Tuesday, October 27, 2015

Kei + Colin LI: Buße


Anatamo = (jap.) "Sie/Du auch." Hier: "Ich dich auch."
Omedetou = (jap.) Glückwunsch
Arigatou = (jap.) Danke


MONTAG, 2. JANUAR
Am Vormittag stand Kei auf. In der Küche fand er auf dem Tisch einen Zettel:
'Diesmal mache ich nichts dummes. Ich bin bald wieder da.'
Er seufzte leise, ehe er sein Handy nahm und draufsah. Es waren mehrere Nachrichten und einige Anrufe darauf.
Er wählte die letzte Nummer, eine ihm unbekannte. Dran ging eine junge Frau.
"Ich soll dir eine Nachricht ausrichten, Akaya," säuselte sie. "Schon mal was von Anrufbeantworter gehört?" fragte dieser sarkastisch.
"Ryuji lässt ausrichten, dass er dich sucht."
Kei lachte ironisch. "Was will der Wichser? Er hat sich seit gut zehn Jahren nicht blicken lassen."
Die Frau sagte ihm, dass sie das nicht wüsste. Gelogen.
Akaya legte einfach auf.
Er hörte die bis dato ignorierte Voicemailnachricht ab. Es war Akira. Entweder hatte die Leitung oder seine Stimme eine schwache, kratzige Qualität.
"Es dauert etwas länger als ich dachte. Ich weiß nicht, wie lange, aber es ist alles in Ordnung -" Hier machte er eine Denk- oder Atempause "- und ich stelle nichts an. Ich schwöre es. Und nur falls dus nicht mehr geglaubt hast: Ich liebe dich."
Kei hielt kurz inne, ehe er auf die unbekannte Nummer sah, die zweite in fünf Minuten. Er speicherte sie mit einem Fragezeichen ab, weil er nicht wusste, ob Akira ein neues Handy hatte, oder von sonstwo anrief.
Er schrieb einen Zettel.
'Hey, Wenn du wieder da bist, mach dich gleich auf den Weg. Ich bin in der Werkstatt, arbeiten. Wichtig.
Kei
Ach ja, danke.' Hinter die Nachricht kritzelte er die Adresse.

Ein paar Stunden später klingelte Keis Handy mit der Nummer, von der aus Akira ihm am Morgen seine Nachricht aufgezeichnet hatte.
Kei nahm ab. "Ja?" Davon, sich höflich am Telefon zu melden, hielt er so gar nichts.
"Hey," sagte Akira. "Ich muss noch länger hierbleiben. Aber es ist alles gut."
Keis skeptischer Blick war beinahe hörbar. "Okay. Falls ich nicht da bin, findest du ne Kleinigkeit in deiner Jackentasche."
"Ich hoffe, es ist kein Haustier. Die Verantwortung wäre mir zu groß," scherzte Akira. "Ich soll über Nacht hierbleiben, aber morgen kann ich wieder gehen," fügte er vorsichtig an.
"Wo bist du?" fragte Kei verwundert. "Und nein, es ist kein Haustier."
"Gut. Beim Roten Kreuz," sagte Akira schlicht. "In der Hauptstelle beim Bahnhof."
Kei war verwirrt. "Eh, okay. Was auch immer du da machst..."
"Kann ich dir das morgen erzählen? Die Schwestern brauchen das Telefon wieder."
"Ja, bis morgen. Anatamo," beantwortete er Akiras kleine Meldung vom Morgen.
"... Das ist... gut," sagte Akira leise. "Bis morgen." Er legte auf.
Kei steckte sein Handy wieder weg und arbeitete weiter. Erst sehr spät in der Nacht kam er nachhause, mit ein bisschen mehr Geld als vorher. Einiges davon hatte er an seinen Boss abgedrückt.

