Sunday, July 9, 2017

Kei + Colin LXXXVII: Embrace my instincts


|Vamps - Devil Side (Youtube)|

Als Colin wenig später wieder hereinkam, trug er den Rock und das schwarze, enge Beinkleid, das allerdings nicht die Strumpfhose war, denn die hatte er immer noch in der Hand und wurde nun achtlos aufs Bett gepfeffert. Das war momentan auch alles, was er anhatte, und es schien haargenau zu passen. Delilah und Kei hatten gutes Augenmaß bewiesen. Kei grinste leicht, als Colin aus der Tür kam. Ja, das hatten sie gut hinbekommen. Auch nur halb angezogen. Colin hatte sich entscheiden müssen, ob er sich lieber mit der Strumpfhose den Sack abklemmen oder mit den langen Strümpfen etwas Haut zeigen wollte. Die Wahl war ihm nicht schwer gefallen.
Ohne Kei anzusehen - er war schon rot und verschämt genug - zog er sich irgendein enges, dünnes Kapuzenshirt aus einer Schublade und zog es sich über, damit er sich die Perücke befestigen konnte.
„Hast du Spaß, ja?“ brummte er, während er mit Haarklammern und einem schwarzen Tuch hantierte, um die Haare festzumachen und den Ansatz zu verdecken.
„Ja, sehr viel.“ Kei grinste. Dann ließ er Colin allein. Er musste sich selbst auch noch anziehen.
Um acht Uhr war Colin fertig, fand er, oder zumindest so bereit, wie er jemals sein würde. Er dankte den beiden insgeheim für die unpeinlichen und bequemen Stiefel, die Abwesenheit jeglicher ausgestopfter BHs und die Ketten und Ledergurte. So war er wenigstens eine geschmackvolle Dragqueen. Der Sitz seiner Perücke musste noch etwas korrigiert werden, damit sie bei heftigeren Bewegungen nicht herunterfiel, aber das war mithilfe der Haarspangen und des Tuches leicht getan.
Kei trug ein schwarzes T-shirt mit Lederjacke - eigentlich wie immer - und eine schwarze Hose mit einem Loch am rechten Knie, die mit Kette und Nietengürtel dekoriert war. Er trug weiße Kontaktlinsen mit dem schwarzen Umriss eines Wurfsterns, um seine blaue Iris verschwinden zu lassen. Um seinen Hals baumelte das von Eric Clapton signierte Plektrum, das Colin ihm zum Geburtstag geschenkt hatte.
„Das ist viel zu auffällig, mein Freund,“ sagte Colin in der Eingangshalle und zeigte auf Keis Gesicht, während er ihm in die Augen starrte. In einer Hand hielt er einen kleinen Zettel, den ihm Delilah gerade gegeben hatte, zusammen mit einer ihrer Lederjacken. „Delilah wartet draußen,“ meldete er, während er sich die Jacke anzog. „Sie hat braune Linsen drin.“
„Ich kann ja braune Augen mit bunten Kontaktlinsen haben. Hauptsache, man sieht das Blau nicht,“ entgegnete Kei schulterzuckend.
„Und wenn du auffällst, werden die Leute sagen, ‚Oh da war ein Asiate mit komischen Augen,‘ und das wird schon reichen.“
Als sie nach draußen kamen, schien Delilah der gleichen Ansicht zu sein, denn sie sah Kei streng an.
„Ist ja gut. Bin sofort wieder da.“
Drei Minuten später kam Kei mit braunen Augen wieder zurück. Als er die Treppe herunterkam, zuckte Colin von Delilah weg und strich sich verstohlen über die Haare. Delilah stieg einfach ausdruckslos auf ihr Motorrad und setzte sich eine Sonnenbrille auf. Sie hatte keinen Helm dabei. Kei holte sich sein Motorrad und bedeutete Colin, aufzusteigen.
„Du kannst ja nicht fahren.“ Nicht mehr.
Er machte es umständlich, das Aufsteigen, denn immerhin trug er (fast) keine Hose. Und der Rock war nun doch ziemlich kurz. Er hoffte, dass Kei nicht darauf achten würde.
„Ich heiße übrigens Ivy Branson,“ informierte er Kei.
„Den Vornamen wusste ich. Es ist mir eine Freude, dich kennenzulernen.“
„Gleichfalls. Wie heißt du eigentlich?“ Colins Arme legten sich um Kei.
