Thursday, September 17, 2015

Kei + Colin IX: Interesse


Hier geht es zu Teil I.


MONTAG
Am Morgen stand Colin auf dem Flur in der Nähe des Klassenraums und ließ sich brav von einer Lehrerin dafür zurechtweisen, dass er seinen Hemdskragen hochgeklappt hatte. Er sei ja nicht Elvis oder sowas. Colin nickte nur brav und entschuldigte sich.
Kei, in Stiefeln und enger schwarzer Hose mit Gürtel und T-shirt, lief den Gang kurz vor knapp entlang und kramte in seiner Tasche nach den Zigaretten, als er an Colin und der Lehrerin vorbeikam und diese mit einem mehr als tödlichen Blick begrüßte. Da er Ohrstöpsel trug, hörte er den Grund für Miss Pingeligs Gezeter nicht, aber der war ihm auch egal.
Die Lehrerin nahm Kei kaum wahr. Colin auch nicht so richtig. Als er endlich von ihr entlassen wurde, ging er seufzend in den Klassenraum und stellte dabei sofort wieder seinen Kragen auf. Als er Kei in seinem Aufzug sah, seufzte er noch einmal und setzte sich einfach auf seinen Platz, ohne Kei weiter anzusehen.
Kei ließ sich ebenfalls auf seinen Stuhl nieder und hörte weiter Musik. Er sah aus dem Fenster und tat auf schrecklich müde, damit bloß niemand auf die Idee kam, ihn anzusprechen. Er betrachtete Colin kurz aus halb offenen Augen und ließ seinen Kopf auf den Armen liegen. Schließlich war der Lehrer noch nicht da.
Ohne Kei weiter anzusehen, baute Colin seinen Tisch wie üblich mit Block, Buch und Stiften auf und zog anstelle seines kleinen Buches jetzt einen Hefter mit Notenblättern hervor. Er stützte sich auf einen Ellenbogen, den Kopf seitlich auf die Hand und las darin. Der aufgestellte Kragen verdeckte die dunklen Flecken ziemlich gut, allerdings nicht ganz vorn, wo es fast aussah als hätte man ihn gewürgt.
Kei hing seinen Gedanken nach, die sich um alles mögliche drehten. Der Vampir hatte seine Spuren an Colins Hals gesehen, als dieser in den Raum gekommen war. Irgendwann entschloss er sich dazu, dafür zu sorgen, dass Colin deswegen nicht unnötig viel Aufmerksamkeit bekommen musste. Er kramte ein schwarz-weiß gemustertes Halstuch aus seiner Tasche und stieß den Kleineren vorsichtig an, wobei er einen der Kopfhörer aus dem Ohr nahm.
Colin sah zu ihm auf, ohne den Kopf groß zu bewegen.
Kei hielt ihm das Tuch schmunzelnd hin. "Da, dann sieht mans gar nicht mehr," flüsterte er.
Er lächelte ein bisschen und nahm das Tuch. "Ein auffälligeres 'ich hab hier was, guckt alle her' hätts nicht geben können, danke," flüsterte er zurück, als der Lehrer hereinkam.
Colin faltete das Tuch zusammen und knotete es sich irgendwie um den Hals. Am Ende sah es wie ein gemusterter Verband aus.
Kei grinste. "Immer noch besser, als wenn jeder Zweite fragt, was du denn so am Wochenende gemacht hast." Das war mehr als doppeldeutig genug. "Ach ja. Fordere mich heraus und ich zeig dir, dass das noch auffälliger geht." Er grinste.
Colin bedachte ihn mit einem kühlen Blick von der Seite und beschloss, dem Unterricht zu folgen. Kei widmete sich ebenfalls dem Unterricht. Dabei malte er irgendein Zeug auf seine Blätter.
Colin ignorierte Kei während der Lehrer- und Stundenwechsel und stand bei Beginn der Mittagspause auf, um hinauszugehen. Kei nahm seine Zigarettenschachtel und ging nach draußen, um sich wieder unter den Baum zu setzen. Beim Hinausgehen kam er an Colin vorbei. Schaute ihn nur kurz an. Sich fragend was er ihm jetzt schon wieder getan hatte.

