Saturday, September 19, 2015

Kei + Colin X: Hast du'n Problem?

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DIENSTAG
(I THINK I'VE GOT A PROBLEM)
In den Nachrichten des Morgens kam irgendwas von einer Verfolgungsjagd am Bahnhof und einem sehr sportlichen jungen Täter, der den Polizisten mit akrobatischen Einlagen durch die Lappen gegangen war.
Kei kam erst gegen Ende der ersten Stunde in der Schule an. Das geschlossene Schultor hatte er mit ein wenig Klettern sehr einfach überwunden. Der Grund für seine Verspätung waren ein paar Junkies gewesen, die nicht hatten verstehen wollen, dass Kei keine Drogen besaß und ihm auf die Nerven gegangen waren. Kei hatte sie nicht getötet, aber krankenhausreif geschlagen. Man sah die Spuren der ziemlich unausgeglichenen Prügelei auf Keis dunkler Hose und dem Tanktop, dass er unter seiner Jacke trug.
Colin lächelte ihn zur Begrüßung warm an. Er trug wieder das Halstuch wie einen Verband um den Hals. Kei erwiderte Colins Gruß und setzte sich an seinen Tisch.
Colin nahm den Zustand von Keis Kleidung mit genausoviel Schrecken wahr wie die anderen, die ihn bei seiner Ankunft gemustert hatten, aber er rutschte wenige Minuten später, als die Stunde vorbei war, mit seinem Stuhl zu Kei und fragte besorgt: "Was ist passiert?"
"Junkies," erwiderte Kei. "Haben mich aufgehalten. Das können sie jetzt nicht mehr," erklärte er und wischte mit einem Tuch ein paar Spuren von seiner Hose.
"Eh..." Colin sah dabei zu und sprach leiser weiter. "Aufgehalten... bei was?"
"Ich war durch einen Park gelaufen, weil ich heute den Bahnhof besser meide und die dachten wohl, ich könnte ihnen Stoff besorgen. Es stellte sich heraus, dass ich dazu nicht in der Lage war und dann gingen sie auf mich los. Zu fünft. Ich hab mich nur gewehrt." Den letzen Satz sprach er halbwegs unschuldig aus. "Ehm, sie lebten noch, als ich weiterging," fügte er an und ihre Klassenkameraden, die Teile des Gesprächs aufgeschnappt hatten, wurden kreidebleich. Colins Blick verfinsterte sich ein klein wenig und seine Stimme senkte sich noch etwas.
"Warum meidest du den Bahnhof heute besser?"
"Ich musste einem Polizisten davonlaufen und die sind da bestimmt verstärkt auf Streife," erklärte er und kratze sich am Kopf. Die Polizisten waren nicht seinetwegen dagewesen, hatten ihn aber in der vorigen Nacht am Gleis gesehen, nachdem er den Typen dort hineingeworfen hatte.
"Einem Polizisten davonlaufen," wiederholte Colin mit pechschwarzem Blick.
"Ich hab fast nichts getan. Ich war bloß zur falschen Zeit am Gleis." Kei fand Colins finsteren Blick nicht gerade cool, aber was gingen Colin seine Probleme an?! Er sagte nichts dazu.
Colin rückte wieder an seinen Platz zurück und richtete den Blick nach vorn. Der Unterricht fing wieder an.
Er sah Kei zwischendurch aus dem Augenwinkel an und blickte die ganze Zeit sehr ernst und angespannt drein.
Kei sah aus dem Fenster und verstand Colins Probleme nicht. Er beschloss, nicht weiter daran zu denken und folgte ein wenig dem Unterricht. Er hoffte, nun nicht die ganze Gang der Idioten aus dem Park gegen sich zu haben. Er hatte die Typen einfach liegen lassen, er wusste also nicht, was nun aus ihnen wurde. Schließlich zog er seine Jacke aus und hängte sie über den Stuhl.

Kurz vor der Mittagspause legte Colin Kei einen kleinen zusammengefalteten Zettel auf den Tisch: 'Fahrradschuppen' stand in Colins sauberer Handschrift darauf.
Kei nahm den Zettel und las ihn zum Klingeln. Was war denn jetzt los? Er zündete sich auf dem Weg eine Kippe an und ging zum von Colin genannten Ort.

