*Katakana = Jap. Silbenschrift, die für Fremdwörter/Wörter aus Fremdsprachen verwendet wird
** Romaji = Lateinische Schrift ("ABC")
Colin war offensichtlich verlegen und fast nervös darüber, zu spät
zu kommen, und sah etwas verschämt aus, aber das setzte sich auch
schnell wieder, als er anfing, sich auf den Stoff zu konzentrieren.
Dann begann er auch damit, zwischendurch zu Kei zu sehen.
Als er sich zu langweilen begann, schrieb er auf ein Blatt:
Übersetzungsübung
important =
question =
have you ever =
boyfriend =
und legte es auf Keis Tisch.
Kei bemerkte das auf seinen Tisch geschobene Blatt erst gar nicht.
Erst als er sich wieder in Richtung Klasse drehte und seinen Blick
von den Wolken draußen nahm, fiel ihm auf, dass etwas neues auf
seinem Block gelandet war. Als er es las, begann er damit, das
Wörterbuch in seinem Kopf zu durchwühlen. Mit einem Bleistift
schrieb er die Übersetzungen neben die Gleichzeichen.
Wichtig
Frage
Hattest du immer ? /jemals
fester Freund
Kei bemerkte nach bestimmt zwanzigmaligem Lesen, dass das eine Frage
war und baute sie zusammen.
'Hattest du jemals einen festen Freund'
Nachdem er das 'Rätsel' gelöst hatte, kritzelte er ein unsauberes
'never' in Katakana* darunter und gab Colin das Blatt zurück.
Colin schrieb darunter 'never' in Romaji** und fügte 'Girlfriend?'
hinzu, gab dann das Blatt zurück.
Kei schrieb wieder 'never' darunter, diesmal in Romaji und schob den
Zettel zurück.
Colin begann, etwas zu schreiben, strich es dann aber großzügig
durch. Er stützte sich auf die Kei zugewandte Hand, um sein Gesicht
ein bisschen zu verdecken und achtete wieder auf den Unterricht.
Kei wusste nicht, weshalb Colin das wissen wollte. Fragte aber auch
nicht nach. Er sah stumm nach vorn und tat, als ob er zuhören würde.
Colin schämte sich etwas dafür, danach gefragt zu haben...
Als der Unterricht endlich vorbei war, lehnte sich Colin in seinem
Stuhl zurück und packte seine Sachen langsam zusammen. Keis Handy
vibrierte in seiner Hosentasche. Eine SMS. Er stand auf und zog es
aus seiner Tasche, schaute darauf. Nachdem er gelesen hatte, steckte
er das kleine Gerät zurück in seine Tasche, nahm seine Sachen und
ging eilig nach draußen. Warum hier...?
Colin sah ihm interessiert nach und packte sein Zeug gemächlicher
zusammen.
Kei ging nach draußen, als sein Blick auf den schwarzen Wagen fiel.
Daran gelehnt stand Hiroki und in einiger Entfernung ein
Motorradfahrer.
"He, Keisuke!"
"Hallo, Hiroki," grüßte er den Mann, dessen Namen er
mittlerweile gut kannte. Sein eigentliches Ziel stand kurz dahinter
und beäugte ihn wartend.
"Hat Colin dir die Einladung gegeben?" fragte der Mann
freundlich.
Kei schaute ihn fragend an. "Einladung?" Er hatte keine
Ahnung. Hiroki schien auch nicht viel von ihm zu halten, jedenfalls
nicht für eine passende Gesellschaft für Colin. Er war auch kein
guter Umgang, aber das war eine andere Geschichte. Wenn Hiroki damit
rechnete, dass Kei keine Ahnung hatte, was sein Ton vermuten ließ,
warum fragte er dann?
Der Vampir blieb stehen, sah den Mann an. Er hatte eigentlich noch
etwas zu tun. Der Blick des Motorradfahrers, der seinen Helm
inzwischen abgenommen hatte, wurde ungeduldig.
"Das dachte ich mir." Hiroki griff in eine Innentasche
seines lässigen Jacketts und zog einen kleinen weißen Umschlag
hervor, den er Kei hinhielt.
"Er ist sehr eigenwillig, darum hat er nicht viele Freunde."
Auf Japanisch hieß das offensichtlich 'er ist unerträglich, darum
hat er gar keine.' "Du scheinst etwas unerschrockener zu sein.
Bitte kümmere dich um ihn." Die Bitte formulierte er als die
übliche Alltagsfloskel, während er sich leicht am Kinn kratzte.
Kei nahm den Umschlag, sich höflich bedankend, entgegen und
schmunzelte. "Unerschrocken... ja, das könnte sein," sagte
er und grinste innerlich. Eigenwillig... Ja... Das war Colin auf
jeden Fall.
"Ich werd's versuchen. Ehm, ich muss dann mal weiter. Bis dann."
Die Höflichkeitsfloskeln seiner Muttersprache verwendete Kei selten
- nur, wenn er musste, denn er war lieber direkt, wenn ihm etwas
nicht passte. Aber ein bisschen Höflichkeit hatte noch niemandem
geschadet. Außerdem wollte er keinen dramatisch schlechten Eindruck
machen, wenn es um Colins Leute ging.
