Wednesday, October 7, 2015

Kei + Colin XLV: Fleisch



Als es klingelte, ging Kei artig zur Tür, imerhin wusste er, wer davorstand. Relativ schnell hatte er die Polizisten mit der Geschichte, die er Colin zuvor angedeutet hatte, abgespeist und abgefertigt und zum Nachbarn geschickt.
Währenddessen blieb Colin lange im Badezimmer, um sich langsam, sorgfältig und vorsichtig zu waschen, all seine Verletzungen zu inspizieren, die er sehen und erreichen konnte, und sicherzugehen, dass seine Nase auch diesmal nicht gebrochen war und auch nicht wieder zu bluten begann. Er kämmte sich auch sorgsam die Haare und wusch sich gründlich die schwarzen Füße weiß.
Erst als er sich sauber und ordentlich vorkam und sich merklich beruhigt hatte, kam er wieder heraus. Keis Gespräch mit der Polizei hatte zwischen Tür und Angel stattgefunden und sich kaum halb so bedrohlich angehört, wie Colin befürchtet hatte. Als die Polizisten wieder weg waren, tauchte er wieder im Flur auf, weiß und rot und sauber und viel gelassener. Seine Hosen hatte er im Wäschekorb gelassen.
"Die sind wir los," verkündete Kei, während er Colin betrachtete. Keine Klamotten standen ihm auch, befand er, schmunzelnd.
Colin hatte stumm zur Tür gesehen und musterte nun Kei. Es war eigentlich kein gutes Zeichen, aber dennoch sehr praktisch und beruhigend, dass Kei so viel Erfahrung in Kriminalität hatte.
Er leckte sich nachdenklich über den Riss in seiner Lippe, den ihm Kei gestern zugefügt hatte. Er war hungrig.
Er streckte eine Hand nach Kei aus.
Kei gab ihm eine Hand und zog ihn zu sich, küsste ihn. Colin erwiderte den Kuss langsam und sanft.
Nach einer Weile brach Kei den Kuss ab. Es war spät geworden. Annähernd Abend.
"Ich muss mich langsam anziehen," sagte er. Seinen Körper zierten nur Tanktop und Jogginghose.
Colin nickte. Er ging zum Kleiderschrank, wo er seine kleine, frisch erstandene Sammlung in einer Ecke aufbewahrte, und nahm sich einen Satz von allem heraus, um sich auch anzuziehen.
Kei schlenderte mit ihm ins Schlafzimmer, wo er sich erst auszog und dann eine schwarze Hose, ein sauberes dunkelgraues T-shirt und Boxershorts auf das Bett warf und dann anzog.
Als er fertig war, lehnte Colin sich in den Türrahmen und sah zu, mit ernstem und interessiertem Ausdruck im Gesicht. Der Vampir brauchte zum Anziehen nicht lange. Seine Münze baumelte wie immer schon um seinen Hals. Er richtete noch schnell die Haare, kämmte sie durch und war schnell zufrieden.
Mit den Händen in den Hosentaschen beobachtete Colin ihn stumm.
Als er fertig war schaute er zu Colin.
"Ich fahr eben los. In zwei Stunden am Bahnhof in Shinjuku?"
Colin schien kurz zu überlegen, dann nickte er und lächelte.
"Alles klar. Dann sehen wir uns gleich da." Er nahm seinen Helm, zog sich Stiefel an und küsste Colin, bevor er durch die Tür verschwand.
Colin atmete kurz durch und zog sich dann hastig die eigenen Schuhe und seinen Mantel an, setzte sich eine Mütze und die Sonnenbrille auf und horchte auf das Klicken des Haustürschlosses, ehe er hinunterrannte. Als er das Motorrad wegfahren hörte, ging er hinaus und rannte zum U-Bahnhof.

Zwei Stunden später stand er am Shinjukubahnhof. Er hatte sich sehr beeilt, war aber nicht außer Atem. Er hatte Atmen insgesamt nicht nötig, bemerkte er zum wiederholten Mal. Er tat also völlig gelassen, während er andere Wartende vor dem Eingang durch seine schwarze Sonnenbrille beobachtete.
Kei kam einige Minuten nach Colin angelaufen. Das Motorrad hatte er im Hinterhof eines Clubs abgestellt, der seinem Boss gehörte. Er kam aus einer Seitenstraße zum Bahnhof geschlendert.
"Hey," grüßte er knapp und küsste Colin.
