Thursday, October 1, 2015

Kei + Colin XXXV: Er steht auf dich



Colin lachte ein bisschen und sah zu den Mädchen, die ihm lachend zuprosteten. Kei ließ seinen Blick durch die Runde schweifen. Seine Augen stachen auch in dem Licht des Clubs hervor. Er kannte niemanden aus der Gruppe. Colin hob seine Flasche ebenfalls und der Rest der Gruppe nahm den Toast mit einem gemeinschaftlichen "Kampai!" auf. Kei fiel in den Toast mit ein, als er unten auf der Bühne ein bekanntes Gesicht sah.
"Ich hab euch hier noch nie gesehen - sprichst du Japanisch?" rief das Mädchen neben Colin über die Musik hinweg. Er nickte.
"Ich war auch noch nie hier. Nehmen wir euch euren Stammplatz weg?"
"Nö, der ist groß genug, und du bist klein genug," lachte sie.
Der Typ gegenüber hatte sein Glas schon geleert und sagte mit finsterer Miene etwas zu dem Jungen neben ihm, als er aufstand und mit dem leeren Glas wegging. Kei schaute zu Colin.
"Erinnerst du dich an Shin? Der scheint heute hier zu spielen." Er deutete nach unten in Richtung Bühne, wo sein Kumpel mit Kabeln in der Hand herumstand und sich unterhielt. Colin sah zur Bühne und nickte.
"Also wird die Musik garantiert gut."
Der Vampir hatte sich etwas weniger breit gemacht um den anderen Platz zu lassen. "Seid ihr öfter hier?" fragte er.
"Alle paar Wochenenden," rief ein Mädchen zurück. "Und immer hier oben."
"Von hier hat man den besten Blick," sagte Kei gut gelaunt. Seine Stimme war tief und ein bisschen angerauht, was seinem Zigarettenkonsum geschuldet war.
"Wird es noch voller?" fragte Colin in die Runde. Es war noch relativ früh, dachte er sich.
"Ja, sehr," antwortete eins der Mädchen. "Aber erst so gegen elf, zwölf."
"Wo ist Satou hin, der Bastard, holt der sich mehr Alkohol, ohne uns zu fragen?"
Der übrige Kerl nickte und lächelte friedlich.
"Vielleicht bringt er euch was mit," schlug Kei vor, der durchaus dazu in der Lage war, sozial zu handeln - wenn es um Colin ging. An die Rückenlehne des Sofas gelehnt saß er da und nahm noch einen großen Schluck Bier.
"Eher nicht," sagte ein Mädchen und nippte an einem leuchtend blauen Getränk mit Schirmchen. Sie lächelte Kei an. "Du hast interessante Kontaktlinsen. In der Farbe könnte ich ERTRINKEN." Sie schlürfte nochmal und schmunzelte.
Der Vampir ließ sie im Glauben, dass er Kontaktlinsen trüge, nur fragte sich rethorisch seit wann die denn im Dunkeln so gut zu sehen seien.
"Das ist keine gute Idee," sagte er.
"Warum, ist es zu tief?" Im Kokettieren war sie gut. Zwischendurch fuhren kleine Verfolger durch die Halle, neben dem stroboskopischen Geblitze.
"Tief und tödlich," entgegnete Kei. "Wie felsengesäumte Küsten." Er nahm noch einen Schluck aus seiner Bierflasche und musterte das fremde Mädchen unauffällig. Sie trug einen engen Minirock aus Leder, ein grobmaschiges Netzhemd mit einem neongrünen BH darunter, eine Netzstrumpfhose und hohe Stiefel. Bis auf den BH war alles schwarz. Ihre Haare in Form eines sehr klischeeasiatischen Pottschnitts hatten neonpinke Strähnen und sie trug bunten Plastikschmuck mit Totenköpfen, Malteser Kreuzen und anderen Motiven. Ihre Fingernägel waren auch neongrün und ihr großzügig aufgetragener Lidschatten rosa. Sie war an so ziemlich allen Standards gemessen sehr hübsch.
"Ich liebe das Meer," entgegnete sie und steckte ihrer Nachbarin, die neben Colin auf dem Sofa saß, ihren Cocktailschirm in die Haare.
