Colin hielt mit dem Tuch über Keis Oberschenkel inne und sah ihn an.
"Bist du immun gegen Infektionen?"
"Ich hatte nie eine. Aber immun - nein. Ich kann genauso an
einer unbehandelten Wunde sterben. Das dauert aber viel, viel länger.
Auch müsste es viel schlimmer sein als bei einem Menschen,"
erklärte er. "Ich bin nicht immun, aber weniger anfällig und
und robuster."
Colin schmunzelte. "Das ist ja fast niedlich, wie du versuchst,
dich davor zu drücken." Er begann, das trocknende Blut um die
Schusswunde herum abzuwischen, ohne die Wunde selbst zu berühren.
Kei sagte dazu nichts und ließ Colin machen. Behutsam und leicht
vornübergebeugt putzte Colin das ganze Blut um die Wunde herum ab,
auch die Striemen, die es beim Herunterlaufen hinterlassen hatte, und
faltete das Tuch danach um. Er rutsche etwas zur Seite, um sich Keis
Rücken zu widmen. Er legte eine Hand sachte auf seine Schulter und
putzte auch hier langsam das Blut ab. Die Menge war hier nicht der
Rede wert, aber er nahm sich trotzdem Zeit dafür. Kei bewegte sich
nicht um zu vermeiden Desinfektionsmittel in eine der Wunden zu
kriegen. Das musste wirklich nicht sein, auch wenn das immer noch
angenehmer war, als angeschossen zu werden. Als Colin endlich
beschloss, dass er fertig war, legte er das blutige Tuch auf den
Tisch und griff nach den Mullrollen. Kei betrachete seine saubere
Schusswunde.
"Hast du die Kugel noch?" fragte er Colin. Der nickte zu
dem Jeansfetzen auf dem Tisch, auf den er sie gelegt hatte, während
er wieder an Keis Seite zurückrutschte.
"Kommando," sagte er, "Hosen runter."
Kei musste Schmunzeln. Er kannte das Spiel aus der Grundschule. Er
zog seine Hosen bis unter die Knie.
"Reicht das so, Herr Feldwebel?"
"Sehr gut, Soldat." Er salutierte knapp und legte eine der
Rollen auf die Wunde, ehe er begann, die andere abzuwickeln.
"Festdrücken," befahl er. Kei drückte die Verbandsrolle
gegen die Wunde. "Hast du mal einen Erste-Hilfe-Kurs gemacht?"
"Klar." Er wickelte die selbstklebende Binde stramm um Keis
Oberschenkel und errötete leicht. Diese Situation machte ihn etwas
verlegen. "Ich wachse behütet auf, schon vergessen?"
Kei musste grinsen.
"Der Besuch vorhin ließ mich das beinahe übersehen."
"Ah ja. Nun, für Nachbarn
und das Geziefer, das du so anschleppst, kann meine Erziehung
nichts." Die letzten zwanzig Zentimeter der Binde strich Colin
sorgfältig glatt, damit sie gut festklebte, und nutzte damit diese
perfekte unschuldige Gelegenheit, den so gut wie nackten Kei an einer
so privaten Stelle anzufassen, noch einmal unauffällig aus, bevor er
sich aufrichtete.
Kei kommentierte das nur mit:
"Angeschleppt würde ich jetzt nicht sagen." Er betrachete
Colin ungeniert.
"Angelockt?" bot Colin an und beugte sich zur Seite, um
nach seinem Kimono zu fischen.
"Auch nicht. Ich würde sagen, dass das gar nicht meine Schuld
war." Kei zog sich seine Hosen wieder hoch.
"Von Schuld rede ich ja gar nicht. Nur davon, dass sie
deinetwegen hier waren." Colin zog sich den Kimono über und
schloss ihn, indem er den Obi ziemlich schnell und unbehutsam
darumwickelte. "... Unseretwegen," gab er zu.
"Meinetwegen war schon richtig. Der Typ ist nicht wegen dir
tot," stellte der Vampir fest und zog sich sein, noch immer
feuchtes, Shirt über.
"Ohne mich hättest du aber keinen Grund gehabt, ihn
umzubringen." Colin zuckte mit den Schultern. Dann blickte er
zur Seite. "Oder vielleicht einen anderen..."
"Vielleicht."
Colin krabbelte an den Tisch und schloss den Verbandskasten. Danach
machte er sich daran, die Teeutensilien wegzuräumen. Während er auf
Kei gewartet hatte, hatte er ein bisschen aufgeräumt, aber sie
standen noch immer auf dem Tisch herum.
"Und jetzt hast du seinetwegen bei deinen eigenen Leuten
verschissen?" Er verstaute den Kessel, die Schachtel und alles
andere wieder in der Holztruhe und klappte diese zu. Nur das benutzte
Schälchen und den kleinen Feuertopf stellte er zu dem Jeansfetzen
und dem Tuch auf den Tisch, wo auch noch die beiden Pistolen lagen.
"Nein. Ich denke nicht. Aber das muss ich morgen herausfinden,"
sagte Kei.
"Wo hast du sie hingebracht? ... Darf ich das wissen?"
