*Kanji = Chin. Schriftzeichen, die in der japanischen Sprache verwendet werden
**Hiragana = Jap. Silbenschrift
***Nani = (jap.) Was
**Hiragana = Jap. Silbenschrift
***Nani = (jap.) Was
MITTWOCH
Am nächsten Morgen saß Colin kurz vor Unterrichtsbeginn auf seinem
Platz, mit Knöpfen in den Ohren. Er trug wieder den schwarzen
Rollkragenpullover und beobachtete die Tür.
Kei erreichte die Schule an diesem Morgen nicht. Sein Weg führte ihn
durch die Stadt. Leicht bekleidet lief er durch stürmischen Regen.
Colin verwirrte ihn. Er wusste nicht, was mit ihm los war. Begonnen
hatte das Ganze für ihn als Spiel, aber spätestens seit dem
Samstag, der sich als Colins Geburtstag entpuppt hatte, hatte sich
das geändert.
Nervös ließ Colin den Unterricht über sich ergehen. Er tat alles,
was getan werden musste und starrte davon abgesehen auf Keis Tisch
und Stuhl und die Tür zum Klassenraum. In den Pausen widerstand er
der Versuchung ihm zu schreiben oder ihn anzurufen.
Der Arsch sollte sich selbst melden. Er würde ihm nicht nachlaufen.
In der Mittagspause brachte Shingo ihn zum Reden. Er erzählte ihm
nicht von Kei, sondern von seinem toten Geigenlehrer. Mitgefühl.
Shingo fragte nicht weiter, obwohl nichts an dieser Geschichte die
Wunden um seinen Hals erklärte.
Kei tauchte auch den Rest des Tages nicht auf und das Wetter wurde
schlimmer. Klatschnass lief er durch die Straßen und kam mit den
Gedanken immer wieder bei Colin an.
Irgendwann kam er in den Park, in dem er Samstag auf Colin getroffen
war und setzte sich dorthin, wo der Junge an dem Abend gestanden
hatte.
Als der Schultag vorbei war, machte sich Colin grimmig auf den
Heimweg. Er wusste, dass Kei nichts passiert sein konnte. Der
Wahnsinnige war ein verdammter Vampir mit übermenschlichen Kräften,
der ohne mit der Wimper zu zucken Menschen umbrachte und scheinbar
nie erwischt wurde. Also kam er mit Absicht nicht zur Schule. Und
meldete sich mit Absicht nicht. Nachdem er ihn halb öffentlich
erniedrigt hatte. Colin war ihm doch egal. Oder sowas ähnliches.
In der U-Bahn knurrte er innerlich. Er bemerkte vor Wut nicht einmal,
dass aus dem Haus des Erpressers mehrere Männer mit Anzügen
herauskamen und in zwei schwarze Autos stiegen. Er schloss sich in
seinem Zimmer ein.
DONNERSTAG
Irgendwann kam Kei wieder nachhause, spät in der Nacht. Sehr spät.
Frustiert und von seinem aufgewühlten Inneren genervt warf er sich
auf sein Bett. Er hatte Stoff vertickt und einige Menschen getötet
bevor er nachhause gekommen war.
'Du verwirrst mich' schreib er an Colin. Keine Erklärung oder sonst
irgendwas dazu. Nur diesen einen Satz. Er lag wach auf seinem Bett.
Die Nachricht weckte Colin auf. Er starrte blöd darauf und
antwortete reflexiv:
'Du nervst mich.'
Nach dem Abschicken schlief er beinahe wieder ein, als 'Gomen.' als
Antwort zurückkam. Kei meinte damit in erster Linie das Aufwecken,
wovon er dachte, dass er das getan hatte.
Colin grunzte, als noch eine Nachricht kam. Das Grübeln darüber,
für was genau sich der Wahnsinnige entschuldigen wollte, kitzelte
ihn wach und nervte ihn so sehr, dass er ohne groß darüber
nachzudenken Kei anrief.