Colin saß mit Tomoko, Ayane und Shingo wieder auf der gleichen Stelle auf der Wiese, um zu essen. Einmal zupfte er an dem Halstuch herum und sagte etwas, während die anderen auf seinen Hals blickten. Es schien keine Szene daraus zu werden und Colin schämte sich scheinbar nicht besonders.
Nach einer Weile standen Shingo und Colin auf und verabschiedeten sich, gingen dann zum Gebäude zurück.
Kei lag halb in der Sonne, halb im Schatten und rauchte, während er ab und an Colin beobachtete. Er machte sich nichts daraus, die anderen zu belauschen oder Colin und Shingo hinterherzulaufen. Stattdessen schloss er die Augen und ließ sich die Beine wärmen.

Kurz vor Beginn der nächsten Stunde saß Colin wieder brav an seinem Tisch und las vornübergebeugt seine Notenblätter. Das Material für den folgenden Unterricht lag schon fein säuberlich gestapelt auf der Ecke des Tisches.
Kei ließ seine Tasche auf den Tisch fallen und nahm nur seinen Schreibblock hervor. Begann aus Langeweile Colin zu skizzieren und schrieb daneben, 'Warum ignorierst du mich?' Und legte ihm das Blatt vorsichtig auf den Tisch. In seinen Ohren steckten mal wieder die weltausschaltenden Stöpsel.
Colin sah von seinem Block auf das Blatt und errötete ein bisschen. Er setzte mit seinem Bleistift zu einer Antwort unter der Frage an, tippte dann aber nur überlegend auf dem Papier herum.
Zu lange.
Die Feldwebellehrerin, die nun ankam und durch die Reihen ging, zog das Blatt von Colins Tisch und begutachtete es.
Kei dachte nur 'Shit,' und tat als wäre nichts gewesen. Warum konnte er nicht so tun, als würde er arbeiten, während er über eine Antwort nachdachte? Man konnte schon an der Schrift erkennen, dass das nicht ursprünglich Colins Blatt gewesen war. Er wartete auf eine Reaktion.
"Ein bisschen selbstverliebt heute? Für wen ist denn der kleine Liebesbrief?" fragte die Lehrerin unfreundlich.
Colin saß stocksteif da.
"... Für Sie?" bot er an. Ein paar Schüler kicherten.
Die Lehrerin legte ihm das Blatt wieder hin, mit dem Ansatz eines Schmunzelns im Mundwinkel.
"Seite 41," sagte sie. "Jetzt."
Es folgte allgemeines Buchrascheln.
Kei prustete los - leise. Schlug sein Buch auf und amüsierte sich eine Weile.
Colin musste wieder vorlesen. Er stand auf und las gefasst und ruhig das klassische Gedicht vor. Währenddessen beäugte die Lehrerin Keisuke. Als nicht völlig dämlich war ihr die Perspektive der Zeichnung aufgefallen.
Kei bekam sich bald wieder ein und folgte dem Lesen seines Mitschülers.

