Friday, September 25, 2015

Kei + Colin XIX: Ausgleich


*Kanji = Chin. Schriftzeichen, die in der japanischen Sprache verwendet werden
**Hiragana = Jap. Silbenschrift
***Nani = (jap.) Was


MITTWOCH
Am nächsten Morgen saß Colin kurz vor Unterrichtsbeginn auf seinem Platz, mit Knöpfen in den Ohren. Er trug wieder den schwarzen Rollkragenpullover und beobachtete die Tür.

Kei erreichte die Schule an diesem Morgen nicht. Sein Weg führte ihn durch die Stadt. Leicht bekleidet lief er durch stürmischen Regen. Colin verwirrte ihn. Er wusste nicht, was mit ihm los war. Begonnen hatte das Ganze für ihn als Spiel, aber spätestens seit dem Samstag, der sich als Colins Geburtstag entpuppt hatte, hatte sich das geändert.

Nervös ließ Colin den Unterricht über sich ergehen. Er tat alles, was getan werden musste und starrte davon abgesehen auf Keis Tisch und Stuhl und die Tür zum Klassenraum. In den Pausen widerstand er der Versuchung ihm zu schreiben oder ihn anzurufen.
Der Arsch sollte sich selbst melden. Er würde ihm nicht nachlaufen.
In der Mittagspause brachte Shingo ihn zum Reden. Er erzählte ihm nicht von Kei, sondern von seinem toten Geigenlehrer. Mitgefühl. Shingo fragte nicht weiter, obwohl nichts an dieser Geschichte die Wunden um seinen Hals erklärte.

Kei tauchte auch den Rest des Tages nicht auf und das Wetter wurde schlimmer. Klatschnass lief er durch die Straßen und kam mit den Gedanken immer wieder bei Colin an.
Irgendwann kam er in den Park, in dem er Samstag auf Colin getroffen war und setzte sich dorthin, wo der Junge an dem Abend gestanden hatte.

Als der Schultag vorbei war, machte sich Colin grimmig auf den Heimweg. Er wusste, dass Kei nichts passiert sein konnte. Der Wahnsinnige war ein verdammter Vampir mit übermenschlichen Kräften, der ohne mit der Wimper zu zucken Menschen umbrachte und scheinbar nie erwischt wurde. Also kam er mit Absicht nicht zur Schule. Und meldete sich mit Absicht nicht. Nachdem er ihn halb öffentlich erniedrigt hatte. Colin war ihm doch egal. Oder sowas ähnliches.
In der U-Bahn knurrte er innerlich. Er bemerkte vor Wut nicht einmal, dass aus dem Haus des Erpressers mehrere Männer mit Anzügen herauskamen und in zwei schwarze Autos stiegen. Er schloss sich in seinem Zimmer ein.

DONNERSTAG
Irgendwann kam Kei wieder nachhause, spät in der Nacht. Sehr spät. Frustiert und von seinem aufgewühlten Inneren genervt warf er sich auf sein Bett. Er hatte Stoff vertickt und einige Menschen getötet bevor er nachhause gekommen war.
'Du verwirrst mich' schreib er an Colin. Keine Erklärung oder sonst irgendwas dazu. Nur diesen einen Satz. Er lag wach auf seinem Bett.
Die Nachricht weckte Colin auf. Er starrte blöd darauf und antwortete reflexiv:
'Du nervst mich.'
Nach dem Abschicken schlief er beinahe wieder ein, als 'Gomen.' als Antwort zurückkam. Kei meinte damit in erster Linie das Aufwecken, wovon er dachte, dass er das getan hatte.
Colin grunzte, als noch eine Nachricht kam. Das Grübeln darüber, für was genau sich der Wahnsinnige entschuldigen wollte, kitzelte ihn wach und nervte ihn so sehr, dass er ohne groß darüber nachzudenken Kei anrief.
Kei wollte das erst ignorieren, ging im letzten Moment aber doch noch dran. Sagte nichts, außer "Sorry für's Wecken..."
"Wofür hast du dich entschuldigt?" brummte Colin schlafheiser.
"Fürs Aufwecken," sagte er. Halbwahr. Es galt auch für das Nichtauftauchen den ganzen Tag lang. Das jedoch blieb unausgesprochen.
"Ernsthaft?" Er klang genervt. "Du weckst mich, um dich dann dafür zu entschuldigen?"