„Sakamoto, Kenichi.“ Kei freute an dem Namen nur, dass man immer noch Kei daraus basteln konnte. Er gab Colin/Ivy einen Helm, der am Lenker hing, und setzte sich den anderen auf.
„Ich weiß nicht, ob ich den aufziehen sollte. Die Perücke...“
„Herrscht in England Helmpflicht?“
„Ja.“
„Dann ja, aber vorsichtig.“
Gesagt, getan. Und als letzte Sicherheitsmaßnahme hielt er sich wieder an Kei fest. Nur Delilah schien sich darum nicht zu kümmern. Die war auch schon gemächlich vorgefahren und nicht mehr zu sehen. Kei bedeutete Colin, sich festzuhalten, und fuhr dann auch los. Er kannte den Weg, also war es egal, ob Delilah noch zu sehen war oder nicht. Auf der Fahrt beruhigte es Colin ungemein, dass sein Rock gut genug zwischen ihm und Kei eingeklemmt war, um nicht herumzuflattern. Dass er auf dem vibrierenden Sitz so dicht an Kei gedrückt dasaß, hatte allerdings einen gegenteiligen Effekt. Und sorgte für Nervosität.
Kei gefiel das. Auf der freien Straße fuhr er ein bisschen schneller. Erst als der Verkehr zunahm, fuhr er verkehrsgerecht.
Du bist zu schnell, fuhr Colin durch den Kopf. Aber viel machte ihm das nicht aus. Kei konnte fahren. Und nach ein paar Minuten fiel es ihm immer leichter, sich vorzustellen, dass er gehörig viel für ihn übriggehabt haben konnte. Es war offensichtlich, dass Kei mit seinen Fahrkünsten angeben wollte. Das konnte er gut. Als er wieder langsamer werden musste, weil der Verkehr etwas dichter wurde, hatte er Delilah wieder eingeholt. An einer roten Ampel nahm sie die beiden zur Kenntnis und ließ den Motor ein bisschen aufröhren, tat aber nicht so, als würden sie sich kennen.
Colin nahm diese Gelegenheit wahr, seine Hände scheinbar ziellos ein wenig auf Keis beledertem Bauch herumzubewegen. ‚Ich kann mir vorstellen, ihn gemocht zu haben‘ war ein sehr fadenscheiniger Versuch seines Gehirns, etwas körperlicheres und weniger leicht zu formulierendes zu verschleiern. Hey, Motorräder und Leder sind - so Dinge... Gib Ruhe, ich bin halt noch nie Motorrad gefahren, grummelte er innerlich.
Kei nahm Colins Berührungen zur Kenntnis und grinste in seinen Helm. Er nickte Delilah zu. Als es grün wurde, fuhr sie zahm hinter ihnen her. Kei fuhr zielgerichtet zu der Adresse der Konzerthalle, beziehungsweise dort in die Nähe, wo die Motorräder abgestellt werden konnten. Dort stieg Colin erst ab, als er es geschafft hatte, sich den Helm abzunehmen, ohne die aufgesetzte Frisur zu zerstören und ihn Kei zu reichen, damit er beim Absteigen mit freier Sicht dafür Sorge tragen konnte, dass sein Röcklein vorn keine verräterische Beule aufwies, für die er sich schämen musste. Tat es auch nicht, dafür sorgte er geschickt und sogar unauffällig. Kei nahm den zweiten Helm an sich und öffnete seine Jacke, nachdem er vom Motorrad abgestiegen war.
Colin schnappte sich das Plektrum und besah es sich genau. „Wo hast du das her?“ fragte er streng.
„Von dir.“
„Warum sollte ich dir das geben? Kennst du Eric Clapton überhaupt?“
„War ein verfrühtes Geburtstagsgeschenk und ja.“
Überrascht sah Colin zu ihm auf.
Er musste ihn ja wirklich vergöttert haben.
„Oh. ... Wann hast du denn Geburtstag?“ Er ließ das Plektrum los und trat einen Schritt zurück. Sicherheitsabstand. Kei war ein bisschen warm und roch gut.
„Ende Januar.“ Kei lächelte leicht.
„Oh,“ sagte Colin. Er hatte keinen Grund, ‚Oh‘ zu sagen. Er steckte die Hände in die Jackentaschen und sah sich um.