Colin nahm die Patrone mit zwei Fingern und sah sie sich interessiert
an.
"Ich hab sie meinem Vorgesetzten gegeben. Zusammen mit dem
Wagen." Kei lächelte. "Willst du sie behalten? Immerhin
hast du sie aus meinem Bein gezogen."
Colin sah ihn an und lächelte sachte zurück. "Ja. Meine Münze
hast du mir ja abgenommen."
Kei lachte leicht. "Du wolltest sie ja nicht rausrücken."
"Aber ich habs getan. Obwohl sie MIR vor die Füße gefallen
ist. Das war Schicksal!" Er schmunzelte.
"Ungeschicktheit," setzte Kei dagegen.
Colin war amüsiert. "Du, ungeschickt? Das klingt für mich
äußerst schicksalhaft. Blödheit dagegen... das würde ich noch
eher glauben." Er duckte sich vorsichtshalber. Kei nahm das
Dekoschwert und ließ es direkt neben Colins Gesicht zu Boden gehen.
Sehr dicht neben seinem Gesicht. Vor dem Boden stoppte er. Er wollte
das Schwert schließlich nicht zerstören. Colin hatte die Augen
zusammengekniffen und öffnete sie vorsichtig wieder. Er hob den Kopf
langsam und sah Kei erschrocken an.
"Was hat es damit eigentlich auf sich?" versuchte er
abzulenken.
"Es ist eine Erinnerung an meine Mutter," erklärte Kei.
Colin sah ihn ernst und gespannt an.
"Das war ihr Blut?"
Scheiße, ich habe sie
einfach in den Mund gesteckt...
"Ja. Sie wurde... umgebracht. Das muss beinahe zwölf Jahre her
sein," sagte Kei gelassen. Colins Augen weiteten sich etwas. Er
wartete aufmerksam. Kei erzählte weiter. "Ich erfuhr später,
dass es mein Vater war, der sie getötet hat. Die Münze lag in der
Blutlache. Ich hab sie genommen und bin weggelaufen, bevor die
Polizei kam."
"Und dein Vater? Was ist mit dem passiert?"
"Keine Ahnung. Ich kannte ihn nicht und nach dem Tag hab ich ihn
nie mehr gesehen."
"Hier gibt es die Todesstrafe. Wenn er verurteilt wurde, lebt er
womöglich nicht mehr. Weißt du, warum ers gemacht hat?"
"Ich denke nicht, dass er verurteilt wurde. Die werden ihn nie
gekriegt haben. Nein. Ich hab's mit angesehen. Aber ich weiß nicht,
warum."
"Der Regen hat aufgehört."
Colin starrte Kei weiter an. Kei erwiderte seinen Blick, leicht
fragend. "Lass uns reingehen."
"Ja. Das ist ne gute Idee." Kei erhob sich, das Katana noch
in der Hand. Colin lud sich den Verbandskasten und den Abfall auf den
Arm und legte darauf zaghaft die beiden Pistolen. So stand er
vorsichtig auf und ging zur Tür, die er mit dem Ellenbogen aufschob.
Kei zog sich seine Schuhe an, ließ sie offen und trat nach draußen.
Die Luft war noch feucht und Wasser tropfte von Blättern und co.
Colin legte sich noch seine nassen Socken auf den Haufen und stieg in
die Sandalen. Dann trat er die Schiebetür zu und ging zum Haus. Vor
der Terrassentür zog er die Sandalen wieder aus. Er schlich barfuß
durch das Wohnzimmer, den Flur und die Treppe hinauf, wohl darauf
vertrauend, dass Kei die Tür selbst schließen und lautlos folgen
konnte. Kei folgte dem Kleineren und schloss Teehaustür und
Terrassentür hinter sich. Leise schlich er Colin hinterher.
Colin trug alles in sein Zimmer. Als er sich zu Kei umdrehte und das
Schwert sah, sagte er: "Werdet ihr euch je trennen können?"
Kei schaute ihn an und dann das Schwert.
"Ja." Er legte es auf Colins Schreibtisch und steckte bei
der Gelegenheit gleich sein Telefon wieder ein. "Aber einfach
ist das nicht."
Colin schmunzelte. "Du darfst dafür die hier haben." Er
hob ihm entgegen, was er in den Armen trug und meinte offensichtlich
die immer noch ungesicherten Knarren.
"Na gut." Er nahm die beiden Glocks und sicherte sie
erstmal. Dann steckte er sie in seine Schultasche. "Ein Katana
hätte wirklich Stil. Das hat Spaß gemacht da draußen."
Colin grinste.
"..." sagte er und legte die blutige Patrone neben seinen
Wecker. Er packte die Socken und den Müll dorthin, wohin sie jeweils
gehörten, und schlich dann in das Badezimmer, um den Verbandskasten
zurückzulegen.
Kei lehnte an der Fensterbank.
Ein Blick auf sein Handy verriet ihm, dass es schon fast vier Uhr
morgens war.