"Ich wusste nicht, dass du schon geschlafen hast..." Kei war nicht gut im Entschuldigen. Schon gar nicht, wenn er sich irgendwo bewusst war, dass er sich nicht so hätte verhalten sollen, wie er es getan hatte.
"Es ist drei Uhr - oder sowas!" Colin sprach leise, aber mit einer Eindringlichkeit, die ihn so aufgebracht klingen ließ wie er war. Müde klang er nun nicht mehr. "Normal- äh - Menschen schlafen um diese Zeit..."
"Dir erzählen, dass ich nicht auf die Uhr sehe, bringt nichts, oder? Ehm, sorry für vorhin..." Er sagte nichts weiter und wartete auf eine Antwort, dem Drang widerstehend, das ihm nicht behagende Gespräch einfach zu beenden.
Als nichts weiter kam, fragte Colin flach: "... Was meinst du mit vorhin? Du hast dich den ganzen Tag nicht blicken lassen."
"Ehm, das, und gestern..." Er wusste, dass es nicht okay war, ihn bloßzustellen und dann den nächsten Tag gar nichts von sich hören zu lassen.
Colin nahm das Handy vom Ohr und sah es schockiert an. Wie zögerlich der Wahnsinnige klang. Fast kleinlaut.
Er fasste sich ein Herz.
"... Du nervst mich... nicht immer," gestand er zaghaft.
Kei wusste selbst nicht so recht, weshalb er das gerade tat. Behielt aber das Handy am Ohr.
"Du verwirrst mich... ständig..." entgegnete er. Froh, dass Colin nicht sehen konnte, dass er leicht lächelte. Jetzt wusste er wohl, wie sich ein Stockbetrunkener fühlte, der seinem Seelenleben Luft machte. Er hoffte jedenfalls, dass er morgen nicht daran einnert werden würde.
Colin legte sich unter Rascheln wieder hin und sah an die dunkle Zimmerdecke.
"... Das mit der Wichsvorlage stimmte."
Keis Kommentar dazu war "Du hast ja noch ein Bild von mir." Während er mit dem Handy am Ohr auf dem Bett lag, zog er sich aus und kroch ebenfalls unter seine Decke.
Colin grinste. "Ja." Wie wahr. Dass er das längst benutzte, durfte Kei sich selbst ausdenken. Er schloss die Augen und murmelte: "Ich wäre gern eine Gitarre."
"Du hättest ein hartes Leben." Der Vampir starrte an die Decke.
Nachdenkend.
Colin dachte nur an die Bandprobe. "Ich müsste mir nur aussuchen können, wer mich spielt."
Kei schmunzelte. "Dann müsste ich mich ja mit Aoi prügeln..."
Er drehte sich ein wenig und rollte sich zusammen.
"Warum?" Nun flüsterte Colin fast.
Kei hatte einen Teil seiner Fassung zurückerlangt, als er sagte: "Na, weil er ein verdammt guter Gitarrist ist und eine gute Gitarre nur in die Hände eines guten Gitarristen gehört." In Gedanken fügte er noch ein paar betrunkene Sätze hinzu und atmete ruhig aus.
Colin lächelte.
"Ich würde auch nur in talentierte Hände wollen. Aoi würde schon passen. Ihr dürftet euch aber abwechseln." Er schmunzelte. "Vielleicht wäre ich auch so eigenwillig, dass nur ein ganz bestimmter guter Gitarrist mich spielen kann."
Kei machte, sich Bilder in seinem Kopf ausmalend, in denen Colin nicht viel Kleidung trug, ein "HmmmHmmm"-Geräusch. Seine Gedanken drifteten wiederholt ab.
"Schläfst du etwa ein?" sagte Colin leise. Er selbst war jetzt nicht mehr dazu in der Lage.
"Ehm... nein, ich hab nur nachgedacht..." Inzwischen verfluchte er ein bisschen, so viel getrunken zu haben. Dass der Alkohol tatsächlich Auswirkungen auf ihn hatte, wunderte ihn. Immerhin passierte das sonst nicht. Kei hatte aber auch sonst nie so viel getrunken. Er hatte mindestens fünf Wodka- und Whiskeyflaschen allein geleert. Zudem der Blutrausch, dem er sich einfach hingegeben hatte, nachdem ihm der Alkohol ausgegangen war...
"Oha. Das muss wehgetan haben," gurrte Colin.
