*Ohayou = (jap.) Guten Morgen
MITTWOCH
Zwei stunden später quakte der Wecker schrill "OHAYOOOO!* Ein
neuer Tag, gib dein Bestes und rette die Welt! Ohayoooo! Gib den
Bestes und rette die Welt! Ohayoooo! Gib dein Bestes und-"
Klick. Colins Hand rutschte schlaff am Regal am Kopf
seines Bettes herunter. Kei schlief weiter.
Langsam setzte Colin sich auf. Seine Hand landete auf Keis Gesicht.
"Hmm." Ein morgendlich genervtes Brummen schlug Colin
entgegen. Im nächsten Moment war Kei wach und setzte sich auf.
Nachdem er sich kurz die Augen gerieben hatte, rutschte Colin aus dem
Bett und taperte benommen zum Kleiderschrank. Als er ihn öffnete,
fielen seine Hose und sein Sweatshirt vom vorigen Tag heraus. Er trat
sie zurück und nahm sich Socken, Boxershorts und seine sauber und
vollständig aufgehängte Uniform heraus. Kei schaute ihm kurz zu und
stand dann ebenfalls auf.
"Ich muss gleich nachhause und mich umziehen," teilte er
Colin mit.
"Hm," antwortete Colin abwesend.
Kei zog sich schnell die Kleidung vom Vortag über, nahm seine Tasche
und verabschiedete sich von Colin.
"Wir sehen uns dann nachher," sagte er, während er auf dem
Fensterbrett saß.
Plötzlich schien Colin aufzuwachen. "Warte." Er lief zu
Kei. "Ich machs wie du." Er versuchte, ihn zu umarmen. Kei
grinste ein wenig in sich hinein. Erwiderte die Umarmung kurz und war
verschwunden.
Kurz vor Unterrichtsbeginn saß Colin zuverlässig an seinem Platz,
in seinem mittlerweile üblichen Rollkragenpulli unter der
Uniformjacke, ließ seinen Druckbleistift zwischen den Fingern hin
und herwandern, hatte das Kinn auf die andere Hand gestützt und sah
müde/nachdenklich/verträumt aus dem Fenster, während er mit
Knöpfen in den Ohren Musik hörte. Kei kam quasi mit dem Lehrer in
den Raum. Die Ruhe selbst, ließ er sich überhaupt nicht hetzen. Er
war umgezogen und trug nur die Jacke seiner Uniform, deren Ärmel er
hochgekrempelt hatte. Ungeachtet der Temperaturen und des Wetters
draußen.
Er setzte sich auf seinen Platz und grüßte Colin nonverbal, da der
Lehrer die Klasse bereits zur Ruhe ermahnt hatte. Als Kei sich in
sein Blickfeld setzte, schmunzelte Colin ihn an und nahm die Knöpfe
aus den Ohren, schaltete den mp3-player aus und richtete den Blick
nach vorn. Der Vampir schmunzelte leicht zurück und richtete seinen
Blick ebenfalls nach vorn. Aber nicht lange. Das Wetter war weit
interessanter als das, was der Lehrer so von sich gab. Colin passte
auch nicht auf. Er sah zwar ins Buch, aber nickte leicht mit dem Kopf
und wippte im Takt mit einem Fuß, ohne irgendwas auf der Seite
aufzunehmen. Stattdessen schrieb er mit dem Bleistift auf den Tisch.
Kei blickte irgendwann wieder nach vorn. Doch wirklich aufmerksam war
er nicht. Er wartete nur darauf, dass die Stunde vorbeiging. Trotzdem
begann er ein bisschen mitzuschreiben und seinen Block
vollzukritzeln.
Als es endlich läutete, war der Lehrer selbst überrascht und packte
kommentarlos sein Buch unter den Arm, um einfach hinauszutapsen.
Colin langte gleich wieder nach seinem mp3-player und steckte sich
wieder die Knöpfe in die Ohren. Kei tat es ihm gleich, nur dass er
nach seiner Zigarettenschachtel griff und sich erhob um zum Rauchen
nach draußen zu gehen. Vorher jedoch nahm er einen von Colins
Kopfhörern aus dessen Ohr.
"Ohayo!" grüßte er.
"-Mister, can you tell me where my love has gone? He's a-"
quakte es aus dem Ohrstecker, bevor Colin überrascht und leise
"Ohayo" entgegnete, mit einem warmen Lächeln.
"Kommst du mit nach draußen?" fragte Kei und gab den
Ohrstecker zurück.