Kei wollte das erst ignorieren, ging im letzten Moment aber doch noch
dran. Sagte nichts, außer "Sorry für's Wecken..."
"Wofür hast du dich entschuldigt?" brummte Colin
schlafheiser.
"Fürs Aufwecken," sagte er. Halbwahr. Es galt auch für
das Nichtauftauchen den ganzen Tag lang. Das jedoch blieb
unausgesprochen.
"Ernsthaft?" Er klang genervt. "Du weckst mich, um
dich dann dafür zu entschuldigen?"
"Ich wusste nicht, dass du schon geschlafen hast..." Kei
war nicht gut im Entschuldigen. Schon gar nicht, wenn er sich
irgendwo bewusst war, dass er sich nicht so hätte verhalten sollen,
wie er es getan hatte.
"Es ist drei Uhr - oder sowas!" Colin sprach leise, aber
mit einer Eindringlichkeit, die ihn so aufgebracht klingen ließ wie
er war. Müde klang er nun nicht mehr. "Normal- äh - Menschen
schlafen um diese Zeit..."
"Dir erzählen, dass ich nicht auf die Uhr sehe, bringt nichts,
oder? Ehm, sorry für vorhin..." Er sagte nichts weiter und
wartete auf eine Antwort, dem Drang widerstehend, das ihm nicht
behagende Gespräch einfach zu beenden.
Als nichts weiter kam, fragte Colin flach: "... Was meinst du
mit vorhin? Du hast dich den ganzen Tag nicht blicken lassen."
"Ehm, das, und gestern..." Er wusste, dass es nicht okay
war, ihn bloßzustellen und dann den nächsten Tag gar nichts von
sich hören zu lassen.
Colin nahm das Handy vom Ohr und sah es schockiert an. Wie zögerlich
der Wahnsinnige klang. Fast kleinlaut.
Er fasste sich ein Herz.
"... Du nervst mich... nicht immer," gestand er zaghaft.
Kei wusste selbst nicht so recht, weshalb er das gerade tat. Behielt
aber das Handy am Ohr.
"Du verwirrst mich... ständig..." entgegnete er. Froh,
dass Colin nicht sehen konnte, dass er leicht lächelte. Jetzt wusste
er wohl, wie sich ein Stockbetrunkener fühlte, der seinem
Seelenleben Luft machte. Er hoffte jedenfalls, dass er morgen nicht
daran einnert werden würde.
Colin legte sich unter Rascheln wieder hin und sah an die dunkle
Zimmerdecke.
"... Das mit der Wichsvorlage stimmte."
Keis Kommentar dazu war "Du hast ja noch ein Bild von mir."
Während er mit dem Handy am Ohr auf dem Bett lag, zog er sich aus
und kroch ebenfalls unter seine Decke.
Colin grinste. "Ja." Wie wahr. Dass er das längst
benutzte, durfte Kei sich selbst ausdenken. Er schloss die Augen und
murmelte: "Ich wäre gern eine Gitarre."
"Du hättest ein hartes Leben." Der Vampir starrte an die
Decke.
Nachdenkend.
Colin dachte nur an die Bandprobe. "Ich müsste mir nur
aussuchen können, wer mich spielt."
Kei schmunzelte. "Dann müsste ich mich ja mit Aoi prügeln..."
Er drehte sich ein wenig und rollte sich zusammen.
"Warum?" Nun flüsterte Colin fast.
Kei hatte einen Teil seiner Fassung zurückerlangt, als er sagte:
"Na, weil er ein verdammt guter Gitarrist ist und eine gute
Gitarre nur in die Hände eines guten Gitarristen gehört." In
Gedanken fügte er noch ein paar betrunkene Sätze hinzu und atmete
ruhig aus.
Colin lächelte.