Kei lachte ein wenig. "Fresse, Zwerg." Du weißt ja nicht, woran ich denke... aber du findest das noch heraus... irgendwann...
Colin lächelte. "Was wars?"
Dieser neue Keisuke bot eine so dankbare Angriffsfläche.
"Montagnacht. Samstag..." Keis Ton war mehr als eindeutig und man konnte sein Grinsen förmlich hören. Colin fühlte Hitze in seinem Gesicht aufsteigen.
"..." Er räusperte sich. "Bist du zu irgendeinem Schluss gekommen?"
"Ja." Die Antwort kam ohne nachzudenken. "Das sollten wir wiederholen," fügte er umgehend hinzu.
Colin musste an den Brief von Mr. Tyler denken. Samstag. Und an den Erpresser von Sonntag, mit dem er Montag ins Hotel gegangen war. Sie hatten beide damit zu tun gehabt. Mit seiner Verfassung und seinem Verhalten an diesen Tagen. Seine ungesunde Art, damit umzugehen.
Schließlich fiel ihm auf, dass er stumm geblieben war.
"Ja," sagte er matt. Damit musste er Kei nicht auf die Nerven gehen. Er schien Colin trotz dessen Unerfahrenheit und Jähzorns irgendwie gut zu finden, und das musste Colin jetzt nicht kaputtmachen.
Kei grinste immer noch. "Eh..." Er machte eine Pause. "Los, geh schlafen. Ich muss den Rausch ausschlafen..." sagte er. Er wollte nicht noch mehr Zeug reden, das er nüchtern nie gesagt hätte.
"Rausch? Du bist betrunken?"
"Ein bisschen..." gestand er. Dass der Rausch sowohl blut- als auch alkoholbedingt war, ließ er weg.
Das geht? war das erste, das Colin einfiel. Dann: Was besäuft der sich und ruft mich dann an? Dass er selbst Kei angerufen hatte, hatte er praktischerweise vergessen.
"Gut... Also. Viel Erfolg dabei. Morgen schreiben wir eine Bioarbeit."
"Ehm... Danke. Schlaf gut und so..." verabschiedete Kei sich in sehr ungewohnter Weise und drückte den roten Knopf, der auf dem Display seines Telefons angezeigt wurde.
Danach schlief er ein. Versank in einen sehr, sehr tiefen Schlaf.
Colin hörte dem Tuten noch etwas zu, bis es von allein aufhörte. Dann zog er sich die Decke über den Kopf und versuchte, weiterzuschlafen.

Am nächsten Morgen wachte Kei nur auf, weil sein Wecker ihn terrorisierte. Er quälte sich aus dem Bett, unter die Dusche, in die Klamotten und schließlich zur Schule. Er rauchte auf dem Weg einige Zigaretten bevor er irgendwann an der Tür der Gebäudes ankam.
Colin war wie üblich sehr pünktlich da und stand neben Tomokos Tisch, wo sie sich noch blitzschnell Notizen für die Arbeit machte, die sie mit Colins Kommentaren aus Ayanes Heft abschrieb.
Kei kam etwas zu spät in den Unterricht, absichtlich von nichts Notiz nehmend und den Lehrer ignorierend. Er schaute Colin kurz direkt an und setzte sich dann, die Kapuze der dünnen, langen Sweatshirtjacke tief ins Gesicht gezogen, auf seinen PLatz. Colin traf Keis Blick mit seinem ernsten aber offenen, bevor er sich wieder seiner Arbeit widmete. Er war mit dem ersten Blatt halb fertig.
Auf Keis Tisch lagen auch die zwei Klausurblätter bereit. Kei begann mit der Arbeit sehr gemütlich. Tatsächlich aber konzentrierte er sich mehr als während des Unterrichts. Das fiel ihm allerdings etwas schwerer, da sein Körper die Unmengen an Alkohol des Vortags noch nicht ganz abgebaut hatte, auch wenn er nicht mehr betrunken war.
Colin war schnell fertig. Er gab seine Blätter dem Lehrer in die Hand, der gerade vorbeischlenderte, und stützte den Kopf auf die Hände, um an Kei vorbei aus dem Fenster zu sehen.
Das schlug ein wenig fehl, denn Kei war interessanter anzusehen als der graue Himmel draußen.
