Hier geht es zum ersten Teil.
Colin kringelte mit seinem Bleistift einen Namen im Artikel ein und
schrieb daran "Vollidiot".
Kei, der das gelesen hatte, kommentierte das mit: "Dann ist es
ja gut, dass der tot ist," in dem gleichen gelangweilten Ton wie
immer.
Colin grinste.
"Hast du'n Radiergummi?"
Kei drückte Colin das gefragte Objekt in die Hand. "Da."
"Die Firma dankt." Colin steckte den Ratzefummel in seine
Kei abgewandte Hosentasche und bewegte dabei seine Schreibhand zur
Seite, sodass sein eigener Radiergummi sichtbar wurde.
"Wenn du einen Radiergummi hast, was willst du dann mit meinem?"
fragte Kei, verwirrt. Er hatte keine Ahnung, was das sollte.
Coin Hammerer sah weiter abwechselnd ins Buch, auf seinen Block und
zur vortragenden Lehrerin. "Behalten."
Kei wurde nicht schlau aus dem Kleinen, aber seinem Radiergummi
trauerte er nicht nach, wenn Colin das aus welchem Grund auch immer
haben wollte, dann sollte er es seinetwegen behalten.
Er wandte seinen Blick wieder auf sein Gekritzel.
Colin machte brav weiter seine Notizen und las weiter mit, bis zum
Ende des Unterrichts.
Kei hörte nur halb zu. Ihn interessiert seine militärische
Lehrkraft nicht.
Als die Lehrerin wieder geschäftig hinausrauschte, stand Colin auf
und ging zum Fenster vor Keis Tisch. Der bunthaarige Japaner
ignorierte ihn, solange er ihm nicht den Blick nach draußen
versperrte.
Colin betrachtete den Hof und die Bäume, die aus dem Fenster hinaus
zu sehen waren. Minutenlang. Ausdruckslos.
Kei sah weiter nach draußen. Schließlich erhob er sich und ging aus
der Klasse. Seine Tasche ließ er im Raum liegen, er würde ja gleich
wieder zurückkommen.
Draußen ging er eine Rauchen. In Sichtweite des Klassenfensters, da
dieses in der Nähe des Eingangs gelegen war.
Colin schloss Kei in seine versunkene Betrachtung der Aussicht mit
ein. Ausgiebig. Weiterhin weitestgehend ohne besondere Stimmung im
Gesicht. Er hatte die Hände in den Hosentaschen und stand reglos da.
Kei pustete bläulichen Dunst in die Luft und sah sich um. Nichts
los. Aber selbst wenn, stören würde ihn kaum einer. Nachdem er den
Glimmstengel auf dem Boden ausgetreten hatte, schlenderte er wieder
in Richtung Gebäude zurück - die Kapuze tief ins Gesicht gezogen.
Colin drehte sich vom Fenster weg und kehrte zu seinem Tisch zurück,
als Kei und der nächste Lehrer hereinkamen.
Colin schien den Geschichtsunterricht so interessant zu finden, dass
er Kei überhaupt nicht mehr beachtete. Sein gespannter Blick klebte
entweder im Buch oder am Lehrer.
Kei lief an seinem Lehrer vorbei und setzte sich auf seinen Platz.
Nahm sein Zeug und blätterte in seinem Buch herum. Blieb an einem
halbwegs interessanten Kapitel stehen und las es sich durch. Dem
Unterricht folgte er nicht. In seinem linken Ohr steckte ein
Kopfhörerstöpsel auf dem leise Musik lief. Unhörbar für die
Klasse.
Colin würdigte Kei auch keines weiteren Blickes mehr, als die
Mittagspause begann, und verließ zusammen mit den Mädchen vom
vorigen Tag den Raum, nachdem er seinen Geschichtskram weggepackt
hatte.
Er ließ sich mit Tomoko und Ayane wie viele andere auch neben dem
Baseballplatz auf der Wiese nieder, um mitgebrachte Brote zu essen.
Kei setzte sich unter einen Baum unweit des Baseballplatzes und
genoss seine Ruhe.
Er nahm die Münze in die Hand und betrachtete sie – grinsend. Hin
und wieder ließ er den Blick in Richtung Colin wandern. Den er auf
der Wiese ausgemacht hatte.