„Da lang,“ sagte Kei und deutete die Straße hinunter. Mit einem Nicken drehte Colin sich schwungvoll in diese Richtung und ging los. Nach den ersten paar Schritten hatte er es raus, dabei nicht bescheuert zu schlurfen. Es fiel ihm zwar nicht schwer und ging größtenteils auch unbewusst, musste aber dennoch erst einmal in Auftrag gegeben werden. Nun würde ihn jeder ohne Zweifel für ‚Ivy‘ halten können. Jeder außer Kei, aber das mit dem Namen bekam er hin. Er benutzte ohnehin nicht oft einen Namen, wenn er Colin/Ivy ansprach. Er folgte dem Kleineren, der wirklich überzeugend aussah. Delilah war nirgends zu sehen.
Am Eingang wurden Kei und Ivy vom Türsteher aufgehalten. Ausweiskontrolle. Er blickte dem jungen Mann in die Augen und fixierte ihn ein paar Sekunden lang. Dann winkte er sie einfach durch und wünschte ihnen einen schönen Abend. Erst in einem Nebenflur vor der eigentlichen Konzerthalle mussten sie das Ticket bezahlen, das aus einem Stempel auf dem Handrücken bestand. Dort befand sich auch die Garderobe, wo Kei die Helme abgab. Colin gab auch Delilahs Jacke ab und sah sich dann nach den Toiletten um. Er musste überprüfen, ob seine Haare wie Haare aussahen. Er zeigte auf das entsprechende Schild, sodass Kei es sehen konnte, und verschwand dorthin. Kei deutete mit einem Nicken seine Zurkenntnisnahme an und machte sich schnell daran, etwas zu trinken zu besorgen, bevor er mit zwei Bier wieder zum Eingang der Toilette zurückkehrte. Das ging schnell, weil noch nicht viele Besucher hier waren. Kei stand gerade ein paar Sekunden da, als Colin eilig seitwärts aus der Tür zur Herrentoilette stolperte. Kei schaute ihn fragend an und fragte sich, ob es auffällig war, wenn Colin die Herrentoilette in seinem Aufzug benutzte, entschied allerdings, dass ihm das eigentlich egal war. Die Blicke der anderen Leute waren aber durchaus sehenswert. Er hielt ihm eine Bierflasche hin. Mit verwirrtem und leicht gehetztem Blick riss Colin diese geradezu an sich, um gleich ein gutes Drittel ihres Inhalts hinunterzustürzen. Den Schaum, der daraufhin herausquoll, schlürfte er ab. Keuchend wischte er sich mit dem Ärmel über den Mund.
„Das war gruselig,“ sagte er danach.
„Was war gruselig?“ Kei sah leicht amüsiert aus.
„Es funktioniert. Die zwei Typen da drin haben mich blöd angegrinst und gezwinkert.“
„Sag Bescheid, wenn sie aufdringlich werden. Das machen die nur einmal,“ grinste Kei und trank einen Schluck während er den Weg zur Bühne einschlug. Colin ging neben ihm her, sobald dafür genug Platz war.
„Soweit kommts wohl nicht. Ich bin zwar wunderschön, aber nicht wehrlos.“
Das sorgte für einen äußerst amüsierten Ausdruck auf Keis Gesicht. „Das ist bestimmt spaßig mit anzugucken.“
„Was, wie ich mich wehre? Oder wie ich begrapscht werde?“ Er war gerade im Begriff gewesen, noch einen Zug aus seiner Flasche zu nehmen, und sah Kei nun über den Flaschenhals hinweg an.
„Der Gesichtsausdruck des Typen, wenn du ihm ins Gesicht trittst.“
Colin lachte. „Danke für die Stiefel,“ sagte er grinsend mit einem affektierten Seitwärtsnicken und angedeutetem Knicks. Kei lachte ebenfalls und hatte sehr lustig anzuschauende Bilder im Kopf. „Wir sind zu früh, was?“ fragte Colin, als er sich umsah und seine Bierflasche schon halbleer war. Auf der Bühne wurde noch herumgebaut und die Musik, die gespielt wurde, kam aus der Dose.
„Ein bisschen.“ Kei sah auf sein Telefon. „In ‘ner halben Stunde geht‘s los.“
„Dann liege ich längst unter dem Tisch,“ sagte Colin augenrollend und hielt seine Bierflasche hoch.