Kei schrieb relativ viel, brauchte sehr lange um fertig zu werden und drehte die Blätter irgendwann einfach um und legte den Kopf auf den Armen ab. Sein Blick ging in Richtung Colin, jedoch schaute er ihn nicht immer direkt an.
"Das Fenster is drei Zentimeter höher, falls du das suchst. Wenn nicht, kannst du mich auch weiter anschauen," sagte er leise.
Colin war ein wenig abwesend gewesen und lächelte nun sachte. Er rieb sich die Augen und sah auf die Uhr. Noch etwas über fünf Minuten. Er legte sich auch auf seine Arme und sah weiter in Keis Richtung - und hauptsächlich ihn an. Kei schaute ebenfalls einfach weiter in Colins Richtung und hing seinen Gedanken nach - und der Frage, wann dieser Zustand wieder verschwinden würde. Dass er jemals zu müde für einen aggressiven oder schlagfertigen Ton sein würde, hätte er nicht für möglich gehalten. Am Ende der Stunde gab es nochmal allgemeines Rascheln und Seufzen, das Colin ignorierte. Er sah erst auf, als der Lehrer den Raum verließ, und stand selbst auf. Er baute sich neben Keis Tisch auf.
Kei blieb noch eine Weile so halb liegen, er war dazu übergegangen seine Umwelt ein wenig mehr auszublenden und seinen Gedanken nachzuhängen - dass diese sich zum Großteil um Colin drehten wollte er abstellen, es gelang ihm jedoch nicht.
Als Kei weiter nur herumlag und ihn nicht zur Kenntnis zu nehmen schien, räusperte Colin sich.
"Hm?" er schaute zu Colin nach oben und sah ihm direkt in die Augen, fragend. Colin holte sichtlich Luft um sich zusammenzunehmen, legte dann eine Hand auf Keis Tisch, die andere auf seine Stuhllehne, ein Knie auf seinen Stuhl und beugte sich hinunter um ihn zu küssen.
Kei dachte im allerersten Moment, dass Colin ihm eine knallen wollte oder sonst irgendwas, wegen des Telefonats vom Vorabend, dass er zu verdrängen versuchte, aber der Gedanke verschwand sehr schnell wieder. An seine Stelle traten ein paar Hormone zu viel für Keis Geschmack, denn die betrugen ihn immer dann, wenn es um Colin ging. Sein Spielchen war keins mehr und das ging ihm gehörig auf den Sack...
Er erwiderte den Kuss und verfluchte Colins Existenz gleichermaßen.
Als jemand kicherte, öffnete Colin die Augen und richtete sich langsam wieder auf. Er sah Kei ernst in die Augen.
"Jetzt sind wir quitt."
Er drehte sich zu seinem Tisch um.
"Pass auf, dass du dafür nicht irgendwann noch draufgehst, Süßer," sagte Kei als er aufstand um ein bisschen Nikotin in seinen Körper zu pumpen. Colin wich ihm aus und hielt sich weiter von ihm abgewandt, als er ein bisschen schmunzelte. Eine Todesdrohung und ein "Süßer", wieder mal im selben Satz. Er setzte sich und bedachte Tomoko, die sich mit einem ungläubigen Grinsen zu ihm umgedreht hatte, mit einer amüsiert hochgezogenen Augenbraue. Kei ging nach draußen und zückte seine Kippenschachtel aus der Hosentasche.
Unter dem Vordach der Schule rauchte er gemütlich ohne jede Eile.
Derweil begegnete Colin diversen Kommentaren und Fragen der Klassenkameraden mit flapsigen Bemerkungen oder ignorierte sie. Shingo sah ihn nur ernst und besorgt an.
Zu Beginn der nächsten Stunde schlenderte Kei zurück in den Klassenraum und setzte sich auf seinen Platz. Den Blick erst zu Colin, dann aus dem Fenster gerichtet. Colin lächelte ihn gutgelaunt an. Kei ging darauf nicht ein und schaute teilnahmslos in Colins Richtung. Dann wieder aus dem Fenster.
Er fragte sich, was Colin genommen hatte... der war sonst nicht so... Er selbst allerdings auch nicht...
Colin wunderte sich ein wenig darüber, dass Kei kaum reagierte, aber das dämpfte seine Laune kein bisschen. Er hoffte, dass er mit seinem Auftritt Kei die Demütigung im Proberaum heimgezahlt hatte. Als die Englischlehrerin hereinkam und alle ihre Plätze wiederfanden, sah er nur noch nach vorn. Kei beschäftigte sich mit geistiger Abwesenheit und einem gelegentlichen Seitenblick auf Colin.