Kei stellte fest, dass die ganze Gruppe ziemlich ansehnlich war.
"Nur so lange bis dich eine Strumflut in die Tiefe reißt und nicht wieder zurückgibt." Sein rechter Arm lag um Colins Schultern. Er mochte solche Situationen. Noch war ihm nicht ganz genau klar, was sie von ihm wollte. Ihn anschmachten, ihn abschleppen, abgeschleppt werden, einfach nur Komplimente machen oder einen spendablen Typen. Möglichkeiten gab es viele.
Colin musterte alle und verfolgte den Austausch interessiert, während er sich an seiner Bierflasche festhielt. Als der Schnelltrinker zurückkam und sich mit zwei neuen Gläsern (beide für sich selbst) wieder hinsetzte, nickte er ihm lächelnd zu. Der warf ihm nur einen ziemlich unfreundlichen Blick mit hochgezogenen Augenbrauen zu und sagte wieder leise etwas zu seinem Nachbarn, der kaum darauf reagierte.
"Ich habe nichts dagegen, in die Tiefe gerissen zu werden," sagte das Neonmädchen, "und wenn ich mal hingerissen bin, möchte ich auch nicht wieder losgelassen werden."
"Oho!" Die anderen drei (außer Schnelltrinker) lachten.
"Wie du rangehst," das Mädchen neben Colin knuffte ihn in die Schulter und er grinste amüsiert.
"Lass uns schonmal runtergehen," rief das Lockenmädchen mit den hohen Ringelstrümpfen dem ruhigen Kerl zu, der nickte.
"Das würdest du aber, sobald der Sturm verflogen ist, liegst du tot und einsam auf dem Meeresgrund." Innerlich lachte Kei sie ein bisschen aus, aber davon merktle man nichts. Seine rechte Hand spielte ein bisschen mit Colins Haaren herum.
Locke und Stoiker standen auf und kletterten hinunter, um zur Bühne zu gehen.
"Ich komme mit!" Das Mädchen neben Colin sprang auf und ging hinterher.
Colin sah auf, als würde ihm gerade etwas einfallen.
"Ich fahre bestimmt nie mit dir ans Meer," sagte er trocken.
Kei schaute seinen Freund an. "Dich ertränke ich schon nicht," entgegnete er und wendete seine Aufmerksamkeit Colin zu. Der schmunzelte.
"Könnt ihr das vielleicht mal lassen? Das ist ja widerlich," sagte Schnelltrinker. Er hatte schon eins der Gläser geleert.
"Ich finde es niedlich," sagte Neon und begab sich auf den freien Platz neben Colin.
Kei schaute den Griesgram an. "Bist du immer so mies drauf, wenn du Alkohol trinkst?"
"Nein. Ich bin immer mies drauf," entgegnete er und grinste humorlos.
"Weil er frustriert ist," steuerte Neon bei. Sie legte eine Hand auf Colins Knie. "Er hatte nicht so viel Glück wie ihr."
Schnelltrinker grunzte und stand auf.
"Wie meinst du das?" fragte Colin.
Langsam aber sicher ging Neon Kei auf die Nerven. Er ließ das völlig unkommentiert und malte sich die Antworten auf Colins Frage aus.
"Du solltest weniger trinken, das machts nicht besser." Mit diesem Satz ließ er den Schnelltrinker vorerst in Ruhe.
Neon zuckte graziös mit den Schultern.
"Er behält keine Freundin, weil er sie alle scheiße behandelt," sagte sie schlicht. "Das meine ich mit Glück. Du wirst gut behandelt, oder?" sagte sie, indem sie Colin durch die Haare strich. "Du hast schöne Haare."
Schnelltrinker war auf dem Weg nach unten. Schlecht gelaunt.
Colin war zu perplex, um auf die Tuchfühlung zu reagieren.
"Äh. Ja?" Er runzelte die Stirn und trank.
Kei ließ es bleiben, Neon tödlich anzufunkeln, man konnte sich auch anstellen, aber er war nunmal eifersüchtig.
"Soll er sich halt benehmen," war alles, was er noch über den Griesgram zu sagen hatte. Dass der Kerl mies drauf war, weil er seine Freundin scheiße behandelt und dann verlassen wird - selbst Schuld.