Wenig später als er kam auch Colin beim Schuppen an und ging an Kei vorbei zur Rückseite, die man vom Hauptgebäude aus nicht sehen konnte und die auch noch durch eine hohe, dichte Hecke und einen hohen Drahtzaun vom Fußballplatz abgeschirmt war.
Kei folgte ihm und lehnte sich an die Rückwand. Er schaute Colin fragend an. "Was willst du'n hier?" ließ er seinen Gedanken heraus. Die anderen behielt er lieber für sich.
Colin holte Luft, trat an Kei heran und nahm ihm die Zigarette aus dem Mund. Kei schaute ihn an. "Kann ich die wiederhaben?" fragte er und musterte Colin. Er legte einen Arm um die Hüfte des Kleineren, wenn dieser schon so dicht bei ihm stand.
Colin sah auf Keis Arm und verdammte dessen schnelles Reaktionsvermögen. Bevor er rot werden konnte, küsste er ihn. Kei zog ihn noch ein wenig dichter an sich und erwiderte den Kuss. Er war so dreist, Colin ein Stück hochzuheben um den Größenunterschied ein bisschen zu verringern.
Colin ließ sich das gefallen, weil er zu sehr damit beschäftigt war, mit geschlossenen Augen an Keis Lippen zu nagen. Die Zigarette hatte er dabei noch in der Hand. Diese stubste Kei nun mit seiner freien Hand an, um sie ihm wegzunehmen und fallen zu lassen. Er legte auch den zweiten Arm um Colin und hielt ihn fest. Schwer war der Junge nicht. Grinsend fing er an, seinerseits an Colins Lippen herumzuknabbern. Diesmal allerdings, ohne blutige Spuren zu hinterlassen. Colin legte die Arme um Keis Nacken. Mit einer Hand in seinen Haaren am Hinterkopf machte er weiter. Er ließ seine Zungenspitze langsam über Keis Lippe fahren und biss dann etwas fester zu.
Nach etwas über zwei Minuten oder so - wer stoppt schon die Zeit - ließ Colin die Arme sinken und brach den Kuss ab. Mit einem offensichtlich erregten Gesichtsausdruck stieß er sich etwas ab und machte einen Schritt rückwärts.
Kei grinste ein wenig. Er musterte ihn fragend. Locker festhalten tat er ihn aber immer noch und hatte auch nicht vor, das zu ändern.
Colin zog die geschenkte Zigarettenschachtel aus seiner Jacketttasche und nahm eine Zigarette und ein Feuerzeug heraus. Er steckte sie sich in den Mund.
Kei klaute sich Colins Zigarette und das Feuerzeug. Zündete sie an und zog einmal daran, bevor er sie ihm zurückreichte.
"Die war sowieso für dich," sagte Colin und versuchte, sich Keis Arme abzunehmen.
Kei nahm einen Arm von Colin, damit er ihn zum Rauchen frei hatte. "Willst du schon wieder abhauen?" fragte der Vampir und betrachtete den Jüngeren, der ihn höchstselbst zu diesem ziemlich einsamen Ort bestellt hatte. Mit einem leichten Schmunzeln auf den Lippen.
"Ja. Einige von uns müssen normale Nahrung zu sich nehmen." Er machte sich daran, wegzutreten.
"Schade," kommentierte Kei und zog Colin noch einmal an sich und küsste ihn. Wenn er schon losmusste, konnte man ihn ja ordentlich verabschieden. Danach ließ er ihn tatsächlich los.
Colin wirkte ein wenig konfus, als er gehengelassen wurde und verschwand um die Ecke des Schuppens.
Kei ging ihm nach. Was sollte er auch alleine dort bleiben? Colin verhielt sich merkwürdig an diesem Tag. Erst schaute er den ganzen Unterricht lang total ernst drein, dann bestellte er ihn in irgendeine Ecke und wollte nicht mal irgendwas extrem wichtiges. Kei verstand das nicht. Mal ganz von dem Interesse an dem Zustand seiner Kleidung abgesehen.
Der Vampir sprang auf das Schuldach und legte sich dort an ein schattiges Plätzchen. Nachdenkend.