Im Unterricht versagte er allerdings kläglich, da seine Englischkenntnisse nicht besonders gut waren. Er wurde dazu aufgefordert, etwas vorzulesen. Dabei versagte er grandios. Kein Wunder, dass er Colin, wenn der Englisch sprach, nicht verstand.
Den Lehrer verfluchen, das konnte er. Aber lesen? Die Worte warem ihm so fremd wie die meisten Kanji* in der ersten Klasse...
Die Lehrerin seufzte und unterbrach ihn.
"Sakai. Bitte." Sie schloss die Augen. "Warst du nicht im Sommerkurs, wie ich es dir empfohlen habe?" Sie sah ihn ernst an.
Kei sah sie an, ausdruckslos. "Ich hatte was besseres zu tun," erklärte er.
Sie sah ein wenig besorgt aus. "Wenn du nächsten Sommer auch etwas besseres zu tun hast, wirst du keine Aufnahmeprüfung schaffen." Ihr Blick fiel auf Colin, bevor sie wieder in ihr Buch sah und jemand anderen aufrief.
"Wer sagt, das ich unbedingt auf die Uni will? Mir wäre das neu," meinte er dazu noch und schaute wieder aus dem Fenster.
Als Englisch vorbei war, begann die Mittagspause. Kei machte, dass er aus der Klasse kam und setzte sich abseits des restlichen Geschehens in die Nähe des Baseballplatzes. Seine Lehrer umzubringen wäre leider zu auffällig, also ließ er das bleiben und verfluchte sie nur weiterhin. Mit Zigarette im Mund sah er in den Himmel. Viel schlimmer konnte der Tag jetzt nicht mehr werden. Nicht, dass etwas großartig schlimmes passiert war, aber vor der Klasse bloßgestellt zu werden fand er nicht lustig. Die Schnepfe wusste doch, dass er kein Englisch konnte.
Colin ging erst mit Shingo mit und entschuldigte sich dann, um nach draußen zu gehen. Er fand Keisuke tatsächlich bei seinem Baum am Baseballplatz und ging gemächlich zu ihm, allerdings näherte er sich eher von der Seite und außerhalb von Keis direktem Sichtfeld.
Kei vernahm Schritte in seine Richtung, scherte sich aber nicht darum, nachzusehen, wer ihm da gleich auf den Sack gehen würde. Viele Möglichkeiten gab es da immerhin nicht. Die Verdächtigenliste war also überschaubar.
Colin hielt ein paar Schritte neben ihm an. Er hatte die Hände in den Hosentaschen.
Als ihm ihm nichts anderes einfiel, ging er noch einen Schritt auf Kei zu und setzte sich neben ihn.
"Warum bist du so mies drauf? Das ist mein Job," versuchte er.
"Gestern bekam mir nicht," versuchte er sich einer neutralen Erklärung und starrte weiter in die Luft vor sich.
Meint er den Alkohol oder unser Gespräch?
Colin war unsicher, was er sagen und fragen durfte und rupfte ein paar Grashalme aus.
"Gestern -" begann er, aber entschloss sich, besser doch nichts zu sagen und stattdessen einen Grashalm zu verknoten.
"Hab ich ein bisschen viel getrunken..." beendete er Colins Satz. Was er sonst noch angestellt hatte, erwähnte er nicht.
Colin musterte ihn. Da fiel ihm etwas ein.
"Du erinnerst dich doch noch an alles, oder?"
Wenn nicht, hatte er noch zwei SMS, die er als Beweise vorlegen konnte, dachte er bei sich.
"Ja..." gab Kei zu, auch wenn er nicht gern daran dachte, was er von sich gegeben hatte. Es war nicht falsch gewesen, aber er hätte nichts davon jemals ausgesprochen, wenn er nüchtern gewesen wäre. Colin sah ihn mit einem Stirnrunzeln an.
"Was?" Wartete er auf etwas? "Nur, weil ich betrunken war, vergesse ich nicht, wer mich mitten in der Nacht anruft," signalisierte er, dass er das Gespräch nicht vergessen hatte. Colin sah zurück auf seinen Grashalm. Er fühlte sich ertappt. Er wusste nur nicht, wobei. Alles, was ihm zu dem Thema einfiel, erschien ihm unangemessen, aber gehen wollte er auch nicht.
