Kei hatte etwas Langeweile.
So klettert' er in Windeseile
hinauf aufs Größte, das er fand.
Es war im Zoo ein Elefant.
Droben setzte er sich hin,
stützte auf die Hand sein Kinn,
blickte übers Land dahin,
nach Rauchen stand ihm dann der Sinn.
Die Nacht, er fand sie gar so nett,
er zündet' an 'ne Zigarett',
und sinnierte stumm und friedlich,
der Elefant, er fand das niedlich.
Er trötete voller Verzückung
und riss aus seiner Nachtentrückung
ziemlich unbehutsam hier
den unverschämten Punkvampir.
Kei lief durch die Straßen der Stadt. Mittlerweile war er allein. Er
schlenderte Wege entlang, die er selten nahm. Seine Tour hatte ihn
bis in noblere Gefilde verschlagen. Mit zerzausten Haaren und
angerissenem Shirt.
Er sah sich um. In seinem Mund steckte eine Zigarette. Der Schüler
war auf dem Heimweg – ein ziemlicher Umweg allerdings. Er hatte
irgendwann im Laufe des Abends die Kontrolle über seine Sinne ein
wenig verloren. Mindestens vier Menschen waren tot und ein paar
schwer verletzt. Der Kopf leer. Die frische Luft tat ihm gut,
linderte den Blutrausch der letzten Stunden. Dass es menschenleer
war, tat dem auch einiges bei. Irgendwie führten ihn seine Füße in
einen Park. Das war eine Art Abkürzung auf seinem Heimweg, sagte er
sich. Unter einem Baum ließ er sich fallen und beobachtete die
Sterne für ein Weilchen.
Als er
Schritte vernahm, blickte er in die Richtung aus der sie kamen. Was
macht der denn hier? War sein erster Gedanke, als er den Kopf
gegen den Baumstamm lehnte.
Der Park war entlang der malerischen Wege laternenbeleuchtet, sodass
sich jemand mit normaler Sicht hier bequem bewegen konnte. Kei murrte
etwas, da er in seiner Ruhe gestört wurde und blickte dorthin, wo
der Lärm herzukommen schien. Hunde. Wie er sie doch manchmal hasste.
Colin ging den beiden riesigen grauen Hunden auf eine Wiese am Rand
eines großen Teiches hinterher, in dem sich der Mond ein bisschen
spiegelte. Er nahm einen Tennisball aus der Tasche und warf ihn an
den Rand des Teiches. Die Doggen bellten und quietschten aufgeregt
und hetzten hinterher, rempelten sich beim Aufsammeln gegenseitig an
und versuchten, einander den Ball wegzunehmen, bis Colin laut auf den
Fingern pfiff. Er ließ die zwei langen Lederriemen, die er den
Hunden zuvor abgenommen hatte, fallen und hielt die Arme auf, als die
Hunde auf ihn zurannten.
"Schnauze - sonst tot," murmelte Kei. Er sah den beiden
Hunden, die soeben zurückgepfiffen wurden, mehr als tödlich in die
Augen. Bewegen tat er sich nicht.
Eine der Doggen sprang Colin fast in die Arme und rubbelte begeistert
ihren Kopf an seiner Jacke, während die andere stehen blieb, die
Ohren aufstellte und zu Kei hinübersah. Sie ließ den Ball fallen
und knurrte leise.
Kei funkelte tödlich zurück. War ein bisschen Ruhe zuviel verlangt?
Er stand auf und wandte sich zum Gehen. Colin würdigte er nur eines
flüchtigen Blickes.
Colin sagte "Humphrey?" und folgte dem Blick des Hundes,
indem er sich in der Hocke halb umdrehte und über die Schulter sah.
Seine Augen weiteten sich etwas. Es war hell genug, um Kei zu
erkennen. Er stand eilig auf und packte den argwöhnischen Hund am
Halsband.
Er sah Kei wortlos hinterher.
Kei ging nachhause. Warf sich aufs Bett und entledigte sich seiner
Kleider. Kurz darauf fiel er in einen tiefen Schlaf.