Anstatt sich zu seinen üblichen Mittagskumpanen auf die Wiese zu gesellen, kletterte Colin auf das Dach. Er nahm nicht einmal sein Essen mit. Kei hatte, was die Tür zum Dach anging, Recht behalten. Sie war unverschlossen und konnte von beiden Seiten geöffnet werden. Davon schienen nicht viele zu wissen. Es schien ihm der perfekte einsame Ort ohne neugierige, sensible Ohren und Augen zu sein, um sein kleines persönliches Anliegen zu verrichten.
Auch wenn er niemanden in der Nähe erwartete, schloss er die Tür vorsichtig, um nicht zuviel Lärm damit zu machen. Er ging um das Treppenhauskabuff herum und fand eine Stelle, an der die Brüstung des Daches höher war und ein Abluftrohr einen schön dunklen Schlagschatten bot. Seine Sohlen raschelten auf den Teerlappen, die scheinbar willkürlich das Dach bedeckten, als er dort hinging. Er setzte sich und lehnte sich an die niedrige Mauer.
Kei lag irgendwo im Schatten des Treppenhauskabuffs und schlief beinahe. Bekam mit, dass jemand sich auf das Dach bequemte, dachte sich aber nichts dabei. Solange die Person ihn nicht störte, war sie ihm egal. Mit dem Kopf lag er auf seiner Jacke.
Colin legte den Kopf auf der Brüstung zurück, wo es wieder sonnig war, und schloss die Augen gegen das Licht. Nach weniger als einer Minute öffnete er seine Hose... und fing an.
Zuerst noch ganz ohne Geräusche, die über das Rascheln von Haut und Kleidung hinausgingen, dann allmählich atmete er schneller und stieß ein paar leise Seufzer aus.
Der halbschlafende Kei drehte sich ob der Geräusche um und lauschte. Das Geräusch kam ihn sehr bekannt vor. War das nicht Colin? Er grinste. Überlegend ob er sich bemerkbar machen oder ihm weiter zuhören sollte. Am liebsten würde er ihm ja zur Hand gehen. Er rechnete jedoch damit, dass Colin wieder abhauen würde. Während sein Kopfkino ein bisschen versauter wurde lag er da herum und lauschte dem Kleineren.
Er gab ein paar kleine, winselnde Laute von sich, die er nun nicht zu unterdrücken versuchte wie bei dem Konzert vor drei Tagen. Währenddessen schnappte er nach Luft, und kurz darauf hörten das Rascheln und Kratzen auf dem Teerdach auf und er flüsterte: "Fuck."
Kei sah aus als würde er schlafen. Tat er aber nur fast. Seine Gedanken waren bei dem Kleinen, den er dreist belauscht hatte. Er grinste ein bisschen darüber, dass Colin aufs Dach verschwand um sich zu erleichtern, anstatt wie angekündigt etwas essen zu gehen.
Es raschelte nun wieder, als Colin ein Taschentuch hervorholte um sich abzuwischen und sich daraufhin wieder einzupacken. Als er fertig war, legte er den Kopf wieder zurück, mit ausgebreiteten Armen neben sich, und ließ seinen Atem sich beruhigen.
Kei lag grinsend auf seiner Jacke und drehte sich um. Zündete sich eine Zigarette an und rauchte, auf dem Rücken liegend. Er lauschte noch ein bisschen Colins ruhiger werdendem Atem.
Colin streckte sich irgendwann und atmete auf. Murmelte dabei "Bastard."
Kei hörte das und grinste sich einen ab. "Redest du mit mir?" rief er. Wenn Colin auf die Idee kommen sollte, ihm Vorwürfe zu machen, konnte er was erleben. Immerhin war Kei zuerst auf dem Dach gewesen.
Colin zuckte zusammen und wollte aufspringen, schlug vorher aber noch gepflegt mit dem Hinterkopf auf der Mauer auf.
"Ah, fucking bitch," fluchte er vor Schmerz, während er aufstand und sich umsah. "Zeig dich, du Hurensohn!" brach es aus ihm heraus. Er hatte eine Hand zur Faust geballt (mit der anderen hielt er sich den Hinterkopf) und starrte wütend in die Gegend.
Kei musste fast lachen, stand auf und schlenderte um den Eingang zum Treppenhaus herum und in Colins Richtung. "Tu dir nicht weh, beim wütend werden." Mit einem leichten Lächeln auf dem Gesicht erschien Kei in seinem Sichtfeld. "Beruhig dich, ich bin's nur."
Colin knurrte fast.
Und wurde rot.
"... Immer dieses Grinsen!" Er ging kurz unschlüssig hin und her, wie ein eingesperrtes Tier
Colin machte es Kei sehr schwer nicht laut loszulachen.
"Zu meiner Verteidigung: Ich war als erster hier," sagte er und blieb gut zwei Meter vor Colin stehen.
Colin stöhnte genervt auf und machte sich daran, sich an dem hervorstehenden Abluftschacht und damit an Kei vorbeizuschieben.
"Ist mir doch scheißegal," brummte er in einem Ton, der das Gegenteil andeutete.
Kei ließ es bleiben noch irgendwas dazu zu sagen und setzte sich auf den Boden.
Er schaute Colin mit einem 'Ist es nicht und ich weiß das auch'- Blick an.
Colin sah und verstand diesen Blick, und erwiderte mit seinem patentierten Wutstarren, bevor er zügig zur Tür zurückging.
Kei grinste in sich hinein und lehnte sich ans Geländer. Ihm jetzt hinterherzurennen wäre eventuell keine gute Idee. Oder eine sehr gute. Aber der Tag hatte ja noch ein paar Stunden. Nur verstand Kei ihn wirklich nicht. Erst lässt er sich von ihm heißmachen, dann haut er ab. Ausgerechnet dahin, wo Kei herumsitzt und verschwindet, als er Antwort auf sein vermeintliches Selbstgespräch bekommt. Der Vampir verstand das einfach nicht - aber er fand es amüsant.