Am späten Morgen machte Akira sich auf den Weg zurück zu Keis Wohnung. In der U-Bahn betrachtete er die Verbände um seine Handgelenke und den Gips um seinen rechten Oberarm und musste sehr gerade stehen, damit es ihn nicht zu sehr in der Brust stach. Es wurde ihm zweimal ein Sitzplatz angeboten, doch er sollte nicht in der Bahn sitzen. Das Ruckeln würde schlechter als im Stehen abgefedert werden und wäre für seine gebrochene Rippe sehr ungesund.
So um zehn Uhr herum stand er vor Keis Haus und klingelte. Kei schälte sich aus dem Bett.
"Guck in die Innentasche deiner Jacke," rief er aus dem Fenster.
"Achso..." murmelte Akira und pulte zwei glänzende neue Schlüssel aus seiner Jacke. Mit einem sanften Lächeln schloss er die Tür auf.
Das Treppensteigen war etwas mühsam und er machte während des langsamen Aufstiegs eine Pause. Schließlich kam er nach langer Wanderung doch oben an. Er trug einen breiten Verband um den Hals, ein paar kleine Pflaster auf Augenbraue und Wangenknochen, Verbände um die Handgelenke und eine Schlinge für seinen rechten Arm, der vom Ellenbogen bis zur Schulter eingegipst war. Mit dem anderen Arm hielt er sich leicht die Seite.
Kei stand in der Schlafzimmertür, als Akira oben ankam. Vorsichtig betrachtete er den Verletzten.
"Hey."
"Hey." Akira lächelte. Mit den Füßen zog er sich nacheinander die Schuhe ab, ohne sich zu bücken. Kei ließ den dummen Kommentar, der ihm auf Anhieb einfiel, da wo er war und lächelte kaum merklich.
"Auf Scheißtage folgen schlechte Nachrichten," begann er.
"Kommen die bei uns nicht immer gleichzeitig?" Er popelte sich umständlich die Jacke herunter.
"Fast. Ryuji ist wieder da. Ein... sagen wir, alter Bekannter," erklärte er. "Das ist nicht besonders erfreulich, da der Kerl immer nur Stress im Gepäck hat. Stress und Krieg."
"Und wer ist er?" Akira lehnte sich mit dem Rücken an die Wand des Flurs.
"Ein mächtiger Wichser. Ein Vampir. Sein Ruf eilt ihm voraus. Er wurde nahe Tokyo gesehen. Yukio erzählte, dass er wohl eine ganze Truppe um sich hat. Was er genau hier will, weiß ich nicht. Urlaub machen aber bestimmt nicht."
Akira musste schlucken. Noch ein Vampir, und einer mit einer Bande?
"Äh... woher kennst du ihn?"
"Kennen ist zuviel gesagt. Ich sind uns ein paarmal begegnet, als ich klein war. Wenn er da ist, ist mein Vater auch nicht weit. Wenn er nicht tot ist. Das ist genauso schlecht..."
Akiras ernstes Gesicht wurde besorgter. Er ging auf Kei zu.
Kei schaute ihn an. So wie Akira aussah, würde er beim nächsten Windhauch auseinanderfallen.
Dicht vor Kei, schon den heileren Arm ausgestreckt, zögerte er und kratzte sich kurz verlegen am Hals. Es war bestimmt noch zu früh für Annäherungen, und außerdem konnte er sich nicht anmaßen, zu wissen, wie Kei sich bei dem Gedanken an seinen Vater fühlte. Dafür wusste er zuwenig. Schließlich legte er nur kurz und sehr sachte die Hand auf Keis Wange, zu beschämt um ihn dabei richtig anzusehen.
Kei legte seine Hand auf die von Akira und blieb eine Weile so stehen. Seine Gedanken rasten ein bisschen von A nach D, zurück zu A und weiter zu C.
Akira wagte es, Kei anzusehen.
Der erwiderte den Blick. Mit leichtem Lächeln, seine Gedanken waren nicht wirklich da, wo sie sein sollten. Akira lächelte warm zurück und küsste ihn.
Kei erwiderte den Kuss, aber nicht allzu lange. Akira nahm seine Hand zurück und machte einen Schritt rückwärts.
"Was passiert jetzt?"
"Ich tendiere zu Blutvergießen, Brutalität und vielen Toten," sagte Kei leise und behielt Akiras Hand in seiner.
"Ist das eine Prognose oder dein Vorhaben?" fragte Akira mit kurzem Blick zur Seite.
"Prognose und ein bisschen Vorhaben."
"Kann ich helfen?"
"Sicher. Ich weiß nur noch nicht wie."
Akira nickte. "Wenn ich mich kurz hinlegen darf, mache ich alles was nötig ist," kündigte er an.
Kei ließ das 'Du meinst, wenn du dich wieder bewegen kannst' in seinem Kopf. "Ja."
Im Schlafzimmer holte er seine Kiste vom Schrank. Akira folgte ihm hinein und kletterte vorsichtig auf das Bett, wo er sich erleichtert ausstreckte. Er fand sich zu jung, um laut aufzuseufzen, aber es war offensichtlich, was für eine Wohltat seine neue Position für ihn war. Er sah Kei zu. Der räumte die ganze Kiste aus und sortierte ihren Inhalt, lud die Waffen durch - alle. Das Maschinengewehr baute er erstmal zusammen, da er es zum Wegpacken in seine Einzelteule zerlegt hatte. Das Schauspiel fand Akira ungemein spannend. Und er spürte, wie ihm wärmer wurde.