"Ich würde auch nur in talentierte Hände wollen. Aoi würde
schon passen. Ihr dürftet euch aber abwechseln." Er
schmunzelte. "Vielleicht wäre ich auch so eigenwillig, dass nur
ein ganz bestimmter guter Gitarrist mich spielen kann."
Kei machte, sich Bilder in seinem Kopf ausmalend, in denen Colin
nicht viel Kleidung trug, ein "HmmmHmmm"-Geräusch. Seine
Gedanken drifteten wiederholt ab.
"Schläfst du etwa ein?" sagte Colin leise. Er selbst war
jetzt nicht mehr dazu in der Lage.
"Ehm... nein, ich hab nur nachgedacht..." Inzwischen
verfluchte er ein bisschen, so viel getrunken zu haben. Dass der
Alkohol tatsächlich Auswirkungen auf ihn hatte, wunderte ihn.
Immerhin passierte das sonst nicht. Kei hatte aber auch sonst nie so
viel getrunken. Er hatte mindestens fünf Wodka- und Whiskeyflaschen
allein geleert. Zudem der Blutrausch, dem er sich einfach hingegeben
hatte, nachdem ihm der Alkohol ausgegangen war...
"Oha. Das muss wehgetan haben," gurrte Colin.
Kei lachte ein wenig. "Fresse, Zwerg." Du weißt ja
nicht, woran ich denke... aber du findest das noch heraus...
irgendwann...
Colin lächelte. "Was wars?"
Dieser neue Keisuke bot eine so dankbare Angriffsfläche.
"Montagnacht. Samstag..." Keis Ton war mehr als eindeutig
und man konnte sein Grinsen förmlich hören. Colin fühlte Hitze in
seinem Gesicht aufsteigen.
"..." Er räusperte sich. "Bist du zu irgendeinem
Schluss gekommen?"
"Ja." Die Antwort kam ohne nachzudenken. "Das sollten
wir wiederholen," fügte er umgehend hinzu.
Colin musste an den Brief von Mr. Tyler denken. Samstag. Und an den
Erpresser von Sonntag, mit dem er Montag ins Hotel gegangen war. Sie
hatten beide damit zu tun gehabt. Mit seiner Verfassung und seinem
Verhalten an diesen Tagen. Seine ungesunde Art, damit umzugehen.
Schließlich fiel ihm auf, dass er stumm geblieben war.
"Ja," sagte er matt. Damit musste er Kei nicht auf die
Nerven gehen. Er schien Colin trotz dessen Unerfahrenheit und
Jähzorns irgendwie gut zu finden, und das musste Colin jetzt nicht
kaputtmachen.
Kei grinste immer noch. "Eh..." Er machte eine Pause. "Los,
geh schlafen. Ich muss den Rausch ausschlafen..." sagte er. Er
wollte nicht noch mehr Zeug reden, das er nüchtern nie gesagt hätte.
"Rausch? Du bist betrunken?"
"Ein bisschen..." gestand er. Dass der Rausch sowohl blut-
als auch alkoholbedingt war, ließ er weg.
Das geht? war das erste, das Colin einfiel. Dann: Was
besäuft der sich und ruft mich dann an? Dass er selbst Kei
angerufen hatte, hatte er praktischerweise vergessen.
"Gut... Also. Viel Erfolg dabei. Morgen schreiben wir eine
Bioarbeit."
"Ehm... Danke. Schlaf gut und so..." verabschiedete Kei
sich in sehr ungewohnter Weise und drückte den roten Knopf, der auf
dem Display seines Telefons angezeigt wurde.
Danach schlief er ein. Versank in einen sehr, sehr tiefen Schlaf.
Colin hörte dem Tuten noch etwas zu, bis es von allein aufhörte.
Dann zog er sich die Decke über den Kopf und versuchte,
weiterzuschlafen.
Am nächsten Morgen wachte Kei nur auf, weil sein Wecker ihn
terrorisierte. Er quälte sich aus dem Bett, unter die Dusche, in die
Klamotten und schließlich zur Schule. Er rauchte auf dem Weg einige
Zigaretten bevor er irgendwann an der Tür der Gebäudes ankam.