Aus dem Mikro von unten ertönte ein "Kei, beweg deinen Arsch hier runter, ich hab dich gesehen."
Colin grinste und sprang auf das Geländer zu.
"Was willst du mit dem Arsch von meinem Freund?!" brüllte er gutgelaunt zur Bühne. Shin lachte.
"Anfassen, was denkst du denn?" brüllte er zurück. Kei stand daneben und schwang sich so auf das Geländer, dass er bequem darauf saß.
"Komm du doch rauf!"
Im Hintergrund lachte Neon. Colins Übermut ließ es ihn für eine gute Idee halten - nicht dass er mehr groß nachdachte - Kei auf den Hintern zu hauen. Dass er hoch über dem Boden der Tanzfläche saß, sie sich in der Öffentlichkeit befanden und Kei das wahrscheinlich nicht besonders schätzen würde, fiel ihm nicht ein. Kei guckte Colin mit einem warnenden Blick an, der eindeutig zeigte, was er von diesem brillianten Einfall hielt. Er sagte aber nichts dazu. Das Gleichgewicht verlor er keineswegs, er bewegte sich nicht einmal groß auf dem schmalen Geländer.
Sofort blickte Colin verlegen drein. Reiß dich zusammen, so betrunken bist du noch lange nicht!
Kei war nicht gerade nachtragend, wenn er keinen großen Grund hatte und so küsste er Colin.
"Ich geh dem Penner Hallo sagen, er scheint festgewachsen zu sein da unten. Kommst du mit?"
Dankbar nickte Colin und begann schon den Abstieg.
Kei schwang sich über das Geländer und landete am Fuß der Treppe, wo er auf Colin wartete.
"Ist das klug, so auf dich aufmerksam zu machen?" fragte Colin ihn auf dem Weg zur Bühne.
"Das ist nicht so hoch, das fällt nicht sonderlich auf, außer mit Sportlichkeit," sagte Kei, der sowieso oft darauf angesprochen wurde, ob er denn Parcour machen würde. Colin, für den Sportlichkeit ein nur theoretisch bekanntes Konzept war, nahm das so hin und sortierte sich etwas hinter Kei ein, dem die Leute beinahe von selbst Platz zu machen schienen.
Kei marschierte bis zur Bühne durch und wurde, kaum dort angekomen, von Shin umarmt.
"Was hat das so lange gedauert? Du bist doch sonst schneller," neckte der.
"Fresse, fang du ja nicht von Schnelligkeit an, Shin."
"Er hat auf mich gewartet," meldete sich Colin zu Wort. Er musterte Shin und den Rest der Band sowie den Aufbau gutgelaunt.
"Dich hab ich doch schon mal gesehn... Genau! Du warst bei einem Konzert. Woher kennst du Kei?" fragte Shin neugierig, während Kei sich dessen Gitarre nahm und ein bisschen darauf herumspielte.
"Wir sind in derselben Klasse. Das war übrigens ein gutes Konzert." Er reichte Shin die Hand. "Ich bin Colin... Und meinen Glückwunsch zu diesem Auftritt. Das hier ist eine Nummer größer als der ranzige Schuppen vor ein paar Wochen."
Shin erwiderte den Gruß. "Ich bin Shin. Und danke! Der Auftritt hier hat uns ein bisschen Überzeugungsarbeit gekostet und Kei hat da auch seine Finger drin, keine Ahnung, wie er das angeleiert hat." Er lachte. "Wie kommt's dass ihr in der selben Klasse seid? Hast du'n paar Klassen übersprungen? Kei, mach dich nützlich und stimm die Gitarre, wenn du schon darauf spielen musst."
Der Angesprochene gab ein "Bin ich dein Sekretär?!" zurück und spielte weiter.
Yakuza, dachte Colin, so hat er das angeleiert.
"Wenn du sie stimmen würdest, würde das jetzt auch nach was klingen," bot Colin an. "Ja, ich bin etwas gesprungen. Habt ihr CDs oder Downloads im Angebot? Damit solltet ihr aufwarten können, wenn euch der Auftritt hier was bringen soll." Er wollte nicht klugscheißerisch klingen. Er wollte wirklich helfen. "Sonst nimmt das Interesse an euch schnell wieder ab." Er musterte Shin.
Shin grinste.
