Friday, October 2, 2015

Kei + Colin XXXVI: Dröhnen



Colin blieb dicht vor der Bühne, aber etwas am Rande stehen. Kei blieb nah bei ihm, den Blick auf ihn gerichtet.
"Hier wird es ein bisschen voller als beim letzen Mal."
"Ja." Colin wandte den Blick von der Bühne ab und drehte sich zu Kei um. Er schien etwas tun oder sagen zu wollen, kratzte sich aber nur verlegen den Nacken und betrachtete verstohlen Keis Hemd und Hals vor sich, und die Ketten, die daran hingen. Als jemand an ihm vorbeidrängelte, nahm er das zum Vorwand, noch dichter an Kei heranzutreten. An ihm schienen die Menschen wie automatisch vorbeizufließen.
Der Vampir nahm den Kleineren in den Arm und küsste ihn. Er kam nicht darum herum an ihr erstes 'gemeinsames' Konzert zu denken, und was da alles passiert war – grinsend. Immerhin war die Musik die gleiche. Die donnerte gerade auf sie hernieder.
"Wir sind in Gesellschaft," erinnerte Colin ihn. Obwohl ihm das offensichtlich peinlich war, erwiderte er Keis Kuss gierig.
Kei gab ein "Die sind beschäftigt" von sich und küsste ihn weiter. Und er hatte Recht. Um sie herum sprangen die Menschen auf und ab, schüttelten die Haare und warfen ihre Arme in die Luft, während sie von Shins Band leidenschaftlich angebrüllt wurden.
"Ich mag diesen Soundtrack," sagte Colin zu Keis Lippen und hielt dessen Hemd fest.
"Ja, der ist gut," stimmte Kei zu und küsste Colin wieder, während er ihn dichter an sich heranzog. Colin behielt seine Arme zwischen ihnen und spannte sie an, um einen kleinen Abstand einzuhalten. Wenn Kei bemerken sollte, was gerade in seiner Hose passierte, wäre dieser halbwegs harmlose Moment sofort vorbei und seine Hose schneller offen als er blinzeln konnte. Keis Verstand befand sich irgendwo zwischen der Musik und Colin. Der kleine Restabstand zwischen ihnen kam ihm insofern gelegen, als dass er sich mit der Musik bewegen konnte, wenn auch nicht so herumhüpfend wie der größte Rest des Publikums.
Colin brach den Kuss ab und trat zurück - oder versuchte es.
"Ich brauche was zu trinken. Was willst du haben?"
"Einen Blue Tequila," sagte Kei und ließ den Kleineren los. "Verlauf dich nicht."
"Ich muss doch nur der Pheromonspur folgen," antwortete Colin und bahnte sich einen Weg durch die teils stehenden, teils auf- und abspringenden Menschen zur Bar.
Sie war nun nicht mehr so stark belagert wie zuvor, weil das Konzert gerade losgegangen war, aber einige Nachzügler standen noch für Getränke an. Während Colin wartete, fiel ihm Satou der Schnelltrinker auf, der mit noch einem mit Eis gefüllten Glas an der Bar lehnte und ihn finster anstarrte. Colin stellte sich gerade hin und lächelte ihn ein bisschen an. Woraufhin der nur säuerlich in sein Glas zurückguckte.
Als sich die nächste freie Stelle ergab, stieg Colin auf die Stange am Fuß der Theke und rief nach dem blauen Tequila und Rum-Cola. Der Barmann nickte und wollte der Bestellung nachkommen, als er Colin noch einmal genauer ansah und die Stirn runzelte.
"Darf ich mal deinen Ausweis sehen?" rief er.
"Den habe ich mit meinen Sachen vorne abgegeben," log Colin. Der Barmann blickte zweifelnd drein, doch der Schnelltrinker unterbrach ihn.
"Gib mir einfach die Getränke."
Der Mann nickte und machte sich sofort daran. Er stellte sie vor dem Schnelltrinker ab und ließ sich von ihm bezahlen. Colin rutschte zu ihm, als der Barmann sich wieder wegdrehte um den nächsten Wunsch zu erfüllen.
"Danke. Wie teuer ist das?"
"Tausend," brummte er. Er nahm die Scheine von Colin an, der ihn wieder anlächelte.
"Du bist also doch kein Arschloch, das ist beruhigend," sagte er und nahm die Gläser.
"Ja ja, jetzt verpiss dich, Schwulette."
Mit einem Schulterzucken suchte Colin sich einen Weg zurück.