„Nach einem Bier? Das glaube ich dir nicht.“
„In einer halben Stunde habe ich noch drei hiervon weg!“
„Betrink dich während des Konzerts. Dann hast du noch was davon.“ Für Kei war es harte Arbeit sich zu betrinken. Er konnte Unmengen harten Alkohols vernichten, ohne dass es eine Auswirkung auf ihn hatte.
„Ich trinke, bis dein Geld alle ist,“ kündigte Colin an und leerte daraufhin seine Flasche.
„Dafür musst du bis zum Koma saufen.“
„So reich bist du?“
„You keep this up and you can visit us in the men's room again,“ sagte ein tätowierter Hipster mit Vollbart grinsend, während er sich an ihnen vorbei zur Theke drängelte. Es war etwas voller geworden.
„Dafür muss ich nicht besonders reich sein,“ scherzte Kei. Den Hipster bedachte er mit nicht ganz so tödlichem Blick wie sonst.
„Aber noch hast du, ja? Dann lass mal springen.“ Schulterzuckend hielt Colin die Hand auf und seine leere Flasche hoch. Kei drückte ihm Geld in die Hand, damit Colin sich ein neues Bier holen konnte.
„Bring mir eins mit.“ Er leerte seine eigene Flasche.
„Weib, hol Bier. Zu Befehl,“ sagte Colin, während er Geld und Flasche an sich nahm und sich ebenfalls zur Theke aufmachte. Kei lachte.
Irgendwo zwischen einem dutzend weiterer Besucher lehnte Delilahs sonnenbebrillte schwarze Gestalt an der Wand und schaute sich scheinbar teilnahmslos im dunklen Raum um. Anstatt sich wie die meisten an einem Getränk festzuhalten, hatte sie die Arme verschränkt und schien gemütlich Kaugummi zu kauen.
Als Colin bald darauf zurückkehrte, gab er Kei sein frisches Bier und schaute sich weiter um. Stumm besah er sich die Menschen und wartete.
Kei schlenderte dichter an die Bühne heran. Er hatte Delilah mittlerweile ausgemacht und fand, dass sie irgendwie aussah, als gehöre sie gar nicht auf dieses Konzert sondern warte nur auf jemanden, der sie anscheinend versetzt hatte oder so. Colin merkte nicht gleich, dass Kei sich wegbewegte, ging ihm aber wenig später gemächlich nach.
Nach einigen weiteren Minuten des Wartens und Aufbauens begann das Konzert und allmählich fanden sich fast alle Besucher vor der Bühne ein. Die Menge verwandelte sich bald in einen Spaß habenden, herumspringenden Haufen. Entlang der Wände und vor der Bühne standen Bierflaschen und lagen einige Taschen und Jacken herum. Kei war mehr oder weniger unbeabsichtigt in einen Moshpit geraten. Sein Bier war verschwunden. Colins auch. In seinem Magen. Die leere Flasche stand zwischen anderen vor der Bühne herum und er selbst sprang mit - anders als Kei war er mit voller Absicht im Moshpit. Er war sich sicher, dass seine festgezurrten Haare das aushielten, wenn er gerade überhaupt an sie dachte. Leider wurde er zwischendurch von hilfsbereiten Menschen aus der pöbelnden Gruppe herausgezogen, weil man das mit kleinen Mädchen nunmal so macht. Als ihm der dicke Boden einer Bierflasche seitlich auf die Stirn geschlagen wurde, war er auch ganz froh darüber, dass sein Weg zur Wand nicht so weit war. Aus dem Nichts wurde ihm von rechts ein Taschentuch angereicht, um das Blut abzuwischen. Der Sänger und der Schlagzeuger verausgabten sich ähnlich wie die Jungs direkt vor der Bühne. Sie lenkten Colin ein paar Sekunden lang ab, ehe er sich umdrehte, um dem Taschentuchspender zu danken. Delilah nickte nur ausdruckslos und starrte dann wieder vorwärts.
