Thursday, September 17, 2015

Kei + Colin V: Offenbarung

Hier geht es zum ersten Teil.


Colin saß bei Beginn der ersten Stunde nach der Mittagspause wieder auf seinem Tisch und unterhielt sich mit Tomoko, Ayane und Shingo. Er schien sich von jeglichem potentiellen Schrecken völlig erholt zu haben.
Kei kam in die Klasse und setzte sich. Musterte Colin ein wenig und schaute aus dem Fenster.
Der Lehrer verspätete sich ziemlich.
Scheinbar waren Colin und die anderen sich darüber einig, nicht mit Kei oder über ihn zu sprechen, und führten ihr ursprüngliches Gespräch über das Neujahrskonzert fort, aber nur für ein paar kurze Minuten, da endlich der Mathelehrer hereinkam. Colin wechselte von der Tischplatte auf den Stuhl, während die anderen sich auch setzten, und nahm Buch und Taschenrechner heraus. Er sah Kei nicht an. Der hatte ganz vergessen wie amüsant die Schule doch sein konnte. Colins Benehmen war wieder so ein Moment. Er nahm sein Mathezeug raus und blickte aus dem Fenster. Davor schien nie etwas los zu sein. Es liefen kaum Menschen dort herum, wenn Unterricht war.
Hin und wieder musterte er Colin.
Seine Lust auf Unterricht war verschwindend gering.
Colin vertiefte sich in die Aufgaben und arbeitete schnell und effizient wie zuvor, aber er schien trotzdem nicht fertig zu werden. Ihm fiel nicht auf, dass er zuviel rechnete, bis er beim nächsten Kapitel ankam. Als er die Überschrift sah, stutzte er, sah überrascht auf, sah sich um, zu Kei, und dann schnell wieder nach vorn.
Er pulte schnell sein kleines Buch heraus und beugte sich darüber, sorgfältig darauf achtend, dass seine Haare Keisukes Blick auf sein Gesicht verhinderten. Diesmal las er die Noten, indem er ihnen mit dem Zeigefinger folgte, und starrte regelrecht darauf.
Kei, der bald mit seinen Aufgaben fertig war, hatte nichts weiter zu tun und beoachtete Colin, der dies offensichtlich nicht wollte. Er begann, rhythmisch auf seinem Tisch herumzuklopfen und sich damit abzulenken. Der Unterricht ging zum Glück bald zuende. Lange würde es bis zum Schulschluss nicht dauern.
Irgendwann murmelte Colin: "Hör auf, mich anzustarren."
Kei musste lachen. "Hm, nein. Den Wunsch erfüll ich dir nicht."
Colin drehte sich demonstrativ weg und lehnte sich mit dem Rücken zu Kei mit dem Ellenbogen auf den Tisch.
Grinsend sagte der Ältere: "Du bist auch von hinten ganz ansehnlich." Er blickte irgendwann aus dem Fenster und amüsierte sich im Stillen.
Colin grunzte missmutig und drehte sich wieder nach vorn.

Kei ging nach dem Klingeln aus der Klasse. Endlich Wochenende.
Draußen regnete es in Strömen. Er zündete sich unter dem Vordach seine Kippe an und spannte den Schirm auf.

Am Abend rannte Colin ohne Regenschirm, aber mit Kapuzenjacke, durchnässt auf das Schulgelände. Er kletterte über das verschlossene Tor und rüttelte an den verschlossenen Türen des Haupteingangs.