Im Klassenraum achtete Colin ausschließlich auf den Lehrer, den Unterricht und die Gegenstände auf seinem Tisch. Das hatte er sich für den Rest des Tages vorgenommen.
Kei schlenderte gemütlich in den Klassenraum. Warf seine Tasche auf den Tisch und setzte sich.
Nahm seinen Block raus und kritzelte darauf herum.
Colin wich Keis Blicken aus, wenn er konnte, und schaffte das mit dem Ignorieren diesmal bis zum Ende des Schultages.

Als die Schule endete ging Kei mit dem Gedanken daran, dass er Colin echt nicht versteht, an ihm vorbei. Verabschiedete ihn trotzdem. Wortlos allerdings.

Am frühen Abend rief Colin Kei an.
Kei ließ sein Handy lange klingeln, weil es das ziemlich selten tat, ehe er dranging. Er begrüßte den Anrufer und ließ sich auf sein Bett fallen. "Einen wunderschönen guten Abend."
An Colins Ende konnte man irgendein Hip Hop-Gedudel hören, bis:
"... Ähm."
Kei grinste, froh, dass Colin das nicht sehen konnte. "Ja?" fragte er nach.
Es seufzte. "Tut mir Leid."
Das Rappen aus dem Hintergrund wich einem kurzen Tuten, das das Ende des Anrufs bekanntgab.
Kei drückte ebenfalls den roten Knopf und legte sein Handy weg. Hatte er sich für das Ignorieren in der Schule oder für das nicht gerade lange Gespräch entschuldigt? Oder für was ganz anderes...
Kei grub den Kopf in sein Kissen und versuchte eine Antwort auf diese nicht zu beantwortende Frage zu finden. Sein Elan war nicht allzu groß und so ging er lieber duschen.

Während Kei duschte, klingelte das Telefon wieder.
... Lange.
Er dachte ein Weilchen nach und beschloss, den Anrufer einfach nachher zurückzurufen. Als es nach einer Minute immer noch klingelte, kletterte er klatscchnass aus der Dusche und ging dran.
"Hm?" er hatte nicht auf das Display geschaut.
Colin räusperte sich. (Immer noch Gerappe im Hintergrund)
"Ähm. Also... Du bist kein Hurensohn... Glaube ich."
Kei dachte kurz nach. "Stimmt, bin ich nicht," sagte er, nachdenkend, was seine Mutter von Beruf gemacht hatte.
"Du musst damit aufhören, dich über mich lustig zu machen. Ich bin echt schlecht im Telefonieren."
"Ich mach mich nicht über dich lustig. Jedenfalls nicht auf eine fies gemeinte Art. Das würde anders aussehen," erklärte Kei. "Ach ja, du bist tatsächlich schlecht im Telefonieren, du hast nämlich absolut kein Timing." Kei sprach ruhig und ging schon einmal wieder in Richtung Bad.
Colin schluckte hörbar. Roboterhaft sagte er:
"Achso... du darfst... bitte sag nichts mehr, okay? Das macht mich nervös." So klang er auch. Er atmete durch. "Also..."
Kei hielt tatsächlich die Klappe bis auf ein "Ist nicht zu überhören," während er sich in die halb gefüllte Badewanne setzte.
Er wartete geduldig auf Colins Beendigung des Satzes.
"Also... " Er brauchte eine Weile, bis er weitersprechen konnte, und als er es tat, klangen die ersten Worte irgendwie erstickt, als ob er in seinen Ärmel oder ein Polster sprechen würde.
"Du machst mich echt nervös. Es ist nicht fair, dass... das ist nicht in Ordnung. Aber das ist wahrscheinlich noch nicht mal deine Schuld. Also... nicht immer. Ja. Also... ich bin eigentlich nicht so... aggressiv. Okay? Und so eklig." Er machte eine Pause und fragte dann verzweifelt: "Verstehst du?!"
Kei verstand nicht. Er assoziierte mit den von Colin gewählten Worten etwas ganz anderes.
"Ich fürchte nicht," erklärte er sein Unverständnis und machte leise das Wasser wieder an. Es war schön warm.
Und Colin nervös zu machen machte ihm entschieden zuviel Spaß um das bleiben zu lassen, aber das behielt er jetzt lieber für sich.
Colin seufzte verloren.
Seine Stimme klang wieder gedämpft: "Ach, vergiss es."
Er legte auf.
Colin lag mit dem Gesicht auf seinem Kopfkissen und knurrte hinein.

Kei legte sein Handy beiseite und drehte das Wasser ganz auf, ließ sich hineinsinken und hing seinen Gedanken nach.
Colin war ihm ein Rätsel. Manchmal.



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