Hiroki verabschiedete ihn mit einem freundlichen Nicken und sah ihm
nur kurz nach, denn Colin kam nun aus dem Gebäude.
Kei steckte den Umschlag erstmal weg um ihn später zu öffnen und
ging zu dem Motorrad.
(In dem Umschlag befindet sich eine verzierte Einladungskarte zur
Hochzeit von "Catherine Eileen Hammerer und Hiroki Fujita"
im mehrsternigen Hotel Miwa am Rand des Chikiparks.)
"Hallo, Sakai. Hast du an das Geld vom Chef gedacht?"
wollte der Mann von ihm wissen und blickte unerbittlich drein.
"Hab ich, ja. Wie kommst du auf die dumme Idee, das am
öffentlichsten Ort an dem ich mich aufhalte, machen zu wollen?"
Kei zog einen Briefumschlag aus der Tasche und überreichte ihn dem
Mann. "Danke. Steig auf, es gibt was zu tun."
Der Vampir stutzte, stieg aber auf das Motorrad. "Geht das auch
genauer?" Kei war ziemlich schnell genervt von sowas.
"Später. Jetzt fahren wir erstmal."
Auf der Fahrt erfuhr Kei auch, was es denn so wichtiges zu tun gab.
FREITAG
Am nächsten Morgen, Freitag, fiel Colin die schwarze Limousine vor
dem Haus des Erpressers auf. Er ging nun immer auf der
entgegengesetzten Straßenseite, um dem Mann ein kleines Bisschen aus
dem Weg zu gehen. Er verband damit aber nichts besonderes und verzog
nur etwas das Gesicht in Erinnerung an die ekelhaften Begegnungen mit
dem Mann.
In der Bahn konzentrierte er sich auf das Positive, dem er heute
entgegensehen konnte. Er freute sich ehrlich auf den Tag.
Kei kam spät in die Schule, denn die Nacht war ziemlich lang
gewesen. Von dem Motorradfahrer, der ihn gestern abgeholt hatte,
wurde er an der Schule abgesetzt. Das wäre nicht nötig gewesen,
aber Kei wollte sein Geheimnis wahren, weshalb er auch völlig fertig
tat, was er gar nicht war.
Seine Gedanken waren bei Colin, Kyo und dem Kerl im Hotel...
Als er also irgendwann während der ersten Stunde endlich
hereinrauschte, sah Colin zu ihm auf. Die Lehrerin bemühte sich
nicht um einen Kommentar, sondern fuhr mit dem Unterricht fort, als
sei nichts und sprach lediglich etwas lauter, während der Nachzügler
hereinkam.
Colin, wieder im zuverlässigen Rollkragenpullover unter der
Uniformjacke, lächelte ihn an und musterte ihn, als er näherkam.
Kei blickte müde drein, unter seinem rechten Auge klebte ein
Pflaster. Er schaute Colin kurz an, erwiderte das Lächeln kurz und
setzte sich. Etwas verschämt steckte Colin sich die Haare hinter die
Ohren. Dann nahm er sein Buch und hielt es Kei entgegen, um ihm zu
zeigen, was gerade gelesen wurde, und sah dabei weiter aufmerksam
nach vorn zur Lehrerin.
Kei nahm ebenfalls sein Buch vor die Nase und begann zu lesen. Seine
Aufmerksamkeit galt allerdings mehr seinen Gedanken.
So hätte
das nicht enden dürfen...
Als Colin zwischendurch zur Seite sah, fiel ihm die geistige
Abwesenheit seines Sitznachbarn natürlich auf. An sich war es nichts
besonderes, dass Kei nicht aufpasste, aber er war zu spät gekommen,
sah müde aus und hatte scheinbar eine Verletzung.
Er schrieb 'Was ist passiert?' auf einen Zettel und legte ihn Kei auf
den Tisch.
Kei nahm den Zettel und las. Eine ganze Weile starrte er darauf und
überlegte. 'Zu viel.' schrieb er drauf und gab ihn zurück. Wohl
wissend, dass das keine bfriedigende Antwort war.
Colin warf Kei einen besorgten Blick zu.
Er folgte weiter dem Unterricht. Die Stunde dauerte nicht mehr lang
und als sich die Lehrerin zum Gehen wandte, beugte er sich sofort zu
Keisuke und sagte leise:
"Ich mag lange Geschichten."
Sein Gesichtsausdruck war ernst und erwartungsvoll.
"Diese wirst du nicht mögen," sagte Kei ebenso leise. Er
wollte das Colin nicht auch noch erzählen, der kannte schon viel zu
viele Details aus seinem Leben, die er nie erfahren sollte.
Kei wollte ihm nichts sagen. Fair enough, dachte Colin bei
sich. "Dann erzähl sie mir nicht. Aber vielleicht könnte ich
dir trotzdem helfen?" Er musterte Keis Gesicht mit einem
vorsichtigen Blick von unten herauf.