Vor Verlegenheit wusste Colin nicht, wie er reagieren sollte. Sein Körper machte das von allein, indem er sich Kei ganz ohne bewusste Absicht zuwandte, den Kuss freudig erregt erwiderte und dann die Sonnenbrille abnahm.
"Du erregst mit Sonnenbrille nachts übrigens mehr Aufsehen, als du brauchen kannst," grinste Kei. "Sie sieht aber gut aus."
"I wear my sunglasses at night," deutete Colin leise das Lied an und steckte die Sonnenbrille ein. "Man darf in mir nicht die Leiche erkennen, nach der gefahndet wird," entschuldigte er sich.
Kei grinste leicht. "So, wo woll'n wir lang?"
"Das solltest du bestimmen. Ich habe in sowas keine Erfahrung."
Colin kam der flüchtige Gedanke, dass Kei unter 'Rausgehen' etwas anderes verstanden hatte, als es bedeuten sollte.
Kei grinste. "Wir sind mitten in Shinjuku. Da findest du überall ein einfaches Abendessen."
Colin schnaubte ungeduldig.
"Da lang." Kei deutete in eine wenig frequentierte Richtung. Sofort marschierte Colin los, mit fest entschlossenem Blick. Kei schlenderte neben ihm her.
Colin sah sich um, musste sich darauf konzentrieren, sich die Menschen anzusehen und sich nicht von den Lichtern und Angeboten der Geschäfte ablenken zu lassen. Ziemlich bald blieb er plötzlich stehen und sagte: "Die da." Er nickte in Richtung einer jungen hübschen Frau, die am Schaufenster eines Buchgeschäfts stand und frierend auf etwas zu warten schien.
"Sie wird vermisst werden, du darfst keine Spuren hinterlassen," sagte Kei und sah sich ebenfalls ein bisschen um.
"Gut, dann der da." Er zeigte unverhohlen auf einen jungen Mann im Jogginganzug, der mit seinen blondierten Haaren und den Ketten um den Hals ziemlich proletenhaft wirkte. Seine Nase war mindestens einmal gebrochen worden und er hatte unregelmäßige Bartstoppeln im Gesicht. Er saß sehr breitbeinig auf einer Bank zwischen zwei Pflanzenkübeln, mit seinem Smartphone in der einen und der Plastiktüte eines Kleidergeschäfts in der anderen Hand. Er hatte die Arme auf der Lehne ausgebreitet, sodass er kaum Platz für andere ließ und die Bank ganz für sich hatte, und hörte mit Ohrstöpseln Musik mit seinem Handy. Dabei rauchte er.
"Okay. Er gehört dir," sagte Kei, der seinerseits ein bisschen Aufmerksamkeit auf sich zog. Er hatte nur eine enge Hose, Stiefel und das T-shirt an. Eine Jacke trug er nicht. Alles wichtige hatte er in den Hosentaschen und den Helm hatte er bei seinem Bekannten an der Bar gelassen.
"Mir?" Er sah Kei überrascht an. Soll ich das jetzt alleine machen?
"Ja, dir. Ich bin gar nicht da, nur wenn's brennt." Kei steckte seine Hände in die Hosentaschen und schaute zu dem Typen hinüber.
Bitte, wie du willst. Colin nickte und marschierte auf die Bank zu. Er setzte sich unverschämt neben den Typen, so dicht, dass der entweder seine Breitbeinigkeit aufgeben oder damit klarkommen musste, dass Colins Bein sich an seines schmiegte. Letzteres schien ihm nichts auszumachen. Er musterte Colin nur überrascht, der ihn direkt ansah und lächelte.
"Hallo. Kann ich eine schnorren?" Er nickte zur Zigarette.
Der Kerl nahm sich einen Stöpsel aus dem Colin zugewandten Ohr und fragte überrascht, was er wolle. Colin lächelte freundlicher und wiederholte seine Frage. Der Typ sah ihn verblüfft an. Vielleicht wunderte er sich darüber, dass dieser Ausländer fließend Japanisch sprach. Oder darüber, wie vertraut er ihn angesprochen hatte. Er sagte nichts, sondern holte nur seine Zigarettenschachtel hervor und ließ Colin eine herausziehen. Ungefragt hielt er ihm noch ein Feuerzeug hin und zündete ihm die Zigarette an. Dabei musterte Colin sein Gesicht interessiert. Der Kerl sah immer noch verwirrt aus. Er musste denken, dass Colin versuchte, ihn anzugraben. Gut, wenn er das tat, denn das war Colins armselige Strategie. Körperlich hatte er gegen kaum jemanden eine Chance, also konnte er niemanden überwältigen, also musste er listig sein.
