"Duschen?" Kei trottete zum Lichtschalter und sorgte für
etwas mehr Helligkeit. Colin kniff die Augen etwas zusammen. Er
wollte nicht duschen. Dass er an unanständigen Stellen feucht und
klebrig war, fand er gut. Das wollte er noch nicht abwaschen.
Entweder hat er einen Waschfimmel oder ich stinke unerträglich.
Letzterer Gedanke erschreckte ihn so, dass er nickte und zur Tür
ging. Als Vampir hatte der Verrückte wahrscheinlich feinere Sinne
als er selbst. Die Vorstellung war etwas unheimlich. Als er an Kei
vorbei durch die Tür ging, hatte er also besorgt die Stirn
gerunzelt. Kei musste lachen, als Colin da so an ihm vorbeiging.
"Was hast du denn für ein Problem? Ich will nur nicht
durchgeschwitzt rausgehen." Der Vampir hatte noch etwas vor. Das
konnte Colin nicht wissen, sollte er auch gar nicht, eigentlich. Denn
Kei wollte dem Kleineren etwas zeigen. Colin hielt an und sah Kei an.
"Du musst weg?" Ach so. Dann muss ich sowieso gehen.
"Dann kann ich mich ja auch gleich anziehen." Er ging
zurück ins Zimmer.
"Warte, ich wollte dich mitnehmen. Aber es ist eine
Überraschung."
Wieder hielt Colin inne, sah Kei an und kehrte wieder um.
Kei schüttelte innerlich den Kopf, was Colin wohl gerade dachte?
"Du musst ja nicht duschen, wenn du nicht willst," sagte er
lachend. Er selbst mochte einfach Wasser gern, er ging auch gern
schwimmen.
"Ist das dramatisch, wenn du nachts weg bist?"
"Ja," sagte Colin, als er in die Dusche kletterte. "Ich
werde gleich anrufen müssen." Er fasste nochmal die glänzenden
Flecken auf seinem Bauch an. "Aber wenn ich Hiroki anrufe, ist
alles geritzt. Also, wenn ich vor Mitternacht zu Hause bin, heißt
das," fügte er hinzu.
Kei nickte. "Das ist machbar." Er schaltete das warme
Wasser an und umarmte Colin von hinten.
"Gut, denn wenn die Überraschung länger dauert, verwandle ich
mich in einen Kürbis und lasse bei jedem Schritt Glasschuhe fallen.
Das ist gefährlich."
"Das wäre amüsant..." dachte Kei laut und grinste bei der
Vorstellung. Dem anderen ins Ohr beißend sagte er: "Außer
natürlich, es gefällt dir zu gut."
"Heh," sagte Colin und legte den Kopf zur Seite. "Je
besser ich etwas finde, umso weniger magst du es, ist das richtig?"
Er drehte sich ein kleines Stück in Keis Armen, um ihn amüsiert
ansehen zu können.
"Das werden wir noch sehen." Kei grinste. "Wir machen
einen Ausflug. Ich hoffe du magst Motorrad fahren."
Er lächelte und nickte kurz. Er erinnerte sich gut an die eine Fahrt
hinter Kei.
"Gut, denn wir machen eine kleine Tour." Kei stellte das
Wasser wieder ab und nahm sich ein Handtuch, ein zweites reichte er
Colin. Der drückte seine Haare aus und nahm dann das Handtuch an. Er
wunderte sich nur ein kleines bisschen. Das war in der Tat eine sehr
kurze und ungründliche Dusche gewesen. Zuerst rubbelte er seine
Haare halbtrocken und trocknete sich dann richtig ab. Nur seinen Hals
und die Handgelenke ließ er komplett in Ruhe.
Kei trocknete sich ebenfalls ab und machte sich dann auf in sein
Schlafzimmer, um seine Sachen zusammenzusuchen. Seine Wahl fiel auf
eine schwarze enge Hose und ein T-Shirt mit silbernem Aufdruck. Colin
zog sich auch wieder an und befestigte Hals- und Armbänder, bevor er
seinen Pullover anzog. Kei zog sich ebenfalls ein paar Armbänder an
und legte sich zwei Ketten um den Hals. Die eine war die Münze, die
andere ein Totenschädel an einer großgliedrigen Silberkette.
Um beim Zusehen nicht zu verlegen zu werden, konzentrierte Colin sich
lieber auf dem Flur auf das Anziehen seiner Stiefel. Diesmal schnürte
er sie auch richtig zu. Nachdem Kei mit Anziehen fertig war, nahm er
sich Stiefel, Schlüssel und Helm und ging zu Colin, wo er einen
zweiten Helm von einem Regal holte, den er ihm gab.
"Da."
Er nahm den Helm und verließ als erster die Wohnung. Als Kei sein
Gesicht nicht sehen konnte, während er hinunterging, erlaubte er
sich ein heimliches, glückliches Schmunzeln. Anatamo, anatamo,
anatamo! Ha!