Colin war wie üblich sehr pünktlich da und stand neben Tomokos
Tisch, wo sie sich noch blitzschnell Notizen für die Arbeit machte,
die sie mit Colins Kommentaren aus Ayanes Heft abschrieb.
Kei kam etwas zu spät in den Unterricht, absichtlich von nichts
Notiz nehmend und den Lehrer ignorierend. Er schaute Colin kurz
direkt an und setzte sich dann, die Kapuze der dünnen, langen
Sweatshirtjacke tief ins Gesicht gezogen, auf seinen PLatz. Colin
traf Keis Blick mit seinem ernsten aber offenen, bevor er sich wieder
seiner Arbeit widmete. Er war mit dem ersten Blatt halb fertig.
Auf Keis Tisch lagen auch die zwei Klausurblätter bereit. Kei begann
mit der Arbeit sehr gemütlich. Tatsächlich aber konzentrierte er
sich mehr als während des Unterrichts. Das fiel ihm allerdings etwas
schwerer, da sein Körper die Unmengen an Alkohol des Vortags noch
nicht ganz abgebaut hatte, auch wenn er nicht mehr betrunken war.
Colin war schnell fertig. Er gab seine Blätter dem Lehrer in die
Hand, der gerade vorbeischlenderte, und stützte den Kopf auf die
Hände, um an Kei vorbei aus dem Fenster zu sehen.
Das schlug ein wenig fehl, denn Kei war interessanter anzusehen als
der graue Himmel draußen.
Kei schrieb relativ viel, brauchte sehr lange um fertig zu werden und
drehte die Blätter irgendwann einfach um und legte den Kopf auf den
Armen ab. Sein Blick ging in Richtung Colin, jedoch schaute er ihn
nicht immer direkt an.
"Das Fenster is drei Zentimeter höher, falls du das suchst.
Wenn nicht, kannst du mich auch weiter anschauen," sagte er
leise.
Colin war ein wenig abwesend gewesen und lächelte nun sachte. Er
rieb sich die Augen und sah auf die Uhr. Noch etwas über fünf
Minuten. Er legte sich auch auf seine Arme und sah weiter in Keis
Richtung - und hauptsächlich ihn an. Kei schaute ebenfalls einfach
weiter in Colins Richtung und hing seinen Gedanken nach - und der
Frage, wann dieser Zustand wieder verschwinden würde. Dass er
jemals zu müde für einen aggressiven oder schlagfertigen Ton sein
würde, hätte er nicht für möglich gehalten. Am Ende der Stunde
gab es nochmal allgemeines Rascheln und Seufzen, das Colin
ignorierte. Er sah erst auf, als der Lehrer den Raum verließ, und
stand selbst auf. Er baute sich neben Keis Tisch auf.
Kei blieb noch eine Weile so halb liegen, er war dazu übergegangen
seine Umwelt ein wenig mehr auszublenden und seinen Gedanken
nachzuhängen - dass diese sich zum Großteil um Colin drehten wollte
er abstellen, es gelang ihm jedoch nicht.
Als Kei weiter nur herumlag und ihn nicht zur Kenntnis zu nehmen
schien, räusperte Colin sich.
"Hm?" er schaute zu Colin nach oben und sah ihm direkt in
die Augen, fragend. Colin holte sichtlich Luft um sich
zusammenzunehmen, legte dann eine Hand auf Keis Tisch, die andere auf
seine Stuhllehne, ein Knie auf seinen Stuhl und beugte sich hinunter
um ihn zu küssen.
Kei dachte im allerersten Moment, dass Colin ihm eine knallen wollte
oder sonst irgendwas, wegen des Telefonats vom Vorabend, dass er zu
verdrängen versuchte, aber der Gedanke verschwand sehr schnell
wieder. An seine Stelle traten ein paar Hormone zu viel für Keis
Geschmack, denn die betrugen ihn immer dann, wenn es um Colin ging.
