Mensch und funktionierende Emotionen kannte er nicht. Das Entfesseln seines Freundes durften diese Wichser gerne übernehmen, für den Rest würde er sorgen.
Gegenüber von Colin, in der Wand, die Kei und Dennis nicht direkt sehen konnten, öffnete sich ebenfalls eine Tür. Die hinter Colin war noch offen. Von den Eisenbändern um seine Unterarme aus führten ein paar dünne Stangen in das Dunkel hinter ihm hinein. Er bewegte minimal den Kopf, als sich die zweite Tür öffnete, und riss die Augen auf, während er weiter nach vorn geschubst wurde. Gleichzeitig klickte und knackte es um ihn herum und seine Fesseln öffneten sich. Er riss sich den Käfig vom Kopf und warf ihn auf den festgetretenen Erdboden, wo er rasselnd liegenblieb. Ein kleineres Eisengerät wurde neben Colins Füße geworfen, bevor die Tür hinter ihm zufiel. Ihr Krachen schien nicht aufzuhören sondern nahtlos in ein lautes, kreischendes Rasseln überzugehen, das lauter wurde, als das Konstrukt in die Grube trat. Das Publikum johlte.
Colin war in die Knie gegangen, um seinen Klingenhandschuh aufzuheben und umzuschnallen, während er mit konzentriertem, hungrigem Blick das nicht mehr ganz menschliche Wesen aus Muskelbergen und Eisenplanken vor sich in Augenschein nahm.
"Jetzt," flüsterte Dennis und stand auf.
Kei wartete auf den Feueralarm, der die Menschen ablenken sollte. Er blieb sitzen, war aber dazu bereit sofort auf Colin zu springen - oder neben ihn.
Ein rotes Blinken, begleitet von einem durchdringenden Brummton, erfüllte die Halle.
"Fire!" rief einer der Buchmacher, der in die Halle gestürzt kam.
Die Zuschauer drehten sich verwirrt auf ihren Sitzen, einige standen auf und gingen eilig zum Ausgang.
Derweil schritt das Konstrukt mit erhobenem Arm auf Colin zu, der überrascht aufblickte. Kei sprang dazwischen. Den klingenbestückten Drähten über der Grube wich er dabei mit Leichtigkeit aus.
"Time to go! Kommst du freiwillig oder muss ich dich zwingen?"
Die meisten Zuschauer waren nun etwas hastiger unterwegs, während Rauch aus dem Vorraum in die Halle drang. Unpraktischerweise schien dies aber der einzige Ein- und Ausgang zu sein.
Dennis stand hinter dem Konstrukt am Geländer, das er krampfhaft umklammerte, während er angestrengt auf den Fleischbatzen starrte, der der Kopf des Konstrukts sein musste. Es schwang seinen stachelbewehrten Arm und rammte ihn desorientiert neben Kei in den Boden. Es krachte und kreischte, schwarze Krustenflocken stoben auf und Colin riss seine Arme vor das Gesicht. Er starrte Kei erstaunt an.
Das Konstrukt blieb so stehen und begann zu zittern.
Dennis ächzte angestrengt.
Kei warf sich Colin über die Schulter. "Wir reden später. Suzuki-kun! Wir gehen." Er machte mit Colin einen Satz aus der Grube. "Erkennst du mich?" Er mischte sich mit Colin unter dem Arm, dem er schnell sein Jackett übergeworfen hatte, zwischen die hinausdrängenden Besucher. Dies war der einzige Weg nach draußen.
Mit einem saftigen Knirschen und Erschaudern all seiner Metallteile platzte dem Konstrukt der Kopf und Dennis stöhnte erleichtert auf, während er schon zu laufen begann.
Colin ließ Kei ihn festhalten, sagte aber nichts und schien ihn auch gar nicht zu hören, er sah ihn nur zwischendurch mit großen Augen an. Ihn und die Nachzügler des Publikums, die vor ihnen in den verrauchten Vorraum eilten, wo man nichts mehr sehen und ganz sicher nicht mehr atmen konnte. Colins Füße waren von dem Klingendraht über der Grube aufgerissen worden, als Kei ihn herausgezogen hatte, aber das schien ihm überhaupt nicht aufzufallen. Er hinterließ nur humpelnd eine fleckige Blutspur.
Dennis flankierte ihn und versperrte so effektiv die Sicht auf seinen rechten Arm mit der Klingenhand.
Kei führte ihn nach draußen und rannte los sobald sie aus Gebäude und Rauch raus waren. Sehr schnell war er mit Colin in den Hinterhöfen verschwunden. "Das Auto. Schnell," teilte er Dennis mit.
Colin ging mit, versuchte aber unterdessen, das Jackett und Keis Griff abzustreifen. Scheinbar störten sie ihn.
Dennis nahm den direkteren Weg und sprang blitzschnell über die Zäune und Mauern auf den Parkplatz. Innerhalb von Sekunden saß er im Wagen, hatte ihn gestartet und war damit vor die Mauer gefahren, wo er per Knopfdruck die Rücksitztür öffnete.