Kei kam ihm kurz darauf hinterher und deutete ihm den Weg zu seinem
Motorrad auf dem Bürgersteig. Er setzte sich darauf und bedeutete
Colin, ebenfalls Platz zu nehmen. Der strich sich die nassen Locken
hinter die Ohren bevor er den Helm aufsetzte, und stieg hinter Kei
auf. Diesmal hielt er sich ohne jegliches Zögern an Kei fest.
"Oh! Warte!" Er nahm sein Handy heraus und den Helm wieder
ab. Kei drehte sich zu ihm um, er hatte seinen Helm noch nicht
aufgesetzt, sondern nur am Lenker hängen. "Hm?"
Colin rief jemanden an, aber das Wartezeichen wurde nur durch eine
Mailboxmeldung unterbrochen. Ebendieser teilte Colin mit, dass er bei
einem Freund sei und vor Mitternacht wieder zuhause sein werde. Dabei
ließ er es unbesorgt bewenden, packte das Telefon wieder ein und
setzte den Helm auf.
"Alles klar."
"Gut." Kei setzte ebenfalls seinen Helm auf und startete
den Motor. Kurz darauf fuhren sie durch die Stadt.
Sie fuhren eine ganze Weile. Scheinbar quer durch die Stadt, doch Kei
hatte ein bestimmtes Ziel. Den Tokyo Tower.
Während der Fahrt sah Colin sich ein wenig um. Er musste sich nicht
so anschmiegen um sich festzuhalten, das wusste er. Streng genommen
musste man sich gar nicht festhalten, wenn man Beine hatte. Das
wusste er auch. Er lockerte seinen Griff also etwas, um Kei nicht
beim Fahren zu behindern.
Kei fuhr ein wenig wie ein Straßenrennfahrer und nutzte viele
ungewöhnliche Abkürzungen. Als sie da ankamen, wo er hinwollte,
parkte er das Motorrad in einer dunklen Ecke.
"Warst du da schon mal drauf?" fragte er Colin und deutete
nach oben.
"Ja, vor ein paar Jahren. Da war ich sogar noch kleiner."
Kei lachte. "Warst du schon mal ganz oben?" Der Vampir
meinte nicht die Aussichtsplattform, die Besucher nutzten. Er hatte
einen ganz persönlichen Aussichtspunkt.
"Klar, so weit oben wie's geht!" Natürlich wusste Colin
nicht, worauf Kei hinauswollte.
"Wart's ab." Kei stieg von seinem Motorrad. Mittlerweile
war es dunkel geworden und die Stadt um sie herum erwachte zu etwas
anderem, bunterem Leben. Colin folgte seinem Beispiel und schüttelte
erstmal die Haare aus, die ihm unangenehm am Kopf klebten. Der Vampir
legte Colin einen Arm um die Hüfte.
"Festhalten."
Dem Befehl folgte der Junge, indem er Kei umarmte. Seinen Helm hielt
er auf Keis Rücken weiter fest.
Kei machte einen Satz nach oben und im nächsten Moment fanden sie
sich auf der Spitze des Turmes wieder, die die Besucher nie zu sehen
bekamen.
"Darf ich vorstellen, Die beste Aussicht der Stadt."
Unter ihnen begann ein Lichtermeer aufzugehen.
"Woah." Colin hielt sich verzweifelt fest. Es war hier sehr
windig und er hatte den Eindruck, einfach weggeweht zu werden, wenn
er loslassen würde. Aber die Aussicht war wirklich bemerkenswert. Er
staunte lächelnd nach Westen, wo es hinter den Bergen noch leicht
orange strahlte. Kei hielt ihn gut fest und folgte seinem Blick in
Richtung untergehender Sonne.
"Jetzt kennen zwei Personen diese Aussicht," sagte er
leise. Colin sah ihn an.
"Es müssen mehr sein. Jeder Hubschrauberpilot, der über
Tokyo-" er brach ab und sah in die andere Richtung und nach
unten. "Es ist sehr bunt."
"Die haben nicht diese Aussicht. Nicht von hier." Er
blickte über die Stadt. "Ja. Von hier sieht man erst, wie bunt
die Stadt wirklich ist. Hier ist es nie ganz dunkel."
"Es ist auch nie ganz leer oder still."
"Ja. Irgendwo dahinten wohnst du." Er lächelte und deutete
in genannte Richtung. Colin drehte sich, ohne Kei ganz loszulassen.
"Das ist so gut wie gar nicht zu erkennen."
"Ist auch weit weg. Ich wohne da. Und dort war das Konzert. Das
ist ganz dicht."
