Kei selbst trocknete sich ganz ab, er tropfte nicht gern den ganzen
Boden voll, aber es machte ihm nichts, wenn Colin das tat. Den
Kleineren aus dem Augenwinkel betrachtend machte er sich daran, kurz
zu verschwinden. Mit einer Trainingshose an den Beinen kam er wieder
zurück.
"Es ist spät, willst du hier oder bei dir schlafen?"
fragte er. Es war mittlerwile wirklich ziemlich spät und Kei würde
Colin ungern durch dieses Viertel laufen lassen. Das war gefährlich.
Er ließ sich von seinen Gedanken nichts anmerken.
Colin nahm langsam das Handtuch herunter, mit dem er sich gerade über
die Haare gerubbelt hatte. Die feuchten Locken fielen nun über sein
Gesicht und er sah Kei vorsichtig an.
"Ich hatte damit gerechnet, die ganze Nacht lang im Hotel zu
sein," sagte er heiser. "Irgendwie habe ich gesagt, dass
ich bei dir übernachten würde," gab er schüchtern zu, als er
Keis Blick auswich und sich das Handtuch um die Hüften wickelte.
Kei nickte. "Machs dir gemütlich. Du kannst schlafen, wo du
willst." Er fügte noch hinzu: "Sag Bescheid, wenn du was
brauchst." Er erwiderte Colins Blick freundlicher als sonst, die
leicht ausbleichenden Strähnen im Gesicht. Er trocknete seine Haare
und wusste nicht recht, was jetzt. Besuch hatte er nicht besonders
oft und schon gar nicht solchen, den er nicht wieder loswerden
wollte. Zugeben konnte er das nicht. Wollte er nicht. Er entschied
sich dazu, einfach Gitarre spielen zu gehen.
Colin sammelte im Wohnzimmer seine Kleider auf. Seine Boxershorts und
sein Sweatshirt zog er sich langsam und vorsichtig an, und legte den
Rest auf eine Armlehne des Sofas, als Kei hereinkam. Er setzte sich
im Schneidersitz hin und beobachtete Keisuke. Sein Sweatshirt rieb
unangenehm an seinem wunden Hals.
Kei nahm auf dem Boden Platz und drapierte die Gitarre auf seinem
Schoß. Den Verstärker hatte er leise, ganz leise gedreht und
spielte vor sich hin. Etwas ruhiges. Aber nicht traurig. Sein Blick
ging mal durch den Raum, mal zu Colin und mal waren seine Augen
geschlossen.
Colin sah und hörte stumm zu. Zwischendurch lächelte er ein
bisschen. Er wischte sich noch ein paarmal Tränen ab.
Es dauerte nicht lang, bis er auf der Seite lag, den Kopf auf seiner
Hose auf der Armlehne und die Beine etwas umeinander gewickelt, und
eingeschlafen war.
Kei spielte bis tief in die Nacht und betrachtete Colin dabei immer
länger. Sah ihm beim Schlafen zu. Wie kann man so bloß schlafen?
Seine Finger glitten so lange über die Saiten des Instruments, bis
auch er beim Spielen einfach einschlief und gegen den Verstärker
gelehnt, Gitarre in den Händen, dasaß. Bis zum nächsten Morgen.
DIENSTAG
"I love you the most, I do, when you suffer for me!"
kreischte es aus Colins Jeans und er zuckte zusammen und fuhr hoch.
Er fummelte nach seinem Telefon, aus dem es weiter schrie.
"I don't want a sweetheart, all I want's a machine!"
Er fummelte und schaltete es aus.
Kei blinzelte verschlafen, als er dem Lärm vernahm, den er nicht
verstand. Den Kopf hebend schaute er in die Richtung.
"Morgen," murmelte er müde.
"Entschuldigung," sagte Colin. Er sortierte sich und stand
auf, wobei er gleichzeitig versuchte, sich die Hose anzuziehen. "Du
musst noch nicht auf-" Er hielt inne und sah auf. "Warte,
hast du die ganze Nacht da gesessen?"