Kei beförderte Colin ins Auto und setzte sich dazu. Sobald die Tür zu war ließ er ihn los. "Tut mir Leid, dass das so lange gedauert hat."
Dennis raste sofort los.
Colin rappelte sich auf und setzte sich hin. Staunend betrachtete er das Innere des Autos, hielt sich am Sitz vor sich fest, wenn es in Kurven und beim Bremsen und Beschleunigen heftig wackelte, und schließlich sah er Kei genau an.
"... Macht nichts," sagte er.
Auf einmal lachte er kurz, was genausogut ein Schluchzen sein konnte, und hielt sich dann mit einem ungläubigen Starren den Mund zu. Seine Augen wurden nass.
Kei nahm ihn in den Arm und hielt ihn leicht fest. Macht doch was... Ich hätte früher da sein müssen...
Colin umklammerte ihn seinerseits, richtig fest.
Das ist ein Puls. Ich habe einen Puls. An Keis Hals holte er tief und schaudernd Luft.
"Festhalten," warnte Dennis, bevor er viel zu schnell in eine Neunziggradkurve ging und sich die linke Seite des Autos von der Straße hob.
Kei drückte ihn ein wenig dichter an sich. Blut durch seinen Körper fließen zu spüren war ein angenehmes Gefühl. Er mochte es sehr. Kei hielt Colin fest, als sich der Wagen hob.
Dennis fuhr stumm weiter und während die Gebäudekulisse draußen abnahm, wurde er langsamer und hielt sich irgendwann an die Verkehrsregeln.
Colin hielt Kei weiter fest.
Das ist mein H- SEIN HERZ! Ich kann sein Blut hören. Das riecht so gut. Sein Gesicht behielt er an seinem Hals vergraben, im weißen Hemdskragen, der nun allmählich feucht wurde.
Kei störte es nicht, dass sein Hemd - es war nicht einmal seins - nassgeweint wurde. Dem Vampir wurde allmählich warm und es kehrte etwas mehr Farbe in sein Gesicht zurück - er sah nicht mehr ganz tot aus.
"Wir sind 'ne Weile unterwegs. Du kannst schlafen, wenn du willst."
"Nein," flüsterte Colin.
Er wollte nicht schlafen. Er war nicht müde. Wenn er jetzt schlafen würde, wäre das hier vorbei. Vielleicht würde er nicht aufwachen. Vielleicht würde er da aufwachen, wo er hingehörte.
Nein. Diese Autofahrt konnte seinetwegen ewig dauern.
Er lockerte seinen Griff um Kei.
Der lehnte sich leicht an Colin. "Okay." Die Fahrt würde noch eine Weile dauern. Eine ganze Weile. Schlafen ist gar keine schlechte Idee... Er wollte nicht einschlafen, auch wenn neben Colin einschlafen eine herrliche Aussicht war.
Colin behielt Kei im Arm und sein Gesicht auf dessen Schulter, bis Dennis den Mercedes Stunden später schließlich anhielt. Er hatte zwischendurch die Augen geschlossen, aber sehr genau darauf geachtet, dass er nicht einschlief.
"Wir bleiben erstmal hier. Morgen können wir vielleicht ins Schloss zurück," erklärte Dennis, als er den Motor ausschaltete. Draußen dämmerte es.
"Alles klar. Sind sie uns gefolgt?" Kei erhob sich vorsichtig. "Komm mit. Wenn du müde wirst, dann schlaf. Ich pass auf."
Vorsichtig und langsam stieg er aus dem Wagen.
"Sehr wahrscheinlich. Ob wir sie abgeschüttelt haben, wird sich jetzt bald herausstellen." Dennis sah sich um, während die beiden ausstiegen. Sie waren wieder beim Safehouse vom Vormittag. Weder Delilah und Jane noch ihre Motorräder waren zu sehen.
Colin folgte Kei. Er humpelte nicht mehr und die Schnitte an seinen Füßen waren verheilt. Er nahm Keis Hand mit seiner freien (an der rechten trug er immer noch den Klingenhandschuh) und sah sich auch um. Es war niemand auf der Straße zu sehen. Gerade gingen die Straßenlaternen an.
Kei hielt Colins Hand fest. "Haben Delilah und Jane einen Umweg genommen?" erkundigte er sich, sein Interesse galt jedoch seinem Freund. Den führte er in das Gebäude. Sicher war sicher. Colin und er sollten vielleicht nicht gesehen werden.
Die quakende Dame schien nicht anwesend zu sein. Das Haus war dunkel. Dennis folgte ihnen hinein und schloss die Tür ab.