Kei hatte seine Position nur minimal geändert und war gerade dabei seine Frisur zu ruinieren, als das Lied ein bisschen ruhiger wurde und er sich umdrehte und Colin erblickte, der mit den Gläsern in seine Richtung kam. Der Vampir kam ihm entgegen und nahm ihm ein Glas ab.
"Danke," sagte er und schoss gleich hinterher: "Wie bist du am Barmann vorbeigekommen?"
"Unglaublich aber wahr: Der Schnelltrinker hat für mich bestellt. Ohne dass ich gefragt hätte." Colin schmunzelte. "Und dann hat er mich mit 'Schwulette' verabschiedet. Was für ein hilfsbereiter, guter Mensch," sagte er mit einem seligen Lächeln. "Ich glaube, er könnte es nicht ertragen, wenn jemand ohne Alkohol bleiben müsste."
Kei lachte. "Auf unseren griesgrämigen, betrunkenen Lebensretter." Er prostete Colin zu.
Colin hob sein Colaglas ebenfalls und trank.
Kei trank sein Glas halb leer und stellte es dann auf der Bühne ab. Von irgendwo hörte er ein Mädchen leise schreien. Es war kaum zu hören, wenn man so dicht bei den Boxen stand, und außer ihm konnte das Geräusch niemand bemerkt haben, aber Kei wusste in etwa, wo es herkam.
Colin war nicht so gierig. Auch hielt er sein Glas noch fest, sozusagen als Schild gegen Aufdringlichkeit, und sah der Band zu.
Bei sich dachte Kei Da haben wir den ersten Zwischenfall auf dem Klo... Er beachtete es nicht weiter, schließlich kam das ständig vor. Nur schien sich kaum einer darum zu kümmern. Er auch nicht, das war nicht sein Problem. Nur konnte er als einziger nicht behaupten, nichts mitzubekommen. Zu seinem Glück war ihm das völlig egal.
Er küsste Colin und konzentrierte sich auf die Musik anstatt die leisen Nebengeräusche. Den Kuss brach Colin schnell wieder ab, um noch einen Schluck zu trinken. Das Glas erfüllte seine Schildfunktion vorzüglich. Allerdings behielt er eine Hand auf Keis T-shirt, ohne es besonders wahrzunehmen. Er merkte auch nicht, dass er sein Glas schon beinahe geleert hatte. Kei widmete sich etwas mehr der Musik, blieb aber dicht bei Colin und behielt eine Hand auf dessen Hüfte.
Als er wenig später feststellte, dass sein Glas leer war, hielt Colin es mit beiden Händen fest, damit Kei es nicht auffiel und er es weiter als Vorwand für Abstand benutzen konnte. Dankbar ließ er sich durch den brüllenden Sänger von Keis Hand ablenken.
Kei verlor sich langsam in der Musik, wobei er dicht bei Colin blieb. Das Glas des Kleineren fiel ihm nicht weiter auf, er achtete mehr auf die Musik.
Nun wurde es Colin zu blöd. Er war zum Spaßhaben hier, und nicht um sich schüchtern an einem Getränk festzuhalten. Er stellte das Glas neben Keis auf der Bühne ab und trat zur Seite, um sich zu den Herumspringern zu gesellen und die Haare zu schütteln. Wenn Kei es schaffen sollte, ihn dabei zu begrapschen, wäre das zwar lästig, aber zumindest ein wenig beeindruckend.
Kei widmete sich ebenfalls dem Headbangen und Herumspringen. Ab und an nahm er sich einen Schluck aus seinem Glas. Dass viele Menschen um ihn herum standen/sprangen/fielen war ihm so ziemlich egal.
Da er selbst nichts mehr zu trinken hatte, tat Colin sich zwischendurch auch an Keis Getränk gütlich, bis das Glas (ziemlich bald) leer war. Am Ende eines Liedes strich er sich die Haare auf eine Seite und bahnte sich einen Weg in Richtung Klo.
Kei hatte gar nicht bemerkt, dass sein Glas leer war und widmete sich weiter dem kunstvollen Ruinieren seiner Haare. Die paar Menschen, die ihm dabei gelegentlich näher kamen, als er für gut befand, hielt er gekonnt und schmerzhaft auf Abstand.
Colin kam nach kurzer Zeit in die Halle zurück, ging zur Bar, ließ sich Trinkwasser geben und ging damit zu den Toiletten zurück.
Dort hielt er sich noch minutenlang auf.
Kei hatte zwar Notiz von Colis Abwesenheit genommen, sorgte sich aber kein Stück. Der würde schon wieder zurückfinden. Er sprang auf den Rand der Bühne und warf sich einfach die Menge. Kurz vor der Mitte der Zuschauermenge kam er wieder auf den Boden. Als er wieder vorne war, fiel ihm auf, dass Colin immer noch nicht zurück war. Wo steckt der?

