Thursday, September 24, 2015

Kei + Colin XVIII: Kleine Grenzüberschreitung




Zuerst versuchte Colin sein Glück beim Baseballplatz.
Er hielt nach Kei Ausschau, indem er selbst halb hinter einem Baum stand, damit Tomoko und Ayane ihn nicht sehen konnten, während sie am Zaun herumsaßen.
Der Vampir hatte sich in eine Ecke des Schulgeländes verzogen, wo er mit seinen Bandkollegen herumsaß und einzelne Songs besprach. Es hatte zu regnen begonnen und Kei saß unter einem Baum um nicht allzu nass zu werden. Sein Sitzplatz war nicht weit vom Baseballfeld entfernt, auf dem sich trotz dieses Wetters viele Schüler tummelten.
Als er keinen einzelnen Kei ausmachen konnte, ging Colin ins Gebäude zurück, wo er bei den Getränkeautomaten Shingo begegnete. Sie verbrachten die Pause wieder zusammen und gingen schließlich gemeinsam in den Klassenraum zurück.
Irgendwie hatte Shingo in Erfahrung gebracht, dass Colin letzten Samstag fünfzehn geworden war und gab das laut in der Klasse bekannt.
Kei kam auch irgendwann in den Klassenraum, ausgerechnet dann, als Shingo gerade verkündete, dass Colin Geburtstag gehabt hatte. Samstag? Er grinste in Richtung Colin als er sich hinsetzte. Sein Blick sprach Bände, wenn man ihn lesen konnte.
Man klopfte Colin auf die Schulter und rief ihm Gratulationen zu und Keis Grinsen verunsicherte ihn zusehends. Wusste er das? Er wurde von Kei abgelenkt, indem Shingo ihn umarmte. Er sagte dabei auch etwas, das Colin zum Lachen brachte.
Auf eine merkwürdige Art und Weise fand es es nun noch besser dem Kleineren ausgerechnet am Samstag begegnet zu sein. Und alles, was sonst noch so passiert war, an dem Tag. So ein - wenn auch unbeabsichtigtes - Geschenk konnte man schwer übertreffen. Jedoch hatte er keine wirkliche Ahnung, wie Colin selbst über den Abend dachte, nur seine Reaktion. Allerdings war die ziemlich eindeutig.
Kei versuchte sich abzulenken, doch seine Gedanken betrugen ihn immer wieder. Drifteten zum Samstagabend und dem gestrigen.
Als die Feldwebellehrerin hereinkam, wurde Colin wieder auf seinen Platz entlassen, wenn er es auch unterwegs über sich ergehen lassen musste, dass Shingo ihm die Haare zerrubbelte. Er öffnete den Pferdeschwanz und band sich die Locken neu zusammen, als er sich hinsetzte.
Kei besah sich das Schauspiel beim Hinsetzen der anderen und blickte dann aus dem Fenster, aufs Blatt, zu Colin. Immer mal wieder.
'Alles Gute nachträglich' schrieb er auf einen Zettel, den er dem Schotten hinüberschob.
Colin schmunzelte dreckig, als er den Zettel mit seiner Entgegnung zurücklegte:
'Du hast mir doch schon gratuliert.'
Kei grinste, als er den Zettel zurückbekam, dreckig. Er malte nur einen gemein grinsenden Smiley als Antwort auf das Blatt und gab es zurück.
Colin rollte mit den Augen. Noch ein Smiley. Der Junge muss krank sein.
Er behielt auch diesen Zettel und konzentrierte sich auf den Unterricht, der so wirklich schnell zu Ende war. Kei kritzelte nur die Smileys, die mehr detaillierte Gesichter in Smileygröße waren, wenn er die passenden Worte nicht formulieren konnte und es, wenn auch gezeichnet, ein Gesichtsausdruck einfach besser tat. Als er das Blatt nicht zurückbekam, beschäftigte er sich mit etwas anderem.
"Ich rate euch allen! Diese Namen auswendig zu lernen, und zwar bis in zwei Wochen, sonst sehe ich schwarz für die Klassenarbeit," bellte die Lehrerin. "So, Schluss für heute," schnappte sie und stampfte aus dem Raum. Kei lag mittlerweile fast auf seinem Zettel. Zugehört hatte er schon lange nicht mehr. Was mussten seine Lehrer auch die perfekten Schlaftabletten darstellen...
Colin lachte über etwas, das Shingo schräg vor ihm gesagt hatte. Der ging zu Colin herüber, als der seine Tasche packte und legte einen Arm um seine Schultern. Kei warf Shingo einen Blick zu den der besser nicht sehen sollte, was er auch nicht tat, und sammelte seinen Kram zusammen, den er in die Tasche stopfte. Gleich war Probe...
Colin stand auf, als Shingo zu seinem Platz zurückging und ging zur Tür. Ebenfalls zur Tür schlendernd hatte Kei Colin schnell eingeholt und öffnete dem Kleineren und sich selbst eben jene. "Kommst du jetzt mit oder später nach?" fragte er, als er neben ihm herging.
"Wenn ich euch nicht von Anfang an auf den Zahn fühle, hätte es doch wenig Sinn, überhaupt zu kommen, oder?" Er strich sich mit einem schelmischen Lächeln über das Kinn.
"Da könntest du Recht haben." Er schlug den Weg zum Bandproberaum ein. Bald darauf kam er mit dem Kleinen auch dort an, öffnete die Tür. Colin trat ein und sah sich um. Die anderen waren noch nicht alle da. Das Schlagzeug und der Bassverstärker waren von zwei Jungs besetzt. Der Rest ließ noch auf sich warten. Kei nahm die Gitarre, die einsam in der Ecke stand und machte es sich bequem. Kenji, der Bassist, bedeutete Colin, es Kei gleichzutun und deutete auf das kleine Sofa, das an einer Wand des Raumes stand. Colin ging folgsam dorthin und setzte sich.
"Wann kommt der Rest?"