"Sie kommen nicht her. Sie waren mit dafür zuständig, von uns abzulenken... Ich sage besser nicht, wo sie hin sind... wenn man verfolgt wird, ist es am besten, sich zu trennen, und nicht zu wissen, wo die anderen hingehen." Er warf seine Mütze auf einen Hutständer und deutete auf die Treppe. "Da oben sind Schlafzimmer. Und ein Badezimmer."
Er drehte sich um. "Ach ja, ich muss mich noch ums Auto kümmern. Ich bin gleich zurück." Er gab Kei den Hausschlüssel und ging wieder hinaus.
Kei nahm den Schlüssel entgegen und führte Colin ins Haus nach oben, wo seine erste Tat war, den Anzug loszuwerden.
Colin blieb bei der Tür des Schlafzimmers stehen und sah unschlüssig aus. Er sah Kei beim Ausziehen zu. Währenddessen begann er, etwas auf und ab zu gehen. Die Messer an seiner Hand schnappten vor und zurück.
Kei zog seine Hose vom Morgen wieder an. "Meinst du, dass du die Messer brauchst?" fragte der Vampir leise. Dass seine eigenen Kleidungsstücke von Waffen nur so wimmelten, ließ er unbeachtet. Colin offen bewaffnet zu sehen war er nicht gewohnt.
"Ich weiß nicht," erwiderte Colin sachte. Wahrscheinlich nicht. Aber das hatte er zwischendurch immer wieder geglaubt, und dann - "Ich weiß nicht," sagte er noch einmal, etwas nachdrücklicher.
Er starrte fasziniert auf die bunte Geisha auf Keis Rücken.
Sollte er sie haben. Kei machte das nichts aus. "Dann behalt sie bei dir. Vielleicht brauchst du sie noch." Er war nicht davon überzeugt, aber wenn die Kerle noch mal auftauchten, konnten Waffen nützlich sein. Kei schaute ihn leicht lächelnd an. "Das kennst du doch schon," kommentierte er Colins Blick.
Colin nickte langsam. Sein Blick war nun ein wenig misstrauisch und er schien Kei vorsichtig zu mustern.
"Nicht für mich. Die anderen tun dir auch nichts. Aber wenn wir unangenehmen Besuch kriegen, dann kannst du deine Messer brauchen," erklärte Kei mit leicht fragendem Gesicht.
"Kriegen wir den?" fragte Colin in einem Ton, der Kei unterstellte, darauf die Antwort zu wissen. Er machte einen Schritt auf Kei zu.
"Ich gehe nicht davon aus, dass wir ihn sehr bald kriegen, aber kriegen werden wir ihn."
Colin machte noch einen Seitwärtsschritt auf Kei zu.
"Wie heißen meine Freunde?" fragte er.
"Welche meinst du?"
"Von zuhause. Wie heißen sie... wie heißt mein bester Freund?" Er kam noch ein Stück näher und streckte die freie Hand vorsichtig nach Keis Schulter aus, wo die Tätowierung etwas heraufkroch.
"Shingo. Er war in unserer Klasse."
Colins Finger strichen über die filigranen Ausläufer der großen Tätowierung und seine Augen wurden groß.
Kei lächelte ein wenig und musterte Colin. "Was is?"
Mit plötzlich wieder feuchten Augen sah er Kei ungläubig an, mit einer Mischung aus Schrecken und Freude in seinem Blick.
Kei schaute ihn fragend an. "Ich kann immer noch keine Gedanken lesen," verkündete er lächelnd.
Colin nahm seine Hand zurück und begann zu weinen. Ungeduldig und ungeschickt rupfte er an seinem Messerhandschuh herum, um ihn sich von der Hand zu reißen. Das funktionierte nicht gleich, weil er die Schnallen nicht zu fassen bekam, und so beugte er sich hinunter und klemmte ihn sich zwischen die Knie, um ihn abzuziehen. Als das auch nicht ging, knurrte er ein frustriertes Schluchzen und schlug mit dem Eisengestell auf den Bettpfosten.
Kei nahm seinen Arm, nachdem er sich neben Colin auf den Boden fallen gelassen hatte, hielt ihn fest und war beim Schnallenöffnen behilflich.
Colin schniefte und atmete schaudernd aus. Kaum dass der Handschuh gelöst war, drehte er sich zu Kei um und drückte sich an ihn. HOLY SHIT, THIS IS REALLY REAL. IT'S REAL THIS TIME.
Kei umarmte ihn. Er wusste nicht so ganz, wie er mit dem gerade aus der Hölle befreiten Colin umgehen sollte. Er war einfach froh, ihn wieder bei sich zu haben. Keis Gedanken liefen in viele Richtungen auf einmal.
Colins dagegen rannten im Kreis um eine winzige, wichtige Tatsache herum: Kei war echt.
Er hielt Kei fest und weinte weiter. Das konnte er nicht abstellen, und es machte ihm auch überhaupt nichts aus, dass er gerade Rotz und Wasser heulte und wimmerte wie ein Hund, er merkte es nicht einmal wirklich. Kei war wirklich echt.


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