Kei, nachts gern auf der Suche nach Opfern, kam an der Schule vorbei, da in der Nähe eigentlich immer etwas zu holen war. Lärm drang an sein Ohr und er drehte sich um. Huh?
Er sprang mühelos über den Zaun und lief in Richtung des Lärms - erblickte Colin.
"Was machst du um diese Uhrzeit hier?" fragte er den Kleineren, während er in seine Richtung ging. Colin drehte sich erschrocken um. Er machte den Mund auf und zu. Er sah einigermaßen verzweifelt aus.
"Hab ich dir die Sprache verschlagen?" Er besah sich die Situation. "Soll ich dir helfen, da rein zu kommen?" Kei grinste. Colin nickte nur eilig. Er machte einen Schritt zur Seite und gab die Tür frei. Er schien zu erwarten, dass Kei die Tür eintreten würde oder sowas in der Art. Kei grinste immer noch. Diese Tür wollte er gar nicht öffnen.
"Die Tür zum Dach ist nie abgeschlossen. Ich bring dich da hoch, wenn du da unbedingt reinwillst." Er besah sich den Kleineren und verstand nicht, was er da wollte. Es wollte ihm auch kein einziger Grund einfallen. Colin hatte immer noch große, etwas ängstliche Augen, aber nickte entschlossen.
"Ja. Wo?" Er sah rechts und links an der Fassade entlang. "Wo kommt man da hoch?"
"Festhalten." Kei nahm Colin halbwegs in den Arm und sprang aufs Dach. Ohne große Probleme. Es hatte was von Parcour. Oben angekommen, grinste er schon wieder. "Da wären wir. Das Dach." Er dachte für den Moment nicht daran, den Kleineren wieder loszulassen.
"Ah, what the-" Colin hielt sich instinktiv fest, aber auf dem Dach angekommen, versuchte er sofort, Kei wegzustoßen.
Der grinste nur.
"Der Versuch ist erfolglos, Kleiner. Ich bin stärker als du." Nachdem er Colin - spaßeshalber - an die Wand des Dachtreppenhäuschens gedrückt hatte, ließ er ihn aber wieder los. "Viel Spaß noch. Man sieht sich, Süßer." Kei schlenderte wieder zum Rand des Daches, blieb dort stehen.
Colin starrte Kei erstaunt und ziemlich schockiert an. Er öffnete und schloss noch ein paarmal erfolglos den Mund.
"Warte! Was- wie hast du- " Er stieß sich von der Wand ab und begann auf Kei zuzurennen und rutschte dabei auf dem nassen Boden aus.
Kei hörte es glitschen und war schneller bei Colin, als dem lieb sein konnte und hielt ihn vom Fallen ab. "Nicht so eilig, Kleiner," grinste er. Im nächsten Moment sah man ihn noch vom Dach fallen. "Bis dann, Süßer," verabschiedete er sich, während er rückwärts nach unten fiel. Unten landete er wie eine Katze auf den Beinen und verschwand im Dunkeln.
Colin hockte sich an die viel zu niedrige, praktisch nicht existierende Brüstung, stützte sich auf die Kante und brüllte hinterher: "Warte doch! Komm zurück, du Ar-" da fiel ihm ein, dass Kei gesagt hatte, die Tür sei nie abgeschlossen. Herauskommen würde er außerdem bestimmt durch irgendein Fenster.
Er stand also wieder auf und ging in die Schule.