"I can teach you English," sagte er zu dem Grashalm.
Kei wusste nicht ganz, ob er wirklich mit dem Grashalm sprach, es sah sehr danach aus, oder ob Colin mit ihm gesprochen hatte. "Der Grashalm wird das nicht lernen müssen..." erwiderte der Vampir, der Colin gerade so eben und nur verstanden hatte, weil er nicht allzuschnell gesprochen hatte.
"Aber du." Colin sah auf. "Was sagst du? Es ist umsonst," fügte er mit schmunzelndem Augenbrauenwackeln hinzu.
Kei hasste es, wenn irgendwer Recht hatte und es seine Person betraf. "Gut möglich," gab er zu, was mehr als offensichtlich war. "Einen Versuch ist es wert," sagte er schließlich.
Colin versuchte, nicht zu breit zu lächeln. Kei war so ein Macho.
"Lass uns gleich anfangen. Vokabeln und Aussprache." Er rutschte näher heran und drehte sich im Schneidersitz zu Kei.
Kei ließ den Kopf nach hinten fallen. "Hab ich mich nicht gerade schon genug blamiert?"
Colin grinste. "Nein. Come on." Er tippte auf seine Nase. "Was ist das?"
"Deine Nase," stellte er fest, als ihm auch das englische Wort wieder einfiel. "Your nose," ergänzte er mit schmerzhaftem japanischem Akzent, als hätte er jedes ihm bekannte englische Wort in Hiragana** geschrieben.
"Your nose," korrigierte Colin. "Well, it's mine, actually, but... your nose."
Kei verstand nur die Hälfte, versuchte es aber nochmal - mit mehr Erfolg und vor allem verständlicher.
Colin nickte und zeigte auf sein linkes Auge.
"Your r/left ai." Kei kannte viele Vokabeln, nur aussprechen konnte er sie kaum, was ihn sehr schnell demotivierte dem Unterricht zu folgen, weshalb sein Englisch in den letzen Jahren von schlecht zu grausig mutiert war.
"Left eye," sagte Colin ruhig. "You may call it gorgeous."
Kei wiederholte auch das und fügte nur ein "Nani?"*** hinzu, da er den zweiten Satz nicht verstanden hatte.
Er wiederholte den Satz langsamer.
"Weißt du, was gorgeous heißt?"
Kei versuchte sich an einer Wiederholung und verneinte die ihm gestellte Frage mit einem leichten Kopfschütteln. Zwischenzeitlich blieb er immer mal wieder mit dem Blick an Colins Augen hängen.
Colin musste grinsen und sah kurz nach unten, bis er sich wieder im Griff hatte. "Gorgeous heißt wunderschön." Zur Ablenkung tippte er schnell auf seine Lippen. "Mouth."
Kei musste leicht grinsen. "It is. Yeah," kommentierte er das, etwas i-lastig, aber verständllich, bevor er dem Kleineren wieder unaussprechliches nachplapperte, was er teilweise noch unaussprechlicher machte.
Colin beugte sich vor und wiederholte leise: "Mouth. Ich weiß, es ist ein komischer Laut. Aber du schaffst es. Ich glaube an dich!" Er grinste dreist.
Kei versuchte sich daran, scheiterte aber kläglich. Zudem war das Grinsen des Kleineren nicht gerade förderlich für seine ohnehin nicht große Konzentration. Er nutze Colins Nähe einfach mal aus und kam dem Befehl seines fehlfunkionierenden Gehirns nach, ihn zu küssen.
Colin erwiderte den Kuss und bekam eine Gänsehaut. "Du hast das Wort immerhin verstanden," sagte er leise. "Wenn du es richtig aussprechen willst, dann... benutz deine Zunge."
Jetzt war es Kei der grinste und Colin ein Stück zu sich zog um ihn in einen Zungenkuss zu verwickeln.
Dass er eigentlich lernen sollte, vergaß er einfach mal kurzzeitig.
Colin schauderte wohlig. In seinem Schritt zog es etwas. "... Die Zähne auch..." flüsterte er. "... teeth..."