Am Ende der Stunde stand er auf und ging erst einmal nach draußen, an der Lehrerin vorbei mit der Bemerkung, dass man nicht in anderer Leute Post zu lesen habe.
Colin sah Kei nach und schrieb dann mit seinem Druckbleistift unter die Frage: 'Tu ich nicht.'
Dann legte er das Blatt auf Keis Tisch, während er draußen und die Lehrerin auch nicht mehr da war. Er grub sich in seine Notenblätter ein, um nicht ansprechbar auszusehen.
Kei ging draußen eine Rauchen und beruhigte sich. Kurz darauf betrat er den Klassenraum wieder und setzte sich an seinen Platz. Das blöde Gesicht der Lehrerin noch vor Augen habend.
Als er den Kopf wieder auf den Tisch fallen ließ, fiel dieser auf seinen 'Liebesbrief', welcher nun tatsächlich mit einer Antwort beschriftet war. Kei grinste. "Dafür hast du aber echt lange gebraucht," sagte er.
Colin sah kurz zu ihm hin, dann schnell wieder in seinen Hefter, mit konzentriertem Blick.
"Lernst du das auswendig?" fragte er und linste in Colins Heft.
"Hm?" Colin sah ein wenig verwirrt zu Kei, zurück ins Heft und wieder zu Kei. "Nein." Er zögerte. "Ich lese es."
"Warum tust du das?" wollte Kei wissen.
Colin zuckte mit den Schultern. "Weil ichs mag," entgegnete er unschuldig. "Das ist wie Musik hören, nur machst du sie dabei selbst," er deutete auf seine Stirn.
Genau das war das, was Kei als nächstes erfragt hätte. Mit interessiertem Blick sah er auf die Noten vor sich. Sehr viel konnte er damit allerdings nicht anfangen. Er konnte ein bisschen Gitarre spielen, das war's dann aber auch schon.
"Das Stück erzählt bestimmt auch was. Was?" wollte er nun wissen. Da er keinen Klang dazu hatte, konnte er sich keine Geschichte oder Stimmung dazu vorstellen. Auf einmal lächelte Colin ruhig. Er schob den Hefter näher zu Kei und fuhr mit dem Zeigefinger neben ein paar Zeilen entlang. "Das hier ist ein Vogelflug über einen Fluss. Also das alles hier-" er blätterte ein bisschen herum - "Aber das hier ist die schönste Stelle. Der Vogel rast im Sturzflug -" er erzählte mit leiser, aber freudig erregter Stimme - "auf das Wasser zu, taucht ein," blätterte um, "und taucht hier wieder auf."
Kei schaute sich die Noten an. Stellte sich vor, was Colin ihm erzählte - bildlich und musikalisch. Lächelnd sagte er: "Das muss ein sehr schönes Stück sein." Er hatte Sommer im Kopf, wenn er sich das vorstellte, und Fröhlichkeit.
Colin nickte langsam mit strahlenden Augen und lächelte Kei seinerseits an. Dann begann er scheinbar, sich zu schämen, senkte den Blick und legte den Hefter hin. Er drehte sich wieder nach vorn. Kei fand diese Gemütsveränderung sehr schade, aber setzte sich seinerseits wieder halbwegs ordentlich hin. Als er den anderen gerade fragen wollte, was mit ihm los sei, kam der nächste Lehrer in den Raum und ermahnte die Klasse zur Ordnung.
Kei wandte seinen Blick aus dem Fenster.