Kei beobachtete die Szene aus einiger Entfernung aus dem Augenwinkel, als er von einem Strichjungen angesprochen wurde, ob ihm nicht ein wenig zu kalt sei.
Nein... aber wenn du das gerne glauben willst... Er nickte leicht, erklärte dem Jungen, dass er sich verlaufen habe und seit etwa zwei Stunden in Shinjuku umherirre.
Colins Strategie fand er nicht schlecht, nur musste man immer aufpassen, wem man sich so näherte.
Der Kerl fragte Colin, 'welches' er wolle. Als Colin ihn nur verwirrt anglotzte, schnaubte er genervt und steckte sich wieder den zweiten Stöpsel ins Ohr.
Ein Dealer.
"Nichts davon," sagte Colins Mund von selbst. Er lehnte sich zu dem Kerl und zog ihm den Kopfhörer heraus. "Dich," sagte er leise. "Ich habe Hunger."
Der Kerl sah ihn halb schockiert an, doch der Zufall wollte es, dass Colin ihn gerade von oben bis unten musterte und dieser Blick leicht missverstanden werden konnte. Der Kerl schmunzelte dreckig und musterte Colin seinerseits gründlich.
"Ich bezahl dich nicht dafür, dass das klar ist," sagte er und schnippste seine Kippe weg.
Kei bekam die kaum hörbare Konversation mit, während er tat, als wäre ihm etwas kalt.
Gar nicht mal schlecht. Er wendete sich an den jungen Mann neben sich und fragte ihn, ob er ihm den Weg 'zurück' zu einem nahegelegenen Hotel zeigen könne, von dem er gekommen sei.
"Ich will auch nicht dein Geld, nur dein Fleisch," flüsterte Colin und hauchte dem Proleten dabei Rauch ins Gesicht. Das brachte den Kerl zum Grinsen. Er leckte sich die Lippen und wackelte mit einem Fuß. Er legte einen Arm um Colin und raunte ihm etwas ins Ohr.
Kei musterte die beiden. Fass meinen Freund nicht zuviel an... Er erinnerte sich daran, dass der Typ so oder so ein Abendessen war und wandte sich seinem eigenen zu. Das hatte gerade eingewilligt, ihm den Weg zu zeigen, damit er nicht wieder verloren gehe, und grinste zweideutig. Kei nahm das Angebot an. Er hatte nicht vor, dem Hotel auch nur nahe zu kommen.
Colin murmelte eine Entgegnung und legte ein Bein über das des Breitbeinigen. Der legte gleich eine Hand auf Colins Oberschenkel. Colin schmunzelte und musste etwas zwinkern, als ihm der Rauch seines Zigarettenstummels in die Augen stieg.

Kei hatte sich eine Kippe angezündet, während er neben seinem Stadtführer herging, der ihm eine Abkürzung zeigte.
Ein Fehler.
Keine zehn Minuten später war der junge Mann tot und seine Leiche entsorgt.
Gelassen und gesättigt ging Kei zurück zu dem Ort, wo er Colin gelassen und ihn beobachtet hatte.
Der Prolet handelte gerade diskret mit zwei Schülern, während Colin gelangweilt daneben saß und wieder rauchte. Als die beiden Jungen gingen, stand er auf. Dabei ging er sicher, dass er den Oberschenkel des Dealers streifte.
Der stand auch zuverlässig mit auf und legte wieder den Arm um Colin, diesmal aber tiefer, und schob seine Hand in eine von Colins hinteren Hosentaschen. Colin runzelte kurz die Stirn und ging mit ihm die Straße hinunter.
Sie kamen an Kei vorbei, der die beiden vorsichtig musterte und weiter rauchend an der Rückwand eines Lokals lehnte.
Colin warf ihm einen Blick zu, er alles mögliche bedeuten konnte.
Sie bogen in eine Seitenstraße ein.
Kei blieb in Hörweite, aber unsichtbar.
Als Colin sie auf eine lange Reihe Stundenhotels zugehen sah, hielt er an und packte den Kerl beim Arm. Er zog ihn in eine enge Einfahrt zwischen zwei Häusern, wo außer einem hohen Lattenzaun und einem finsteren Hauseingang nichts war.