Colin spielte weiter mit den Hunden und rannte mit ihnen herum,
nachdem Humphrey sich abgeregt hatte und Kei offenbar verschwunden
war.
Er fand den Tag immer noch erfolgreich und ging zufrieden schlafen.
DONNERSTAG
Kei schlief tief und lange. Zu lange. Gegen Mittag ließ er sich dazu
herab, aufzustehen. Regelmäßig zur Schule zu gehen kam ihm gar
nicht in den Sinn. Er hatte alle Zeit der Welt das zu tun. Wenn er
wollte.
Colin fragte sich wieder, wo Kei blieb, ließ sich dadurch aber nicht
vom Unterricht ablenken und war eher dankbar für die Nervenpause.
Als am Nachmittag die Clubzeit begann und er sich mit dem Rest des
Chors in den Musikraum begab, dachte er gar nicht an Kei, sondern nur
an den Plan, den er mit Shingo für das Schulkonzert schmiedete.
Kei lief, ganz in Alltagskleidung, zur Schule. Es war zwar schon
spät, aber Clubzeit bedeuete, dass er sich mit etwas beschäftigen
konnte, das ihn nicht langweilte. Der Gitarre der Schulband. Er
selbst war kein Teil davon, aber es verwhrte ihm keiner das
Instrument.
Im Kellermusikraum, den sich die Jungs als Bandquartier genommen
hatten, machte er es sich mit der schicken schwarzen Gitarre auf
einem großen Verstärker bequem.
Es würde bald ein Schulkonzert geben, wie er herausgefunden hatte.
Mit Zigarette im Mund spielte er für sich auf der Gitarre herum, da
die eigentliche Schulband mit Plänen beschäftigt war, wie alle
Musikgruppen der Schule, von denen es einige gab.
Im Übungsraum drängten sich zwei Orchester, der Chor und "Die
Band", sowie alle anderen Schüler, denen Frau Hasegawa bisher
die Teilnahme am Konzert gestattet hatte, und hörten zu, wie sie
Probetermine festlegte und zuteilte. Die meisten machten sich
Notizen, und als sie nach wenigen Minuten fertig war, verließen
viele von ihnen den Raum, damit der Chor nun wie üblich diesen Raum
zum Üben nutzen konnte.
Colin war neu und wurde darum mit zwei anderen ungeübten Neuzugängen
irgendwo abseits hinsortiert, bis Frau Hasegawa sich entschieden
hatte, sie zu behalten und ihnen eine feste Stimme zu geben oder sie
wieder rauszuschmeißen.
Ungefähr anderthalb Stunden lang wurde nun geübt, einzeln und in
Gruppen vorgesungen, zum Test ein Volkslied geprobt ...
Am Ende wurden alle drei Neulinge behalten, das erste Mädchen in die
Sopranecke gestellt und das andere Mädchen mit Colin zum Alt.
Kei kümmerte sich nicht um den Trubel und spielte weiter nicht
gerade leise auf der Gitarre, neben sich auf dem Verstärker stand
ein kleiner Aschenbecher. Die anderen waren eine Weile weg und als
sie schließlich zurückkamen, unterhielten sie sich angeregt
darüber, wer wann proben dürfe und wer neu wohinkam.
So erfuhr der Vampir, dass der kleine Schotte auf dem Konzert wohl
dabeisein würde. Saki, der Sänger der vier Mann starken Rockband,
die nie einen Namen bekommen hatte, weil man sich nicht einig wurde,
kam auf Kei zu und fragte, ob er nicht mitspielen wolle, sie könnten
noch einen zweiten Gitarristen gebrauchen. Er sagte zu und erfuhr,
dass er dann beim Schulkonzert mitspielen sollte.
Ein wenig weiterspielend nickte er. Schließlich übten sie zusammen
...
Das Konzert würde in nicht allzu ferner Zukunft stattfinden.