Kei hatte so seine Probleme damit, das "th" vernünftig auszusprechen, zumal er gerade anderweitig beschäftigt war. Die Benutzung seiner Zähne umzusetzen fiel ihm aber weit weniger schwer. Colin musste sich irgendwo aufstützen, um nicht auf Keisuke zu fallen und suchte sich dafür dessen Oberschenkel aus. Er gab Kei wieder, was er von ihm bekam und fühlte sich so schwindlig wie nach einigen Gläsern gestohlenem Wein. Dazu jubelte er innerlich darüber, dass er keine peinlichen Geräusche von sich gab.
Wenn Englisch lernen so endete konnte Kei sich durchaus vorstellen das öfter zu machen. Er zog ein bisschen an der Jacke des Kleineren und sorgte so dafür, dass er tatsächlich halb auf ihm landete - auch wenn Colin das ja zu verhindern wollen schien. Die freie Hand vergrub er in Colins Haaren und hielt ihn dort, wo er war. Da er nun sowieso so gut wie auf ihm lag, nahm Colin seine Hände von Keis Bein herunter. Die eine war etwas zu dicht an eine Stelle gerutscht, an die Colin nicht in der Schule denken wollte. Er küsste einfach weiter, obwohl Keis Zunge - und obwohl sie so dicht - und er konnte nichts mehr zuende denken außer an Montagnacht, und das machte sich nach und nach in seiner Hose bemerkbar.
Irgendwann schickte sich die Schulglocke an, ihr Tagewerk zu vollbringen und die Pause zu beenden, was Kei gekonnt überhörte. Immerhin war er beschäftigt.
Colin zog den Kopf zurück, mit etwas benebeltem Blick, und versuchte, sich aufzurichten indem er sich auf Keis Oberkörper stützte. Für ihn war selbstverständlich, dass sie nun wieder in die Schule zurückmussten. Kei schaute ihn an. "Ich hatte für einen Moment vergessen, dass anständige Schüler wieder in den Unterricht müssen, wenn's klingelt."
Colin blinzelte. "Man kann sich ja nicht alles merken." Er machte sich daran, aufzustehen. "Du wirst auch noch zu einem anst-" Er sah Kei an. "Oder nein, doch nicht."
Kei hielt ihn fest. "Zwei Stunden wirst du wohl verschmerzen können." Er war so dreist, einfach mal davon auszugehen. Er lachte leicht. Anständig? ... Wird überbewertet.
"Können, ja, aber will ich das?" Er drückte auf Keis Arme, um sie herunterzuschieben.
Kei hielt ihn unbeeindruckt weiter fest. "Ja. Willst du." Grinsend schielte er auf Colins Hose.
Colin schob noch etwas nachdrücklicher und runzelte ungeduldig die Stirn. "Lass los," sagte er im Befehlston.
Noch immer grinsend hielt Kei ihn weiterhin fest. "Was, wenn nicht?"
Colin rollte mit den Augen. "Das schon wieder. Dann werde ich echt mies gelaunt sein."
"Ich kann dich aufmuntern." Sein Grinsen wechselte zu mehr als zweideutig.
Colin markierte ein überfröhliches Gesicht. "Oh, ich weiß wie! Indem du mich loslässt!"
"Du bist nicht überzeugend genug." Kei wusste, dass wenn er Colin jetzt loslassen würde, der Kleinere es trotzdem nicht bis in den Klassenraum schaffen würde, aber diese 'Diskussion' machte ihm zu viel Spaß, als dass er das jetzt aufhören würde. Von seinen Hintergedanken mal ganz abgesehen...
"Was würde dich überzeugen, eine Ohrfeige?" sagte Colin trocken.
Er wollte wirklich keinen Unterricht verpassen.
"Nein." Kei war zwar ein Egoist, aber ehrlich. Eine Ohrfeige würde ihn nicht umstimmen. Er würde sich auch nicht ohrfeigen lassen.
Trotzdem stand er auf und gewährte so auch Colin das Aufstehen.
"Danke," sagte Colin patzig und marschierte sofort los.
Kei ging in einigem Abstand hinterher. Er hatte es nicht so eilig und war beinahe erstaunt darüber, dass Colin tatsächlich miese Laune hatte.
Colins Stimmung beruhigte sich sofort und er beeilte sich so gut er konnte, ohne zu laufen.
Kei beschloss zum wiederholten Male an diesem Tag, sich da nicht weiter drum zu kümmern und fiel einige Zeit nach Colin in der Klasse auf seinen Platz, den Blick starr zum Fenster raus.



No comments:

Post a Comment