Sein Spielchen war keins mehr und das ging ihm gehörig auf den
Sack...
Er erwiderte den Kuss und verfluchte Colins Existenz gleichermaßen.
Als jemand kicherte, öffnete Colin die Augen und richtete sich
langsam wieder auf. Er sah Kei ernst in die Augen.
"Jetzt sind wir quitt."
Er drehte sich zu seinem Tisch um.
"Pass auf, dass du dafür nicht irgendwann noch draufgehst,
Süßer," sagte Kei als er aufstand um ein bisschen Nikotin in
seinen Körper zu pumpen. Colin wich ihm aus und hielt sich weiter
von ihm abgewandt, als er ein bisschen schmunzelte. Eine Todesdrohung
und ein "Süßer", wieder mal im selben Satz. Er setzte
sich und bedachte Tomoko, die sich mit einem ungläubigen Grinsen zu
ihm umgedreht hatte, mit einer amüsiert hochgezogenen Augenbraue.
Kei ging nach draußen und zückte seine Kippenschachtel aus der
Hosentasche.
Unter dem Vordach der Schule rauchte er gemütlich ohne jede Eile.
Derweil begegnete Colin diversen Kommentaren und Fragen der
Klassenkameraden mit flapsigen Bemerkungen oder ignorierte sie.
Shingo sah ihn nur ernst und besorgt an.
Zu Beginn der nächsten Stunde schlenderte Kei zurück in den
Klassenraum und setzte sich auf seinen Platz. Den Blick erst zu
Colin, dann aus dem Fenster gerichtet. Colin lächelte ihn gutgelaunt
an. Kei ging darauf nicht ein und schaute teilnahmslos in Colins
Richtung. Dann wieder aus dem Fenster.
Er fragte sich, was Colin genommen hatte... der war sonst nicht so...
Er selbst allerdings auch nicht...
Colin wunderte sich ein wenig darüber, dass Kei kaum reagierte, aber
das dämpfte seine Laune kein bisschen. Er hoffte, dass er mit seinem
Auftritt Kei die Demütigung im Proberaum heimgezahlt hatte. Als die
Englischlehrerin hereinkam und alle ihre Plätze wiederfanden, sah er
nur noch nach vorn. Kei beschäftigte sich mit geistiger Abwesenheit
und einem gelegentlichen Seitenblick auf Colin.
Im Unterricht versagte er allerdings kläglich, da seine
Englischkenntnisse nicht besonders gut waren. Er wurde dazu
aufgefordert, etwas vorzulesen. Dabei versagte er grandios. Kein
Wunder, dass er Colin, wenn der Englisch sprach, nicht verstand.
Den Lehrer verfluchen, das konnte er. Aber lesen? Die Worte warem ihm
so fremd wie die meisten Kanji* in der ersten Klasse...
Die Lehrerin seufzte und unterbrach ihn.
"Sakai. Bitte." Sie schloss die Augen. "Warst du nicht
im Sommerkurs, wie ich es dir empfohlen habe?" Sie sah ihn ernst
an.
Kei sah sie an, ausdruckslos. "Ich hatte was besseres zu tun,"
erklärte er.
Sie sah ein wenig besorgt aus. "Wenn du nächsten Sommer auch
etwas besseres zu tun hast, wirst du keine Aufnahmeprüfung
schaffen." Ihr Blick fiel auf Colin, bevor sie wieder in ihr
Buch sah und jemand anderen aufrief.
"Wer sagt, das ich unbedingt auf die Uni will? Mir wäre das
neu," meinte er dazu noch und schaute wieder aus dem Fenster.