"Haben wir tatsächlich, die sind aber hinter der Bühne für nach dem Auftritt, damit sie nicht aus Versehen wegkommen."
Kei indes stimmte die Gitarre tatsächlich ein wenig, um den Klang des melodischen Autounfalls in etwas vernünftiges zu verwandeln. Shin musterte den Kleineren ebenfalls ein wenig.
Anders als bei dem vorigen Konzert versuchte Colin offensichtlich nicht, sich unsichtbar zu machen und glotzte Kei auch nicht wie ein gejagtes Tier an, also das konnte dem Gitarristen möglicherweise auffallen. Ansonsten war der Junge dieselbe Person, wenn auch diesmal in schwarz mit Bändern um Hals und Handgelenke, was ihn vielleicht nicht älter, aber weniger kindlich als damals wirken ließ.
Er schmunzelte.
"Was kostet es, eine mit Absicht wegkommen zu lassen?" fragte er.
"Nimm sie als Werbegeschenk. Lass es mich oder Kei wissen, wenn du die anderen auch haben willst, ich mach dir'n Freundschaftspreis." Shin schmunzelte. "Und jetzt mal Klartext. Kei ist nicht gerade dafür bekannt, mit anderen Menschen etwas zu unternehmen. Und mit Schul- oder Klassenkameraden habe ich ihn noch nie gesehen. Wie hast du das angestellt?"
Kei hörte den beiden zu, während er auf der Gitarre eine ruhige Melodie spielte.
Colins Lächeln verzaghaftete sich.
"Äh. Ich habe eigentlich gar nichts angestellt." Das stimmte ja auch eigentlich. Waren sie so verdächtig und verhörwürdig? Und wenn er jetzt sagte, dass sie ein Paar waren - wenn er sowas überhaupt sagen durfte - was würde dann passieren, das wäre ein öffentliches Coming-Out, auf einer verdammten Bühne sogar. Er warf einen kurzen, vorsichtigen Blick auf Kei und schob seine Hände in die Hosentaschen.
"Äh, ich glaube er steht auf mich?" bot er mit hochgezogenen Schultern an. Er wusste, dass Kei 'auf ihn stand', aber als Frage und Vermutung formuliert klang das weniger eingebildet.
Shin schaute verwundert, dann grinste er.
"Ich dachte schon, Kei wäre unfähig Zuneigung zu empfinden. Gratulation. Steht er nur auf dich oder-"
"Shin, ich höre dich sehr gut," warf Kei ein und schaute Colin an - amüsiert. Er stand auf, legte die gestimmte Gitarre vorsichtig beiseite und ging zu Colin, legte einen Arm um seine Schultern. "Tu ich das - bist du dir sicher?" neckte er ihn.
Colin hatte begonnen, darüber nachzudenken, warum Shin so an Keis persönlicher Entwicklung interessiert sein mochte. Er lächelte gespielt unsicher.
"Wenn du mich so fragst..."
Kei hatte sein Gesicht dicht bei Colins. "Ja?"
"... muss ich glatt mit Ja antworten."
"Ganz schön selbstsicher für deine Größe," kommentierte Kei, bemüht, sein Grinsen zu verbergen.
Colin versteifte sich und musste zu Boden sehen. Er schämte sich wirklich, schmunzelte aber trotzdem, weil er sich eins nicht verkneifen konnte - die Vorlage war einfach zu gut:
"Du hast dich nie über meine Größe beschwert," sagte er leise.
Jetzt lachte Kei. Er machte nur Spaß und war der Meinung, dass Colin das auch wusste. Er ging einfach dreist davon aus. Er küsste ihn.
Shin lachte ebenfalls.
"Nehmt euch ein Zimmer, ihr seid ja schlimm... Ja, er steht wirklich auf dich," wendete er sich an Colin. Mit einem verlegenen Grinsen rieb Colin sich das Kinn und räusperte sich.
"Wir sollten nicht weiter stören, was?"
Kei lachte nur und nahm ihn mit zur Bühnentreppe.
Shin widmete sich seinen Kollegen und sehr bald darauf ging das Konzert auch schon los. Mit einem schnellen Song, der die Aufmerksamkeit der meisten Anwesenden schnell auf die Bühne lenkte.


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