Nach der Probe ging Colin mit Shingo zum Ausgang, mit konspirativ
zusammengesteckten Köpfen tief im leisen Gespräch zogen sie sich
abwechselnd ihre Straßenschuhe an und machten sich dann nach
draußen, ohne weiter auf ihre Umgebung zu achten.
Kei blieb noch eine Weile bei den anderen und verließ irgendwann das
Schulgebäude. Hungrig.
Während er rauchend über das Gelände schlenderte, entdeckte er
Colin. Ein Grinsen begann seine schmalen Lippen zu umspielen, ganz
leicht. Dem kleinen Schotten ein Stück nachgehend – unauffällig
und in einigen Metern Entfernung, wartete er ab, den Ring in seiner
Lippe malträtierend.
Nach einer Weile verabschiedete Colin sich von Shingo, der in eine
Seitenstraße abbog, und ging allein in Richtung Bahnhof weiter. Es
waren noch einige andere Menschen auf der Straße unterwegs, sodass
ihm Keis Präsenz hinter ihm nicht auffiel.
Unauffällig ging Kei hinterher und nahm nur zu gern zur Kenntnis,
dass Shingo Colin allein ließ. Es waren kaum Menschen auf der
Straße, ihm dennoch ein wenig zu viele. Vor allem die, die ihm
entgegengingen, waren ihm entschieden zu zahlreich, weshalb er lange
wartete. Mit der Kippe im Mund beobachtete er vor allem Colin genau.
Als er eine kleine Seitengasse erblickte, sah er seine Chance.
Mit einer schnellen Bewegung war er direkt hinter dem Jungen und
hatte ihn genauso schnell ohne große Rücksicht in die kleine Gasse
gedrückt, wo er seine Zähne ziemlich unsanft in dessen Hals vergrub
und sich an dessen Blut bediente.
"Agh!"
Aus bloßem Reflex begann Colin zu treten und zu schubsen und rammte
Kei seinen Ellenbogen in die Magengegend.
"The fuck's - let me go you -" Er stampfte mit seiner
turnschuhbewehrten Ferse hart auf Keis Fuß und stellte endlich fest,
wer ihn da angriff.
"Du verdammtes Arsch... loch..."
Er wand sich weiter, wurde aber schnell schwächer und begann eher zu
wanken. "Hng," sagte er benebelt. "Wenn du mich
umbringst... suche ich dich bis in alle Ewigkeit heim," brummte
er finster, wie betrunken.
Kei amüsierte sich innerlich über Colins Versuche sich zu wehren,
vor allem darüber, wie schnell er schwächer wurde. Die Angriffe
zeigten keinerlei Wirkung. Dazu waren sie zu schwach.
Als er von dem in seinen Armen Zusammengesackten abließ, grinste er.
„Danke für das nette Kompliment.“ Er ließ seinen um eine große
Menge Blut erleichterten Mitschüler zu Boden sinken und wandte sich
zum Gehen. In Richtung Bahnstation. Colin war entweder fast oder ganz
bewusstlos, so viel war sicher. Töten wollte er ihn nicht. „Du
kannst versuchen mich heimzusuchen, ich würde mich freuen.“
Colin gab Kei den Mittelfinger und flüsterte etwas, gab es aber auf,
zu versuchen, die Augen geöffnet zu halten. Schlafen. Schlafen... so
gut... Es war ein bisschen kalt.
Er lehnte den Kopf an die Hauswand zurück und fiel kurz darauf zur
Seite um.
Wenigstens hatte er schon gesessen.
Colin bekam vage mit, dass ein paar fremde Schüler ihn aufhoben und
ansprachen. Später wachte er noch einmal auf, als ein Sanitäter ihm
in die Augen leuchtete und sein Gesicht betatschte. Überhaupt
fassten Leute ihn ein bisschen viel an.
Er wurde herumgedreht und hingelegt, wackelte im Liegen und hörte
dabei eine Sirene. Wie sollte man da denn schlafen...