Amüsiert saß Kei auf dem Zaun, der das Schulgelände vom Weg trennte. Was Colin in der Schule machte, war nicht seine Angelegenheit. Er konnte ihn immer noch fragen, wenn er ihn traf. Er nahm sich eine Kippe, zündete sie an und rauchte gemütlich. Der Regen des Tages hatte schon vor einer Weile aufgehört, jedoch war es noch ziemlich nass. Kei schaute sich um. Hunger nagte an ihm, viel zu oft in der letzen Zeit.
Keine zwanzig Minuten später kam Colin um die Ecke des Gebäudes in Richtung Tor gelaufen. Er ging zügig, schien es aber nicht mehr allzu eilig zu haben. Er wollte offenbar nur schnell wieder weg, bevor er bei dem kleinen Einbruch ertappt werden konnte. Seine Jacke war geöffnet und er hatte ihre Ärmel hochgekrempelt.
Kei grinste. "Da ist ja unser kleiner Einbrecher. Das war aber ein kurzer Besuch." Er hatte seine dritte Kippe in der Hand und schaute in Colins Richtung. Immer noch hungrig. Irgendwo hoffte er, dass Colin ihn einfach ignorierte und weiterging. Er beobachtete ihn genau. Der Junge nickte und lächelte erleichtert. Er war beim Laufen und Klettern ein bisschen rot geworden und atmete etwas schwerer als sonst.
"Danke." Er runzelte kurz verwirrt die Stirn. "Wofür auch immer. Wie hast du das gemacht?" Er trat ans Tor heran und kletterte hinauf.
"Vergiss das am besten gleich wieder," meinte Kei, Colin immer noch anschauend. Geh einfach weiter...
Er wollte Colin nicht umbringen, aber ihn leben zu lassen wäre auch kaum eine Option. Verschwinden wäre eine. Er ließ seine Kippe fallen und machte Anstalten, sich rückwärts vom Zaun fallen zu lassen. Colin war gerade oben angekommen und hockte rittlings auf dem Tor. Als er sah, wie Kei umkippte, packte er ihn sofort vorn beim Hemd und seinen Arm mit der anderen Hand.
"Pass auf!"
Kei, der sich absichtlich, zwecks Abgangs hatte fallen lassen, verfluchte Colin diesem Moment. Er hielt sich mit den Beinen am Zaun und mit einer Hand an seinem Klassenkameraden fest. Zog ihn fast nach unten.
"Du lebst verdammt gefährlich," sagte er leise, versuchte an etwas anderes zu denken als das rote Gold in den Venen des anderen. Colin hakte sich mit den Füßen und Knien zwischen den Gitterstäben fest und versuchte, Kei unter Ächzen wieder heraufzuziehen. Es war offensichtlich, dass seine schmächtige Statur nicht nur seinem zarten Alter, sondern großer Unsportlichkeit geschuldet war. Er brachte es trotzdem fertig, trotzig zu entgegnen: "Ich lebe gefährlich? Du gammelst fast zwei Meter hoch - und wie zur Hölle bist du mehrere Stockwerke - hrrmgrrf," schnaufte er angestrengt.
Kei hätte keine Mühe gehabt, so hängen zu bleiben und erleichterte Colins Arbeit, indem er sich einfach aufrichtete und wieder gerade auf dem Zaun saß.
"Ja du," grinste er, ein wenig mörderisch. "Du solltest Sport machen. Dann würdest du ein Leichtgewicht wie mich auch hochziehen können." Kei wog tatsächlich nicht viel. Er war sehr schlank, ohne Gürtel würde seine Hose ständig herunterrutschen. "Wenn du mich entschuldigen würdest..." sein Blick wanderte zu einem Mann, der in eine Gasse in Colins und seiner Blickrichtung schlenderte. Colin hielt sich dankbar wieder selbst am Tor fest und versuchte, seinen Atem zu beruhigen. Er entgegnete nichts, sondern folgte nur Keis Blick. Er sah den Mann und beeilte sich, vom Tor herunterzukommen.
Kei war schneller unten als Colin und ehe der sich versah, ebenfalls in der Gasse verschwunden. Um Colin machte er sich wenig Gedanken.
Er schlug den Mann von hinten K.O. - gezielt, geübt - und riss mit einem Messer dessen Handgelenk auf, bis auf die Aterie. Er verschwand mit seinem Abendessen hinter einer weiteren Ecke - sicher war sicher.