Er und die Mädchen unterhielten sich und aßen davon abgesehen nur
friedlich.
Kei hätte zu
gern gewusst, ob der dem Kleinen Angst eingejagt hatte. Auf jeden
Fall hatte er sich bei ihm unbeliebt gemacht. Nicht, dass ihn das
sonderlich störte. Immerhin hatte er, was er wollte. Auch wenn nun
Colins Blut an der Münze klebte und nicht mehr das seiner Mutter.
Er nahm einen der Ohrstöpsel heraus und lauschte seiner Umgebung.
Viel zu viele Stimmen, die er nicht verstand, da noch Musik auf sein
anderes Ohr eindröhnte. Er schaltete den Lärm der Umgebung wieder
aus.
Coin stand auf und schlenderte zu Kei hinüber. Die Mädchen sahen
ihm nach. Kei bemerkte den Ankömmling zwar, tat aber völlig
desinteressiert und sah in den Himmel. Erst als der Kleinere vor ihm
stand, sagte er: "Was willst du?" die Münze wieder
loslassend.
Der Junge lächelte schüchtern und kratzte sich am Nacken.
"Kann ich... eine Zigarette schnorren?"
Kei schaute ihn verblüfft an. "Das vierzehnjährige Wunderkind
will Zigaretten schnorren..." sagte er mehr zu sich selbst als
zu dem Kurzen. Trotzdem gab er dem Jüngeren eine seiner Zigaretten
ab. "Ich will mal nicht so sein."
Er steckte das Päckchen wieder weg und sah in Richtung Colin. Der
grinste etwas verwundert. "... Danke." Er guckte die
Zigarette, dann Kei an. "Hast du auch Feuer?"
"Nein, hab ich nicht, ich verzaubere die Zigaretten und sie
gehen von alleine an," kommentierte er und rückte sein schwarz
glänzendes Zippo raus, auf dem in einem schönen Schriftzug sein
Name stand. Colin nahm das Feuerzeug entgegen und lächelte nach
einem Blick auf die Kana ein bisschen, klemmte sich die Kippe
zwischen die Lippen und zündete sie an. Er schien darin nicht
ungeübt zu sein. Er klappte das Feuerzeug wieder zu und hielt es Kei
mit einem schelmischen Grinsen hinunter. "Danke."
Kei nahm sein Feuerzeug entgegen. Nickte. Verstaute das kleine Ding
in seiner Hosentasche.
"Was grinst du?" fragte er beiläufig. Er hätte wirklich
nicht damit gerechnet, dass einer wie Colin ein solches Laster hatte.
Aber jedem das Seine.
Colin zuckte mit den Schultern. "Ich habe gerade 3000 Yen
gewonnen." Er zwinkerte schmunzelnd und drehte sich um.
"Cheers!"
Der Junge schlenderte zu den Mädchen zurück und setzte sich wieder
zu ihnen, ließ sich auszahlen und rauchte dabei die Kippe zu Ende.
Kei sah unbeeindruckt in den Himmel. Das war alles? Na dann. Er hing
weiter seinen Gedanken nach und ließ Colin seinem Treiben nachgehen,
wenn die das nötig hatten, bitte. Er widmete sich nun selbst einer
Zigarette um diesem ewigen Hunger Einhalt zu gebieten. Klappte nicht,
lenkte ihn aber ab. Zumindest für eine Weile. Er wollte wirklich
nicht unbedingt einem seiner Mitschüler ein merkwürdiges Ende
bereiten. Das würde auffallen.
Zum Ende der Pause verabschiedete Colin die Mädchen, als er sah,
dass Kei noch immer unter dem Baum saß, und lief zu ihm zurück.
Der seufzte. Musste der ihm jetzt auch noch das Mittagessen
ruinieren?
Er stand auf und machte Anstalten zu verschwinden. Beachtete den
anderen nicht weiter und schlenderte in Richtung des Schultores. Doch
Colin lief eilig hinterher, um ihn einzuholen. "Warte mal!"
Genervt seufzend blieb Kei tatsächlich stehen. "Was?" Er
war hungrig und genervt. "Mach schnell, ich hab zu tun."