Kei ging mit über den Kopf gezogener Kapuze und den Händen in den
Hosentaschen durch die Straßen, den Bahnhof, zum Gleis – und
wartete. Auf den Zug, der in Richtung seiner Wohnung fahren würde.
Schon wieder Polizei. Es waren so viele Bullen unterwegs. Seit Tagen
schon wurden sie nicht weniger. Eine Sirene drang an sein Ohr. Ein
Krankenwagen. Ein Unfall vielleicht. Oder eine verletzte Person am
Straßenrand. Der Vampir stieg in die Bahn, sah wie die uniformierten
Männer begannen, Menschen zu befragen. Zu dem Unfall vielleicht.
Er ließ sich von der Bahn davontragen. Ein junger Polizist erschien
vor ihm, sprach ihn an. Er antwortete ihm abwesend auf die Frage ob
er an dem Bahnhof, an dem er eingestiegen war, irgendetwas gesehen
habe. Er sagte nein. Das blutige Tuch in der Hosentasche. Das
Gespräch endete. Kei stieg irgendwann aus der Bahn.
Nach einer Weile Gehen, einer kleinen, kam der Vampir in seiner nicht
allzu großen Wohnung an. Seine Jacke fand ihren Weg auf das Sofa und
er selbst den aufs Bett. Das kleine Schlafzimmer war dunkel. Das war
es meistens, da Kei es lieber dunkel mochte. Sein Wohnzimmer war sehr
groß und beherbergte den Großteil seiner Habe. Er dachte darüber
nach, eine Gitarre zu kaufen. Dann hätte er etwas zu tun. Den Rest
des Tages verbrachte er damit, dies in die Tat umzusetzen und
irgendwann wieder zu schlafen.
Wenige Stunden später wachte Colin allmählich richtig auf. Er war
in einem Krankenhaus, ohne Zweifel, stellte er scharfsinnig fest.
Hiroki saß neben dem Bett.
FREITAG
Morgens schlenderte er zur Schule. Eilig hatte es es nicht. Mit einer
Kippe im Mund ging er über das Schulgelände bis hin zum Eingang.
Von Colin war auch im Unterricht nichts zu sehen. Kei vermutete, dass
Colin im Bett lag und tief und fest schlief. Ihm war das ziemlich
gleich.
Die übliche Verdächtige, Ayane nämlich, erzählte irgendwann
jedem, der es hören wollte, dass Colin im Krankenhaus lag. Natürlich
hörte auch Kei irgendwann von Ayanes Geschichte. Irgendwer hatte ihn
also gefunden, dachte er und lehnte sich an eine Wand, als Pause war.
Der Tag war ereignislos verlaufen bis darauf, dass ziemlich viele
darüber spekulierten, was Colin wohl passiert sein mochte. Kei
lachte sie in Gedanken alle aus. Die hatten ja keine Ahnung. Die x-te
Zigarette rauchend, wendete er sich beim Klingeln dem Rest des
Schultags zu. Und der Clubzeit. Der eigentliche Grund weshalb er zur
Bildungsanstalt gekommen war. Schließlich konnte auch er nicht ohne
Übung perfekt spielen.
Am Mittag des folgenden Tages wurde Colin aus dem Krankenhaus
entlassen und wurde von Hiroki nach Hause gebracht. Dort verbrachte
er nach einer Dusche den Rest des Tages mit Schulbüchern im Bett.
... über denen er zwischendurch einschlief.
SAMSTAG
Am Samstagmorgen pellte Kei sich zwischen Decken und Kissen hervor,
sich im dunklen Raum umsehend. Es war sicher noch nicht allzu spät,
wenn man das auch nicht sehen konnte, da der Raum ohnehin immer
abgedunkelt war.
Er stolperte über Verstärkerkabel und Kleidungsstücke ins Bad...
Nach Duschen und Anziehen saß er rauchend in der Küche. Colin war
am Freitag nicht in der Schule gewesen, anscheinend hatte er dem
Kleinen ziemlich zugesetzt. Kleine Körper waren nun einmal mit
weniger Blut ausgestattet. Wahrscheinlich paukte sein strebsamer
Mitschüler den halben Tag.