Colin folgte brav dem Unterricht und sah zwischendurch kurz zu Kei. Als er mit seinen Aufgaben fertig war und Kei bloß aus dem Fenster sah, musterte er ihn in Ruhe. Kei hatte seine Aufgaben halbherzig bearbeitet und starrte förmlich in den Regen, der in der Zwischenzeit eingesetzt hatte. Er lächelte dabei leicht, seine Gedanken sonstwo.
Als der Lehrer zu Pauk- und Clubzeit aufrief, sah Colin auf und begann damit, seine Sachen einzupacken.
Kei packte seine Sachen ebenfalls in seine Tasche.
"Was machst du heut noch?" fragte er Colin beiläufig, als er seine Taschen schulterte und sich noch einmal kurz zum Regen umdrehte, der eher stärker zu werden schien.
Colin schien die Frage zu überraschen und er hielt kurz inne. "Pauken," sagte er und schnallte den Rucksack zu.
"Wenn dir das zu langweilig wird, sag Bescheid, ja?" Kei meinte das sogar ernst. Er selbst hatte nicht wirklich etwas vor. Aufräumen vielleicht.
Colin schmunzelte ein bisschen. "Ich hänge dann eine Laterne ins Fenster. Deinem Fernglas entgeht das bestimmt nicht."
"Bei dem Wetter versuchs lieber mit mit Morsen." Er grinste. "Du kannst mich natürlich auch einfach anrufen." Keis Lust nach draußen zu gehen, war gering. Er wollte nicht so nass werden, wie die fallende Wasserwand es ihm anzudrohen schien.
Colin wartete den ganzen Weg zum Schuhregal mit einem Schmunzeln darauf, dass Kei auffallen würde, dass er seine Telefonnummer gar nicht hatte.
Er wechselte seine Schuhe extralangsam.
Kei war der Umstand durchaus bewusst, dass Colin seine Nummer nicht besaß. Er war aber durchaus in der Lage diesen Zustand zu ändern. Er hätte sie ihm einfach auf den Arm schreiben können.
Ließ das aber. Stattdessen nahm er einen Stift und einen kleinen Zettel aus seiner Hosentasche, auf den er sich zuvor mal irgendeine Clubadresse geschrieben hatte. Auf die Rückseite schrieb er leserlich seine Handynummer. Hockte sich neben Colin und steckte ihm den Zettel in die Hosentasche.
"Damit du mich dann auch anrufen kannst," meinte er leicht lächelnd.
"Warum bist du auf einmal so nett?" fragte Colin, als er aufstand und die Schulschuhe ins Regal stellte.
Kei antwortete irgendwas davon, dass das guter Laune geschuldet sei, während er sich zum Gehen wandte.
Colin sah Kei nach. Er gab sich damit zufrieden.
Kei lief durch den Regen in Richtung seiner Wohnung, die gute acht Kilometer von der Schule entfernt lag.

Colin wartete unter dem Vordach des Haupteingangs, bis er zuverlässig mit dem großen schwarzen Auto abgeholt wurde.
Er rief nicht an.

Keis Handy lag den halben Tag auf seinem Bett herum, während er seine Wohnung in Ordnung brachte, Wäsche wusch und andere Dinge erledigte, bis man seine Räumlichkeiten wieder betreten konnte, ohne gleich wieder davonzulaufen.
Er rechnete damit, dass Colin nicht anrufen würde und so wunderte es ihn nicht. Er warf sich auf sein Bett und schaute an die Decke, an die mit Sprühdosen ein düsteres Bild gemalt war.

Colin hatte Keis Nummer in sein Handy übertragen (unter Keis vollem Namen, den er von der Klassenliste wusste) und den Nachmittag und Abend wie angekündigt verbracht: Mit Pauken, Geige üben, und dem üblichen wie Essen und Duschen. Am späten Abend lag er auf dem Bett herum und guckte auf sein Handy.
Er suchte Kei heraus.
Schrieb: 'Meine Nummer - Colin'
Wartete.
Schickte ab.
Er legte das Handy neben sich und zog sich die Bettdecke bis zum Kinn hoch.

Kei war dazu übergegangen, tatsächlich seine Hausaufgaben zu erledigen und legte gerade den Stift weg, als sein Handy einen Laut von sich gab. Er nahm es und öffnete die Nachricht. Lächelte. Speicherte die Nummer ab und packte seine Schulsachen weg.
Er zog sich eine Kapuzenjacke über und ging nach draußen. Richtung Bahnstation.
Dort fand er, was er suchte: Menschen. Gerade um Geld streitende betrunkene Menschen. Er ging an ihnen vorbei und lehnte sich an die Wand. Als einer von ihnen an ihm vorbeiging, griff er nach dessen Handgelenk und zog eimmal kräftig. Den Ellenbogen ließ er in seinen Kopf krachen. Es knackte.
Kei nahm sich was er wollte und verschwand. Den Toten warf er auf die Gleise, wo sich gerade ein Zug ankündigte. Den heranlaufenden Polizisten hängte er mit Leichtigkeit ab.



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