"Hm... Ja." Er sah auf die Gitarre in seinen Händen. "Bin
wohl beim Spielen eingeschlafen..."
Colin schmunzelte böse und knöpfte sich die Hose zu.
"Du kannst auch auf hohem Niveau einschläfern. Ich dachte,
Vampire müssten nicht schlafen."
"Ich brauche Schlaf auch nicht wirklich. Aber ich schlafe gerne.
Vierundzwanzig Stunden muss ich mir das Elend des Lebens nicht
anschauen." Kei grinste innerlich über Colins Kommentar und
nahm das als Kompliment, wenn es auf den gestrigen Tag bezogen war.
Nun widmete sich Colin seinen Socken.
"Wie alt bist du?"
"Siebzehn. Noch," antwortete er und stellte die Gitarre
beiseite.
Colin sah auf und stand wieder auf. "Wirklich? Bist du gestorben
als du siebzehn warst oder bist du vor siebzehn Jahren geboren
worden?"
Kei schmunzelte. "Vor siebzehn Jahren geboren worden,"
erklärte er und erhob sich.
Colin sah aus, als fielen ihm noch andere Fragen ein, doch er sah auf
Keis nackten Oberkörper und strich sich verlegen durch den sehr
unordentlich gelockten Schopf, als er schnell sein Handy aus der
Hosentasche zog.
Kei betrachtete den Kleineren und lächelte kurz kaum merklich.
"Wirst du schon vermisst?" fragte er nach und sah auf das
Telefon in Colins Hand.
"Wahrscheinlich nicht. Aber ich brauche meine Uniform,"
erklärte er knapp. Er machte sich daran, den Raum zu verlassen, ohne
Kei weiter anzusehen. "Das war nur mein Wecker," merkte er
unterwegs an.
Ihm nachsehend machte auch Kei sich daran den Raum zu verlassen, in
Richtung seines Schlafzimmers. Er hatte ganz vergessen, dass schon
wieder Dienstag war. Shit... Es ist schon wieder Dienstag...
"Wie spät ist es?" wollte er wissen.
"Fünf!" rief Colin, während er sich die Schuhe anzog und
dabei schonmal die Tür öffnete.
"So früh?" Verblüfft sah Kei ihm nach. "Warte kurz,"
bat er und lief in seine Richtung. Bei ihm angekommen umarmte er ihn
ganz kurz.
Vor Überraschung versteinerte Colin und fiel rückwärts gegen die
Tür, die daraufhin wieder zufiel. Ein Bein in der Luft zu haben und
es dabei festzuhalten, war seinem Gleichgewicht etwas abträglich
gewesen.
"Äh," sagte er.
Kei verabschiedete ihn mit einem "Man sieht sich," als er
den Kleineren wieder losließ.
"Äh," sagte Colin wieder und öffnete hastig die Tür. Er
sah Kei streng und misstrauisch an und verschwand eilig.
Kei musste grinsen, als Colin weg war. Vor allem über sich selbst.
Sich fragend, was eigentlich gerade mit ihm los war, machte er sich
daran, sich anzuziehen.
Auf seinem Heimweg wechselten sich Sorgen über die Sache mit dem
Video und allgemeine bis sehr spezielle Verwirrung über die letzte
Nacht und Keisuke ab. Als er nach Hause kam, war niemand da, dem sein
Zustand hätte auffallen können, bis er seine Haare etwas gebändigt
hatte - sie waren nun kein Gestrüpp mehr, doch viel lockiger als
sonst und er band sie sich zu einem festen Pferdeschwanz. Sein
Anblick im Spiegel schockierte ihn im ersten Moment ein wenig. Gegen
seine Blässe hoben sich die Flecken und teilweise offenen Wunden um
seinen Hals ab, als wäre er gerade vom Galgen abgenommen worden.