Kei war mehrfach absichtlich gegen Colin gesprungen anstatt zu versuchen ihn da rauszuziehen, was ihm von den anderen Leuten manchmal tadelnde Blicke einbrachte. Ihm egal. Dass Colin verschwand, bekam er nur am Rande mit. Der würde auch wieder auftauchen. Nach einigen Minuten wurde es in der Halle etwas ruhiger, weil zur Abwechslung mal ein ruhigeres Lied gespielt wurde. Danach ging es mit den spaßigeren weiter. Und mit Colin. Dessen neuerliches Auftauchen bestand darin, Kei von hinten auf den Rücken zu springen. Sozusagen als Vergeltung für den Schubser, der ihm den schmerzhaften Kuss der Bierflasche beschert hatte. Kei duckte sich leicht, sodass Colin huckepack auf ihm landete. So halb zumindest. Und da blieb er auch und faltete die Beine und einen Arm fest um Kei, während er unter dem Gelächter der Umspringenden einen halbvollen Plastikbecher mit Cola über ihm ausgoss. Kei beschwerte sich und sprang mit Colin auf dem Rücken herum. lange würde der Kleinere da nicht bleiben. Dass sein Gesicht jetzt anfing zu kleben, fand er äußerßt wenig lustig.
Bald ließ Colin ihn auch los und wurde heruntergebuckelt. Lachend fing er sich mithilfe fremder Hände wieder und sprang weiter mit. Von Kei bekam er einen Mittelfinger, wobei sein Gesicht verriet, dass er nicht wirklich sauer war. Er widmete sich wieder dem Bühnengeschehen. Kurz darauf war Colin wieder verschwunden. Bier treibt halt.
Kei bekam das kaum mit. Das Konzert ging weiter und er verschwand im nächsten Moshpit, noch ein paar Menschen umspringen. So nahm er auch nicht wahr, dass Delilah bald ebenfalls durch Abwesenheit glänzte. Erst nach einer ganzen Weile fiel ihm auf, dass Colin nicht wiederkam. Irgendwann ging er nach dem Kleineren suchen.
Er vermutete ihn auf dem Klo. Dort herrschte reges Kommen und Gehen, doch Colin war nicht dabei. Im Flur vor den Toiletten und der Garderobe, sowie im Durchgang nach draußen standen gedrängt kleine Grüppchen herum und zwischendurch kamen nach Zigarettenrauch und kalter Luft riechende Menschen von draußen herein. Da auch Delilah nicht zu sehen war, egal, wo er hinging, schaute Kei draußen nach.
Hast du Colin gesehen? Vielleicht war Delilah ja in Gedankenhörweite. Kei hatte noch nicht herausgefunden, wie genau das funktionierte.
Rauchen, kam Delilahs monotone Entgegnung.

In der Tat stand Colin mit einigen anderen Menschen neben der Tür auf dem zertretenen Rasen und schien sich prächtig mit ihnen zu unterhalten. Ein Mädchen mit viel schwarzem Makeup im Gesicht zündete ihm gerade eine Zigarette an, nachdem er einen Stummel ausgetreten hatte. Kei nahm sich eine Zigarette aus der Schachtel in seiner Jackentasche und gesellte sich zu Colin und den anderen. Mit fröhlichen und freundlichen „Hey“s und „Hi“s wurde er winkend begrüßt.
„Your hair looks amazing,“ sagte das schwarzgeschminkte Mädchen grinsend und erntete gleich ein paar Lacher. „Did you wash your face yet?“
Tatsächlich hatte Kei auf der Suche nach Colin sein Gesicht von der Cola befreit. Da es draußen dunkel war, war das nicht besonders gut zu sehen. „Yeah. Thanks for the refreshment by the way,“ wendete er sich an Colin und zog an seiner Zigarette.
„You're welcome,“ sagte Colin mit freundlichem Grinsen. Das Makeupmädchen wurde von einem der Typen mit einem Smartphone abgelenkt und ging mit ihm ein Stück zur Seite. Nun standen sie noch mit dem Vollbarthipster da.
Den Kei nicht mochte. Er war schnell darin, zu entscheiden, wen er mochte und wen nicht. Dieser Kandidat war ein gutes Beispiel für ‚Mag-ich-nicht‘. Er hielt sich aber damit zurück den Hipster das auch spüren zu lassen. Stattdessen bedachte er Colin mit einem ‚Du mich auch‘-Blick.
„This is Will,“ sagte Colin mit einem Wink auf den Hipster, der Kei daraufhin lächelnd zunickte. Kei erwiderte den Gruß halbwegs freundlich. Er spielte ausnahmsweise den halbwegs anständigen Japaner. „And that's Kenichi. We came together.“
„I'll go back in - the concert isn't over yet,“ informierte er Colin und den Rest. Er wollte das Ende des Konzerts, das bald kommen würde, noch mitbekommen.