"-Japanese Boy. I woke up one morning-" Colin
schaltete die Musik aus und stand gleichzeitig hastig auf. Kei
grinste ganz leicht bei dem halb verstandenen Songtext und ging mit
Colin nach draußen, wo er sich eine Zigarette anzündete und die
Ruhe draußen genoss. Drinnen war es ihm entschieden zu laut, sobald
die Lehrer gegangen waren.
Er küsste Colin. Sehr bereitwillig erwiderte Colin den Kuss, hielt
ihn aber schön kurz und keusch.
"Ihr seid für das Konzert schon sehr gut vorbereitet," bot
er an.
"Danke! Wir haben auch viel geübt," erwiderte Kei und
fügte die Frage an, ob Colin auch viel üben musste, oder eher
nicht. Colin gab ihm einen Blick, der klar andeutete, dass das eine
dumme Frage gewesen sei.
"Jeder muss immer viel üben." Er lehnte sich an die Wand.
"Shingo und ich haben rangeklotzt, und es ist was gutes dabei
herausgekommen." Er nickte entschlossen. "Und Frau Hasegawa
wird umkippen. So wie sies dafür verdient, dass sie mich aus dem
Chor geschmissen hat."
"Warum hat sie dich ausm Chor geworfen?" Er zog an seiner
Zigarette. Er war ein bisschen gespannt darauf, was Colin wohl auf
die Beine gestellt hatte. "Verrätst du mir, was ihr geplant
habt?"
"No," sagte Colin und lächelte. Dann wackelte er mit den
Augenbrauen und stieß sich von der Wand ab, um wieder reinzugehen.
Kei beendete seine Zigarette noch und ging dann hinterher. Er würde
wohl warten müssen, auch wenn ihm das nicht gefiel. Geduld war
nunmal nicht seins.
"Schade. Ich hätts gern gesehen, wenn die Aula nicht
überquillt."
"Ah, aber wo bleibt denn der Spaß, wenn man sich nicht in aller
Öffentlichkeit blamiert?" Colin grinste schelmisch. Kei grinste
bei dem Gedanken, wie Colin sich tatsächlich absichtlich blamierte,
allerdings schlichen sich ihm dabei ein paar wirklich blamable Szenen
in den Kopf, und so schob er das Ganze schnell wieder in die
hinterste Ecke seiner Gedanken.
"So kann man das auch sehen. Aber wenn, dann richtig."
Daraufhin schmunzelte Colin nur enigmatisch, als er sich wieder an
seinen Platz setzte.
Die Lehrerin war bereits da und ließ Arbeitsblätter verteilen. Wie
meist die Ruhe selbst, ließ auch Kei sich auf seinem Platz nieder
und warf einen Blick auf das Arbeitsblatt, das seinen Weg auf seinen
Tisch gefunden hatte. Es war ein Englischvokabelblatt zum Übersetzen,
mit ein paar kurzen Lückentexten.
Colin schnaufte gelangweilt, kritzelte innerhalb von ein paar Minuten
alles voll und schielte zwischendurch zu Kei, um zu sehen, wie er
voranschritt. Kei stellte sich deutlich besser an als sonst, wenn
auch nicht perfekt, aber so langsam machte er sich. Zufrieden lehnte
Colin sich auf den Tisch, als er fertig war und gesehen hatte, dass
Kei wusste, was er tat, verschränkte die Arme, legte das Gesicht
drauf und holte dreist ein bisschen Schlaf nach.
NACHMITTAG/SCHULSCHLUSS
Colin rieb sich die Augen als er langsam seinen Krempel
zusammenpackte.
"Probt ihr jetzt noch?"
"Die anderen ja, ich nicht. Ich muss ja noch weg," erklärte
Kei und schaute kurz auf sein Telefon.
"Achso." Das hatte Colin vergessen. Er nickte und
schulterte seine Tasche. "Also bis morgen."
"Bis morgen," erwiderte Kei, nahm ebenfalls sein Zeug und
war ziemlich schnell verschwunden.
WENIGE STUNDEN SPÄTER
Bei Kei zuhause klingelte es sturm.
Kei erhob sich von seinem Bett, wo er Gitarre spielend gelegen hatte,
und ging zur Tür, öffnete. Sehr eiligen Schrittes schnaufte jemand
in rasendem Tempo zu Keis Wohnung hoch. Der Vampir war in der offenen
Wohnungstür stehengeblieben, um zu sehen, wer da geklingelt hatte.
Erstaunt stellte er fest, dass es Shingo Murata war.
"Was willstn du hier?" Und woher weißt du, wo ich
wohne...?
Als er in Doppel- und Dreifachschritten die letzte Treppe nahm, sah
er Kei gehetzt an, als hätte er ein Gespenst gesehen. Er war
offensichtlich schon eine Weile gelaufen und musste erstmal zu Atem
kommen.