Als Englisch vorbei war, begann die Mittagspause. Kei machte, dass er
aus der Klasse kam und setzte sich abseits des restlichen Geschehens
in die Nähe des Baseballplatzes. Seine Lehrer umzubringen wäre
leider zu auffällig, also ließ er das bleiben und verfluchte sie
nur weiterhin. Mit Zigarette im Mund sah er in den Himmel. Viel
schlimmer konnte der Tag jetzt nicht mehr werden. Nicht, dass etwas
großartig schlimmes passiert war, aber vor der Klasse bloßgestellt
zu werden fand er nicht lustig. Die Schnepfe wusste doch, dass er
kein Englisch konnte.
Colin ging erst mit Shingo mit und entschuldigte sich dann, um nach
draußen zu gehen. Er fand Keisuke tatsächlich bei seinem Baum am
Baseballplatz und ging gemächlich zu ihm, allerdings näherte er
sich eher von der Seite und außerhalb von Keis direktem Sichtfeld.
Kei vernahm Schritte in seine Richtung, scherte sich aber nicht
darum, nachzusehen, wer ihm da gleich auf den Sack gehen würde.
Viele Möglichkeiten gab es da immerhin nicht. Die Verdächtigenliste
war also überschaubar.
Colin hielt ein paar Schritte neben ihm an. Er hatte die Hände in
den Hosentaschen.
Als ihm ihm nichts anderes einfiel, ging er noch einen Schritt auf
Kei zu und setzte sich neben ihn.
"Warum bist du so mies drauf? Das ist mein Job," versuchte
er.
"Gestern bekam mir nicht," versuchte er sich einer
neutralen Erklärung und starrte weiter in die Luft vor sich.
Meint er den Alkohol oder unser Gespräch?
Colin war unsicher, was er sagen und fragen durfte und rupfte ein
paar Grashalme aus.
"Gestern -" begann er, aber entschloss sich, besser doch
nichts zu sagen und stattdessen einen Grashalm zu verknoten.
"Hab ich ein bisschen viel getrunken..." beendete er Colins
Satz. Was er sonst noch angestellt hatte, erwähnte er nicht.
Colin musterte ihn. Da fiel ihm etwas ein.
"Du erinnerst dich doch noch an alles, oder?"
Wenn nicht, hatte er noch zwei SMS, die er als Beweise vorlegen
konnte, dachte er bei sich.
"Ja..." gab Kei zu, auch wenn er nicht gern daran dachte,
was er von sich gegeben hatte. Es war nicht falsch gewesen, aber er
hätte nichts davon jemals ausgesprochen, wenn er nüchtern gewesen
wäre. Colin sah ihn mit einem Stirnrunzeln an.
"Was?" Wartete er auf etwas? "Nur, weil ich betrunken
war, vergesse ich nicht, wer mich mitten in der Nacht anruft,"
signalisierte er, dass er das Gespräch nicht vergessen hatte. Colin
sah zurück auf seinen Grashalm. Er fühlte sich ertappt. Er wusste
nur nicht, wobei. Alles, was ihm zu dem Thema einfiel, erschien ihm
unangemessen, aber gehen wollte er auch nicht.
"I can teach you English," sagte er zu dem Grashalm.
Kei wusste nicht ganz, ob er wirklich mit dem Grashalm sprach, es sah
sehr danach aus, oder ob Colin mit ihm gesprochen hatte. "Der
Grashalm wird das nicht lernen müssen..." erwiderte der Vampir,
der Colin gerade so eben und nur verstanden hatte, weil er nicht
allzuschnell gesprochen hatte.
"Aber du." Colin sah auf. "Was sagst du? Es ist
umsonst," fügte er mit schmunzelndem Augenbrauenwackeln hinzu.
Kei hasste es, wenn irgendwer Recht hatte und es seine Person betraf.
"Gut möglich," gab er zu, was mehr als offensichtlich war.
"Einen Versuch ist es wert," sagte er schließlich.
Colin versuchte, nicht zu breit zu lächeln. Kei war so ein Macho.
"Lass uns gleich anfangen. Vokabeln und Aussprache." Er
rutschte näher heran und drehte sich im Schneidersitz zu Kei.