„Alright,“ sagte Will nickend und Colin winkte. Kei verabschiedete sich und verschwand wieder in der Halle.

Kurze Zeit später gesellte Colin sich wieder zu ihm. Mit einem sachten Schlag auf den Oberarm machte er sich bei ihm bemerkbar. Kei drehte sich zu ihm und lächelte leicht. Er hatte ein neues Bier in der Hand. Colin erwiderte das Lächeln und sah dabei ein wenig schüchtern aus.
Mit Bierflasche sprang es sich nicht ganz so gut, aber das war egal. Das letzte Lied wurde gerade gespielt und um Kei und Colin herum sprangen die Menschen herum, während sie riesige Wasserbälle oder sowas ähnliches über ihren Köpfen durch die Halle schubsten. Grinsend ließ Colin einen davon mit den Fingerspitzen weiterhopsen, als Will sich zu ihnen gesellte und ihm einen durchsichtigen Plastikbecher mit einer Cola-Alkoholmischung in die Hand drückte. Kei war der Hipster zwar suspekt, aber er ließ ihn in Ruhe. Nicht alle Menschen waren ausnahmslos schlecht.
Vielleicht doch.
Kei war sich dessen nicht ganz sicher.
Er schlug einen der Ballons so weit durch die Halle, dass er nach hinten flog, sodass die anderen Konzertbesucher auch was von dem Spaß haben konnten.

Als Colin vor einem der Garagentore vom Sitz gerutscht war und sich den Helm abgenommen hatte, sagte er lächelnd, aber ernst: „Danke. Das war richtig gut.“
„Gerne wieder,“ sagte Kei beim Öffnen des Garagentors und schob das Motorrad hinein. Delilahs Motorrad stand bereits dort und strahlte seine Wärme ab. Colin legte seinen Helm dort ab, wo noch andere herumlagen. Er zog den Zettel mit Wills Telefonnummer aus der Jackentasche und zog sich die Jacke aus, um sie auf den Ständer zu hängen, von dem Delilah sie für ihn genommen hatte. Kei, der seine eigene Jacke trug, behielt diese an. „Ich muss nochmal weg. Bin in einer Stunde wieder da.“
„Warum, was machst du?“ fragte Colin.
„Abendessen.“
„... Oh.“ Es dauerte ein paar Sekunden, aber schließlich fiel bei Colin der Groschen. Kei musste ja Blut trinken. Er nickte und ging zum Durchgang, der in den Küchen- und Lagerbereich führte. In der Küche, die die Köchin längst verlassen hatte, suchte Colin sich sein eigenes Abendessen zusammen. Er hatte vorgehabt, sich ein abenteuerliches Sandwich zu basteln, fand stattdessen aber die Reste eines vorzüglichen Mahls, das zum Teil aus Gänsebraten bestanden hatte. Damit schlug er sich den Bauch voll und besiegte seinen alkohol- und bewegungsbedingten Heißhunger, bevor er sich in sein Zimmer begab.

Kei ging indes die Einfahrt wieder hinunter. Dass er sein Abendessen leben lassen musste, störte ihn ein wenig. Er mochte es, die Menschen allmählich sterben zu lassen. Das musste Colin nicht wissen. Dennis auch nicht unbedingt.
Ein paar Kilometer weiter fand er komplett zugedröhnte Jugendliche.
Mit leicht glasigen Augen machte er sich auf den Weg zurück ins Schloss. Alle drei seiner Menügänge lebten noch, mussten aber den Blutmangel erstmal ausschlafen.

Während der junge Vampir ins Schloss zurückkehrte, war Colin gerade mit Duschen und Zähneputzen fertig und saß in Boxershorts, T-shirt und Sweatshirtjacke auf dem Bett herum, um Ivys Kleider, die vor ihm auf dem Boden ausgebreitet lagen, nachdenklich anzustarren. Musste er jetzt für die Öffentlichkeit bis in alle Ewigkeit Ivy Branson spielen? Als Jux war das ja ganz lustig, aber was war mit dem Geigespielen? Das war es, was er konnte und er hatte immer erwartet, dass er das für den Rest seines Lebens machen würde, also auch für Geld, als Job. Ging das noch? Als Ivy Branson. Was für ein Schwachsinn.