Der Rest traf just in diesem Moment ein und bestand aus Sänger Saki und dem anderen Gitarristen, Aoi. Sie grüßten erst Colin und dann die anderen drei. Colin grüßte zurück und lächelte.
"Ist es in Ordnung, wenn ich wieder zuhöre?"
Er bekam ein Reihumeinverständnis. Saki pinnte die in der Pause angefertigte Liste mit Songs an die Wand und Tama gab den Takt des ersten Stückes mit den Sticks in seinen Händen vor. Colin stützte sich mit den Ellenbogen auf die Knie und sah und hörte zu.
Die Proben dauerten eine ganze Weile. Kei und die anderen spielten viele Songs und feilten hier und da an einigen. Es waren alles Eigenkreationen und so sahen auch die Notenblätter aus, die hier und da immer wieder ausgebessert wurden. Colin blieb stumm und aufmerksam, wechselte nur zwischendurch seine Position in einen Schneidersitz oder lehnte sich zurück. Kei blickte ab und an mal zu Colin hinüber. Mit einem ganz anderen Gesichtsausdruck als sonst. Weder blutrünstig noch gleichgültig, aber trotzdem weit weg. Colin begegnete Keis Blick und lächelte. Ermutigend? Gutgelaunt? Anerkennend? Ab und zu nickte er oder runzelte die Stirn - ohne es jedesmal selbst zu merken - wenn ihm eine Stelle gefiel, oder eben nicht. Er beobachtete besonders den Sänger Saki und grinste ihn zwischendurch an.
Kei versank immer weiter in dem, was er spielte und vergaß bald, dass Colin noch da war. Seinen Kollegen erging es ähnlich, auch wenn sie alle sich ab und an mal zu dem Zuhörer drehten und ihn anlächelten.
Auch Kei, der aber bekam das gar nicht mehr mit. Colin blickte immer fröhlicher drein und biss sich irgendwann auf einen Fingerknöchel, während er nickte. Die haben geübt! Er grinste wie ein Idiot und tat zwischendurch so, als würde er klatschen.
Kei hatte in dem Song den Tama gerade anstimmte, einen Solopart bekommen und meisterte den mit Bravour. Seine Finger tanzten beinahe über die Saiten der geliehenen Gitarre. Colin sah gebannt zu. Sein Blick war nun ernst, fast finster, wie er Kei hart anstarrte und kaum atmete.
Der Vampir merkte auch davon nichts. Er und Aoi ließen das Lied ausklingen und kamen zusammen mit den anderen drei langsam wieder zur Ruhe. Tama lehnte sich zurück, mit dem Rücken an die Wand.
"Sugoooi..."* kam leise von einem nun wieder grinsenden Colin auf dem Sofa. Kei lächelte, zum ersten Mal deutlich erkennbar.
"Wenn ihr das beim Konzert macht, zieht sich Frau Hasegawa den Schlüpfer aus." Er machte eine Lassowerfbewegung über dem Kopf. Saki und Kei taten beide synchron als würden sie erbrechen.
Der Sänger war der erste, der seine Stimme wiederfand.
"Irgs..." kam jedoch nur aus seinem Mund. Colin lachte, ein bisschen gehässig.
Aoi lachte ebenfalls. "Mach den beiden das Konzert nicht madig, wir brauchen sie noch." Kei lehnte mittlerweile an seinem Verstärker. Colin grinste und machte eine wegwerfende Handbewegung. "Was heißt hier madig machen? Die Frau hat was! Ich weiß aus sicherer Quelle, dass Kei was für sie übrig hat. Also zieht ihr ruhig die... Schuhe aus," fügte er mit einem süffisanten Lächeln hinzu. Jetzt lachten alle. Das war einfach absurd und sie wussten das. Selbst Kei lachte mit. Er sah Colin mit einem diesmal nicht ganz ernsten Todesblick an.
"Kei und Hasegawa... Du meist er schlägt sie K.O?" Aoi fand die Vorstellung sehr gut.
"Hmm..." Colin sah nachdenklich in die Luft. "Nein, eher umgekehrt. Ich glaube, Kei hat eine kleine Schwäche für starke Frauen, die sich nehmen was sie wollen." Er zuckte die Schultern. "Jeder Macho braucht mal eine Pause." Aoi prustete los.
Es war ein bisschen zu warm für seinen Rollkragen, darum zog Colin daran herum und weitete ihn dabei so sehr, dass die Wunden offen liegenblieben. Das schien ihm nicht bewusst zu sein. Kei grinste nun und ging zu Colin hinüber. Er flüsterte ihm "Das müsstest du eigentlich besser wissen" mit einem mehr als dreckigen Ton ins Ohr. Das Spiel ging auch zu zweit.
Colin grinste Kei an und sagte laut: "Ja ja, das sollte ein Geheimnis bleiben... entschuldige."
"Ich wüsste auch noch ein kleines Geheimnis, dass eines bleiben wollte..." er strich mit einem Finger Colins Hals entlang, völlig unbeeindruckt davon, dass seine Kollegen hinter ihm standen und das mitbekamen - sollten sie ja schließlich. Colin wurde rot. Kei war viel zu nah... und fasste ihn an! Er versuchte, Keis Hand wegzuschieben und lehnte sich von ihm weg.
Kei ließ von ihm ab und wendete sich grinsend wieder der Gitarre zu, um sie zu verstauen. Colin vermied es ab nun, den anderen ins Gesicht zu sehen und nahm sich nur seine Umhängetasche und stand auf. Er zögerte, weil er wusste, dass er noch etwas tun oder sagen musste, aber er konnte nicht, und ging einfach, ein bisschen zu hastig.
"Oh! Du willst los? Bis dann!" rief Tama von hinter den Drums dem Kleinen nach und Kei sah ihm einfach bloß hinterher. Kenji hielt sich einfach aus dem Geschehen raus und hörte den anderen zu.
"Was auch immer da zwischen euch läuft... Krieg das auf die Reihe, Kei!" kommentierte Saki das Gesehene und schlug dem Vampir mit der flachen Hand auf den Hinterkopf.
"Fresse, Saki..." erwiderte der bloß und gab zurück, was er erhalten hatte.