"Nein, kannst du nicht," begann Kei, ließ dann aber
jegliche Fortsetzung bleiben. Er sprach ruhig, ohne Aggression in der
Stimme. Colin konnte ihm nicht helfen und wissen sollte er besser
auch nichts. Er sollte schon gar nicht wissen, dass der Nachbar, der
das Video gedreht hatte, seinen Verletzungen wohl erliegen würde.
Der Vampir sah nur so ramponiert aus, weil er hatte erklären müssen,
dass Kyo nur seinen Plan ausgeführt und mit all dem im Grunde nichts
zu tun hatte.
"Nicht einmal mit einem Rat oder sowas? Ich kann auch ein
richtig guter Zuhörer sein und den Mund halten, wenn ich will. ...
Ist schwer zu glauben, ich weiß." Colin lächelte aufmunternd.
"Das ist in der Tat schwer zu glauben," kommentierte Kei
und ließ das Weitersprechen einfach bleiben. Er wollte weder darüber
reden, noch Colins Leben in Gefahr bringen, das musste nicht sein.
Wenn einer Colin das Leben nehmen sollte, dann war er das und niemand
sonst. Der nächste Lehrer kam Kei zu Hilfe, indem er seinen
Hefterstapel vorn auf sein Pult knallte und alle zur Aufmerksamkeit
aufrief.
Colin fügte sich brav und passte auf, ohne Kei weiter zu belästigen.
Nicht jedoch ohne ihm zwischendurch musternde Blicke zuzuwerfen. Kei
war tatsächlich zum ersten Mal erleichtert, einen Lehrer zu sehen,
da dieser ihn aus der unangenehmen Situation des
Nicht-erklären-wollens befreite. Er tat aufmerksam und dachte
weiterhin nach.
Als die Mittagspause begann, stand Colin zögerlich auf. Sich
ebenfalls - deutlich schneller - erhebend, packte Kei sein Zeug
zusammen und rauschte anschließend aus dem Raum. Nach draußen.
Sich eine Zigarette anzündend zog er sein Handy aus der Tasche und
wählte eine Nummer.
An einer abgelegenen Ecke rief er den Boss an. "Hier is Kei. Du
hast gesagt, einer von beiden muss gehen. In welchem Krankenhaus
liegt der aufgeblasene Saftsack?" erkundigte er sich leise.
Colin sah Kei nach, bis Shingo ihn in den Arm knuffte. Sie
schlenderten zusammen zum Kiosk, um sich Brötchen zu kaufen. Er
dachte immer wieder an Kei, darum wäre Colin beinahe nicht
aufgefallen, wie häufig und lang Shingo heute seinen Arm auf seine
Schultern legte. Sie redeten, wie fast immer, über das
Neujahrskonzert und verfeinerten ihren Plan.
Nachdem Kei die notwendigen Informationen bekommen hatte um seine
Aufgabe zu erledigen, legte er auf und ging zurück in Richtung
Schulgebäude, die mittlerweise dritte Zigarette rauchend. Auf dem
Weg kam er an Shingo und Colin vorbei. Ersteren bedachte er mit einem
tödlichen Blick, Colin mit einem halbwegs freundlichen. Er lief
weiter, da er mit seinen Bandkollegen ebenfalls noch an der Setliste
für das Konzert feilen wollte.
Colin hielt kurz an, als Kei an ihnen vorbeikam, und sah ihm wieder
nach, bis Shingo ihn wieder knuffte.
Ich verwirre ihn, ja? Was für ein Heuchler...
Kei saß irgendwo im Gebäude mit Tama und den anderen herum, Blätter
um sie herum ausgebreitet, waren sie am Diskutieren, welche Songs nun
gespielt werden sollten.
Kei versuchte sich abzulenken, und nicht an Colin zu denken.
Colins und Shingos Spaziergang führte sie irgendwann genau da vorbei
- oder besser: Colin sah die Band herumsitzen und schlenderte mit
voller Absicht auf sie zu. Shingo hatte wieder lässig seinen Arm um
ihn gelegt und als sie sich RooD näherten, griff Colin aus Trotz
nach dessen Hand und hielt sie fest. Er würdigte Keisuke keines
Blickes, als er im Vorbeigehen schelmisch grinste und deutlich
vernehmbar sagte: "Wie lange kann man hier suspendiert werden?
Zehn Tage, was meinst du?"
Shingo lachte: "Das ist nicht Frau Hasegawas Stil."
Kei erdolchte Shingo förmlich mit Blicken, hatte aber gerade ganz
andere Sorgen als Colin. Auch wenn der sich nicht aus seinen Gedanken
streichen ließ. Macht er das jetzt absichtlich?
"Hallo? Erde an Kei. Ich hab dir schonmal gesagt, dass du
aufhören sollst, dich wie ein Idiot zu benehmen." Die tiefe
Stimme des Vocalisten war auch leise durchdringend genug um Kei aus
seinen Gedanken zu reißen.
"Fresse, Saki."
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