Oh...
kommentierte er die frühe Uhrzeit in Gedanken und steckte das kleine
Gerät wieder weg. Als Colin zurückkam, schloss er leise die Tür
und riss sich den Obi herunter. Grinsend ging Kei zu ihm hinüber und
ging ihm ein wenig zur Hand, indem er den Kleineren seines Kimonos
entledigte. Colin errötete etwas.
"Ich kann mich allein ausziehen."
Kei grinste. "Weiß ich. Aber so geht's schneller." Er zog
ihm den Kimono von den Armen. Colin sah ihn trocken an.
"Ach so, ja. Schneller ist in der Regel besser."
Kei schaute ihm in die Augen und wollte ihm gerade was erwidern, als
zum bestimmt x-ten Mal sein Telefon klingelte.
Diesmal ging er dran. Ließ den Anrufer eine Weile reden.
"Erklär mir mal, warum drei bewaffnete Pisser im Garten
standen. Was hatten die bitte mit Higa zu tun? .... Nein. ... Keine
Ahnung... Ja... Gut... Sie sind jetzt tot... Gut, mach ich..."
Er legte auf. Seufzte.
Colin hatte interessiert zugehört, während er gleichzeitig die
Geigen und den Kimono wegräumte und ein T-Shirt und eine klassische
Schlafanzughose unter seiner Bettdecke hervorzog. Er sah Kei an,
während er sich anzog, als das Gespräch beendet war.
"Ich weiß jetzt, wer unsere Gäste waren," sagte Kei und
steckte das Telefon weg.
"Toshi, Yoshi und Kobahashi," riet Colin unernst, während
er sich das Hemd herunterkrempelte und zum Schreibtisch ging.
"Gute Idee, aber nein. Ihre Namen weiß ich auch nicht. Sie
wollten wohl Rache üben. Das beweist, dass dein Nachbar meinen Boss
nach Strich und Faden verarscht hat."
Mehr verriet er Colin nicht. Der wusste eigentlich eh schon genug,
das er nicht wissen sollte. Colin setzte sich vor das Schwert und
nahm es auf den Schoß.
"Und was sollst du jetzt machen?"
"Morgen aufschlagen, aber das hatte ich eh vor," sagte Kei.
"Statt Schule?" Colin zog sein Haargummi ab, legte es auf
den Tisch und nahm ein Taschentuch aus der Schachtel neben der
Tastatur. Er wischte damit über das Schwert.
"Tatsächlich nicht. Ich fahr erst nach der Schule dort hin."
Die Feuchtigkeit ließ sich erfreulich leicht ohne Schlieren
wegputzen, und Colin setzte das Schwert mit der Spitze senkrecht auf
den Boden zwischen seinen Beinen. Nachdem er den Griff für makellos
genug befunden hatte, stützte er sich mit dem Unterarm darauf.
"Hast du vor, in deinen nassen Kleidern zu schlafen?"
Kei schaute ihn an.
"Nein." Er hatte nicht damit gerechnet, bei Colin zu
übernachten. Etwas umständich pellte er sich aus seinen nassen
Sachen und legte sie über die Heizung, damit sie trocknen konnten.
Colin sah ihm beim Ausziehen interessiert zu. Kei ließ sich davon
nicht ablenken. Da alle seine Kleidungsstücke nass geworden waren,
zog er auch alles aus, und warf sich einfach nackt in Colins Bett.
Musterte ihn von dort aus.
Colin wurde gewahr, dass er starrte und sich auf die Lippe gebissen
hatte, und stand schnell auf.
"Ich hänge das Schwert wieder auf." Er ging zügig zur Tür
und fuhr sich dabei mit der freien Hand durch die Haare, sodass der
Zopf auseinanderfiel und als schützender Vorhang vor seinem Gesicht
dienen konnte.
"Okay. Bis gleich," hatte Kei dazu zu sagen und
verfrachtete seinen Körper unter die Decke, machte es sich bequem
und wartete.
Colin fand im Wohnzimmer die Scheide und legte alles sorgfältig in
die Halterung zurück. Nach wenigen Minuten war er wieder in seinem
Zimmer angekommen, schloss leise die Tür und knipste das Licht aus.
Durch die Fenster beleuchteten noch weißes, fahles Straßenlaternen-
und Mondlicht den Raum. Colin kletterte aufs Bett. Kei hatte es sich
bequem gemacht, aber Colin noch genug Platz gelassen.
Es ist so ruhig hier... dachte er, als Colin sich zu ihm
gesellte.
"Gute Nacht."
Colin musste grinsen. "Gute Nacht," erwiderte er brav, als
er unter die Decke kroch. Es war darunter nicht so warm, wie er
erwartet hatte. Er drehte sich auf die Seite, Kei zugewandt, und sah
ihn an. Kei lag halb auf der Seite, halb auf dem Rücken und hatte
die Augen geschlossen. Er war schnell im Einschlafen. Während er
einschlief, rollte er ganz auf die Seite, Richtung Colin.
"Weißt du, dass deine Augen im Dunkeln leuchten?" fiel
Colin zum Schluss noch ein, als er auch einschlief.
Kei murmelte etwas, das mal ein "Ja, ich weiß." werden
wollte und war kurz darauf in Reich der Träume verschwunden.
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