Mit einem Lächeln beobachtete Colin das winzige Treiben, das er von
hier oben undeutlich erkennen konnte. Es handelte sich hauptsächlich
um blinkende bunte Lichter. Der Turm selbst wurde auch angestrahlt.
Das ist so kitschig und romantisch, dachte er bei sich und
begann zu schmunzeln.
Kei setzte sich vorsichtig hin. Nachdem er nun seine etwas andere
Stadtführung beendet hatte.
"Ich bin oft hier. Im Winter ist es sehr schön hier, wenn man
nicht ausrutscht und sich das Genick bricht."
Colin setzte sich daneben und lachte. "Hast du damit schon
Erfahrung gemacht?"
"Ja, aber ohne Genickbruch. Es hat Spaß gemacht im Winter hier
herunterzufliegen."
Colin stutzte. "Du kannst fliegen?"
"Nicht wirklich. Aber für mich ist Fallen mehr Fliegen, mir
passiert ja nichts."
"Was heißt das? Du kannst nicht sterben? Du landest wie eine
Katze?"
"Eher wie die Katze, ja. Für mich ist das hier wie ein
Dreimeterbrett."
"Für mich ist ein Dreimeterbrett schon zu hoch," sagte
Colin ernst.
"Auch mit Wasser drunter?"
Er lachte. "Besonders dann. Dann geht es ja noch tiefer
runter..."
"Oh, also ist das keine gute Idee, zu fragen ob du mal die
Stadtlichter an dir vorbeiziehen sehen willst?"
Colin sah Kei vorsichtig aus dem Augenwinkel an. "Ich habe
selten eine bessere gehört."
"Der Turm ist höher als ein Dreimeterbrett." Kei lächelte.
Colin zuckte mit den Schultern. "Du bist dabei." Das schien
ihm Erklärung genug zu sein. "Du wirst mich ja nicht
runterwerfen und von hier aus zugucken, oder?"
Kei grinste. "Nicht? Mist, jetzt hast du meinen Plan erraten."
"Ja... das wäre der unauffälligste Mord aller Zeiten gewesen!"
nickte Colin stirnrunzelnd. Kei lachte.
"Du musst dich aber auch umsehen." Er stand auf.
"Warte, wie funktioniert das genau? So wie der Weg hier rauf,
nur eben andersrum?" Er zog eine Braue hoch und hielt sich
wieder an Keis Ärmel fest. Es war wirklich sehr windig.
"Nein nein. Nach unten fallen wir einfach. Ein bisschen wie
Basejumping," erklärte er.
Colin nickte. "Okay," sagte er knapp. Er leckte sich die
Lippen. Er hatte keine Ahnung, was Basejumping war.
Kei umarmte Colin von hinten.
Er stand an der Kante des Turmes und lehnte sich langsam nach hinten,
bis sie irgendwann ihren Halt verloren und begannen zu fallen.
An Lichtern vorbei mit dem Blick in den Himmel. Auf der kurzen Reise
hatte Colin nicht einmal genug Zeit um die Arme auszubreiten. Er sah
den dunkelblauen Himmel unter sich wegrollen, als die Lichter dafür
über ihnen standen und auf sie zurasten. Es rauschte sehr, sodass er
sein eigenes verblüfftes "Hah..." gar nicht hören konnte.
Kurz bevor sie unten ankamen, drehte Kei sich so, dass er bequem
landen konnte und sie standen mitten auf einer Kreuzung, auf einem
Zebrastreifen.
Als sie dem Boden immer näher kamen, riss Colin die Augen weiter
auf. Und nach der unerwartet weichen Landung hielt er sich erst
richtig an Keis Arm fest. Und keuchte. Kei grinste.
"Ist leider nur eine kurze Aussicht," schmunzelte er, legte
einen Arm um Colin und küsste ihn.
"Hng," sagte Colin überwältigt. Er piepte fast. Also
konzentrierte er sich lieber darauf, Kei zu küssen, damit das nicht
auffiel. Im Hinterkopf wurde er gewahr, dass sie mitten auf der
Straße standen und diese nicht leer war, aber das war nur eine
Nebensache. Ein paar Menschen waren stehengeblieben als sie sahen, wo
die zwei hergekommen waren und einige Autofahrer wichen ihnen aus.
Kei war das vollkommen gleich. Die Straße war immerhin groß genug.
Nach kurzer Zeit unterbrach Colin den Kuss, weil er leise lachen
musste. Er hielt Kei jedoch weiter fest und zog den Kopf nicht
zurück.
"Danke," sagte er.
"Gern," sagte Kei und führte Colin von der Straße, damit
nicht doch noch jemand auf die Idee kommen würde, sie über den
Haufen zu fahren. Auf dem Bürgersteig vor einer südamerikanischen
Bar angekommen, küsste Colin Kei sofort wieder. Kei erwiderte den
Kuss und umarmte Colin dabei, hielt ihn dicht bei sich.