Kei ließ den Kopf nach hinten fallen. "Hab ich mich nicht
gerade schon genug blamiert?"
Colin grinste. "Nein. Come on." Er tippte auf seine Nase.
"Was ist das?"
"Deine Nase," stellte er fest, als ihm auch das englische
Wort wieder einfiel. "Your nose," ergänzte er mit
schmerzhaftem japanischem Akzent, als hätte er jedes ihm bekannte
englische Wort in Hiragana** geschrieben.
"Your nose," korrigierte Colin. "Well, it's mine,
actually, but... your nose."
Kei verstand nur die Hälfte, versuchte es aber nochmal - mit mehr
Erfolg und vor allem verständlicher.
Colin nickte und zeigte auf sein linkes Auge.
"Your r/left ai." Kei kannte viele Vokabeln, nur
aussprechen konnte er sie kaum, was ihn sehr schnell demotivierte dem
Unterricht zu folgen, weshalb sein Englisch in den letzen Jahren von
schlecht zu grausig mutiert war.
"Left eye," sagte Colin ruhig. "You may call it
gorgeous."
Kei wiederholte auch das und fügte nur ein "Nani?"*** hinzu,
da er den zweiten Satz nicht verstanden hatte.
Er wiederholte den Satz langsamer.
"Weißt du, was gorgeous heißt?"
Kei versuchte sich an einer Wiederholung und verneinte die ihm
gestellte Frage mit einem leichten Kopfschütteln. Zwischenzeitlich
blieb er immer mal wieder mit dem Blick an Colins Augen hängen.
Colin musste grinsen und sah kurz nach unten, bis er sich wieder im
Griff hatte. "Gorgeous heißt wunderschön." Zur Ablenkung
tippte er schnell auf seine Lippen. "Mouth."
Kei musste leicht grinsen. "It is. Yeah," kommentierte er
das, etwas i-lastig, aber verständllich, bevor er dem Kleineren
wieder unaussprechliches nachplapperte, was er teilweise noch
unaussprechlicher machte.
Colin beugte sich vor und wiederholte leise: "Mouth. Ich weiß,
es ist ein komischer Laut. Aber du schaffst es. Ich glaube an dich!"
Er grinste dreist.
Kei versuchte sich daran, scheiterte aber kläglich. Zudem war das
Grinsen des Kleineren nicht gerade förderlich für seine ohnehin
nicht große Konzentration. Er nutze Colins Nähe einfach mal aus und
kam dem Befehl seines fehlfunkionierenden Gehirns nach, ihn zu
küssen.
Colin erwiderte den Kuss und bekam eine Gänsehaut. "Du hast das
Wort immerhin verstanden," sagte er leise. "Wenn du es
richtig aussprechen willst, dann... benutz deine Zunge."
Jetzt war es Kei der grinste und Colin ein Stück zu sich zog um ihn
in einen Zungenkuss zu verwickeln.
Dass er eigentlich lernen sollte, vergaß er einfach mal kurzzeitig.
Colin schauderte wohlig. In seinem Schritt zog es etwas. "...
Die Zähne auch..." flüsterte er. "... teeth..."
Kei hatte so seine Probleme damit, das "th" vernünftig
auszusprechen, zumal er gerade anderweitig beschäftigt war. Die
Benutzung seiner Zähne umzusetzen fiel ihm aber weit weniger schwer.
Colin musste sich irgendwo aufstützen, um nicht auf Keisuke zu
fallen und suchte sich dafür dessen Oberschenkel aus. Er gab Kei
wieder, was er von ihm bekam und fühlte sich so schwindlig wie nach
einigen Gläsern gestohlenem Wein. Dazu jubelte er innerlich darüber,
dass er keine peinlichen Geräusche von sich gab.