Anstelle des Hemdes zog er also einen schwarzen Rollkragenpullover
an. Den konnte er gut mit dem kalten Herbstwetter legitimieren.
Erst als er fertig uniformiert war, begegnete er in der Küche
Hiroki. Das machte ihn etwas nervös, denn Hiroki war weder blöd
noch blind vor Vertrauen, aber er wusste, dass er sich auf ihn
verlassen konnte, dichtzuhalten. Seine Mutter würde ihn wochenlang
zuhause festsetzen, während Hiroki ihm sowas wie ein Leben
zugestand. Er verabschiedete ihn allerdings mit einem mahnenden
Blick.
Das würde noch 'ein Gespräch' geben, wusste Colin.
Er wechselte sofort die Straßenseite, um nicht direkt am Haus des
Erpressers vorbeigehen zu müssen. Es war niemand davor zu sehen,
keine Absperrbänder oder etwas anderes Außergewöhnliches. Das
erleichterte ihn kaum.
Er kam rechtzeitig an der Schule an. Es waren schon viele andere
Schüler da.
Nachdem er sich ein paar Kleider inklusive der Jacke seiner Uniform
herausgesucht hatte, kramte er seine Zigaretten heraus und zündete
sich eine an - zum Frühstück quasi. Sein eigentliches Frühstück
war Colin gewesen. Er zog sich an und setze sich mit Gitarre und
Kippe in der Hand auf das Sofa, wo er noch eine Weile spielte. Es war
noch Zeit bis er losmüssen würde. Er dachte nach, versank ein wenig
in seinen Gedanken. Irgendwann stand er auf, ging ins Bad, richtete
sich etwas her und packte sein Zeug zusammen.
Als er die Tür hinter sich ins Schloß fallen ließ, kam ihm sein
genervt wirkender Nachbar entgegen, der ohne eine Vorwarnung
loswetterte, was ihm bitte einfiele, mitten in der Nacht so einen
Lärm zu veranstalten. Kei erwiderte, dass er in seine Wohnung tun
und lassen könne, was er wollte und ging weiter.
Zur Schule kam er pünktlich, beinahe früh. In den Unterricht jedoch
beinahe zu spät. Er setzte sich und beachtete weder Mitschüler noch
Lehrer.
Colin sah auf, als Kei hereinkam. Sein Gesicht wirkte nicht
hocherfreut oder nervös, aber offen und freundlich.
Kei wirkte wie immer. Als interessiere ihn das Geschehen um ihn herum
nicht im Geringsten. Colin war der einzige den er direkt ansah, wenn
auch nur ganz kurz von seinem Platz aus.
Colin folgte wie üblich konzentriert und vorbildlich dem Unterricht
und machte seine Aufgaben. Zwischendurch spielte er nachdenklich mit
den Lippen am Kopf seines Druckbleistiftes herum und sah gelegentlich
zu Keisuke hinüber. Der Vampir war nicht der Typ zum Händchenhalten,
sicher, aber er hatte doch etwas mehr als diese neutrale
Kenntnisnahme erwartet. Nach letzter Nacht. Und heute morgen.
Der Grund warum Kei zur Schule gekommen war, war die Clubzeit danach.
Er mochte das Gitarrespielen und seine Kollegen waren auch in
Ordnung.
Ein Teil von ihm mochte es auch, wenn Colin ihm zuhörte. Er
kritzelte etwas auf ein Blatt Papier.
'Bin ich gut genug fürs Konzert? Mach dir mal ein Bild davon. Du
bist gut darin...'
Das war sein Versuch einer Kontaktaufnahme. Er wollte es wirklich
wissen und Colin kannte sich mit Musik aus.
Colin lächelte, als er die Notiz las.
'Du oder Rood?' schrieb er in seiner winzigen, sauberen Schrift
darunter und legte das Blatt auf Keis Tisch zurück.