Colin hatte ein paar Geldscheine in der Hand. Er stopfte sie Kei
zielgenau in die nächstgelegene Jacketttasche. "Da. Nächstes
Mal kannst du dir 'ne Eintrittskarte kaufen!" Er drehte wieder
um und rannte zum Gebäude zurück - immerhin begann der Unterricht
gleich wieder.
Es waren 3000 Yen.
Nicht verstehend stand Kei noch ein paar Sekunden da und sah Colin
nach. Was sollte das denn bitte?
Er zog das Geld aus der Jackentasche und zählte. Hatte Colin das
nicht gerade von den Mädels bekommen?
Er dachte nicht sehr viel weiter über die mehr als ungewöhnliche
Einladung nach und machte sich davon. Sein Ziel hatte er schnell
gefunden. Nicht gemeldete Stricher werden normalerweise nicht
vermisst.
Gegen Ende der gerade laufenden Stunde kam er wieder in der Klasse
an. Setzte sich auf seinen Platz.
Der Schotte nahm Keis Rückkehr mit mildem Interesse zur Kenntnis,
bevor er sich wieder seinem gelben Büchlein widmete. Er hatte den
Radiergummi wieder auf Keis Tisch gelegt, unbenutzt.
Kei nahm seinerseits zur Kenntnis, dass sein Radiergummi wieder auf
seinem Tisch lag. Er fragte sich, was Colin damit bezweckte. Dass
sich ein Blutfleck auf sein Hemd geschlichen hatte, fiel ihm nicht
auf. Man sah ihn aber auch nur, wenn man gut hinsah.
"Lesen im Unterricht ist aber nicht sehr vorbildlich,"
sagte er, als er sich setzte.
Colin zuckte mit den Schultern. "Blaumachen auch nicht. Du
solltest vielleicht mit Kampfsport anfangen. Dann wärst du nicht
immer so aggressiv und müsstest dich nicht ständig prügeln."
Er linste auf Keis Hemd und sah dann zurück ins Buch.
Der Biolehrer kam herein.
Kei gab nur ein undefinierbares Geräusch von sich und erwiderte:
"Meine Angelegenheiten gehen dich nichts an, Kleiner. Wenn man
keine Ahnung hat, sollte man die Fresse halten, das solltest du doch
wissen."
Er hatte keine Lust noch weitere Stunden in der Schule herumzusitzen,
aber den Abschluss wollte er schon noch haben. Der Lehrer hielt sowas
wie einen kaum spannenden Vortrag über Kreislauf und Stoffwechsel
von Säugetieren und gab dann Lese- und Schreibaufgaben aus dem Buch
auf.
Colin begann ohne Umschweife damit und wurde wie üblich so schnell
fertig wie man ungefähr schreiben kann, und legte sich dann das
gelbe Buch hin. Es waren nur Noten darin.
Kei, dessen Aufmerksamkeitsspanne so groß war wie seine Münze,
hatte wie immer Probleme damit, konzentriert an dieser Aufgabe zu
sitzen. Irgendwann wurde auch er fertig und besah sich Colins Buch.
Ein Notenbuch. Lernte der das auswendig?
Er war ruhiger als vor der Pause und sah gelangweilt aus dem Fenster.
Zwischendurch zu Colin, der in seinem Buch las. Er begann zu lächeln
und ließ einmal ein leises Lachen verlauten, das er gleich mit einem
Räuspern kaschierte. Er blickte den Lehrer verlegen an, der zu ihm
herüberlinste.
Colin blätterte zurück und las die zwei Seiten noch einmal
mit einem breiten Grinsen. Dann schüttelte er amüsiert den Kopf.
Kei ging wieder dazu über, seinen Klassenkameraden zu ignorieren und
widmete sich dem Fenster. Spielte mit seinem Piercing herum und
wartete bis die Stunde vorbei war.
Es folgte die Macht-eure-Hausaufgaben-oder-paukt-Zeit für die einen,
Clubzeit für die anderen.
Colin stand auf und schob seinen gesammelten Krempel in den
Armeerucksack.
Kei packte ebenfalls sein Zeug zusammen und machte sich davon. Er
wollte nachhause, sich umziehen und dann weggehen. Viel Schlaf
brauchte er nicht, wenn überhaupt.
Schnellen Schrittes lief er durch die Schule und die Türen eben
derer.
Hier geht es zum nächsten Teil.
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