Freunde gewinnen schien trotzdem kein Problem zu sein.
Will war nett.
Aber Will mochte nicht Colin Hammerer, sondern Ivy Branson. Vielleicht als Kumpel, vielleicht nicht.
Colin rieb sich über das Gesicht. Er war kein Idiot. Wills Frage danach, ob Kei sein ‚Boyfriend‘ sei, hatte ja wohl einen bestimmten Grund gehabt, auch wenn Will nichts eindeutiges versucht hatte.
Er grunzte genervt. Fuck my life.

Kei hatte drogeninduzierte gute Laune und warf beim Eintreten seine Kleidungsstücke hörbar durch den Raum. Irgendwann in Japan hatte er herausgefunden, wie er high werden konnte. Jeder normale Drogenkonsumversuch blieb weitgehend ergebnislos und Alkohol zeigte nur bei Extremkonsum auf normale Weise Wirkung. Das war leicht nervig, aber nicht schlimm.
Er nahm im Bad die Kontaktlinsen heraus und steckte den Kopf Colins Zimmer. „Bin wieder da.“
Der Vampir trug nur noch Boxershorts.
„Wow, du hast ja gute Laune,“ gab Colin überrascht zurück. Er konnte nicht umhin, Kei ausgiebig zu mustern.
Keis Blick verriet, dass er künstlich aufgedreht war. „Die hatten irgendwas eingeworfen. Extasy, Gras und Alkohol hab ich bei denen gefunden,“ grinste er und verschwand wieder hinter der Tür. „Ich geh‘ duschen!“
Dass er den Rest der Drogen an sich genommen hatte, behielt er erst einmal für sich.
„Welcher Idiot benutzt gleichzeitig Extasy und Gras?“ rief Colin ihm nach. Er wusste zwar nicht viel über Drogen, aber dass das eine ein Aufputsch- und das andere mehr ein Beruhigungsmittel war, war ihm halb bekannt.
„Der eine Gras. Der andere Extasy. Alle drei betrunken.“ Und alles mischte sich jetzt in Keis Blutkreislauf zusammen.
Weiter auf die Tür starrend, die Kei einen Spalt breit offengelassen hatte, versuchte Colin, sich bewusst zu machen, dass Kei gerade offenbar mehrere Menschen, die entweder high oder betrunken - oder beides - gewesen waren, überfallen und Blut von ihnen getrunken hatte.
Er wartete, bis das Wasser zu rauschen begann und rutschte dann lautlos vom Bett, um auf den Flur zu schleichen. Von dort betrat er langsam und vorsichtig, so leise er konnte, Keis Zimmer.
Er sah sich um. Hier lagen verstreut Kleidungsstücke herum. Auf dem Bett lag seine Jacke.
Der Vampir hörte, wie Colin in sein Zimmer ging. Er hatte nämlich auch seine Badezimmertür nicht ganz geschlossen und hörte Schritte. „Suchst du was?“
Colin erstarrte und sah ertappt zur offenen Tür. Kei stand dort nicht und hatte eindeutig aus der Dusche heraus gerufen, aber wie zur Hölle hatte er ihn gehört?
„In der linken Jackentasche sind zwei Tütchen Gras. Diese Idioten. Du kannst eins haben, wenn du das gesucht hast,“ verkündete der Vampir und widmete sich weiter der Dusche.
Er hatte nicht direkt danach gesucht, doch sein Blick wanderte trotzdem aus Reflex zur Jacke auf dem Bett. Er war nur neugierig gewesen. Nun kratzte er nur verlegen seinen nackten linken Fußrücken an seinem Bein, ehe er betreten und still zur Tür und auf den Flur zurückging. Erst als er sein eigenes Zimmer wieder betrat, gab er sich keine Mühe mehr zu schleichen. Obwohl er sich noch schämte. Er begann damit, seine Kleider und die Perücke irgendwie zusammenzupacken und im Kleiderschrank zu verstauen.
Kei musste leise lachen.
Als Colin mit Aufräumen fertig war, nachdem er zuletzt Wills Telefonnummer in seiner Nachttischschublade verstaut hatte, war er eigentlich mehr als bettfertig, aber brachte es vor Verlegenheit trotzdem nicht fertig, seine Nachttischlampe auszumachen und unter die Decke zu kriechen. Also setzte er sich bloß an das dicke geschnitzte Holzbrett am Kopfende des Bettes gelehnt hin und versuchte, ‚A Tale of Two Cities‘ weiterzulesen.