Nachdem Kei mehrere Pistolen - sieben um genau zu sein - gereinigt und geladen, ein Maschinengewehr zusammengesetzt und geladen, neun Messer, neben dem, das er immer dabei hatte, sortiert, einige Wurfmesser und Wurfsterne in einer Tasche verstaut und hinter dem Kleiderschrank seine neueste Errungenschaft - ein Katana – hervorgezogen und alles vor sich ausgelegt hatte, schaute er zufrieden darauf. Unter dem Bett hatte er noch eine Kiste, in der noch ein Schnellfeuergewehr lag, das er ebenfalls dazusortierte.
"So. Das wär alles," verkündete er.
"... Ach..." sagte Akira trocken. Mehr brachte er nicht heraus. Wer soll das alles benutzen?
Kei schmunzelte ein bisschen. "Das hat sich angesammelt," erklärte er. Wobei das nur die halbe Erklärung dafür war, wie er an so viele Waffen gekommen war. Akira zeigte auf das schwere Gewehr von unter dem Bett.
"Kannst du etwa damit umgehen?"
"Ja."
Akira nickte langsam. Als ich damals dachte, 'Oh, wie cool, er ist so gefährlich,' hatte das eine etwas andere Dimension als all das hier...
"Weiß dieser Ryuji, wo du wohnst?"
"Ich hoffe nicht, ich würde ungern meine Wohnung zerlegen müssen."
"Hat er irgendwas mit deinen Leuten zu tun? Mit deinem Boss und so?"
"Nein. Wenn er was mit der Yakuza zu tun, nicht mit meinem Boss. Als ich ihn zuletzt sah, hatte er das nicht. Aber er hat das auch nicht nötig."
"Klingt ungemütlich."
Er setzte sich auf und begann, sich erst die Schlinge und dann vorsichtig das T-shirt auszuziehen. Das ging auch mit einem Arm ganz gut, wenn auch langsam und mit ein paar Grimassen. Kei beobachtete ihn dabei, als er sein Arsenal wieder wegräumte - geladen und zusammengebaut.
"Wenn es ein Erdbeben gibt, fällt der ganze Spaß vom Schrank und wir haben ne Party," schlug Akira vor. Er legte das T-shirt irgendwo neben sich und legte sich wieder hin. Unter dem Verband um seine Brust schauten ein paar große Blutergüsse an den Stellen hervor, die mit Keis Stiefeln Bekanntschaft gemacht hatten.
"Der Schrank fällt oben drauf und nichts passiert," machte Kei einen Gegenvorschlag.
"Waaas, ist der etwa nicht erdbebensicher?" fragte Akira ungläubig mit einem Schmunzeln. "Dafür aber kuuugelsicher?"
"Kleinere Erdbeben überlebt hier alles, kommt ja oft genug vor." Kei schmunzelte. "Bei einem großen möchte ich nicht hier sein."
"Sondern lieber bei all dem Futter draußen."
Akira hatte die Augen geschlossen. Seine Wunden pochten. Das fühlte sich gut an.
"Nur dem, das noch lebt."
"Die Tasche da oben hat an der Seite einen kleinen Reißverschluss."
Kei sah hoch. "Die hier?" Er deutete darauf. Es war nicht seine. Akira nickte, ohne hinzusehen.
"Da ist was für dich drin. In dem kleinen Fach."
Kei holte die Tasche vom Schrank und öffnete das kleine Fach. Seine Finger schlossen sich um eine Kette, er zog sie heraus und lächelte, als er das Plektron sah.
"Danke."
Akira lächelte ihn an. "Es sollte dein Geburtstagsgeschenk sein, aber jetzt wissen wir ja nicht, ob du den noch erlebst." Er schmunzelte. "Ich weiß auch gar nicht, ob du Eric Clapton überhaupt gut findest, aber das Ding da ist wertvoll für mich." Er zeigte dahin, wo das kleine signierte Plastikdreieck zwischen Keis Fingern herunterbaumelte. "Das war einer der guten Gründe, leichtsinnig ins Haus zurückzugehen."
"Ich werde gut darauf aufpassen. Und meinen Geburtstag überleben. Ist ja nicht mehr lang."
Kei lächelte, als er sich aufs Bett setzte. Akira setzte sich auf und wollte ihm die Kette abnehmen. Kei übergab sie ihm. Schaute ihn fragend an. Akira öffnete sie und wollte sie Kei umbinden. Kei beugte sich zu ihm hinüber, sodass Akira sich nicht so sehr verrenken musste.
Er befestigte sie und bemerkte: "Silber lässt dich nicht in Flammen aufgehen, das ist sehr praktisch."
Kei lachte ein bisschen. "Sonne tötet mich auch nicht," merkte er lächelnd an.
Akira schmunzelte.
"Omedetou."
"Arigatou."
Akira legte sich wieder hin. Kei legte sich daneben.
"Es tut mir Leid," sagte Akira leise und flach, als er die Decke ansah.
"Was?"
"Was ich getan habe."
Kei wusste nicht, was er darauf erwidern sollte. Vorsichtig nahm er Akiras heile Hand als Antwort und ließ seine Gedanken unausgesprochen.
Akira hielt Keis Hand fest und wandte sein Gesicht ab um zu versuchen, sich über die Wangen zu wischen, was sich mit dem eingegipsten Ellbogen als unmöglich herausstellte. Also gab er es auf und sah mit nasserem Gesicht wieder an die Decke.
Kei drehte sich mit geschlossenen Augen auf die Seite und hatte sein Gesicht nahe dem von Colin im Kissen vergraben.
Akira studierte Keis Gesicht. Er verstand immer noch kein bisschen, was der Vampir an ihm fand, und was er nun immer noch für ihn übrig hatte. Aber er hoffte, dass er seine Meinung nicht so bald ändern würde.
Er schloss die Augen und ließ das heiße Pochen und Kribbeln durch seinen ganzen Körper ziehen.


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