Die kleine Uhr an der Wand des kleinen Raumes verriet ihm, dass es
schon Mittag war. Draußen stürmte es, der Regen kam in einem Guss
wie aus Eimern aus den beinahe schwarzen Wolken.
Colin saß im offenen Fenster seines Zimmers im ersten Stock und ließ
die Beine draußen herunterhängen. Es regnete nicht herein, weil der
Wind gerade steif von der anderen Seite des Hauses kam und den Regen
von seinem Fenster wegtrieb. Er hatte gestern den ganzen Nachmittag
und letzte Nacht, wann immer er nicht geschlafen hatte, alles
erledigt, was es für die Schule zu tun gab, er hatte heute morgen
doppelt so viel Geige geübt wie sonst, und die Lust auf Bücher und
Spielen war nun restlos verbraucht.
Er hatte wieder seine Zimmertür abgeschlossen und sich lauten Hip
Hop angemacht, um in den wilden nassen Himmel zu starren.
Nach einer Weile griff er hinter sich auf den Schreibtisch nach der
kleinen Fernbedienung und wechselte damit die CD zu etwas anderem,
mit geisterhausartig hohlen Stimmen besprochener Musik, die kratzte
als käme sie von einer alten Schallplatte. Er stierte weiter
ausdruckslos bis niedergeschlagen hinaus.
Kei steckte eines der vielen in seiner Wohnung herumliegenden
Zigarettenpäckchen in seine Jackentasche, zog sich ebendiese Jacke
über - die Kapuze ins Gesicht - und ging hinaus in den Sturm. Solch
ein Wetter war schön, man fiel nicht auf und es waren kaum Menschen
auf der Straße.
Es vergingen keine fünfzehn Minuten und der Vampir war vollkommen
durchnässt. Blitze zuckten überall wo man hinsah. Seine
Haarsträhnen hingen ihm klatschnass ins Gesicht. Wasser lief ihm das
Kinn herunter.
Irgendwann kam er an Colins Haus vorbei, vielleicht ging es dem ja
besser, umbringen wollte er ihn schließlich nicht. Die in seinen
Ohren merkwürige Musik richtete seine Aufmerksamkeit auf das Fenster
des Jungen, den er in eben diesem sitzen sah. Langsam daran
vorbeischlendernd ging er weiter. Feststellend, dass Colin noch am
Leben und bei anscheinend nicht allzuschlchter Gesundheit war. Er
malte sich aus, wie sich seine Mitschüler noch weiter das Maul über
die ganze Geschichte zerrissen, während er hier entlangging.
Colin sah jemanden auf dem Bürgersteig vorbeigehen, sehr gelassen
für dieses Wetter. Die Gestalt war sehr nass und schien gemütlich
spazieren zu gehen. Er beobachtete die Person und lächelte dabei
friedlich. "Der geht bei dem Wetter spazieren..."
Erfrischend. Er erkannte die Person nicht und ging auch gar nicht
davon aus, sie zu kennen, denn er kannte die Nachbarn noch gar nicht,
also hob er bedenkenlos grüßend eine Hand, als er den Menschen
durch den Regenschleier zu ihm aufblicken sah.
Erkannte er ihn nicht bei dem Wetter? Das würde jedenfalls die
völlig unerwartete Begrüßung erklären. Er hob ebenfalls die Hand
zum Gruß, lächelte leicht, was man nicht erkennen konnte bei dem
Regen.
Das einzige, was man von seinem Gesicht erkennen konnte, waren
grün-blau-schwarze Wasserschlieren auf dem Gesicht und Haare, die in
eben dieses hingen.
Er schlenderte weiter - ein wenig hungrig.
Gelassen nahm er sich im Park den erstbesten Idioten vor, der sich
getraut hatte, bei diesem Wetter vor die Tür zu gehen. Ungewollt
hinterließ er dabei eine ziemlich blutige Spur im nassen Boden, auf
dem das Blut in kleinen Rinnsalen den Weg entlangfloss. Den Toten
warf er mit Steinen beschwert in den kleinen See.