Kei war nach dem Duschen in sein Zimmer gegangen und hatte seine Kleidungsstücke auf einen Haufen geworfen um sein Bett frei zu haben. Er setzte sich hin und nahm seine Gitarre, um Colin mit zweideutigen Liedern zu beschallen. In erträglicher Lautstärke, um keinen Anschiss von Dennis oder Rupert zu kriegen.
Regeln. Gewöhnungsbedürftig, wenn man das ganze Leben lang keine gehabt hatte.
Die Geräusche aus dem Nachbarzimmer taten nichts, das Colin nicht bereits selbst bravourös fertigbrachte - sich unfreiwillig vom Text ablenken. Er hatte nun jeden Satz mindestens viermal gelesen und immer noch nicht wahrgenommen, was drinstand. Keis Stimme und die Gitarrenklänge vermischten sich mit dem Bild vom aufgekratzten Kei mit leuchtend blauen Augen, der gerade fast nackt in seiner Tür gestanden hatte, um ihm salopp von den Drogen zu erzählen, die er Leuten abgenommen hatte, die er gerade für ihr Blut überfallen hatte...
Ah shit.
Colin seufzte.
Wahrscheinlich wäre es am besten gewesen, die Badezimmertür zu schließen.
Aber dann würde er die Musik dämpfen, die...
Er warf das Buch neben sich und rutschte etwas hinunter, um sich um eine nun ziemlich dringende Sache zu kümmern, die in seinen Boxershorts stattfand.
So leise wie möglich.
Das bekam Kei tatsächlich nicht mit, weil er gerade beschäftigt war. Irgendwann fing er an, ‚Devil Side‘ von VAMPS zu spielen.
Embrace my instincts, right, dachte Colin mit einem leisen Schmunzeln, während er aufmerksam auf den Liedtext horchte. That's exactly what I'm doing right now.
Mittlerweile lag er fast vollständig auf dem Rücken, während er sich anfasste. Kei konnte verdammt gut singen. Seine Stimme machte irgendetwas mit ihm, das seine Hand nicht konnte.
Sich ausmalend, was Colin gerade anstellen mochte, grinste Kei und machte weiter damit, dem Kleineren schöne Gedanken zu bereiten. Er malte sich ein paar Szenen aus und erinnerte sich an andere.
Und alles, woran Colin sich erinnerte, waren die beiden Motorradfahrten, dicht an Kei gedrückt, Kei wie er ‚Eine Mischung aus Liebe, Sex und Chaos‘ sagte, die bloße Idee, dass er schon zigmal mit ihm geschlafen hatte und Kei ihn offenbar viel besser kannte, als er sich vorstellen konnte, Keis Stimme jetzt und wie er gerade in der Tür ausgesehen hatte... und das war mehr als genug.
Er stöhnte und seufzte nicht laut, sondern atmete nur schwer und raschelte zwangsläufig mit dem Bettzeug, seinen Kleidern und seiner Haut, aber er war sich sehr, sehr sicher, dass Kei nichts davon über seinen Gesang und sein Saitenzupfen hören konnte. Unmöglich.
Kei hörte Geräusche aus Colins Zimmer, da er ja nicht gerade Lärm machte, konnte aber nicht genau feststellen, was Colin da veranstaltete. Das war aber egal, denn er konnte es sich denken und er war sich mehr als sicher, dass seine Vorstellung der Realität entsprach. Das leise Rascheln dauerte noch ein paar Minuten an und verstummte dann. Er mochte es, Recht zu haben.
Matt und immer noch unruhig atmend lag Colin da und hob langsam seine beschmierte Hand, um sich ohne besonderen Grund, mit dem er sich hätte rechtfertigen können, die glänzende Flüssigkeit auf seinen Fingern anzusehen.
Jetzt musste er sich waschen gehen, dachte er dumpf. Aber er konnte damit jetzt nicht ins Badezimmer. Keis Tür war noch offen.
Die Musik spielte auch noch und das Grinsen auf Keis Gesicht war immer noch da. Er verfluchte Colins Gedächtnisverlust in diesen Minuten mehr denn je.

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