"Colin ist entführt worden... hech... er hat mich zu dir
geschickt... hah..."
"Wer hat dich geschickt? Colin?" Er ahnte Böses. Shingo
nickte und stützte sich auf die Knie, immer noch keuchend.
"Er hat mir deine Adresse... gesagt... als wir gerannt sind...
er ist nicht... sehr sportlich... Ich darf nicht zur Polizei, hat er
gesagt... und nicht zu den... Eltern, nur Sakai, sagte er..."
Endlich richtete Shingo sich wieder auf, mit rotem Kopf. "Drei
Männer, zwei im Anzug, einer mit lila Jogginganzug, schwarze Limo,
Honda, mit getönten Scheiben -" begann er.
Kei dachte nach. "Komm rein. Setz dich hin. Ich muss eben
telefonieren, wenn du was trinken willst, bedien dich einfach. Küche
is da lang." Er deutete Shingo den Weg und nahm sein Telefon.
Seinem Gesprächspartner teilte er alles mit, was Shingo erzählt
hatte.
"He Shingo! Haben die Typen irgendwas gesagt?"
Shingo hatte Wasser direkt aus dem Hahn aus seinen Händen getrunken
und sich das schweißnasse Gesicht etwas abgewaschen.
"Der eine Anzug sagte, dass sie Colin haben wollen und ich egal
sei. Das war alles. Wir sind bis zum Virgin Music Store gekommen. Von
da aus sind sie Richtung Ostviertel gefahren. Er hat sein Handy noch
bei sich." Daraufhin ließ Shingo sich auf den nächsten Stuhl
fallen und beugte sich erschöpft vor. Besagter Virgin Store befand
sich am anderen Ende der Innenstadt.
Kei hatte das Telefon noch am Ohr.
"Handyortung, wenn wir Glück haben, ist's noch an. Es geht
ihnen nur um Colin. Ich glaube ich weiß, wer dahinter steckt,"
sagte er.
Nachdem er noch einige Minuten telefoniert hatte, steckte er das
Telefon weg und nahm sich eine Zigarette.
"Ich kümmer mich darum, Shingo. Keine Polizei und lass Colins
Eltern da raus. Ich will mich nicht auch noch mit denen
auseinandersetzen müssen."
Shingo sah ihn müde, gestresst und zweifelnd von unten an, wo er auf
seine Knie gestützt herumsaß.
"Warum sollte ich zu dir und nicht zur Polizei? Was hat Colin
mit der Yakuza zu tun?"
"Er eigentlich gar nichts." Kei zog an seiner Zigarette
lehnte sich an die Wand. Die Wahrscheinlichkeit war hoch, dass Colin
von den Leuten vom Vortag entführt worden war, von den Kollegen
derjenigen, Kei im Garten abgeschlachtet hatte. Das war momentan die
plausibelste Erklärung.
Ein paar Minuten später klingelte es wieder.
Shingo schüttelte den Kopf. "Du gehst ganz schon gelassen damit
um, dass du ihn da reingeritten hast." Er wischte sich über das
Gesicht.
"Soll ich etwa panisch durch die Gegend rennen?" fragte der
Vampir und ging an die Tür. Davor einer seiner Vorgesetzten. Er ließ
ihn herein und gesellte sich mit dem Mann zurück an den Küchentisch
an dem Shingo saß. Die beiden besprachen kurz, wie sie mit der
Situation umgehen sollten und beschlossen, sich ihr sofort
anzunehmen.
"Shingo, ich muss dich rauswerfen, ich muss los."
Eilig sprang Shingo auf. "Ich kann euch helfen!"
Der Mann im Anzug wendete sich an Shingo. "Das ist zu
gefährlich, Kleiner. Nicht nur für dich."
"Und was mache ich dann?" fragte er hilflos.
"Abwarten, Tee trinken, Fresse halten," bot Kei an.
"Rede nicht so mit mir, Arschloch! Deinetwegen ist das
passiert!" Er ging trotzdem zur Tür. Colin hatte ihm gesagt, er
solle tun was Sakai sagt. Nicht, dass er ihm das auf die Nase binden
musste, auch wenn er der Aufforderung nachkam.
Kei und der Mann im Anzug gingen ebenfalls zur Tür, nachdem Kei
Schlüssel und dergleichen zusammengesucht hatte. Unten stiegen sie
in einen Wagen und waren ziemlich schnell verschwunden. Shingo ließen
sie einfach unten stehen.
Entgegen aller Hoffnung versuchte Shingo, Colin anzurufen und ihm
Nachrichten zu schicken, aber es funktionierte nicht.
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