Als der abenteuerlustige Spaziergänger, der sogar zurückgewunken
hatte, wieder verschwunden war, kletterte Colin zurück in sein
Zimmer und schloss das Fenster. Das war DIE Idee! Hiroki und Mutter
waren beide zur Arbeit weg, die Haushälterin war nicht seine
Babysitterin, also konnte er jetzt unbemerkt hinausgehen. Davon war
er in den letzten zwei Tagen wie ein Sträfling abgehalten worden.
Er zog sich eilig an, schön dick und bequem, und schlich sich an der
Küche vorbei, wo die Haushälterin gerade putzte. Die Stiefel band
er einfach nicht zu. Er schloss vorsichtig die Haustür und ließ die
gleiche Vorsicht auch bei dem großen Eisentor zur Straße walten,
damit es ihm bei dem starken Wind nicht aus den Händen rutschte.
Die Kapuze seiner Regenjacke flog ihm im Wind immer wieder vom Kopf,
also ließ er sie irgendwann einfach bleiben und ging bloß grinsend
weiter. Er rannte auf den kleinen Park zu.
Zwischen den ersten paar Bäumen rannte er mit ausgestreckten Armen
um einen Baum herum und rief dabei laut "WUUUUUUU!"
Kei war gerade dabei, den kleinen Park wieder zu verlassen und sich
auf den Rückweg zu machen, als er die kleine Gestalt in dicken
Regenklamotten sah, die um einen Baum herumlief und sich hörbar über
das Wetter freute. Dann erkannte er ihn. Es war Colin, der sich da
auf den Weg nach draußen gemacht hatte und ziemlich dick eingepackt
schien. Der klatschnasse Vampir schlenderte auf ihn zu und sagte
beiläufig: "Du erkältest dich noch." Nicht stehenbleibend
wanderte er weiter in Richtung Ausgang. Hoffte still, dass Colin
nicht über die Blutschlieren in den Wasserrinnsalen stolperte, die
begannen, die Wege zu säumen.
Colin hatte den Näherkommenden gar nicht bemerkt, bis er beinahe in
ihn hineinrannte. Er war im Begriff gewesen, auf den nächsten Hügel
zu rennen und rutschte bei dem Versuch, anzuhalten oder Kei zumindest
auszuweichen, auf dem nassen Gras aus und stürzte auf den schmalen
Pflasterweg.
Kei lachte leicht. Wich ein bisschen zur Seite um Colin mehr Raum zum
Fallen zu geben und schaute ihm dabei zu, wie er den Boden näher
kennenlernte. "Vorsicht. Es ist rutschig hier." Er ging
weiter und ließ Colin einfach auf dem Boden liegen.
Hastig rappelte sich Colin auf allen Vieren auf und sah dabei direkt
in die Ablaufrinne am Rand des Weges. Er vergaß über dem wilden
Rauschen und Donnern um ihn herum und dem Rauschen und lauten Klopfen
in seinen Ohren, sich über Keis ekliges Verhalten aufzuregen und
begann verwirrt, seine Hände und Knie nach Verletzungen abzusuchen.
Sie waren aufgeschrammt und eines seiner Hosenbeine war nun kaputt,
es klebten kleine Kiesel in den Kratzern, aber er blutete nicht SO
stark.
Colin sah die Rinne hinauf und dann hinunter, wo Kei gerade
verschwunden war.
Er stand auf und folgte der Rinne bis zu dem Pfad, der an dem kleinen
See entlangführte, inspizierte dabei genau den Boden, um die immer
verwaschenere Blutspur nicht zu verlieren.
Colin verfolgte die Spuren weiter bis zum Wasser und sah gebannt
hinein. Er konnte nichts besonderes sehen, dafür war es zu dunkel,
die schwarze Oberfläche schlug Wellen und wurde ständig vom
strömenden Regen aufgepeitscht.