Leicht blutbeschmiert saß er neben dem Toten, dessen Blut so schnell in seinem Körper verschwunden war wie Wasser es bei einem Menschen gewesen wäre. Er sah zufrieden aus und verstaute den Toten in einer Mülltonne.
An der Hausecke stand Colin und flüsterte "Holy fuck," sobald der Deckel der Mülltonne wieder auflag. Er starrte Kei mit offenhängendem Mund an und stand versteinert da.
Kei, der sich am Hemd seines Opfers den Mund abgewischt hatte, drehte sich um, als er etwas hörte - und sah Colin da stehen. "Fuck." Er starrte ihn nur an, einige Sekunden lang.
Ehe er an ihm vorbeiging. "Jetzt hast du's doch rausgefunden." Er hatte ein zufriedenes Grinsen auf den Lippen, hauchte ihm "Das wird dir keiner glauben" ins Ohr. Hoffend, dass das stimmte und Colin die Fresse hielt. Er konnte keinen Stress gebrauchen.
Der Junge starrte weiter und zuckte bei dem Flüstern wieder zusammen. Er drehte sich um und machte einen Schritt hinter Kei her.
Anstatt etwas zu sagen, brachte er zuerst nur ein quietschendes Geräusch zustande und griff nach Keis Arm, um ihn aufzuhalten. Kei blieb stehen. Verblüfft über irgendeine Reaktion. Drehte sich um, sagte aber nichts. Wartete ab, was Colin wollte. Der sah Keis Gesicht, schluckte, starrte ehrfürchtig... "Warum..." -schluckte- "... Warum gehst du zur Schule?"
Colin merkte, dass er Kei noch immer festhielt, ließ ihn los und zog seine Hand schnell zurück.
Kei war platt. Von all den Fragen, die man ihm hätte stellen können, stellte Colin diese.
"Ich hab nichts besseres zu tun," antwortete er - wahrheitsgemäß. Zumal er wirklich erst siebzehn Jahre alt war und keinerlei Abschlüsse besaß.
Colin sagte "Ah," und starrte nicht mehr ganz so sehr, hatte aber immer noch große Augen. Er schluckte nochmal und sah kurz zur Seite.
"Und warum. Warum hast du. Warum hast du mich da warum hast du mich aufs Dach gebracht?"
"Betrachte das als ehm, nette Geste oder so," sagte Kei. Colin hatte da schließlich reingewollt.
Er würde sich die Nacht noch um die Ohren schlagen.
"Was hast du gedacht, hm?" er grinste.
Colin musterte Keis Gesicht und der größte Teil der Furcht wich aus seinem und machte einer typischeren genervten Trotzigkeit Platz. "Ich dachte, es wäre vielleicht klüger gewesen, sich den Leuten nicht zu offenbaren - warum grinst du mich eigentlich immer so an? ... Du wolltest nur angeben," fiel ihm ein.
"Natürlich wollte ich das," gab Kei zurück. "Du bist ein amüsanter kleiner Kerl."
Er war sich ziemlich sicher, das sein nicht ganz so kleines Geheimnis bei Colin gut aufgehoben war. Die Frage nach dem Grinsen überhörte er gekonnt. "Man sieht sich!" Er wandte sich zum Gehen.
Colin stutzte bei 'amüsanter kleiner Kerl' und seine Miene verfinsterte sich.
"Ich bin ein was?" Er folgte Kei forschen Schrittes.
"Du hast mich schon verstanden," erwiderte der und ging einfach weiter.
Colin hielt Schritt. "Freut mich, dass ich dich so gut unterhalte," er klang ein wenig patzig. "Ich wusste doch, dass es einen Grund dafür geben muss, dass du mich ständig verfolgst. Wenigstens tust du das nicht, weil du mich aussaugen willst, das ist so eine große Erleichterung!"
Kei lachte. Er war tatsächlich zufällig an der Schule vorbeigekommen. Plötzlich drehte er sich um und beförderte Colin an die nächstgelegene Wand, hielt ihn dort fest.
"Sei dir da mal nicht so sicher," er grinste mordlustig.
Colin schloss schnell den Mund. Aber nur kurz.
"Wie soll ich dich ernstnehmen, wenn du selber dauernd lachst?" frug er trocken, aber sein schneller Atem und erhöhter Puls verrieten doch etwas Furcht. Etwas viel.
"Wohl noch nie einem gut gelaunten Vampir begegnet?" er grinste dreckig. Wohl wissend, dass Colin sich fast in die Hose machte. Er genoss das. Sehr sogar. Kostete den Moment aus. Sah Colin tief in die Augen und machte keine Anstalten ihn loszulassen. Colin versuchte, seinen Atem etwas unter Kontrolle zu bringen, denn es war ihm peinlich, Kei direkt ins Gesicht zu pusten. Er begegnete Keis Blick und wurde wieder rot, aber das konnte nicht aus Anstrengung sein.
"Zählt meine Mutter?"
Kei verzog keine Miene. "Meinetwegen. Dafür hast du ziemlich Schiss." Er grinste. "Du musst nicht gleich rot werden." Er drückte ihn ein wenig fester gegen die harte Wand. Colin verzog etwas das Gesicht und ächzte leise.
"Ich habe keine Angst. Offensichtlich hängst du ja ziemlich an mir."
Kei ließ ihn noch immer grinsend wieder los. "Fühl dich geehrt, Kleiner." Mit diesen Worten zog er von dannen. Er hatte ja noch endlos viel Zeit, sich Colin zu widmen. Der sah ihm nach und hielt sich den Arm an der Stelle an der Kei ihn festgehalten hatte.


Hier geht es zum nächsten Teil.

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