Es war alles andere als sicher und ideal, aber es war besser als ein Stundenhotel. Der Kerl ging mit und ließ dreckig lachend einen Kommentar über Colins Eile ab. Bei dem Zaun in der unbeleuchteten Gasse ließ er sich von Colin an die Hauswand drücken. Colin öffnete den Reißverschluss seiner Trainingsjacke und schob das Sweatshirt und das T-Shirt darunter hoch, während der Kerl seine Hose öffnete. Colin fischte in seiner Hosentasche nach dem Klappmesser, doch noch ehe er es überhaupt fassen konnte, hatte ihn der Kerl beim Schopf gepackt und drückte sein Gesicht in seinen Schritt.
Kei lauschte vom Dach des Gebäudes aus, neben dem sich die beiden befanden. Zusehen tat er nicht. Noch wartete er ab, ob Colin das Messer doch noch zum Einsatz bringen würde.
Während Colin das Messer herausholte und mühsam blind aufklappte, hatte ihm der Kerl längst seinen Schwanz ins Gesicht geschoben.
"Friss schon, Schwuchtel," schnaufte der Typ.
Colin hob das Messer über seinen Kopf und wollte sofort zustechen, doch der Typ packte sein Handgelenk und drehte es schmerzhaft herum. Colin hmfte nur gedämpft. Den Mund wollte er mit dem Ding, das ihm gerade über die Lippen rieb, nicht öffnen.
Kei zählte langsam von drei herunter, ehe er sich vom Dach fallenließ und geräuschvoll hinter den beiden landete.
"Ich störe wirklich nur ungern, aber ich glaube mein Freund wollte dir ein Geschenk machen." Er hob das Messer auf und rammte es dem Typen in die Schulter.
"Argh!" Er ließ Colin los und packte das Messer. Colin stand eilig rückwärtsstolpernd auf und rieb sich angewidert mit dem Jackenärmel über den Mund. Kei sah den Typen an, hatte schon das nächste Messer in der Hand, und warf es so, dass es im Hals in seiner Aorta steckenblieb.
"Nächstes Mal brauchst du einen Plan B. Er gehört dir," sagte er zu Colin und ging beiseite.
Colin zog sein Messer aus der Schulter des blondierten Dealers und riss mit ihm Sweatshirt und T-shirt sowie die Haut darunter vom Schlüsselbein bis zum Bauchnabel auf. Die zog er mit den Händen auseinander, dann rammte er die Klinge in die Rippen und sägte eine tiefere, weitere Öffnung in den Brustkorb.
Fasziniert sah Akira dem zu, was er da selbst tat, und kniete sich rittlings auf die Beine der Leiche, die vor ihm an der Wand herunter in eine sitzende Position gerutscht war. Ohne auf die Blutspritzer zu achten, die ihn von oben bis unten einsauten oder sich auch nur die Ärmel hochzukrempeln, griff er dem Typen in den Brustkorb und rupfte Stücke heraus, die er sich sofort in den Mund steckte.
Kei betrachtete das Treiben nur. Er selbst war völlig frei von Blut geblieben. Obwohl er sah, wie Akira die Leiche auseinandernahm, hatte er keine Ahnung, wie er das einordnen sollte. Ab und an sah er um die Ecke um zu sehen, ob jemand in ihre Nähe kam und wenn ja, wie er ihnen eventuell den Abend ruinieren konnte. Es kam kaum jemand. Die einzigen potenziellen Zeugen waren zwei, drei Betrunkene, die anscheinend so voll waren, dass sie eh nichts mehr mitbekamen, das von Bedeutung gewesen wäre.
Fasziniert sah er in Abständen zu seinem Akira.
Der hatte das Messer fallen lassen und fraß gierig, mal sogar indem er mit den Zähnen in der riesigen Wunde grub, meistens aber mit den Fingern, und zwischendurch schloss er oft die Augen. Seine Hände zitterten etwas und ab und zu gab er ein kleines ekstatisches Seufzen von sich. Allmählich wurde er langsamer, nachdem er mehrere Hände voll Muskelfleisch und Lunge verschlungen hatte, und biss und saugte nun genüsslich und langsam am Herzen.
Kei sah ihm dabei zu und sammelte die Messer auf. An einem Stück noch nicht besudelten Hemds wischte er die Klingen ab, dann ließ er sie in einem seiner Stiefel verschwinden. Er ließ dem Kleineren alle Zeit die er brauchte und begann einige Meter entfernt, sich mit einer jungen Frau zu unterhalten, die eigentlich in just diese Gasse gehen wollte. Sie ließ es aber bleiben, nachdem Kei ihr eine Geistergeschichte über diesen Ort erzählt hatte.