Tatsächlich war Colin nach seinem eigenen Toilettenbesuch ein Mädchen in schlechter Verfassung aufgefallen, das auf dem Flur saß und von zwei weiteren Frauen umsorgt wurde. Es wurde ihm nichts gesagt und er wollte nichts mutmaßen, aber es war offensichtlich, dass ihr etwas angetan worden war, und für sie hatte Colin das Wasser besorgt. Anders als die Mädchen, denen Strafanzeige oder ähnliches gar nicht in den Sinn zu kommen schien, konnte Colin nicht anders, als zwei ihrer Angreifer zu konfrontieren, als sie wie die reinsten Unschuldslämmer an ihnen vorbeischlurften.
Wenig später waren die Mädchen fort, und Colin und die zwei Angreifer, die noch ihren Freund dazugeholt hatten, waren irgendwie in den Toilettenraum gravitiert, wo Colin nun etwas über Zivilcourage in der Praxis lernte.
Nämlich dass sie wehtun konnte.
Dass sie demütigend sein konnte.
Und dass dies beides ganz sicher zutraf, wenn man sie als einziger hatte.

Da Colin nach einer gefühlten Ewigkeit immer noch nicht wieder da zu sein schien, entschloss sich Kei zu dem Versuch einer Suche und ging tatsächlich zum Klo, da das der einzige Ort war an dem sich Partybesucher neben den Partyräumen länger aufhalten konnten.
"Colin?" rief er in den Vorraum hinein, in dem einige Menschen waren, an denen er sich vorbeidrängte.

Colin klingelten die Ohren etwas zu stark, um Keis Ruf wahrzunehmen. Sein Kopf war ein paarmal gegen die Trennwand der Kabine geschlagen worden und ihm war schwindlig. Er musste an die Decke sehen, weil der Typ, auf dessen Schoß er saß und der ihm die Arme auf dem Rücken festhielt, ihm mit einer Hand unter seinem Kinn den Kopf zurückzog. Der zweite, der ihm das T-shirt hoch- und die Hose heruntergerissen hatte, hielt ihm die Beine fest, während der Dritte ihm dabei half und Fotos machte.
Wegen der würgenden Hand hatte Colin die Flüche und Beschimpfungen aufgeben müssen und röchelte nur noch. Außerdem war er außer Atem. Sie hatten wahrscheinlich sowieso abgeschlossen. Wollte er, dass jemand so auf ihn aufmerksam wurde?
Er schloss die Augen, als das Licht der Deckenlampe seine Kopfschmerzen noch verschlimmerte.
Wenn die feigen Hühner mitgemacht hätten... dachte er.
Kei war bei den Kabinen angekommen und sprang an der Tür hoch, hinter der er mehrere Menschen gehört hatte.
"Loslassen oder ihr überlebt den Abend nicht," spuckte er den Angreifern beinahe ins Gesicht.
Der Typ mit dem Smartphone steckte selbiges ertappt sofort wieder weg und sein Kumpan ließ Colin sofort los. Der, auf dem Colin saß, hielt ihn jedoch weiter fest, wenn auch nicht mehr so nachdrücklich. Der Smartphonekerl schloss eilig die Tür auf und der andere war aufgestanden. Sie hatten es eilig, sich zu verdünnisieren.
Als er die Stimme des Vampirs hörte und der Druck um seine Kehle plötzlich nachließ, atmete Colin auf.
Kei ließ sie nicht ziehen. Er schwang sich über die Tür, schlug dem einem den Kopf an der Wand zusammen, trat dem Smartphonekerl ins Gesicht, dass es knackte und dem Dritten schlug er aufs Schlüsselbein. Das klang am ungesündesten von allem.
Der Vampir drehte sich zu Colin und hob ihn hoch, nahm ihn in den Arm. Mit einer Kraft, die er eigentlich nicht mehr hatte, warf er die Arme um Kei. Als der die drei Halbstarken effizient zusammengeschlagen hatte, hatte er es in der engen Kabine fertiggebracht, sich die Hose wieder hochzuziehen und sie zu schließen. Mit Genugtuung nahm er das schmerzerfüllte Stöhnen um sie herum zur Kenntnis, während seine Nase auf Keis Hemd blutete.
Kei verpasste dem sich hinter ihm Bewegenden noch einen letzten Tritt und machte dann, dass er mit Colin aus der Kabine rauskam.