Colin entfernte sich zügigen Schrittes vom Proberaum und starrte fast blind auf den Boden, während er den Gang hinuntermarschierte, bis er vor der Halle mit den Schuhregalen beinahe Shingo anrempelte.
Es fiel Colin schwer, Shingo abzuwimmeln, der sein Gesicht und seinen Hals gesehen hatte, und er schaffte es nicht, aber er brachte es fertig, seine Schuhe zu wechseln, bevor Shingo ihn bei den Schultern packte und ihn anherrschte, wenigstens zur Schülervertretung oder einem Lehrer zu gehen, wenn er ihm schon nichts sagen wollte.

Kei stand noch eine Weile da herum und musste sich anhören, dass er sich nicht wie ein arroganter Idiot verhalten sollte. Am liebsten hätte er Saki dafür eine geknallt. Aber der Sänger durfte das. Deshalb hielt er sich zurück und behielt den momentanen Zorn für sich. Tief unten wusste er, dass der Ältere Recht hatte.
Nach einer Weile der Diskussion, wenn man das so nennen wollte, machte Kei sich auf den Heimweg. Saki hatte dem Vampir eine Moralpredigt gehalten und ihn zum Denken nach Hause geschickt. Das tat er tatsächlich. Wenn auch eher an das, was in der Nacht zuvor geschehen war. Er rauchte zwei Zigaretten hintereinander weg und hing seinen Gedanken nach.



*Sugoi = (jap.) Super, klasse

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