Wenn Englisch lernen so endete konnte Kei sich durchaus vorstellen
das öfter zu machen. Er zog ein bisschen an der Jacke des Kleineren
und sorgte so dafür, dass er tatsächlich halb auf ihm landete -
auch wenn Colin das ja zu verhindern wollen schien. Die freie Hand
vergrub er in Colins Haaren und hielt ihn dort, wo er war. Da er nun
sowieso so gut wie auf ihm lag, nahm Colin seine Hände von Keis Bein
herunter. Die eine war etwas zu dicht an eine Stelle gerutscht, an
die Colin nicht in der Schule denken wollte. Er küsste einfach
weiter, obwohl Keis Zunge - und obwohl sie so dicht - und er konnte
nichts mehr zuende denken außer an Montagnacht, und das machte sich
nach und nach in seiner Hose bemerkbar.
Irgendwann schickte sich die Schulglocke an, ihr Tagewerk zu
vollbringen und die Pause zu beenden, was Kei gekonnt überhörte.
Immerhin war er beschäftigt.
Colin zog den Kopf zurück, mit etwas benebeltem Blick, und
versuchte, sich aufzurichten indem er sich auf Keis Oberkörper
stützte. Für ihn war selbstverständlich, dass sie nun wieder in
die Schule zurückmussten. Kei schaute ihn an. "Ich hatte für
einen Moment vergessen, dass anständige Schüler wieder in den
Unterricht müssen, wenn's klingelt."
Colin blinzelte. "Man kann sich ja nicht alles merken." Er
machte sich daran, aufzustehen. "Du wirst auch noch zu einem
anst-" Er sah Kei an. "Oder nein, doch nicht."
Kei hielt ihn fest. "Zwei Stunden wirst du wohl verschmerzen
können." Er war so dreist, einfach mal davon auszugehen. Er
lachte leicht. Anständig? ... Wird überbewertet.
"Können, ja, aber will ich das?" Er drückte auf Keis
Arme, um sie herunterzuschieben.
Kei hielt ihn unbeeindruckt weiter fest. "Ja. Willst du."
Grinsend schielte er auf Colins Hose.
Colin schob noch etwas nachdrücklicher und runzelte ungeduldig die
Stirn. "Lass los," sagte er im Befehlston.
Noch immer grinsend hielt Kei ihn weiterhin fest. "Was, wenn
nicht?"
Colin rollte mit den Augen. "Das schon wieder. Dann werde ich
echt mies gelaunt sein."
"Ich kann dich aufmuntern." Sein Grinsen wechselte zu mehr
als zweideutig.
Colin markierte ein überfröhliches Gesicht. "Oh, ich weiß
wie! Indem du mich loslässt!"
"Du bist nicht überzeugend genug." Kei wusste, dass wenn
er Colin jetzt loslassen würde, der Kleinere es trotzdem nicht bis
in den Klassenraum schaffen würde, aber diese 'Diskussion' machte
ihm zu viel Spaß, als dass er das jetzt aufhören würde. Von seinen
Hintergedanken mal ganz abgesehen...
"Was würde dich überzeugen, eine Ohrfeige?" sagte Colin
trocken.
Er wollte wirklich keinen Unterricht verpassen.
"Nein." Kei war zwar ein Egoist, aber ehrlich. Eine
Ohrfeige würde ihn nicht umstimmen. Er würde sich auch nicht
ohrfeigen lassen.
Trotzdem stand er auf und gewährte so auch Colin das Aufstehen.
"Danke," sagte Colin patzig und marschierte sofort los.
Kei ging in einigem Abstand hinterher. Er hatte es nicht so eilig und
war beinahe erstaunt darüber, dass Colin tatsächlich miese Laune
hatte.
Colins Stimmung beruhigte sich sofort und er beeilte sich so gut er
konnte, ohne zu laufen.
Kei beschloss zum wiederholten Male an diesem Tag, sich da nicht
weiter drum zu kümmern und fiel einige Zeit nach Colin in der Klasse
auf seinen Platz, den Blick starr zum Fenster raus.
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