"Taschentuch?" fragte er, einen Arm noch immer um Colin gelegt. Die Typen hatten Glück, wenn sie das überhaupt überleben würden.
Der schlechte Zustand seiner Peiniger stimmte Colin grimmig zufrieden. Er hatte es ihnen nicht selbst heimzahlen können, aber er hatte einen verdammten Bluthund von Leibwächter, und das war mindestens genauso gut.
Auf Keis Anfrage hin nickte er langsam. Wenn er den Kopf schnell bewegte, fühlte es sich an, als würde sein Gehirn hin- und herschwappen und unangenehm an die Schädeldecke klatschen. Er sortierte seine Hose, den Gürtel und sein T-shirt und sah dann in den Spiegel.
Kei gab ihm eine Portion Papiertücher um sich die Nase abzuwischen und stand daneben, an das Waschbecken gelehnt. Als ein Mitarbeiter des Clubs in den Raum kam sagte er: "Da haben sich drei gefetzt, sehen übel aus. Du solltest nachsehen."
Colin musste fast lachen, aber gab das schnell wieder auf. Es hätte sein Gesicht zu stark strapaziert. Auf einer Augenbraue und irgendwo zwischen den Haaren hatte er kleine Platzwunden, auf dem Wangenknochen auf der gleichen Seite wurde seine Haut etwas dunkler und seine Unterlippe war aufgerissen. Seine Nase war nicht gebrochen, vermutete er, tat aber weh genug. Als das Blut nicht mehr floss und er sich jede Wunde trockengewischt hatte, sah er Kei an. Kei erwiderte den Blick.
"Du siehst grausam aus," stellte er fest. "Die da..." Er deutete auf die Tür - "aber noch schlimmer."
Colin sah dorthin und packte Kei schnell bei der Hand, um sich aus dem Staub zu machen. Kei folgte ihm und lenkte seine Schritte in einen weniger belebten Teil des Clubs, nahe dem Eingang.
Sicher außer Sicht und damit hoffentlich auch aus dem Sinn - betete Colin - sah er sich erst vorsichtig um und dann Kei wieder an. Er sah etwas müde aus.
Kei selbst sah ziemlich wach und gelassen aus.
"Keine Sorge, die siehst du nicht wieder."
"Ich weiß." Jetzt lächelte er. Dabei musterte er Kei. "Ich mache dir echt Umstände, was?" Er hielt immer noch Keis Hand.
"Ach was. Sehe ich etwa angestrengt aus?" Keis Ton war leicht scherzhaft. Colin grinste, kniff dann ein Auge zusammen und beschränkte sich auf ein amüsiertes Schmunzeln.
"Es tut mir Leid, dass wir jetzt fast das ganze Konzert verpassen. Lass uns wieder nach vorn gehen."
"Okay." Kei nahm Colin mit nach vorne, wo nun schon weniger Menschen standen.
Erleichtert, dass die Wahrscheinlichkeit, in einer Wall of Death niedergetrampelt zu werden, merklich abgenommen hatte, besetzte Colin wieder den Platz vor ihren leeren Trinkgefäßen am Bühnenrand. Nun musste er sich mit weniger heftigen und ausladenden Bewegungen zufriedengeben. Das war nicht so schlimm. Denn nun hätte er auch nichts mehr dagegen, von Kei weiter festgehalten zu werden. Er sah zur Bühne hoch und grüßte Shin mit erhobener Faust, als der die Rückkehr der beiden zur Kenntnis nahm. Kei blieb dicht bei Colin, hüpfte ebenso nicht mehr so sehr herum. Das lag hauptsächlich daran, dass die Lieder nun etwas ruhiger geworden waren. Shin grüßte Colin und Kei zurück und stimmte einen schnelleren Song an.
Colin lehnte sich an die Bühne.
Kei hüpfte in Colins Nähe ein wenig herum, entfernte sich aber nicht weit. Colin sah ihm schmunzelnd zu. Nach kurzer Zeit wandelte sich sein amüsiertes Lächeln in etwas anderes, das durstig aber schüchtern aussah. Er errötete ein bisschen. Eigentlich starrte er.
Als er merkte, wie er den kleinen Riss in seiner Lippe weiter aufgebissen hatte, sah er kurz weg und leckte sich darüber, versank aber fast sofort wieder in dem Anblick des Vampirs.
Der Haken ist bestimmt, dass er mich irgendwann selbst tötet oder sowas, dachte er bei sich.
Kei tat, als nähme er keine Notiz von Colins Blicken und hüpfte ein bisschen weiter.
Innerlich grinste er.



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