Irgendwann war Akira auch fertig und stand gelassen auf, immer noch das halbe Herz in der Hand. Er sah sich nach Kei um. Der bog gerade wieder um die Ecke. Blutverschmiert und glücklich lächelte Akira ihn an. Kei erwiderte das Lächeln, während er auf ihn zuging.
"Du siehst aus," sagte er, amüsiert.
"Haha! Wie komme ich jetzt wieder hier weg?" Er lachte berauscht und hielt das Herz hoch, als hätte es etwas damit zu tun. "So kann ich nicht rumlaufen."
"Stimmt. Mit dem Herz in der Hand auch nicht. Plan A, ich hole das Motorrad, Plan B, ich hole dir Klamotten."
"Plan C, ich fliege einfach - oh nein, warte." Er warf das Herz auf die Leiche. "Plan A ist super. Plan A."
"Okay, bis gleich," sagte Kei und war mit einem Satz verschwunden, nur um Minuten später auf dem Motorrad wiederzukommen und neben Colin zu halten. Seinen Helm hielt er dem Kleineren hin. "Wir fahren nicht lange. Ich nehm ne Abkürzung."
Colin nahm den Helm an. Mittlerweile hatte er sich etwas das Gesicht und die Hände abgewischt.
"Fahr nicht nach Hause," bat er.
"Wo willst du denn hin?" wollte Kei wissen.
"Zur Konzerthalle. Auf das Dach." Er stieg hinter Kei auf.
"Okay." Kei startete die Maschine und fuhr in die gewünschte Richtung, wobei er Strecken nahm, die niemals für Motorräder gedacht waren. Diesmal ohne Scham, Verlegenheit oder irgendwelche Bedenken, hielt Colin sich an Kei fest.
Nach etwa einer halben Stunde Fahrt kam Kei an der Halle an und stellte das Motorrad abseits der Straße ab.
"Wir sind da."
Colin nahm den Helm ab und sah hinauf.
"Wie kommst du da rauf? Das ist etwas höher als die Schule."
"Aber nur etwas. Gut festhalten," sagte Kei, als er vom Motorrad abstieg. Colin tat, wie ihm geheißen. Er behielt auch den Helm in der Hand, als er die Arme um Kei legte. Kei sprang aus dem Stand an die Regenrinne des Daches und machte von da aus noch einen Satz nach oben, auf das Dach.
"So komm ich hier hoch." Er lächelte. Die Halle hätte er auch in einem Satz nehmen können, doch Colin schien sich nicht mehr an ihren Besuch des Tokyo Tower zu erinnern und er behielt sich nun vor, seine Stärke etwas für sich zu behalten. Oben ließ Colin ihn los und ging ein paar Schritte. Er sah sich um.
"Wo warst du, als du mich mit der Münze beworfen hast?"
"Ich hab dich nicht beworfen. Ich lag da drüben, das eine Fenster war offen." Er deutete auf die Stelle, an der er gelegen hatte, als er die Münze verloren hatte.
Colin ging gemächlich zur angedeuteten Stelle und setzte sich. Den Helm legte er neben sich ab. Kei setzte sich dazu und ließ sich auf den Rücken fallen. Er betrachtete Colin. Der zog sich die Jacke und die Mütze aus, legte sie auf den Helm und legte sich neben Kei auf die Seite. Mit dem Kopf auf eine Hand gestützt lächelte er Kei friedlich an.
Kei nahm sich Colins andere Hand und drehte den Kopf leicht in dessen Richtung. Eine solche Situation wäre noch vor einem Jahr undenkbar gewesen. Vor einem halben sogar. So lange kannte er Colin noch gar nicht. Der Vampir lächelte ebenfalls, als ihm durch den Kopf schoss, dass einzig sein Unvermögen, eine Münze zu fangen, alles ausgelöst hatte.
Colin stützte sich auf Kei und küsste ihn langsam. Der erwiderte den Kuss lächelnd.
Damit versuchte Colin alles auszudrücken, was er fühlte und in diese Situation gehörte, wie in Liedern und Büchern. Um zu überprüfen, ob es funktionierte, öffnete er die Augen und musterte Keis Gesicht genau. Keis Gesicht zierte ein glücklich-zufriedenes Lächeln. Seine Augen waren geschlossen, nicht mal ansatzweise gefährlich sah er in diesem Moment aus.