Er sah sich nach Kei um.
Kei ging noch einige Stunden durch die Stadt. Davon, dass Colin seine
Sauerei gefunden haben mochte, ahnte er nicht viel. Immerhin würde
der Regen bald alle Spuren davongewaschen haben.
Am Nachmittag schickte Colin Kei eine SMS.
'Willst du erwischt werden?'
Er saß dabei nass (aber geduscht) auf seinem Bett und starrte auf
das Handy, nachdem er die Nachricht geschickt hatte.
Kei sah, er betrat gerade den Hauseingang, auf sein Handy, das einen
Laut von sich gegeben hatte. Oh, es funktioniert noch... Er
nahm das kleine Ding und schaute darauf. Eine SMS. Er öffnete sie
und las.
Von Colin... Nachdem er seine Wohnung betreten und seine
gesamten Klamotten ausgezogen und auf dem Flur liegengelassen hatte,
setzte er sich mit einem Handtuch bekleidet auf sein Sofa und
antwortete 'Ach was, das wäscht der Regen weg und ohne Leiche können
die mir eh nichts. Machst du dir etwa Sorgen um mich?'
Colin antwortete sofort: 'Ich weiß, wo die Leiche ist. Sei besser
netter zu mir.'
Er legte das Handy langsam weg und versuchte, nicht in Angstschweiß
auszubrechen.
Vielleicht hatte er jetzt den letzten größten Fehler seines Lebens
begangen.
Er machte schnell wieder die laute Musik an.
Kei grinste. 'Pass besser auf, Süßer, sonst leistest du ihr
Gesellschaft.'
Er machte anzüglich und tödlich grinsend ein Selfie von seinem
Gesicht und fügte es der Nachricht an.
Colin nahm das Telefon langsam, wie ein Gespenst, legte es nach dem
Lesen mit zitternder Hand wieder weg und kroch unter seine Bettdecke.
Dann griff er sich das Handy wieder und starrte auf das Foto.
Er lehnte das Handy an sein Kopfkissen und starrte das Bild an,
knöpfte sich dabei die Hose auf -
bis ihm etwas einfiel.
Er schickte noch eine Nachricht.
'Wolltest du mich umbringen?'
Der Vampir hatte keine Ahnung wie der Kleinere darauf reagieren
würde, aber er malte sich eine ängstliche (oder so ähnlich)
Reaktion aus, er mochte den Gedanken. Er ging zu seinem
Kleiderschrank und nahm sich Stoffhose und Shirt hinaus, zog sich an
und erfreute sich an seinen Gedanken, als sein Handy klingelte. Er
las. Lachte. Der Gedanke hatte was.
'Vielleicht...' schreib er zurück.
Kei legte sich auf sein Bett und malte sich aus, wie Colin wohl
reagieren könnte. Er grinste. Gerne würde er ihn jetzt einfach
beobachten und sich amüsieren.
Colin schauderte, als er das las. Aber er war erleichtert.
"Vielleicht" bedeutete, dass er es nicht vorgehabt hatte.
"Vielleicht" bedeutete auch noch andere Sachen. Er schrieb
eine Weile nicht zurück und betrachtete nur weiter das Foto, während
er an "Vielleicht..." dachte, und an die Stimme, in der das
Wort gesagt werden müsste.
Das dauerte keine fünfzehn Minuten, obwohl er sich Zeit zu lassen
versuchte.
Colin meldete sich nicht mehr.
SONNTAG
Auch am Sonntag ließ er nicht von sich hören oder sehen.
Kei wunderte es nicht, dass Colin ihm nicht antwortete. Er erwartete
das auch gar nicht. Als er sich dazu bequemte sein Bett zu verlassen
und an seiner Hose feststellte, dass er ziemlich gut geträumt haben
musste, ging er erstmal duschen.
Danach setzte er sich auf das inzwischen frisch bezogene Bett und
spielte ein wenig auf seiner neuen Gitarre.
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