'Ich. Dass die anderen spielen können, weiß ich. Aber ich hab die
Gitarre noch nicht lang' kritzelte er auf das kleine Zettelchen. Er
wusste zwar mit einer Gitarre umzugehen, aber das Konzert war nicht
mehr allzu lang hin und er hatte keine große Spielerfahrung.
Er malte noch einen kleinen Smiley auf das Blatt. Einen zwinkernden.
Colin zwang sich sein Schmunzeln aus dem Gesicht. Ein Smiley, echt
jetzt? Er warf Kei einen Seitenblick zu und ließ das Blatt vor
sich liegen, ohne zu antworten. Stattdessen sah er wieder nach vorn
und schrieb weiter von der Tafel ab.
Kei grinste. Mission erfolgreich. Colin schien damit nichts anfangen
zu können.
Er wendete sich nun seinerseits den Aufgaben zu und kritzelte ein
paar wirre Noten an den Rand.
Als die Stunde vorbei war, drehte sich Colin auf dem Stuhl zu Kei um.
Kei packte sein Zeug gerade zusammen als er den Kopf hob und Colin
sah.
"Hm?"
"Du bist gut genug. Aber du musst die Sache ernster nehmen. Bei
eurer Probe, die ich gehört habe, hast du nur herumgespielt."
Er sah ernst und ehrlich aus, aber lächelte fast. "Damit machst
du es den anderen schwer." Er sah Kei ruhig an.
Kei sah ihn beinahe verblüfft an, weil er nicht damit gerechnet
hatte, jetzt eine Kritik von Colin zu hören. Er nickte, schließlich
war ihm das tatsächlich wichtig und das einzige, was er wirklich
ernster nahm als den Rest seines Lebens.
"Danke," sagte er nach einer Pause. "Willst du nachher
mitkommen? ... Zur Probe mein ich..." Für Kei war es mehr als
ungewohnt ein ganz normales Gespräch mit Colin zu führen. Er
blickte ebenso ruhig, wie er angesehen wurde.
Colin errötete ein ganz kleines bisschen und nickte.
Kei stand auf und ging draußen, eine rauchen, die wirren Gedanken
ordnen. Vergeblich.
Erst zu Beginn der nächsten Stunde kam er zurück in den Raum und
setzte sich wieder. Colin hatte in der Zwischenzeit in einem
Schulbuch gelesen - anscheinend hatte er über das Wochenende nicht
alles vorbereitet. Was für eine praktische, effiziente Methode,
seine Gedanken von Keisuke wegzuzwingen. Er grüßte Kei mit einem
halben Schmunzeln und verbrachte den folgenden Unterricht wie zuvor
damit, sich auf ihn zu konzentrieren und ab und zu Kei einen ziemlich
neutralen Blick zuzuwerfen.
Kei war ebenfalls mit dem Versuch des Ablenkens beschäftigt. Er
malte allerdings lieber, als zu lesen und sah ab und an unauffällig
in Richtung Colin. In seinem Kopf war alles Möglische, aber kein
Unterricht. Häufig ertappte er sich dabei an die vergangene Nacht zu
denken. Den Lehrer erdolchte er mit einem Blick, als dieser ihn
ernahmte, dem Unterricht zu folgen. Colin grinste dazu nur
unverhohlen, aber sah weiter in sein Heft.
Als diese Folterstunde auch endlich vorbei war, lehnte Colin sich
zurück und zog seinen Rollkragen etwas herunter, sodass die gelben
und lila Flecken sichtbar wurden. Er kratzte sich vorsichtig, während
er seine Tasche einpackte. Kei betrachtete sein Kunstwerk, mit
leichtem Grinsen. In spätestens ein paar Tagen würde er ein neues
gestalten müssen. Da fehlte ein bisschen Grün... Das würde morgen
schon wieder anders aussehen.
Schnell packte er sein Zeug zusammen und stand auf.
Pause.
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