Langsam setzte Colin sich auf und zog sein beschmiertes T-Shirt aus. Kei grinste ganz leicht, als er den Kleineren beobachtete. Sein Blick wandte sich kurz gen Himmel, an dem keine Sterne zu sehen waren. Dafür war Tokyo einfach zu hell.
Als Colin sich seines Hemdes entledigt hatte, war Keis dran. Er kletterte auf ihn und schob ihm das Shirt hoch. Das machte er gemächlich und mit viel nicht unbedingt notwendigem Hautkontakt. Er strich sanft über die Schussnarbe.
Kei setzte sich leicht auf, um Colin das Ausziehen seines Shirts etwas leichter zu machen. Er zog ihn ohne sonderlichen Kraftaufwand zu sich und küsste ihn.
Die Schusswunde war gut verheilt, genau wie die anderen Verletzungen, die er abbekommen hatte. Seine freie Hand fingerte gemütlich an Colins Hose herum und öffnete sie schließlich.
Colin zog Kei das Hemd über den Kopf und legte es irgendwohin zur Seite. Er erwiderte den Kuss zärtlich während seine Hände leicht über Keis Wangen, Hals, Schultern und alle anderen freien Stellen fuhren. Von den Ketten ließ er sich auch nicht beirren, und das Piercing benutzte er, um mit den Lippen etwas daran zu ziehen.
"-be dich," flüsterte er mittendrin.
Kei hielt den Kleineren fest. Seine Augen waren immer noch geschlossen, als er etwas unverständliches gegen Colins Lippen nuschelte, das als Erwiderung des Halbsatzes gedacht war. Eine Hand fuhr die Konturen seines Oberkörpers nach. Die andere steckte halb in Colins Hosenbund. Der Vampir küsste ihn einfach weiter.
Leicht und langsam küsste Colin Keis Kinn, Hals, Ohr, Schultern, und was sonst noch so in der Nähe war. Dabei strich er Keis Haare vorsichtig zur Seite. Auf Keis Hand in seiner Hose reagierte er nur unbewusst.
Kei war auf eine ihm bis dato mehr oder minder unbekannte Weise fasziniert. Von Colin, von dem Ort. Von beidem. Er hatte nie gedacht, dass dieses Dach einmal ein schöner Ort sein würde. Es war immer nur ein ruhiger Ort gewesen, an dem ab und an mal Musik lief.
Noch immer hatte er die Augen zu und vergrub eine Hand in Colins Haaren, spielte damit herum.
"Es ist zwar richtig großer Mist passiert-" begann Colin leise.
"Aber?" fragte Kei beinahe ebenso leise.
"Aber... es ist gut, dass du mich mit der Münze beworfen hast." Er küsste Kei weiter auf dem Unterkiefer entlang. Kei lachte ein bisschen.
"Ja, auch wenn ich dich nicht beworfen habe."
"Natürlich hast du. Wie ist die Münze denn durch das Fenster gefallen?" Colin sprach sehr leise.
"Es war offen. Ich hab sie hochgeworfen und sie ist runtergefallen, durch das Fenster," erklärte Kei, grinsend.
Colin schmunzelte ihn triumphierend an. "Da hast dus. Du hast sie geworfen."
"Nach oben," Kei schmunzelte.
"Mit Physik hast dus nicht, was?" Colin grinste.
"Nein. Sie ist nach unten gefallen, weil ich sie nicht gefangen habe. Nicht weil ich dich beworfen hatte. Es ist aber gut, dass sie dir vor die Füße gefallen ist."
"Deine Haarspalterei nervt," beschloss Colin und küsste Kei.
Kei ließ es bleiben, irgendwas dazu zu sagen, und erwiderte den Kuss, zog den Kleineren ein Stück mehr zu sich nach unten. Colin setzte dem nichts entgegen, rutschte aber auf Keis Bauch hinauf, sodass er auf jeden Fall noch auf Kei hinuntersah. Als sein Blick auf seine Hand fiel, die er auf Keis Wange gelegt hatte, stutzte er und hielt inne. Kei öffnete die Augen und schaute Colin fragend an. Der inspizierte seine Handgelenke, indem er sie verwirrt anstarrte und nacheinander befühlte. Die Narben der Drahtfesseln waren verschwunden. Kei tat es ihm gleich.
"Deine Narben sind weg," sagte er, und sprach damit aus, was Colin gerade selbst durch den Kopf ging. Die Brandnarben und Blutergüsse um seinen Hals und in seinem Gesicht waren ebenfalls weg. Colin rieb sich prüfend über die Unterlippe.
"Alles weg," sagte Kei.


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